Diese Arbeit verfolgt einen vergleichsweise bescheidenen Anspruch: Das Ausfindigmachen der Hauptthesen, die Einsicht in die Argumentation und das Benennen der wesentlichen Schlußfolgerungen Freud und Girards, und das im Rahmen eines Vergleiches, den, so gebe ich zu, Girard selbst vornimmt. Der eine Teil widmet sich einzig und allein Freud. Ich hoffe selbständig - ohne Girards Zutun – nachweisen zu können, wo die Hauptschwierigkeit in Freuds Urvatermord liegt, in der Annahme einer Schuld, die bewußt sein soll, es aber eigentlich doch nicht ist. Dazu bediene ich mich eines Rückgriffes auf Freuds Bild vom Menschen, als Homo Ödipus. Schließlich handelt es sich bei der Schuld, glaubt man Freud, um eine archaische Erbschaft der vatermordenden Söhne. Der andere Teil behandelt Girards dekonstruierende Freud-Lektüre, die Girard zu abweichenden Erklärungen des Urmordes führt: Die Annahme einer Gründungsgewalt. Ähnlich wie bei Freud werde ich auch Girards Menschenbild, den Homo Mimeticus analysieren. Sowohl bei Freud und Girard spielen Menschenbilder eine grundlegende Rolle, da es sich um anthropologische Konstanten ihrer Theorien handelt. Das versöhnende Opfer als angenommener Ursprung der Gesellschaft und Religion soll als Girards Schlußfolgerung betrachtet werden. - Man solle Freud nicht psychoanalisieren, appelliert bzw. droht Girard. Selbstverständlich habe ich mich nicht daran gehalten. Von Psychoanalysieren kann auch gar nicht die Rede sein. Mich hat die Lektüre von Freuds Urvatermord und den schuldigen Söhnen verwundert, und ich habe mich oft gefragt, wer dieser komische Vater und diese reuigen Söhne überhaupt sind. Für das Verständnis von Freuds Urvatermord bietet sich eben auch eine biographische Erklärung an. Ich habe sie als eine Art ‚Zwischenspiel‘ in die Arbeit aufgenommen. Die Schlußbemerkungen gelten Girards Opfertheorie und ihrer beanspruchten Universalität.
Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- I. Freuds Ödipus in der Urhorde
- 1.1. Besichtigung eines Verbrechens: Der Urvatermord
- 1.2. Analysierte Psyche: Freuds Homo Ödipus, der kleine Hans und die Ambivalenz der Gefühle
- 1.3. Die Erbschaft des Ödipus und das schlechte Gewissen um die Schuld
- II. Zwischenspiel: Tote im Gewissen - Zweifache Vater-Sohn-Konflikte
- III. Mimetische Totemmahlzeit – Girards Freud-Lektüre
- 3.1. Freuds Vatermord dekonstruiert
- 3.2. Die unerschöpfliche Quelle der Gewalt – Girards Homo Mimeticus
- 3.3. Die Schuld aller und ein versöhnendes Opfer
- Epilog: Die Deduktion eines Ereignisses - Hypothesen, Prämissen und eine Kritik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit vergleicht die Theorien von Sigmund Freud und René Girard zum Ursprung der menschlichen Gesellschaft, insbesondere ihre Konzepte des Urmordes. Die Analyse konzentriert sich auf die zentralen Argumente beider Autoren und deren Schlussfolgerungen. Dabei wird die Rolle von Schuld und Gewalt im Entstehungsprozess der menschlichen Kultur untersucht.
- Freuds Konzept des Urvatermordes und seine psychoanalytische Interpretation
- Girards dekonstruierende Lektüre von Freuds Theorie
- Die Rolle des Menschenbildes (Homo Ödipus bei Freud, Homo Mimeticus bei Girard)
- Die Bedeutung von Gewalt und Schuld für die Entstehung der Gesellschaft
- Girards Konzept des versöhnenden Opfers als Ursprung der sittlichen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Prolog: Der Prolog führt in die Thematik ein, indem er die verschiedenen Ansichten über den Ursprung menschlichen Zusammenlebens (Naturzustand vs. Chaoszustand) gegenüberstellt und die Theorien von Freud und Girard als zentrale Bezugspunkte nennt. Er betont die Bedeutung der Gewalt als Ausgangspunkt und die vergleichende Natur der folgenden Arbeit.
I. Freuds Ödipus in der vatermordenden Urhorde: Dieses Kapitel befasst sich mit Freuds Theorie des Urvatermordes in der Urhorde. Freud interpretiert diesen mythischen Mord als Grundlage der menschlichen Kultur, der sittlichen Einschränkungen und der Religion. Die Analyse der Urhorde und des Patriarchen, sowie die Motive der Söhne werden dargestellt. Freuds These vom Überwinden des Urzustands durch den Mord an der Vaterfigur und der daraus resultierenden Schuld und dem schlechten Gewissen wird erläutert. Der Bezug zu Darwin und dessen Vorstellung der Urhorde als friedliche Gemeinschaft wird hergestellt, um die Besonderheit von Freuds Theorie zu unterstreichen.
II. Zwischenspiel: Tote im Gewissen - Zweifache Vater-Sohn-Konflikte: Dieses Kapitel wird in der Aufgabenstellung nicht zur Zusammenfassung aufgefordert.
III. Mimetische Totemmahlzeit – Girards Freud-Lektüre: Dieses Kapitel analysiert Girards Auseinandersetzung mit Freuds Urvatermord-Theorie. Girard dekonstruiert Freuds Ansatz und entwickelt seine eigene Theorie der mimetischen Gewalt und des versöhnenden Opfers als Ursprung der Gesellschaft und Religion. Er argumentiert gegen Freuds Betonung der Schuld und konzentriert sich stattdessen auf die Gründungsgewalt und den Mechanismus der Sündenbockmechanismen zur Auflösung von gewalttätigen Konflikten. Das Kapitel vergleicht beide Menschenbilder (Homo Ödipus und Homo Mimeticus), um die unterschiedlichen Perspektiven zu verdeutlichen.
Schlüsselwörter
Urvatermord, René Girard, Sigmund Freud, Gewalt, Schuld, Totem und Tabu, mimetische Gewalt, versöhnendes Opfer, Homo Ödipus, Homo Mimeticus, Urhorde, Gesellschaft, Religion, Kulturgeschichte, Anthropologie.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Freud und Girard: Eine vergleichende Analyse des Urvatermords
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit vergleicht die Theorien von Sigmund Freud und René Girard zum Ursprung der menschlichen Gesellschaft, insbesondere ihre Konzepte des Urmordes. Sie analysiert die zentralen Argumente beider Autoren und deren Schlussfolgerungen bezüglich der Rolle von Schuld und Gewalt im Entstehungsprozess der menschlichen Kultur.
Welche Theorien werden verglichen?
Im Mittelpunkt stehen Freuds Konzept des Urvatermordes in der Urhorde und Girards dekonstruierende Lektüre dieser Theorie. Verglichen werden Freuds psychoanalytische Interpretation des Urvatermordes mit Girards Theorie der mimetischen Gewalt und des versöhnenden Opfers als Ursprung der Gesellschaft und Religion.
Was ist Freuds Konzept des Urvatermordes?
Freud interpretiert den mythischen Urvatermord in der Urhorde als Grundlage der menschlichen Kultur, der sittlichen Einschränkungen und der Religion. Der Mord an der Vaterfigur führt zum Überwinden des Urzustands und zur Entstehung von Schuld und schlechtem Gewissen. Freuds Theorie steht im Kontrast zu Darwins Vorstellung einer friedlichen Urhorde.
Wie dekonstruiert Girard Freuds Theorie?
Girard dekonstruiert Freuds Ansatz, indem er die Betonung der Schuld relativiert und sich auf die Gründungsgewalt und den Mechanismus der Sündenbockmechanismen zur Auflösung von gewalttätigen Konflikten konzentriert. Er entwickelt seine eigene Theorie der mimetischen Gewalt und des versöhnenden Opfers als Ursprung von Gesellschaft und Religion.
Welche Rolle spielen Gewalt und Schuld in beiden Theorien?
Bei Freud ist die Gewalt des Urvatermordes der Ausgangspunkt für die Entstehung von Schuld und dem schlechten Gewissen, die wiederum die Grundlage für die menschliche Kultur bilden. Bei Girard steht die mimetische Gewalt im Vordergrund, die durch den Mechanismus des Sündenbocks und das versöhnende Opfer aufgelöst wird. Schuld spielt dabei eine weniger zentrale Rolle.
Was sind die zentralen Unterschiede zwischen Freuds "Homo Ödipus" und Girards "Homo Mimeticus"?
Der "Homo Ödipus" bei Freud repräsentiert den durch den Urvatermord geprägten Menschen, der von Schuld und ambivalenten Gefühlen gegenüber der Vaterfigur bestimmt ist. Der "Homo Mimeticus" bei Girard ist ein Mensch, der durch Nachahmung und mimetische Gewalt geprägt ist und dessen Konflikte durch einen Sündenbockmechanismus und ein versöhnendes Opfer gelöst werden.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit besteht aus einem Prolog, drei Hauptkapiteln (Freuds Ödipus in der Urhorde, Zwischenspiel: Tote im Gewissen - Zweifache Vater-Sohn-Konflikte, Mimetische Totemmahlzeit – Girards Freud-Lektüre) und einem Epilog. Die Kapitel befassen sich mit Freuds Urvatermord-Theorie, einer Zwischenbetrachtung (ohne Zusammenfassung) und Girards Kritik und Gegenvorschlag. Der Prolog führt in die Thematik ein, der Epilog fasst die Ergebnisse zusammen und bietet eine kritische Reflexion.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant für das Verständnis der Arbeit?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind Urvatermord, René Girard, Sigmund Freud, Gewalt, Schuld, Totem und Tabu, mimetische Gewalt, versöhnendes Opfer, Homo Ödipus, Homo Mimeticus, Urhorde, Gesellschaft, Religion und Kulturgeschichte.
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- Nils Ramthun (Author), 2002, Der Urmord bei Sigmund Freud und Rene Girard, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/7815