Die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nach dem 11.September drohte die Regierungskoalition zum Scheitern zu bringen. Nicht nur zwischen der SPD und den Grünen wurde für eine Mehrheit gerungen, auch innerhalb der Fraktionen war Geschlossenheit nicht von Anfang an garantiert. Dennoch konnte die Regierung bei der entscheidenden Frage im Bundestag die nötige Mehrheit stellen, wenn auch unter widrigen Umständen und fragwürdigen Methoden. Dies ist nur eines der aktuellen Beispiele anhand derer man zu der Fragestellung dieser Arbeit kommen kann. Eine weiterer Anstoß zur Befassung mit diesem Thema waren die Erfahrungen und Erkenntnisse die ich während eines dreiwöchigen Praktikums im Büro eines SPD-Bundestagsabgeordneten habe machen können. Die Einblicke in das innerparteiliche und innerfraktionelle Leben eines Bundestagsabgeordneten blieben nicht ohne Wirkung und veranlassen zu einer kritischen Betrachtung der Rolle des Abgeordneten im Geflecht der Fraktion und seiner grundgesetzlich garantierten Freiheit und Unabhängigkeit. Es drängt sich demnach die Frage auf, inwiefern der einzelne Abgeordnete tatsächlich frei ist, seinen verfassungsrechtlichen Auftrag zu erfüllen, sich von Weisungen gerade von Seiten der Fraktion nicht einbinden lässt und seine Unabhängigkeit im Apparat der Fraktion oder der Fraktionssozialisation wahren kann, ohne seine eigene Stellung und Position existentiell zu gefährden. Die Fraktionsdisziplin mag ein tragendes Element der Parlamentsarbeit sein, doch wenn der einzelne Abgeordnete in den Fraktionssitzungen oder in den Arbeitsgruppen für Ausschusssitzungen nicht die ungezwungene Möglichkeit hat, frei und ohne Befürchtung von Konsequenzen seine Meinung zu äußern, führt dies nicht nur zu weniger fundierten und faktisch nicht pluralistisch entstandenen Entscheidungen, sondern ist letztendlich sogar höchst undemokratisch. Schon 1972 äußerte sich der Fraktionswechsler Herbert Hupka, bis dahin SPD-Mitglied, bei seiner Austrittserklärung: "Was soll die ... freie Gewissensentscheidung, wenn hierzu dem einzelnen Fraktionsmitglied in den Ausschüssen gar keine Gelegenheit gegeben wird?"
Im folgenden soll dies näher anhand bestimmter, ausgewählter Aspekte untersucht werden.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das freie Mandat
- Artikel 38 vs. Artikel 21 Grundgesetz
- Die Fraktion
- Rolle und Bedeutung
- Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang
- Parteien und ihre Bedeutung bei der Kandidatenaufstellung
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich kritisch mit der Rolle des Abgeordneten im deutschen Parlament und der Frage, inwieweit die Fraktionsdisziplin die von der Verfassung garantierte Gewissensfreiheit des Einzelnen einschränkt. Insbesondere wird die Frage gestellt, ob und wie ein Abgeordneter tatsächlich frei ist, seinen verfassungsrechtlichen Auftrag zu erfüllen und unabhängig von Weisungen, insbesondere seitens der Fraktion, seine Meinung zu vertreten.
- Das freie Mandat und seine Bedeutung für die innerparteiliche und innerfraktionelle Demokratie
- Das Verhältnis von Artikel 38 (freies Mandat) und Artikel 21 (Parteien) des Grundgesetzes
- Die Rolle von Fraktionen in der parlamentarischen Arbeit und die Auswirkungen der Fraktionsdisziplin
- Die Bedeutung von Parteien bei der Kandidatenaufstellung und ihre Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Abgeordneten
- Mögliche Konflikte zwischen dem freien Mandat und der Notwendigkeit von Fraktionsdisziplin
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt den Hintergrund und die Motivation für die Arbeit dar. Sie beleuchtet den Konflikt zwischen der Fraktionsdisziplin und der Gewissensfreiheit des einzelnen Abgeordneten am Beispiel der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
- Das freie Mandat: Dieses Kapitel analysiert den Begriff des freien Mandats und seine historischen und aktuellen Bedeutungen. Es untersucht die Bedeutung des freien Mandats für die innerparteiliche und innerfraktionelle Demokratie sowie für die Wahrung der Flexibilität und persönlichen Verantwortung des Abgeordneten.
- Artikel 38 vs. Artikel 21: Dieses Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Artikel 38 (freies Mandat) und Artikel 21 (Parteien) des Grundgesetzes. Es analysiert die Argumente für eine Konkordanz zwischen beiden Artikeln und stellt gleichzeitig die Frage, ob der Pluralismus innerhalb der Fraktion durch Methoden der Fraktionsdisziplin eingeschränkt werden kann.
- Die Fraktion: Dieses Kapitel befasst sich mit der Rolle und Bedeutung von Fraktionen im Parlament. Es analysiert die Fraktionsdisziplin und ihre Auswirkungen auf die Unabhängigkeit des Abgeordneten. Es werden auch die unterschiedlichen Ansichten zum Verhältnis von Fraktionsdisziplin und Gewissensfreiheit beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen dieser Arbeit sind das freie Mandat, Fraktionsdisziplin, Gewissensfreiheit, Parlamentarismus, Grundgesetz, Artikel 38, Artikel 21, Parteien und Kandidatenaufstellung. Die Arbeit beleuchtet die Spannungsfelder zwischen dem Ideal der unabhängigen und freien Abgeordneten und der Realität der Fraktionsarbeit im deutschen Bundestag.
- Quote paper
- Elfi Victoria Siebert (Author), 2002, Abgeordnete im Parlamentarismus - Gewissensfreiheit oder Fraktionsdisziplin?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/7511