Ziel dieser Arbeit ist es, einen Einblick in die Entstehung von Schriftsystemen im antiken Griechenland zu gegeben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Linear B-Schrift. Nach einer allgemeinen Einführung und zeitlichen Einordnung der Schriftsysteme im antiken Griechenland, in der auch die Hieroglyphenschrift sowie die Linear A- und Linear C-Schrift kurz dargestellt werden, folgt der Schwerpunkt dieser Arbeit, die Linear B-Schrift.
Es wird näher auf die Geschichte der Entzifferung, die Funktionsweise und die Gewinnung von geschichtlichen Informationen aus den Linear B-Texten eingegangen. Ein Aspekt dieser Arbeit ist, anhand von Beispielen darzustellen, wie aus den Linear B-Tafeln sowohl wichtige Informationen zur Herrschafts- und Lebensweise im mykenischen Griechenland als auch Entwicklungen der griechischen Sprache in bestimmten Zeitabschnitten rekonstruiert werden können.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Voralphabetische Schriftsysteme im antiken Griechenland
1. Enstehung von Schriftsystemen in Kreta
2. Hieroglyphen
3. Linear A
4. Die kyprominoische Schrift (Linear C)
5. Linear B
5.1. Das Alter der Linear B-Tafeln
5.2. Die Entzifferung der Linear B-Schrift
5.2. Wie funktioniert Linear B?
5.3. Welche Informationen können wir den Linear B-Tafeln entnehmen?
III. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
V. Anhang
I. Einleitung
In dieser Arbeit wird ein Einblick die Entstehung von Schriftsystemen im antiken Griechenland gegeben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Linear B-Schrift. Nach einer allgemeinen Einführung und zeitlichen Einordnung der Schriftsysteme im antiken Griechenland, in der auch die Hieroglyphenschrift sowie die Linear A- und C-Schrift kurz dargestellt werden, folgt der Schwerpunkt dieser Arbeit, die Linear B-Schrift. Es wird näher auf die Geschichte der Entzifferung, die Funktionsweise und die Gewinnung von geschichtlichen Informationen aus den Linear B-Texte eingegangen. In dieser Arbeit wird anhand von Beispielen gezeigt, wie aus den Linear B-Tafeln sowohl wichtige Informationen zur Herrschafts- und Lebensweise im mykenischen Griechenland als auch Entwicklungen der griechischen Sprache in bestimmten Zeitabschnitten rekonstruiert werden kann.
II. Voralphabetische Schriftsysteme im antiken Griechenland
Bevor im 7./8. Jh. v. Chr. Griechen die Alphabetschrift von den Phöniziern adaptierten, gab es Schriftsysteme, die nicht einen einzelnen Buchstaben für einen Laut verwendeten, sondern ein Bild für ein Wort (Ideogramme) sowie ein Bild für eine Silbe (Phonogramme). Wie in ägyptischen Hieroglyphen wurden auch in den griechischen Hieroglyphen, die erstmalig auf Kreta verwendet wurden, für ein Wort ein Bild entwickelt und abgebildet. Der Übergang zu einer Lautschrift erfolgte ebenfalls schon bei den ägyptischen Hieroglyphen durch Übertragung eines Ideogramms auf eine Silbe, die den gleichen Anlaut hatte (Rebus-Prinzip)1. In den nachfolgend entwickelten Linearschriften gab es sowohl Ideogramme als auch Phonogramme. Mit Hilfe dieser Schriftzeichen war es möglich, produzierte und verteilte Güter einem Besitzer zuzuordnen und so Besitzstand zu sichern, was eine Voraussetzung eines Gesellschaftssystems mit funktionierender Verwaltung war2.
1. Die Entstehung von Schriftsystemen in Kreta
Die Anfänge des Schriftgebrauchs in Europa lagen in Kreta. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen wurden in die Anfänge der frühen Bronzezeit (ca. 3400 -2000) datiert3. In dieser Zeit entstanden Siedlungszentren, die landwirtschaftliche und handwerkliche Überschüsse produzierten. Diese Überschüsse wurden gesammelt und umverteilt, ein Vorgang, der mit zunehmender Komplexität eine Aufzeichnung nötig werden ließ. Eigentumsansprüche Einzelner oder Personengruppen konnten so festgehalten werden. In Mesopotamien und Ägypten wurden bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. Schriftsysteme zur Registrierung von Gütern entwickelt4. Der Eigentümer oder verantwortliche Verwalter wurde durch einen Siegelabdruck auf den jeweiligen Gütern gekennzeichnet. Die Siegel wurden aus Stein oder Bein angefertigt mit Bildern aus einfachen linearen Mustern. Sie sind ab der Zeit FM II, ca. 2800 - 2300 v. Chr. zu finden. Komplexere Siegelzeichen wie Tier- und Menschendarstellungen und andere figurenähnliche Elemente fanden sich für die Zeit FM III und MM I A, ca. 2300 - 1900 v. Chr.5.
2. Hieroglyphen
Der Engländer Arthur John Evans war auf die frühe hieroglyphische Schrift, deren Zeichen er auf Siegelsteinen entdeckte, aufmerksam geworden. Zuvor, bei den Ausgrabungen des Gräberrunds in Mykene 1896 durch Heinrich Schliemann kamen Funde von einem hohen Grad an Kultur, vor allem der Spezialisierung im Handwerk, zum Vorschein. Diese Funde veranlassten Arthur John Evans zu dem Gedanken, dass eine Kultur mit einer so weit entwickelten Wirtschaftsordnung eine Schrift zumindest für die Palastverwaltung benötigte, um diese Güter zu registrieren6. 1900 begann er mit Ausgrabungen in Knossos. Dort fand er in einer Palastanlage neben beschrifteten Tontafeln, deren Schrift er wegen des linienförmigen Schriftbildes Linear A bzw. Linear B nannte, Siegelabdrücke mit hieroglyphischen Symbolen7. Hieroglyphische Texte wurden, mit Ausnahme von einigen Abdrücken, welche auf Samothrake entdeckt wurden, ausschließlich auf Kreta gefunden. Die wichtigsten Archive befanden sich in Nordkreta speziell in Knossos, Mallia und Petras, das bei Sitia in Ostkreta liegt. Die Hieroglyphen wurden als Siegelabdrücke auf Ton und Tonbarren gefunden. Das Merkmal der Hieroglyphen ist, dass ihre Grapheme (Schriftzeichen) bildlichen Charakter haben. Sie können sowohl logographisch (ein Wort entspricht einem Zeichen) als auch phonographisch (ein Zeichen steht für einen Laut oder eine Lautfolge) verwendet werden8. Die Hieroglyphen, die in Kreta in Gebrauch waren, hatten einen Umfang von 96 Phonogrammen (Silbenzeichen), 32 Ideogrammen (Bildzeichen) sowie einigen Zahl- und Bruchzahlzeichen. Etwa 30 Phonogramme und etwa 15 Ideogramme haben eine Entsprechung in Linear A und Linear B. Die Zahlzeichen, die man auf Barren fand, waren ein Indiz dafür, dass es sich bei den Schriftzeichen um Belege für eine Wirtschaftsverwaltung handelt. Man vermutete, dass es sich bei diesen Zahlen um Berechnungen von Abgaben handelte9.
Der Nachteil eines logographischen Systems ist, dass 1000 Zeichen nicht ausreichen, um alle Wörter einer Sprache aufzuzeichnen. Schon in Ägypten ging man deshalb dazu über, Logogramme auch für Laute oder Lautfolgen zu verwenden10. Dies war der Übergang zu einer Silbenschrift11.
3. Linear A
Neben den Hieroglyphensiegeln waren runde Tontafeln (roundels) mit der Linear A-Schrift in Gebrauch, die die Hieroglyphen allmählich verdrängten. Diese Tontafeln dienten in erster Linie als Schriftträger für Linear A, das sich vermutlich aus dem Protolinear, einer Übergangsstufe von der Hieroglyphenschrift zu Linear A, entwickelt hatte12. Ein Beispiel für Linear A ist der Diskus von Phaistos (ca. 1700 v. Chr., Ende der Altpalastzeit), der 1908 im Palast von Phaistos auf Südkreta gefunden wurde. Dort befand sich der Schwerpunkt für Linear A-Texte. Der Diskus enthält mit Stempeln aufgedrückte Ideogramme. Herkunft, Sprache und Text sind bisher unbekannt13. Linear A besteht aus Ideogrammen, die mit Logogrammen, Zahl- und Bruchzahlzeichen weiter definiert werden können. Durch die Ideogramme konnte festgestellt werden, dass es sich bei den Linear A-Zeichen um Personenlisten und Güterverzeichnisse, vor allem um Produkte, wie Getreide, Feigen, Gefäße, Wein und Wolle handelte14.
Linear A gilt als unentschlüsselt, da zu wenig Schriftmaterial erhalten geblieben ist. Sind Sprache und Schriftzeichen unbekannt, so ist eine Entschlüsselung nicht möglich, da weder die Schriftzeichen gelesen werden können, noch die Sprache grammatisch ausgewertet werden kann15. Die Sprache, die Linear A zugrunde lag, war nicht griechisch sondern minoisch. Sie konnte weder der indoeuropäischen noch der semitischen Sprachfamilie zugeordnet werden und ist ausgestorben. Sie war vermutlich mit der Sprache verwandt, die im 3. Jahrtausend v. Chr. auf dem griechischen Festland gesprochen wurde. Zahlreiche Appellative und Toponyme wurden von einwandernden Griechen übernommen16. Vergleiche mit den Ideogrammen der Linear B-Schrift ergaben Rückschlüsse auf den minoischen Wortschatz. Z. B. geht man heute davon aus, dass das minoische Wort für Rind mit der Silbe „mu“ begann17.
In die Zeit der jüngeren Paläste (MM III und SM I, ca. 1700 - 1450 v. Chr.) fiel die Blütezeit von Linear A in der sich parallel auch noch Siegel mit Hieroglyphen in Gebrauch befanden18. Linear A-Texte waren fast auf der gesamten Insel Kreta verbreitet. Der hohe Schriftgebrauch ist daran zu erkennen, dass es z. Zt. 33 Fundorte für das 17. und 16. Jh. v. Chr. gibt. Der wichtigste Fundort stellte das Tontafelarchiv von Hagia Triada dar. Der Fund bestand aus etwa 150 Tontafeln. Der Inhalt wurde als administrativ-ökonomisch entschlüsselt und wurde auf 1450 v. Chr. datiert19.
4. Die kyprominoische Schrift (Linear C)
Neben Linear A war die mit ihr verwandte kyprominoische Schrift (auch Linear C), ebenfalls eine Silbenschrift, auf Zypern in der späten Bronzezeit in Gebrauch. Es gab drei Varianten dieser Schrift, denen verschiedene Sprachen zugrunde lagen. Aus dem Kyprominoischen entwickelte sich dann die kyprische Schrift. Sie war vom 11. bis 1. Jh. v. Chr. in Gebrauch und ist eng mit Linear B verwandt. Im Gegensatz zu Linear A und Linear B besteht diese kyprische Schrift nur aus Silbenzeichen. Sie enthält keine Ideogramme und ist somit eine rein phonographische Schrift20. Diese Schrift wurde zwischen 1871 und 1876 mit Hilfe einer Bilingue entziffert, die aus einem phönizischen und einem kyprischen Text besteht.
5. Linear B
Die Linear B-Schrift wird als eine wahrscheinliche Variante der Linear A-Schrift gesehen und ist die jüngste der altägäischen Schriften. Diese minoische Schrift wurde im 16. oder 15. Jh. an die phonologische Struktur der griechischen Sprache angeglichen. 45 der 75 in Hagia Triada gefundenen Linear A-Zeichen haben eine Entsprechung in Linear B. Die Ähnlichkeit der Zeichen in beiden Schriftsystemen muss aber nicht bedeuten, dass den Zeichen derselbe Lautwert unterliegt21. Linear B wurde auf Tontafeln geschrieben, die im Gegensatz zum Orient nach dem Beschreiben nicht gebrannt wurden. Die Tontafeln wurden nach dem Beschreiben lediglich getrocknet. Wurden die beschrifteten Tafeln nicht mehr gebraucht, konnten sie wieder feucht gemacht und neu zu Tafeln geknetet werden22. Die meisten der erhaltenen Linear B-Texte wurden in Knossos (ca. 3000), Pylos (1000), Theben (300) und Mykene (90) gefunden. Weitere Fundorte waren Chania, Mykene, Tyrins und Theben23. Die Schrifttafeln sind nur erhalten geblieben, weil sie bei Palastbränden unbeabsichtigt gebrannt wurden24.
[...]
1 Weitere Ausführungen zum Rebus-Prinzip in: Florian Coulmas. The Writing Systems of the World. Oxford, Malden 1991 reprinted 1997. S. 59 f.
2 Vgl. Hiller, Panagl. Die frühgriechischen Texte aus mykenischer Zeit: Zur Erforschung der Linear B-Tafeln. Darmstadt 1986. S. 24 f.
3 Vgl. Fischer, Josef (2003) Eine kurze Einführung in Linear B. www.antikesboiotien.uni-muenchen.de/gastautoren/Einf%FChrung%20in%20Linear%20B.pdf, gefunden am 05.01.07 um 20.04 Uhr, S. 1
4 Vgl. Fischer 2003. S. 1.
5 Vgl. Fischer 2003. S. 1.
6 Vgl. Chadwick, John. Linear B/Die Entzifferung der Mykenischen Schrift. Göttingen 1959. S. 14 f.
7 Vgl. Hiller, Panagl (1986) S. 20 f.
8 Vgl. Coulmas. (1997) S. 59 ff.
9 Vgl. Fischer (2003) S. 2 f.
10 Vgl. Coulmas (1997) S. 62 f.
11 Zum Vergleich sei hier erwähnt, dass ein chinesisches Wörterbuch über 50.000 Schriftzeichen verfügt. Vgl. Chadwick (1959) S. 55.
12 Vgl. Antonín Bartonk. Handbuch des mykenischen Griechisch. Memmingen 2003. S. 18.
13 Vgl. Karl Sornig. Grazer Linguistische Studien 48: Wohlgemuthe Bemerkungen zum Umgang mit einem nach wie vor unlesbaren Text. Online: www-gewi.kfunigraz.ac.at/ling/cgi- bin/data/gls/artikel/48/sornig.pdf. Gefunden am 15.01.07 um 10.38 Uhr.
14 Vgl. Fischer (2003) S. 3.
15 Vgl. Bartonk (2003) S. 23 f.
16 Vgl. Fischer (2003) S. 4.
17 Vgl. Bartonk (2003) S. 25.
18 Vgl. Fischer (2003). S. 2 f.
19 Vgl. Bartonk (2003). S. 22.
20 Vgl. Fischer (2003) S. 4.
21 Vgl. Bartonk (2003) S. 23 f.
22 Vgl. Chadwick (1959) S. 24 f.
23 Vgl. Fischer (2003) S. 5.
24 Vgl. John Chadwick. Die mykenische Welt. Stuttgart 1979.
- Arbeit zitieren
- Tanja Malottke (Autor:in), 2007, Voralphabetische Schriftsysteme im antiken Griechenland - Linear B, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/78448