Die Autoren beschreiben mittels dieser qualitativen Einzelfallanalyse die Entlassungssituation einer invasiv beatmeten COPD – Patientin vom Krankenhaus in die Kurzzeitpflege und anschließend in die Häuslichkeit, auf Grundlage des Expertenstandards Entlassungsmanagement 2004. Zugrunde gelegt wird, dass in Deutschland schätzungsweise 3 bis 5 Millionen, in den USA etwa 16 Millionen und weltweit etwa 600 Millionen Menschen an einer COPD erkrankt sind. Somit kann von einem globalen Problem gesprochen werden. Als geeigneter Forschungsansatz wurde die qualitative Forschung gewählt, um den subjektiven Erfahrungen der Betroffenen Rechnung zu tragen. Aus den geschilderten Situationen der Beteiligten - Stationsschwester des Krankenhauses, Pflegedienstleiterin der Kurzzeitpflege, Angehörige, Patient - konnten entstandene Probleme und Unregelmäßigkeiten abgeleitet werden und Lösungsvorschläge gegeben werden. Als Konsequenz für das Pflegemanagement sollten Konzepte bei der Entlassung speziell von COPD – Patienten in die Häuslichkeit entwickelt werden, welche sich an den Expertenstandard Entlassungsmanagement anlehnen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
2.1.1 Definitionen
2.1.2 Epidemiologie
2.1.3 Schweregradeinteilung der COPD
2.1.4 Therapieziele
2.2 Entlassungsmanagement in der Pflege
3. Literaturrecherche
4. Forschungsstand
5. Material und Methoden
5.1 Falldefinition
5.2 Einzelfallanalyse
5.2.1 Grundgedanke
5.2.2 Vorgehensweise der Einzelfallanalyse
5.3 Semistrukturiertes Interview
5.4 Leitfadenerstellung - Fragebogen/Fragekatalog
5.5 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
5.5.1 Erste qualitative Technik: Zusammenfassung
5.5.2 Zweite qualitative Technik: Explikation (Kontextanalyse)
5.5.3 Dritte qualitative Technik: Strukturierung
5.5.4 Gütekriterien der Inhaltsanalyse
6. Interpretation der Interviewergebnisse nach Kategorienbildung
6.1 Erfassung des Pflegebedarfs
6.2 Einbeziehung der Angehörigen in die Pflege
6.3 Schulung und Beratung
6.4 Individuelle Planung der Entlassung
6.5 Der Prozess der Entlassung
6.6 Subjektives Empfinden der Entlassung
7. Diskussion und kritische Bewertung
7.1 Diskussion der Ergebnisse
7.1.1 Ergebnisse der Kategorie – „Erfassung des Pflegebedarfs“
7.1.2 Ergebnisse der Kategorie – „Einbeziehung der Angehörigen in die Pflege“
7.1.3 Ergebnisse der Kategorie – „Schulung und Beratung“
7.1.4 Ergebnisse der Kategorien – „Individuelle Planung der Entlassung“ und „Prozess der Entlassung“
7.1.5 Ergebnisse der Kategorie – „Subjektives Empfinden“
7.2 Kritische Bewertung
7.3 Fazit
8. Ausblick
9. Literaturverzeichnis
10. Abbildungsverzeichnis
Anhang 1
Anhang 2
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Rund 10% der erwachsenen Bevölkerung leidet in Deutschland an der chronischen Lungenerkrankung COPD (chronic obstruktive pulmonary disease). Es zeichnet sich eine steigende Tendenz ab, die mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist (vgl. Medizinfo, 2007).
Die COPD ist gekennzeichnet durch die progressive Verschlechterung der Lungenfunktion mit Beeinträchtigung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Betroffenen.
Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung wird häufig die Indikation der invasiven Beatmung gestellt. Bei weiterer Verschlechterung der COPD - Krankheit bleibt als letzter Ausweg nur die Lungentransplantation.
„In den letzten Jahren stieg die Zahl der Todesfälle, die eindeutig auf COPD zurückzuführen sind, deutlich an. Im Moment liegt die COPD in der Todesursachenstatistik an der sechsten Stelle. Man geht aber davon aus, dass bei den derzeit steigenden Erkrankungszahlen bis zum Jahr 2020 etwa die dritte Stelle erreicht werden wird. Die Sterblichkeit steigt in höherem Lebensalter deutlich an. Das liegt daran, dass sich die durch die Erkrankung hervorgerufenen Schädigungen über einen langen Zeitraum summieren. Das sind insbesondere die Atemnot und die Auswirkungen von COPD auf das rechte Herz (vgl. Cor pulmonale) sowie auftretende Infektionen. Etwa zwei Drittel der Todesfälle betrifft Männer. Allerdings steigen die Erkrankungszahlen der Frauen in den letzten Jahren stark an, so dass auch hier mit einem Anstieg der Todesfälle in der Zukunft gerechnet werden muss.“ (Medizininfo, 2007).
Die pflegerische Entlassungsplanung gewinnt durch steigendes Patientenalter und Multimorbidität in Verbindung mit verkürzten Krankenhausverweildauern zunehmend an Bedeutung.
Seit Einführung des Expertenstandards Entlassungsmanagement 2002 gewann die Entlassungsplanung mehr und mehr an Einfluss auf die Situation von Patienten und deren Angehörigen. Der Expertenstandard Entlassungsmanagement gilt als anerkannte Grundlage und Rahmen für die pflegewissenschaftliche und pflegefachliche Öffentlichkeit, da er die Grundlagen der Entlassungsplanung zusammenfasst und eine verbindliche Orientierung gibt (vgl. Dangel, 2004).
Diese Problematik führte zur Entstehung der vorliegenden Arbeit über die Entlassung einer invasiv beatmeten COPD – Patientin vom Krankenhaus über die Kurzzeitpflege nach Hause.
Daraus ergab sich folgende Forschungsfrage: „Wie gestaltet sich der Prozess der Entlassung einer invasiv beatmeten Patientin aus der Sicht des Pflegepersonals, der Angehörigen und der Patientin?“ Des Weiteren interessiert die Frage nach der Sicherstellung der Kontinuität der Versorgung bei einer invasiv beatmeten Patientin während des Entlassungsprozesses in die Häuslichkeit.
Einfluss in diese Arbeit fanden untergeordnet auch Aspekte der Lebensqualität, um die Ganzheitlichkeit und Komplexität des Themas zu wahren.
Ziel der Arbeit ist es, die unterschiedlichen Sichtweisen der an der Entlassung der Patientin Beteiligten darzustellen. Anhand einer Einzelfallanalyse werden die Ansichten von Patientin, Angehörigen und Pflegepersonal des Krankenhauses und der Kurzzeitpflege zusammengetragen und ausgewertet.
Es erfolgt eine Überprüfung des aktuellen Wissenstandes auf Grundlage des Expertenstandards Entlassungsmanagement (DNQP, 2002). Anhand von semistrukturierten Interviews wird erforscht, inwieweit der Expertenstandard in den ausgewählten Einrichtungen umgesetzt wird. Die Ergebnisse werden in Kategorien zusammengefasst und anschließend analysiert.
2. Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Chronic Obstructive Pulmonary Disease, abgekürzt: COPD) ist eine der weltweit führenden Todesursachen und wird dennoch vielfach unterschätzt. Die COPD wird bis zum Jahr 2020 auf den dritten Platz der häufigsten Todesursachen vorrücken, lag sie im Jahr 1990 noch auf Platz sechs der häufigsten Todesursachen. In Deutschland wird vielerorts die COPD zu wenig beachtet, zu wenig diagnostiziert und zu wenig behandelt Verstärkte Bemühungen um eine Optimierung der Versorgungsqualität für COPD Patienten in Deutschland sind daher erforderlich (vgl. äzq, 2006: 7).
„Prävalenzschätzungen der COPD in der Gesamtbevölkerung liegen bei circa 1% bezogen auf alle Altersgruppen mit einem steilen Anstieg auf über 10% für Personen ab dem 40. Lebensjahr“ (äzq, 2006: 8).
2.1.1 Definitionen
Chronic Obstructive Pulmonary Disease:
„Der Begriff COPD umfasst eine Symptomatik und funktionelle Beeinträchtigung der Lunge, die charakterisiert ist durch eine Kombination aus chronischem Husten, gesteigerter Sputumproduktion, Atemnot, Atemwegsobstruktion und einem eingeschränktem Gasaustausch“ (äzq, 2006: 30).
Die COPD ist eine chronische Lungenkrankheit mit progredienter, nach Gabe von Bronchodilatatoren und/oder Corticosteroiden nicht vollständig reversibler Atemwegsobstruktion auf dem Boden einer chronischen Bronchitis und/oder eines Lungenemphysems (vgl. äzq, 2006: 30).
Chronische Bronchitis:
Eine chronische Bronchitis ist eine Entzündung der Bronchialschleimhaut, ausgelöst durch verschiedene exogene Reize, wenn Husten und Auswurf an den meisten Tagen während mindestens je drei Monaten in zwei aufeinander folgenden Jahren bestehen (vgl. Pschyrembel, 1998: 233).
Lungenemphysem:
Unter einem Lungenemphysem wird eine irreversible Vergrößerung des Luftraumes distal der Bronchioli terminales durch Zerstörung von Alveolen und Lungensepten (vgl. Pschyrembel, 1998: 945).
2.1.2 Epidemiologie
In Deutschland ist die Prävalenz der COPD nicht genau bekannt. Bei der erwachsenen Bevölkerung wird die Prävalenz der chronisch nichtobstruktiven Bronchitis auf 10 bis 15% geschätzt (vgl. äzq, 2006: 14).
Die COPD ist weltweit die vierthäufigste Todesursache und lag 2002 in Deutschland an siebenter Stelle der Todesursachen (vgl. Statistisches Bundesamt, 1999).
2.1.3 Schweregradeinteilung der COPD
Die neuen GOLD Leitlinien teilen die COPD in vier Schweregrade ein. Die Schweregrad- Einteilung der COPD erfolgt mittels FEV1 Werten (% vom Soll), gemessen nach Gabe eines Bronchodilatators.
Schweregrad 0 (Risikogruppe) ist charakterisiert durch chronischen Husten und/oder Auswurf bei Vorliegen von Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD. Die Lungenfunktion (Spirometrie) ist noch normal.
Schweregrad 1 (milde COPD) ist charakterisiert durch eine leichtgradige Atemflusslimitierung (FEV1 ≥ 80% Soll; FEV1/VK < 70%) und mit oder ohne chronischer Symptome wie Husten, Auswurf, Dyspnoe, eventuell erst bei starker körperlichen Belastung.
Schweregrad 2 (moderate COPD) ist charakterisiert durch die Zunahme der Atemflusslimitierung (50% ≤ FEV1 < 80% Soll; FEV1/VK < 70%) und in der Regel Progression der Symptome Husten und Auswurf und Dyspnoe bei Belastung.
Schweregrad 3 (schwere COPD) mit einer weiteren Zunahme der Atemflusslimitierung (30% ≤ FEV1 < 50% Soll; FEV1/VK < 70%) und mit Zunahme der typischen chronischen Symptomen.
Schweregrad 4 (sehr schwere COPD) ist charakterisiert durch schwere Atemflusslimitierung (FEV1 < 30% Soll oder FEV1 < 50% Soll; FEV1/VK < 70%) mit chronischer respiratorischer Insuffizienz. In diesem Stadium ist die Lebensqualität des Patienten stark beeinträchtigt und Exazerbationen können lebensbedrohlich sein (vgl. GOLD, 2004).
2.1.4 Therapieziele
Bei der Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung stehen folgende Ziele im Vordergrund: Krankheitsprogression verlangsamen, Symptomatik verbessern, Exazerbation verhindern, Mortalitätsrisiko senken, körperliche Belastbarkeit steigern, Komplikationen vorbeugen und behandeln und Verbesserung des Gesundheitsstatus und der Lebensqualität (vgl. äzq, 2006: 32).
Durch die Veränderung des Atemwegswiderstandes (Obstruktion bei COPD) kommt es zur Überlastung der Atemmuskulatur durch die Erhöhung der Atemarbeit schon bei Ruheatmung und somit zur Atemmuskelpumpenerschöpfung auch bedingt durch einer erhöhten Ventilation zur Kompensation der Emphysembedingten Gasaustauschstörung mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch und ungünstiger anatomischer Verhältnisse für die Kraftentfaltung der Atemmuskulatur (Zwerchfelltiefstand). Das führt oftmals zu einer Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Hyperkapnie (Anstieg des Kohlendioxidgehaltes) (vgl. äzq, 2006: 53).
Bei chronischer ventilatorischen Insuffizienz wird die Indikation zur Heimbeatmung dann gestellt, wenn alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.
Zu den konservativen Behandlungsmöglichkeiten zählen medikamentöse Therapie mit Bronchodilatatoren, Glycokorticoide, Theophyllin, Beta-2-Sympathomimetika, Anticholinergika und Antitussiva. Zu den nichtmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten zählen Patientenschulungen, Raucherentwöhnung, Physiotherapie, adäquate Ernährung und körperliches Training (vgl. äzq, 2006: 40-54).
„Die Exazerbation einer COPD ist durch eine akute und anhaltende Zustandsverschlimmerung charakterisiert, die über die für den Patienten normale Variation seiner Erkrankung hinausgeht und eine Intensivierung der Therapie erfordert“ (äzq 2006: 55).
Mit Hilfe invasiver oder nichtinvasiver Beatmung kann die häufig überlastete Atemmuskulatur infolge einer schweren Exazerbation bis zur Beseitigung der oftmals viralen oder bakteriellen Infektion der Atemwege als Ursache der Exazerbation entlastet und hierdurch die Morbidität und Mortalität reduziert werden (vgl. äzq, 2006: 59).
Die respiratorische Insuffizienz führt oft zu einer Krankenhauseinweisung, wobei die Krankenhausverweildauer von COPD - Patienten je nach Schweregrad individuell festgelegt wird. Vor der Entlassung sollten Patient und/oder seine Angehörigen den Einsatz der für die Erkrankung notwendigen Medikamente kennen, die Inhalationstechniken beherrschen und gegebenenfalls über invasive oder nichtinvasive Heimbeatmung informiert sein (vgl. äzq, 2006: 62).
2.2 Entlassungsmanagement in der Pflege
„Jeder Patient mit einem poststationären Pflege- und Unterstützungsbedarf erhält ein individuelles Entlassungsmanagement zur Sicherung einer kontinuierlichen bedarfsgerechten Versorgung“ (DNQP, 2002: 46).
Pflegerisches Entlassungsmanagement stellt ein Bündel verschiedener Maßnahmen dar, deren Kombination, Art und Umfang von Patient zu Patient erheblich variieren. Nach den Vorgaben des neuen Nationalen Expertenstandard Entlassungsmanagement (DNQP, 2002) umfasst es ein gestuftes pflegerisches Assessment zur Einschätzung des Unterstützungsbedarfs, die Entwicklung und Abstimmung einer individuellen Entlassungsplanung, Maßnahmen der Schulung, Anleitung und Beratung von Patienten und Angehörigen, verschiedene Maßnahmen der organisatorischen Abstimmung, der Information und Beratung in der Zusammenarbeit der professionellen Akteure, und schließlich auch eine Reihe von Aufgaben zur Kontrolle und Überprüfung des Entlassungsprozesses (vgl. Wingenfeld, 2003).
Der invasiv beatmete Patient stellt eine große Herausforderung im Entlassungsmanagement dar, schließlich gilt auch hier der Grundsatz ambulant vor stationär.
Bei der Versorgung zu Hause muss vor allem eine ausreichende Assistenz gewährleistet sein.
Der Umfang der Assistenz richtet sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen des invasiv beatmeten Menschen und beinhaltet insbesondere die notwendige, meist sogar überlebensnotwendige Anwesenheitsbereitschaft, wobei Familienangehörige nur in geringem Umfang , wenn überhaupt, eingesetzt werden sollten, da die Gefahr der Überlastung droht. Die technische Versorgung muss rund um die Uhr gewährleistet sein, das Beatmungszentrum muss ebenso erreichbar sein und bei medizinischer Notwendigkeit die ambulante oder stationäre Versorgung gewährleisten. Die meist wichtigste Rolle übernimmt der ambulante Pflegedienst, mit seinen speziell ausgebildeten Fachkräften und der technischen Service, die eine Brückenfunktion zwischen Beatmungszentrum, Versorgern und Patient übernehmen (vgl. zu diesem Absatz AG Heimbeatmung und Respiratorenentwöhnung e.V., 2007: 39).
3. Literaturrecherche
In der vorliegenden Arbeit konnten leider nur sehr wenige Studien oder andere Publikationen genutzt werden, da sich bereits durchgeführte Arbeiten nicht explizit mit dem Thema Entlassungsmanagement bei COPD - Patienten befassen. Berücksichtigung fanden Arbeiten, welche die Patientenentlassung oder Heimbeatmung zum Thema hatten.
Die Literaturrecherche erfolgte zunächst durch die Suche in den Datenbanken PUBMED und COCHRANE. Es wurden alle Titel ohne zeitliche oder methodische Einschränkungen berücksichtigt. In die Auswertung wurden deutschsprachige und englischsprachige Studien einbezogen, wobei englischsprachige Titel eindeutig überwogen.
Im ersten Schritt erfolgte die Suche mit den Begriffen „artificial respiration“ und „home nursing“. Diese Kombination sollte einen ersten Überblick über die derzeitige Literatur zur Heimbeatmung geben. Es wurden Studien zu Themen wie Heimbeatmung bei Kindern, die Familienerziehung bei Heimbeatmung oder die Heimbeatmung bei Krankheitsbildern wie Muskeldystrophie oder Schlafapnoesyndrom gefunden. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Studien, welche sich mit physischen und psychischen Belastungen der Familienangehörigen befassen. Literatur zum Thema COPD und Heimbeatmung wurde nicht gesichtet.
Der zweite Schritt umfasste die Kombination „artificial respiration“ und „home nursing“ und „COPD“. Weder in den Datenbanken von PUBMED noch in denen der COCHRANE LIBRARY ließen sich Studien zu dieser Konstellation finden.
Im dritten Schritt wurden die Suchbegriffe „artificial respiration“ und „discharge planning“ miteinander verknüpft. Hier konnten erneut Studien gefunden werden, welche sich mit verschiedenen Themen auseinander setzen. Dazu gehören beispielsweise die Entlassung bei Kindern, Veränderungen im Beatmungsverhalten oder die Entlassung beatmeter Traumapatienten beziehungsweise Krebspatienten oder kardiologischer Patienten.
Bei der Verknüpfung der Begriffe „artificial respiration“ und „discharge planning“ und „COPD“ konnten Studien gefunden werden, welche sich mit dem Sterben in Würde, der Lungenfunktion oder mit Überlebensraten beschäftigen. Zum Thema direkt passende Studien konnten auch hier nicht gesichtet werden.
Einen Schwerpunkt der Literaturrecherche bildete die Handsuche in deutschsprachigen Pflegezeitschriften. Dabei wurde Material zu den Themen COPD und Expertenstandard Entlassungsmanagement gefunden. Diese Artikel lieferten Informationen zu Beatmungsweisen bei COPD und zum Krankheitsbild COPD. Weiterhin fanden sich Artikel zum Expertenstandard Entlassungsmanagement von 2002 sowie dessen Implementierung in verschiedenen Einrichtungen. Diese Titel lieferten wichtige Hintergrundinformationen beispielsweise zu auftretenden Problemen bei der Umsetzung des Expertenstandards Entlassungsmanagement. In den einschlägigen Fachzeitschriften konnten außerdem qualitative Studien gefunden werden, die sich mit dem Erleben von COPD - Patienten befassen. An Hand der Referenzlisten dieser Studien konnte weiteres Material dazu gesammelt werden.
Im letzten Schritt wurde der Expertenstandard Entlassungsmanagement der Fachhochschule Osnabrück nach geeigneten Literaturquellen durchsucht. Hier ließen sich Informationen zum derzeitigen Forschungsstand der Entlassungsplanung und Patientenüberleitung finden.
4. Forschungsstand
Im anglo - amerikanischen Sprachraum ist die Entlassungsplanung sowie die Patientenüberleitung schon lange Bestandteil von Forschung und Praxis. An der Yale-Universität in Amerika entwickelte bereits 1967 Professor Fetter die Diagnosis Related Groups, kurz DRGs, zunächst jedoch als reines Patientenklassifikationssystem. Ab 1983 wurden die DRGs in Amerika als Vergütungssystem im Medicare - Bereich eingeführt. Dadurch kam es dort schon in den frühen 80er Jahren zur Verlagerung von Behandlungen in den ambulanten Sektor und der Verkürzung der stationären Verweildauern.
Erst im Jahre 2003 wurde in Deutschland ein an Australien angelehntes Modell der DRGs eingeführt, welches zunächst noch freiwillig war. Ab dem 1. Januar 2004 ist das deutsche Fallpauschalensystem verpflichtend, jedoch wird eine erfolgreiche Implementierung noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Durch die Umsetzung der DRGs wird es zu Verweildauerverkürzungen kommen, welche eine gute und effektive Entlassungsplanung voraussetzen. Auch das Altern der Gesellschaft und die dadurch bedingte Zunahme von chronischen Erkrankungen tragen dazu bei, dass der Stellenwert der Entlassungsplanung steigen wird
Durch verkürzte Verweildauern steigt der Bedarf an einer poststationärer Versorgung durch professionell Pflegende, Angehörige oder den Patienten selbst (Naylor, 1990b). Durch den technischen Fortschritt ist es heute möglich, auch eine aufwendigere Pflege zu Hause durchzuführen. Dafür ist es jedoch nötig, dass man schon vor der Entlassung häusliche Gegebenheiten untersucht, um die poststationäre Versorgung gewährleisten zu können und um auch Familienmitglieder gegebenenfalls zu instruieren (Bakewell-Sachs et al., 2000). In einem 1997 in den Niederlanden durchgeführten Projekt wurde der Einsatz von „Überleitungsschwestern“ untersucht, welcher zur Verbesserung des Entlassungsprozesses beitragen konnte (Peters et al., 1997). Jedoch war die damalige Stichprobe sehr klein, so dass bei der Kontinuität der Pflege keine signifikanten Verbesserungen festgestellt werden konnten. Dennoch kann man davon ausgehen, dass durch eine intensiv geplante Entlassung im multidisziplinären Team in Verbindung mit dem Patienten selbst sowie dessen Angehörigen die Lebensqualität des Betroffenen steigt, da individuell vermuteten Problemen vorgebeugt werden kann. Wichtig für eine reibungslose Entlassung sind jedoch fachliches Wissen und Organisationsvermögen, welches oftmals fehlt, da Pflegepersonal in der Ausbildung nicht dafür ausgebildet wurde und wird.
Es existieren vielfältige Arbeiten zur Entlassungsplanung, welche unterschiedliche Schwerpunkte untersuchen. Diese sind vor allem aus dem anglo - amerikanischen Sprachraum. In Deutschland gibt es weit weniger Literatur zu diesem Thema, welches noch weitgehend unerforscht ist. Man findet lediglich Beschreibungen von Ansätzen und Organisationsformen, welche in Modellversuchen erprobt wurden. Nach Einführung des Expertenstandards Entlassungsmanagement stellt beispielsweise das Klinikum der Philipps-Universität Marburg sein Konzept zur Pflegeüberleitung vor (Pflegezeitschrift, 10/2004: 698-701). Auch die modellhafte Implementierung des Expertenstandards Entlassungsmanagement an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil in Bochum wird in einer Fachzeitschrift vorgestellt (Pflegezeitschrift, 10/2004: 694-697). Man kommt zu dem Ergebnis, dass der Expertenstandard eine gute Grundlage für die Praxis bildet jedoch auch hohe Anforderungen an Pflegende stellt. Diese erforderlichen Fähigkeiten müssen innerhalb der Berufsgruppe vermittelt werden, damit sie dauerhaft zum Erfolg führen können.
Der Stand der deutschsprachigen Literatur zum Thema Entlassungsplanung ist unzureichend und bildet keine Grundlage für eine wissenschaftliche Arbeit. Daher muss man englischsprachige Publikationen in die Literaturrecherche einbeziehen, um einen derzeitigen Forschungsstand feststellen zu können.
Die gefundene Literatur zum Thema Entlassungsplanung passt nicht direkt zum Thema der vorliegenden Arbeit. Vielmehr haben die gefundenen Studien andere Themenschwerpunkte wie Erhebungen zu Wiedereinweisungsraten oder Liegezeitverkürzungen, beziehen sich oft auf andere Patientenklientele (z.B. Naylor et al., 1994) oder andere Diagnosen.
Gefundene Studien können auf Grund der verwendeten Methoden unterschieden werden. Selten findet man Randomisierte klinische Studien, in denen Interventionen erprobt werden. Gefunden werden dazu lediglich Studien, die für das zu bearbeitende Thema mit Schwerpunkt COPD wenig brauchbar sind. Es geht dabei beispielsweise um Patienten der Unfallstation (Runciman, 1996) oder um Kinder mit akutem Asthma (Wesseldine, 1999). Studien dieser Art untersuchen vor allem die Lebensqualität der Patienten oder beschäftigen sich mit entstehenden Behandlungskosten für verschiedene Interventionen.
Quantitative klinische Studien verfolgen ähnliche Zielsetzungen und beschäftigen sich dabei mit Wirkungen von Interventionen oder auch Kompetenzproblemen. Beispielsweise wird in diesen Studien deutlich gemacht, was ein Case Manager alles wissen sollte (Nolan et al., 1998) oder es werden Auffassungen von Eltern untersucht, was diese, ihrer Meinung nach, nach der Entlassung ihrer Kinder alles benötigen (Smith et al., 2000).
In Qualitativen klinischen Studien geht es vor allem um Erfahrungen und Wahrnehmungen von Patienten, ihren Angehörigen sowie den professionellen Pflegekräften. Eine explorative Studie befasst sich dabei mit Erfahrungen nach Entlassung von Patienten der Intensivstation sowie deren Lebensqualität (Hall-Smith et al., 1997), eine andere Studie untersucht verschiedene Strategien älterer chronisch kranker Frauen und deren Töchter im Umgang mit der poststationären Situation (Bull/Jervis, 1997).
Erfahrungsberichte von Experten kann man vor allem in der deutschsprachigen Literatur finden, welche sich beispielsweise mit der Implementierung des Expertenstandards Entlassungsmanagement an verschiedenen Orten beschäftigt.
Der Themenschwerpunkt dieser Arbeit ist das Krankheitsbild COPD. Dazu findet man vor allem Erfahrungsberichte in deutschsprachigen Pflegezeitschriften sowie Studien qualitativer Art. Hintergrundinformationen zur Krankheit liefern Artikel in Zeitschriften mit Aspekten zur Heimbeatmung und zum Erleben der Krankheit von Patienten (z.B. Heilberufe, 5/2005: 12-16). Aufschluss über Beatmungsformen, deren Vorteile und Nebenwirkungen, die Beatmungspflege und die Betreuung beatmungspflichtiger Menschen zu Hause geben weitere Berichte (Die Schwester/Der Pfleger, 1/2005: 14-18; Die Schwester/Der Pfleger, 2/2005: 120-124).
Qualitative Studien zum Thema COPD berichten vor allem aus der Perspektive der Patienten und deren Angehörigen. Beschrieben wird das subjektive Krankheitsempfinden und die Belastung der Familie (Grundböck et al., 2005, Douglas/Daly, 2003). Eine andere Studie beschreibt, wie Patienten die Heimbeatmung erleben (Schaefer/Dorschner, 2005).
Momentan gibt es noch sehr wenige Pflegeforschungsstudien, nur zwei englischsprachige konnten gefunden werde. In einer Studie davon schildern COPD - Patienten ihre körperlichen Einschränkungen und beschreiben daraus resultierende soziale Folgen, beispielsweise das Gefühl, weniger gebraucht zu werden und weniger in der Gesellschaft integriert zu sein (vgl. Leidy & Haase, 1999). Die andere Studie wurde in Schweden durchgeführt. Sie beschäftigt sich damit, wie COPD - Patienten mit ihrer chronischen Krankheit umgehen. Die durch Interview befragten Patienten waren ans Haus gebunden, hatten Mobilitätsschwierigkeiten und waren auf die Hilfe von Familienmitgliedern angewiesen. Diese Patienten brauchen vor allem physische und psychische Unterstützung, um nicht in die soziale Isolation zu geraten (vgl. Ring & Danielson, 1997).
5. Material und Methoden
5.1 Falldefinition
1. Interview:
Im ersten Interview wurde die Stationsschwester einer pulmologischen Station im Krankenhaus befragt. Sie arbeitet seit 5 Jahren mit beatmeten Patienten und ist hauptverantwortlich für die Planungen und Durchführungen der Entlassungen und die Wiederaufnahmen der Patienten auf dieser Station. COPD erkrankte Patienten werden am häufigsten auf dieser Station behandelt und folglich auch entlassen.
2. Interview:
Das zweite Interview wurde mit der Pflegedienstleiterin der Kurzzeitpflege durchgeführt, welche unter anderem auch die COPD erkrankten Patienten aus dem oben genannten Krankenhaus betreuen bis zur Wiederaufnahme in das Krankenhaus und anschließenden Entlassung in die Häuslichkeit oder in eine Pflegeeinrichtung.
3. Interview:
Im dritten Interview wurde als Angehörige der Patientin ihre Tochter befragt. Sie ist eine 54jährige berufstätige Frau, die nicht in der Nähe ihrer Mutter wohnt. Demzufolge in ihrer Grundpflege auch nicht direkt mit involviert ist.
4. Interview:
Das vierte Interview wurde mit der Patientin selbst geführt. Einer 76jährigen invasiv beatmeten Frau. Sie wird seit Ende 2005 wegen der COPD – Erkrankung beatmet. Sie ist verwitwet und somit allein lebend. Die Patientin hat nach der Entlassung vom Krankenhaus in die Häuslichkeit eine 24 Stunden Pflegebetreuung erhalten.
5.2 Einzelfallanalyse
5.2.1 Grundgedanke
Im gesamten Analyseprozess soll der Rückgriff auf den Fall in seiner Ganzheit und Komplexität erhalten bleiben. Somit werden genauere und weniger oberflächlichere Ergebnisse erreicht (vgl. Flick 1991:147).
5.2.2 Vorgehensweise der Einzelfallanalyse
1. Formulierung der Fragestellung: Was soll mit der Fallanalyse bezweckt werden?
In dieser Fallanalyse soll die Gestaltung des Entlassungsprozesses einer invasiv beatmeten Patientin aus der Sicht des Pflegepersonals, der Angehörigen und der Patientin untersucht werden. Des Weiteren interessiert die Frage nach der Sicherstellung der Kontinuität der Versorgung bei dieser invasiv beatmeten Patientin während des Entlassungsprozesses in die Häuslichkeit.
2. Falldefinition: Was soll als Fall gelten?
- Der Fall wurde als theoretisch interessanter Fall definiert.
3. Bestimmung der spezifischen Methoden, Materialsammlung:
- Als spezifische Methode wurden vier semistrukturierte Interviews über die Entlassung einer invasiv beatmeten Patientin durchgeführt.
4. Materialaufbereitung, Kommentierung des Materials:
- Die Interviews wurden mittels Tonbandgerät aufgenommen und anschließend transkribiert. Eine Kommentierung des Materials erfolgte bei der Transkription.
5. Auswertung des Materials: Interpretation anhand bestimmter Auswertungsmethoden:
- Die transkribierten Interviews wurden nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring in Kategorien eingeordnet und gegliedert.
6. Einordnung des Falls in einen größeren Zusammenhang:
- Vergleich mit anderen Fällen, um die Gültigkeit der Ergebnisse abschätzen zu können.
(vgl. Flick, 1991: 148)
Das Hauptproblem bei Fallanalysen ist die subjektive Verzerrung der Daten.
Somit sollten weitere Personen befragt werden oder andere Informationsquellen hinzugezogen werden, um eine bessere Objektivierung zu erreichen (vgl. Flick, 1991: 150).
5.3 Semistrukturiertes Interview
Bei dieser Form des Interviews handelt es sich um ein qualitatives Forschungsdesign und um eine deskriptive Methode.
Bei qualitativen Methoden geht es um das Beschreiben, Interpretieren und Verstehen von Zusammenhängen (vgl. Prüfer, 2005: 3).
Das halbstrukturierte Interview zeichnet sich durch eine unverzerrte und sehr umfassende Informationen liefernde Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand aus und ist hierdurch überall dort geeignet, wo man differenzierte und ausführliche Beschreibung individueller Meinungen und Eindrücke benötigt (vgl. Atteslander, 2000: 153).
Aus den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich die relevanten Beurteilungskriterien für den fraglichen Sachverhalt und intervenierende Folgemaßnahmen ableiten. Aufgrund dessen wurde, für die Befragung von den Forschern, als Methode ein semistrukturiertes Interview entwickelt, das für die Erfassung von Angaben über die Benutzung des Expertenstandards Entlassungsmanagement bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) genutzt wurde.
Im qualitativen Interview werden die Teilnehmer von einem Interviewer zu einem bestimmten Themengebiet befragt. Die Fragen wurden in ihrer Formulierung und Ausführlichkeit den Bedürfnissen der InformantInnen angepasst.
Der Ansatz eines qualitativen Interviews zeichnet sich durch Offenheit und Flexibilität aus (vgl. Atteslander, 2000: 141).
Oftmals bestehen individuelle oder soziale Hemmschwellen der Kommunikation, weshalb Fragen häufig gar nicht oder aber falsch beantwortet werden (vgl. Atteslander, 2000: 152).
Eine flexible Gestaltung der Reihenfolge der Fragen und das Hinhören auf Zwischentöne ist sehr wichtig, um eine Verfälschung der Ergebnisse zu vermeiden (vgl. Prüfer, 2005: 18).
Zusätzlich wird, durch die offene Gestaltung der Interviewsituation, die sich an eine alltägliche Unterhaltung annähert, die Motivation der Teilnehmer erhöht.
Bei dem semistrukturierten Interview gibt es einen Fragenkatalog bzw. Gesprächsleitfaden (vgl. Atteslander, 2000: 154), der sich nach der Vorstellung der Forschenden vom mutmaßlichen Gesprächsverlauf durch das Gespräch zieht. Somit gab es einen Kernbestand von Fragen, die auf jeden Fall abgearbeitet werden sollten. Dieser Leitfaden ist keine starre Strukturvorgabe für den Ablauf einer Frage – Antwort Sequenz, d. h., die Reihenfolge und Gestaltung der Fragen ist an den Erfordernissen der konkreten Gesprächssituation orientiert und lässt somit Raum für individuelle, ausführliche Antworten (vgl. Atteslander, 2000: 171).
Die Gesprächsführung ist demnach sehr flexibel und die Antwortmöglichkeiten der Gesprächspartner sind unbeschränkt (vgl. Atteslander, 2000: 171).
Die Gesprächsperson kann selbst Themenschwerpunkte wählen und wie in einem Alltagsgespräch mit eigenen Worten beschreiben, d.h. der Fokus des Gesprächs wird vom Teilnehmer selbst bestimmt, wodurch dieser vor allem auf den für den Teilnehmer relevanten Sachverhalten liegt.
Um das Antwortpotential der Informationen auszuschöpfen und um die Befragten zu einer längeren Darstellung selbst erlebter Ereignisse anzuhalten (z.B. schildern eines bestimmten Sachverhalt, einer persönlichen Haltung zu einem Problem oder ein Ereignisses), gibt es keine Antwortvorgaben. Zusätzlich erhält man dadurch eher wahre und vollständige Informationen über die subjektive Sicht der Gesprächspartner.
Der Interviewer hat durch die persönliche Interaktion die Möglichkeit, Hintergründe zu erfragen und Unklarheiten zu beseitigen und kann somit auf das Gespräch Einfluss nehmen (vgl. Atteslander, 2000: 141).
Denn oft ist es notwendig, die Äußerungen der Befragten durch gezieltes Nachfragen zu vertiefen. Jedoch sind Widerstandsphänomene und Abwehrmanöver des Befragten immer zu respektieren (vgl. Prüfer, 2005: 5-11, 16, 18).
Die Anforderungen an den Interviewer sind im qualitativen Interview sehr hoch. Er muss sich einerseits selbst zurücknehmen, um sich ganz auf den Gesprächspartner zu konzentrieren, und dabei eine angenehme und anregende Gesprächssituation erzeugen, andererseits sollte er die Fragestellung nicht aus den Augen verlieren. Es ist wichtig, dass der Interviewer einen guten Überblick über den Leitfaden hat, so dass er gegebenenfalls die Reihenfolge der Fragen flexibel ändern kann (vgl. Atteslander, 2000: 141, 176).
Die Auswertung von semistrukturierten Interviews ist sehr aufwendig, da sich eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der einzelnen Interviews durch fehlende Standardisierung ergibt und weil man keine zahlenmäßigen Mengenangaben ableiten kann (vgl. Atteslander, 2000: 154).
Zusätzlich müssen die Eingaben aus den offenen Fragen vorher oder im Nachhinein kategorisiert werden (vgl. Atteslander, 2000: 157).
5.4 Leitfadenerstellung - Fragebogen/Fragekatalog
Ein Interviewleitfaden dient als Hintergrundschema zum Forschungsthema, welches zuvor festgelegt wird und ist ein wichtiges Datenerfassungsinstrument.
Bevor man sich aber an die konkrete Erstellung des Interviewleitfadens macht, müssen einige Entscheidungen im Vorfeld getroffen werden. Zunächst müssen Inhalte, Umfang, Ablauf und Teilnehmerkreis des Interviews festgelegt werden. Die Inhalte des Fragenkatalogs leiten sich im Wesentlichen aus den Zielen ab (vgl. Atteslander, 2000: 142). Es gibt dabei verschiedene Möglichkeiten passende Inhalte zu generieren. Man kann aus bereits bestehenden Fragebögen übergeordnete Themengebiete oder komplette Fragen übernehmen. Außerdem gibt es zu einigen Themengebieten Standardfragebögen oder Fragensammlungen, aus denen man sich Anregungen holen kann. Man kann in der Literatur zu dem gewünschten Zielgebiet recherchieren, um verwandte Themengebiete zu finden oder theoretische Zusammenhänge aufzudecken. Man kann aber auch im Rahmen einer Diskussion mit Experten erarbeiten, welche weiteren Themengebiete für die Erreichung des Zieles des Interviews sinnvoll sein können.
Der Umfang des Interviews hängt wiederum von den Zielen ab. Insgesamt sollte darauf geachtet werden, den Fragenkatalog so kurz wie möglich zu gestalten, um den Aufwand für die Teilnehmer gering zu halten und dadurch die Akzeptanz des Interviews zu erhöhen.
Der wichtigste Schritt bei der Planung eines Fragenkataloges ist die Definition des Zieles, d.h. es muss geklärt werden, welchem Zweck der Fragenkatalog dienen soll und welche Erwartungen an die Ergebnisse der Befragung gestellt werden. Es ist wichtig, zu definieren, welche aktuellen Fragen mit der Befragung beantwortet werden sollen (vgl. Atteslander, 2000: 175).
Oberstes Gebot, damit ein Interview ein Erfolg wird, ist ein sehr gewissenhaftes Vorgehen, denn eine bloße Aneinanderreihung von Fragen ergibt noch keinen guten Fragenkatalog.
Zunächst muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Information durch eine Frage gewonnen werden sollte (vgl. Atteslander, 2000: 175).
Es gibt eine Vielzahl von Fragetypen und Darstellungsmöglichkeiten. Wofür man sich entscheidet hängt maßgeblich davon ab, welche Aussagen und Schlussfolgerungen man aufgrund der Antwort treffen möchte. Bevor man sich für ein bestimmtes Format entscheidet, sollte man sich fragen, wie die Antworten dabei aussehen, welche Art von Daten man dabei erhält und ob man aus diesen Daten die nötigen Schlussfolgerungen ziehen kann
(vgl. Atteslander, 2000: 161-168).
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen offenen und geschlossenen Fragen, d.h. es muss überlegt werden, ob der Fragenkatalog Antwortvorgaben enthalten soll (geschlossene Fragen), oder ob dieser aus offenen Fragen bestehen soll.
Bei offenen Fragen werden also keine Antwortvorgaben gegeben, so dass die Befragten in freier Formulierung ihre Antwort geben können. Geschlossene Fragen besitzen demnach gegenüber offenen Fragen eine begrenzte Anzahl von Antwortvorgaben (vgl. Atteslander, 2000: 158-159) und haben den Vorteil, dass der Aufwand bei der Auswertung um ein vielfaches geringer ist, weil die Eingaben aus offenen Fragen vorher oder im Nachhinein kategorisiert werden müssen (vgl. Atteslander, 2000: 157).
Darüber hinaus werden bei geschlossenen Fragen Verzerrungen, die durch unterschiedliche Artikulationsfähigkeiten der Befragten entstehen können, reduziert (vgl. Atteslander, 2000: 158-159, 161-162).
Zusätzlich kann auch noch zwischen Meinungsfragen, Überzeugungsfragen, Verhaltensfragen und Eigenschaftsfragen unterschieden werden (vgl. Atteslander, 2000: 161-166).
Die Autoren dieses Projektes haben sich für eine Kombination aus offener und geschlossener Struktur entschieden, weil durch diese Form dem Befragten ermöglicht wird über die festgelegten Antwortoptionen hinaus eigene Angaben zu machen (vgl. Atteslander, 2000: 162).
Bei der Frageformulierung der einzelnen Fragen ist es wichtig, die folgenden Punkte zu beachten. Die Fragen sollten möglichst kurz, konkret, eindeutig, neutral und einfach formuliert sein und sich an der Alltagssprache orientieren. Eigentlich sind Fachausdrücke, Fremdworte und Abkürzungen zu vermeiden, aber einige Fachausdrücke mussten von den Forschern unbedingt verwendet werden, um die Forschungsfrage korrekt beantworten zu können, um einen guten Überblick über die Problematik zu erhalten und weil Antworten auf Fragen, die sich auf konkrete Situationen beziehen meist zuverlässiger, als allgemein formulierte Fragen sind. Fachausdrücke waren demnach also nicht zu vermeiden, da die Fragen mit dem Expertenstandart Entlassungsmanagement ausgearbeitet wurden.
Allerdings wurde darauf geachtet, dass nur den befragten Experten diese Fragen in dieser Form so gestellt wurden. Bei der Befragung der Patienten und Angehörigen wurden die Fragen dem Stand der Befragten angepasst und umformuliert.
Aus der Klärung der Ziele und der Inhalte der Befragung ist bereits bekannt, zu welchen Themen Fragen gestellt werden sollen. Diese Themengebiete müssen nun sinnvoll sortiert werden, denn Fragen zu ein und demselben Inhaltsbereich, die verstreut an unterschiedlichen Stellen des Katalogs erscheinen, stiften Verwirrung (vgl. Atteslander, 2000: 170-172; vgl. Porst, 2000: 2).
Zum Beginn und am Ende sollten einfache Fragen stehen, wobei die komplexen und schwierigen Fragen relativ früh gestellt werden sollten, um einen Ermüdungseffekt zu vermeiden. Fragen zu sensiblen Inhalten sollten an das Ende der Befragung gestellt werden, da auf diese Weise verhindert wird, dass es vorzeitig zum Abbruch der gesamten Befragung kommt (vgl. Atteslander, 2000: 151, S. 172).
Eine Mehrdimensionalität innerhalb der Fragen sollte verhindert, also besser in zwei Fragen unterteilt werden, in denen jeder Sachverhalt einzeln abgefragt wird. Es sollten keine bestimmten Antworten provoziert werden, d.h. es sollten keine Suggestivfragen gestellt werden (vgl. Atteslander, 2000: 157, 161).
Die Fragen sollten keine doppelten Negationen beinhalten, keine langen und komplizierten Überlegungen beim Befragten auslösen und sowohl die positiven als auch die negativen Antwortoptionen einbeziehen.
Für eine gute Befragung ist es aber nicht nur wichtig auf die Einhaltung der Formulierungsregeln zu achten, sondern sollte ein Fragenkatalog auch als ein Gesamtkonzept betrachtet werden. Der Befragte sollte in eine interessante und konzentrierte Kommunikationssituation versetzt werden. Die Einleitungsfragen haben eine besonders große Bedeutung innerhalb des gesamten Fragenkatalogs, da die Motivation und das Engagement zur Beantwortung mit diesen Fragen erzeugt werden und weil sie inhaltlich in das Thema des Fragenkatalogs einführen und Interesse wecken. Um häufige Fehler bei der Erstellung eines Fragenkataloges zu vermeiden, sollten folgende Kriterien beachtet und hinterfragt werden:
- Ist die Frage nötig? Wozu dient sie?
- Sind mehrere Fragen zum jeweiligen Gegenstand notwendig?
- Deckt die Frage das beabsichtigte Gebiet ausreichend ab?
- Ist zusätzliches Material notwendig, um die Frage zu erklären?
- Sind die Befragten Personen überhaupt hinreichend informiert, um die Fragen beantworten zu können?
- Sind Alternativfragen zu dem betreffenden Gegenstand erforderlich, damit man den verschiedenen Klassen von Befragten gerecht wird?
- Ist der Frageinhalt allgemein genug und nicht zu spezifisch?
- Ist der Inhalt der Frage einseitig oder in eine Richtung verzerrt?
- Kann eine Frage besser in direkter oder in indirekter Form gestellt werden?
- Wird der Befragte die Information geben, nach der er gefragt ist?
- Kann die Frage missverstanden werden? Ist sie schwierig oder unklar ausgedrückt?
- Ist die Frage irreführend, weil nichts Festes behauptet wird?
- Ist die Formulierung verzerrend? Ist sie mit Emotionen befrachtet oder neigt sie dazu, eine besondere Art von Antwort zu erzeugen?
(vgl. Atteslander, 2000: 151, 171; Kurz, 1999: 3)
Die Überprüfung des Interviewleitfadens für das Universitätsprojekt erfolgte durch die Forscher und durch deren zuständige Pflege – und Gesundheitswissenschaftlerin der Universität Halle/Wittenberg.
Bevor die Forscher sich aber für geeignete Probanden entschieden, wurde von ihnen geprüft, ob und auf welche Weise man Zugang zu diesen erhält (vgl. Atteslander, 2000: 151; Prüfer, 2005: 17).
Die Probanden wurden über die mündliche Befragung informiert und es wurden sich Patientenzustimmungen eingeholt. Erst danach wurden mit den Befragten Termine für das persönliche Interview vereinbart.
Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet, um die Interviewer zu entlasten und dann später transkribiert (vgl. Behrens / Langer, 2004: 128).
Die benötigte Zeitdauer des Interviews ist abhängig von der Komplexität der Thematik. Sie liegt zwischen 30 Minuten und mehreren Stunden, jedoch liegt der zumutbare Rahmen zwischen 30 bis 60 Minuten (vgl. Atteslander, 2000: 142, 174; Kurz, 1999: 5).
Die Stichprobenzusammenfassung sollte den theoretischen Überlegungen und der Fragestellung angepasst werden und möglichst typische Vertreter enthalten.
Die Probanden wurden für das Interview anhand von vorhandenem Wissen und Erfahrungen über den Untersuchungsgegenstand von den Autoren ausgewählt. Unter Berücksichtigung bei der Auswahl standen außerdem die Reflektions- und Artikulationsfähigkeiten sowie die Zeit und Bereitschaft des Befragten.
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