Auf Grund des stetigen Anstiegs von hilfesuchenden Schülern und Eltern im Bereich der außerschulische Nachhilfe entwickelte ich ein interdisziplinäres Konzept für Nachhilfe bestehend aus Methoden der Sozialen Arbeit und der Lerntherapie.
Nach der begrifflichen Klärung von Nachhilfe und deren Merkmale folgt die detaillierte Darstellung des Konzeptes. Neben der Erläuterung der Konzeptbasis liegt das Hauptaugenmerk besonders in der Analyse und Diagnostik. Hier wird die Analyse von systemischen Beziehungen und den persönlichen Leistungsmerkmalen des Schülers erläutert. Als Element der Lerntherapie verwende ich die Methode des Brain-Gym. Dies ist eine kinesiologische Diagnostik und Behandlungsmethode von Lernblockaden.
Am Ende der Arbeit veranschauliche ich die wichtigsten kinder- und jugendpsychiatrischen schulischen Störungen, da ein Nachhilfelehrer bewusst oder unbewusst bestimmt mit ihnen in Verbindung kommt und ich erwarte von einem professionell arbeitenden Nachhilfelehrer, dass er Kenntnisse in diesem Bereich vorzuweisen hat.
Inhalt
Einleitung
1. Grundlagen der außerschulischen Hilfe
1.1 Begriffsdefinition Nachhilfe
1.2 Die Merkmale von Nachhilfe
1.3 Wann wird Nachhilfe in Anspruch genommen?
1.4 Gegenüberstellung von Gruppenunterricht zu Einzelunterricht
2. Das Konzept einer sozialpädagogisch – orientierten Nachhilfe ergänzt durch Elemente der Lerntherapie
2.1 Einleitung
2.2 Grundlagen des Konzeptes
2.3 Zielgruppe
2.4 Zielsetzungen des Konzeptes
2.5 Aufgabenkatalog des Nachhilfelehrers
2.6 Handlungsrelevante Theorien der Sozialen Arbeit
2.6.1 Nachhilfearbeit als systemische Arbeit
2.6.2 Klientenzentrierte Haltung des Nachhilfelehrers
2.6.3 Die Klientenzentrierten Variablen des Therapeuten
2.7 Was ist Lernen?
2.7.1 Begriffsdefinition
2.7.2 Der Lernprozess
2.7.2.1Die Hemisphären
2.7.2.2 Der Prozess des Wissenserwerbs
2.7.3 Die unterschiedlichen Lerntypen
2.7.3.1 Der auditive Lerntyp
2.7.3.2 Der visuelle Lerntyp
2.7.3.3 der kinästhetische Lerntyp
2.8 Praktische Umsetzung der theoretischen Grundlagen
2.8.1 Kontaktaufnahme
2.8.2 Anamnese
2.8.3 Exploration
2.8.4 Psycho-soziale Diagnose
2.8.5 Weiter Methoden für die IST-Stand – Analyse
2.8.5.1Kontaktaufnahme mit der Schule
2.8.5.2 Lerntyptest
2.8.6 Die Methode des Brain-Gyms
2.8.6.1 Was ist Brain-Gym?
2.8.6.2 Welche Bedeutung hat die Dennison-Lateralitätbahnung?
2.8.6.3 Homolaterale und integrierte Bewegungen
2.8.6.4 Die Blockierung der Mittellinie
2.8.6.5 Welche Rolle spielt das Dominanzprofil?
2.8.6.5.1Die Augendominanz
2.8.6.5.2Die Dominanz der Ohren
2.8.6.5.3Die Dominanz der Hände
2.8.6.6 Die Dominanzprofilbestimmung durch den Muskeltest
2.8.6.6.1 Test der Handdominanz
2.8.6.6.2 Test der Ohrdominanz
2.8.6.6.3 Test der Augendominanz
2.8.6.6.4 Test der Fußdominanz
2.8.6.6.5 Test der Hemisphärendominanz
2.8.6.7 Die Dennison-Lateralitätsbahung
2.8.7 Entwicklung der zukünftigen Arbeitsgrundlage
2.8.8 Anerkannte kinder- und jugenpsychiatrische
schulische Störungen 51
2.8.8.1 Dyslexie/Legasthenie (ICD-10, F 81.0)
2.8.8.2 Isolierte Rechtschreibstörung (ICD-10, F 81.1)
2.8.8.3 Dyskalkulie (ICD-10, F 81.2)
2.8.8.4 Aufmerksamkeitsdefizitstörungen mit und
ohne Hyperaktivität
2.8.9 Finanzierung
3. Fazit
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Thema Nachhilfe begleitete mich während meines Studiums. Ich machte die Erfahrung, dass eine Nachhilfe in Form von reiner Stoffbearbeitung nicht den positiven Effekt erzielte, den ich mir erwartete. Deshalb habe ich parallel zum Studium der Sozialen Arbeit ein Fernstudium der Lerntherapie absolviert. Diese Arbeit ins der Versuche einer Synergie beider Fachbereiche. Ich bin der Meinung, dass sie die beiden Bereiche gut ergänzen.
Nach der begrifflichen Klärung von Nachhilfe und deren Merkmale, wage ich den Versuch ein Konzept aus Elementen der Sozialen Arbeit als auch der Lerntherapie zu erstellen. Neben der Erläuterung der Konzeptbasis liegt das Hauptaugenmerk besonders in der Analyse und Diagnostik. Hier wird die Analyse von systemischen Beziehungen und den persönlichen Leistungsmerkmalen des Schülers erläutert. Als Element der Lerntherapie verwende ich die Methode des Brain-Gym. Dies ist eine kinesiologische Diagnostik und Behandlungsmethode von Lernblockaden.
Am Ende der Arbeit veranschauliche ich die wichtigsten kinder- und jugendpsychiatrischen schulischen Störungen, da ein Nachhilfelehrer bewusst oder unbewusst bestimmt mit ihnen in Verbindung kommt und ich erwarte von einem Professionellen, dass er Kenntnisse in diesem Bereich vorzuweisen hat.
1. Grundlagen der außerschulischen Hilfe
1.1 Begriffsdefinition Nachhilfe
Nachhilfe hat in den letzten drei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Unter „Nachhilfe“ kann man auch Zusatzunterricht und außerschulische Lernbegleitung fassen. Es kann bei „jedem Kind einmal die Notwendigkeit einer Schulnachhilfe eintreten ... und das dem Sonderschüler ebenso wie dem Gymnasiasten zu helfen ist. Nur der Anspruch der Eltern bzw. das Ziel sind unterschiedlich.“[1] An dieser Ansicht aus dem Jahr 1968 hat sich bis heute nichts geändert.
RUDOLPH versteht unter Nachhilfeunterricht „eine den Schulunterricht ergänzende Form des Übens und Wiederholens, der Aufarbeitung von Wissenslücken und des Erlernens von Arbeitstechniken, die in allen Altersstufen und Schulformen vorzufinden ist und zum Zweck der Leistungsverbesserung von SchülerInnen bei bestimmten Personengruppen oder außerschulische Institutionen – in Abgrenzung zu schulisch installierten Silentien oder Förderangeboten – nachgefragt und bezahlt wird. Sie kann von freien Trägern, kommerziellen Anbietern auf dem freien Markt wie auch von Privatpersonen angeboten werden. Sie fokussiert primär auf die Bearbeitung von Hausaufgaben und die Vorbereitung auf schulische Leistungstests.“[2] Viele kommerzielle Institute bieten eine Betreuung der schulischen Hausaufgaben an und verstehen dies unter dem Begriff Nachhilfe.
1.2 Die Merkmale von Nachhilfe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Konstrukt „Nachhilfe“ weist Merkmale auf unterschiedlichen Ebenen auf. Zuerst weist es sich durch die Ebenen der Zielrichtung aus. Darunter ist die Nachbereitung von schulstofflichen Lerninhalten ebenso wie der Ausgleich von schulischen Defiziten zu verstehen. Nachhilfe wird auch dann in Anspruch genommen, wenn der Schüler Unterstützung bei der Vorbereitung auf bestimmten Leistungstest bedarf. Ein weiteres Ziel ist die Vermittlung von personenbezogenen Lerntechniken um einen Abschluss des Nachhilfeprozess zu ermöglichen.
An zweiter Stelle muss die Qualifikation des Lehrpersonals in Betracht gezogen werden. Hier stehen sich unqualifizierte und professionelle Hilfskräfte gegenüber. Auf der Seite der Unterqualifizierten findet man die Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen, welche möglicherweise Wissen über die Lernstoffinhalte haben jedoch nur recht wenig über dessen Vermittlung. Zu dieser Gruppe zähle ich auch SchülerInnen höherer Jahrgangsstufen, welche vorwiegend ihr Taschengeld mit Nachhilfe verbessern, ebenso wie viele einzelne Privatpersonen, welche ein Nachhilfeinstitut eröffnen ohne jegliche pädagogische und fachliche Ausbildung. Ich muss hier leider anmerken, dass es keiner beruflichen Qualifikation bedarf um ein Nachhilfeinstitut zu eröffnen. Auf der anderen Seite gibt es Fachpersonal wie Lehrer, besonders Referendare, welche sowohl methodisches als auch fachlich-inhaltliches Wissen aufweisen. Auch Lerntherapeuten geben Nachhilfe, sie haben das notwendige Wissen über Lernpsychologie, Didaktik und Vermittlung von individuellen Arbeitstechniken. Problematisch kann bei ihnen sein, dass sie zu wenige fachliche Inhalte beherrschen. Als letztes möchte ich in dieser Gruppe noch die Pädagogen erwähnen, hierzu zähle ich Dipl. –PädagogInnen und Dipl. SozialpädagogInnen. Diese Berufsgruppen haben nicht nur eine eingeengte Sicht auf die individuellen Probleme des Schülers, d.h. schulischen Probleme, sondern auch auf deren Ursachen und Umstände, welche möglicherweise sozialisations- oder milieubedingt sind.
Die letzte Ebene bedingt sich durch die Zielrichtung und die Qualifikation der Lehrkräfte. Diese Faktoren variieren je nach Zielsetzung und dessen Kombination mit der Lehrkraft. So können manche Ziele in einer bestimmten Zeit erreicht werden, wenn jedoch die Lehrkraft nicht darauf bedacht ist, kann dies misslingen bzw. auf die Kosten des Nachhilfeschülers ausgetragen werden. Je nach Qualifikation der Lehrkraft werden Ziele erreicht bzw. außer Acht gelassen, dadurch zeichnet sich Nachhilfe unterschiedlicher Qualität aus.
KOWALCYK und OTTICH[3] verdeutlichen die Chancen von Nachhilfe, welche möglicherweise einsetzen. Durch regelmäßigen Nachhilfeunterricht bekommt der Schüler wieder Motivation sich mit dem Lerninhalten auseinander zusetzen. Das daraus neu entwickelte Bewusstsein gibt dem Schüler bessere Möglichkeiten in der Lern – und Arbeitssituation zu agieren. Aufgrund einer positiven Grundeinstellung ist eine Leistungssteigerung am wahrscheinlichsten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ergänzend möchte ich hierzu noch erwähnen, dass durch das gewonnene Selbstvertrauen in die eigene Handlungskompetenz, welches aus psychologischer Sicht als Selbstwirksamkeit bezeichnet wird, bessere Leistungen erbracht werden können.[4] „Eine hohe Selbstwirksamkeit im Bereich schulischer Leistungen zeigt positive Auswirkung auf die Ausdauer beim Lernen, die Verwendung besserer Lösungsstrategien und die Auswahl anspruchsvollerer Aufgaben (Bandura, 1994).“[5]
1.3 Wann wird Nachhilfe in Anspruch genommen?
Um das Thema Nachhilfe näher zu betrachten muss vorweg ein Blick auf die schulische Benotung geworfen werden. Denn ohne diese würde es gar nicht zu diesem „Massenphänomen Nachhilfe“ kommen.
In unserem Schulsystem hat der Lehrer die Pflicht, Noten für bestimmte erbrachte Leistungen zu vergeben. Diese Vergabe unterteilt sich in eine subjektive und eine objektive Einschätzung. Als subjektive Einschätzung wird hier die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. Weiterhin wird die Leistung des Schülers durch seine Motivation und Leistungsfähigkeit bestimmt, welche von der Lehrfähigkeit und Person des Lehrers zu differenzieren ist.
Bereits 1968 erwähnte BIELER[6] die mehrfach Belastung von Eltern durch Beruf und Schule und dass sie deshalb oft wenig Zeit für das Kind und dessen schulischen Probleme haben. RUDOLPH[7] fasste die wichtigsten Merkmale und Gründe für eine Aufnahme von Lernbegleitung zusammen:
1. Den Kindern werden einerseits immer weniger verantwortungsvolle Aufgaben gegeben, weil die Eltern nicht mehr in der Lage sind ihnen bei der Durchführung zu helfen. Während andererseits viel mehr Aufgaben aufgetragen werden, was zu einer Überforderung der Kinder führen kann.
2. Es gibt weniger freie Orte und Plätze, an denen Kinder gemeinsam Spielen und Lernen können, es müssen einzelne Aktivitäten an geeigneten Orten und Einrichtungen immer im Voraus geplant sein.
3. Viele Kinder sind in ihrer Freizeitgestaltung äußerst eingeplant, d.h. sie hetzen von einer Freizeitveranstaltung zur anderen, was vorwiegend aufgrund der geringen Freizeit der Eltern (z.B. beide Elternteile habe eine Vollzeitbeschäftigung, Alleinerziehende) gemacht wird.
4. Die Kinder erfahren eine Einschränkung der Selbststeuerung und Eigeninitiative, da sie aufgrund einer ¢mediatisierten Wirklichkeit¢ (Computer, Fernsehen, Video) weniger tatsächliche Begegnungen mit anderen Kindern erleben und dadurch geringer aktiver Forschen und Erfahrungen sammeln.
5. Durch die Vereinzelung von Kindern, erfährt zwar der Sohn oder die Tochter mehr Zuneigung und Aufmerksamkeit der Eltern, jedoch liegt auch alle Hoffnung und Druck hinsichtlich der Leistungsmöglichkeiten auf den kindlichen Schultern.
6. Durch Reizüberflutung werden die Fragebereitschaft und das Neugierdeverhalten stark eingeschränkt, sie lässt kaum noch ein differenziertes Erfassen und Wahrnehmen zu. „Die Folge ist eine ’Verarmung der Kommunikationsfähigkeit.“[8]
7. Durch das Bewerten von fehlenden Leistungen, erfahren die Kinder, dass weniger die Leistung zählt, als das Fehlen derer. Deshalb lernen Kinder nicht mehr, dass Leistung etwas Bedeutsames ist oder sie selbst Verantwortung für die Leistungen übernehmen müssen.
Dies sind vorwiegend Probleme, welche das Kind betreffen. Eltern stehen aber auch durch die immer geringer werdenden Arbeitsplätze und der gleichzeitig gestiegenen Qualifikationsanforderungen für die verbliebenen Arbeitsstellen, unter Druck ihren Kinder einen höheren Schulabschluss zu ermöglichen, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu sichern. Deshalb investieren Eltern zusätzliche Mittel in Form von Hausaufgaben- und Nachhilfe.[9]
Neben den dargestellten Beweggründen das eigene Kind zum Nachhilfeunterricht zu bringen möchte ich im Folgenden darstellen, wie die Altersverteilung der Nachhilfeschüler sowie die Verteilung der Schulformen in Deutschland aussieht.
In den folgenden Jahrgängen wird Nachhilfe genommen.[10]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Nachhilfeschüler nach Klassen sortiert; Angabe in %
Besonders auffällig ist der schnelle Anstieg von der 5. auf die 6. Klasse. Man muss hier sehen, dass diese Studie bereits 4 Jahre alt ist. In Bayern war hier noch der Übergang von Hauptschule auf Realschule nach der 6. Klasse, was diese enorme Häufung begründet. Würde man eine Studie im Jahr 2007 zu diesem Thema durchführen, läge wahrscheinlich der größte Anstieg beim Wechsel von Jahrgangsstufe 3 auf 4.
RUDOLPH[11] untersuchte unter anderem wie viele Nachhilfestunden die Schüler der unterschiedlichen Schulformen wöchentlich in Anspruch nehmen. Diese Studie bezieht sich nur auf die beiden kommerziellen Nachhilfeinstitute „Studienkreis“ und „Schülerhilfe“.
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Abbildung 4: Nachhilfeschüler pro Woche nach Schulform in %
Anmerkung: OS = Orientierungsstufe, HS = Hauptschule, RS = Realschule, GYM = Gymnasium, GES/GANZ= Gesamt- und Ganztagsschule
In der Darstellung lässt sich deutlich ablesen, dass Realschule wie auch Gymnasium den größten Schüleranteil in dem Bereich der 1-2 x Unterricht pro Woche ausmachen.
Die hohe Nachfrage speziell von OrientierungsstufenschülerInnen zeichnet sich besonders an den Übergangstellen zu Realschule und Gymnasium ganz deutlich ab. In den Übergang an eine höhere Schule wird hier nach viel Geld investiert.
1.4 Gegenüberstellungen von Gruppenunterricht zu Einzelunterricht
Nachdem Eltern sich entschieden haben, ihrem Kind Nachhilfe zu ermöglichen, beginnt die Suche nach der richtigen Unterrichtsform und dem „richtigen“ bzw. angemessenen Nachhilfelehrer. Nachhilfeangebote findet man nahezu in jeder Tages-, Wochen- und Monatszeitung, ausgehängt im Supermarkt oder man bekommt eine Empfehlung von Bekannten. Demnach gibt es je nach Angebot Differenzen in der Organisation, Qualifikation und Qualität.
Kommerzielle Nachhilfeinstitute werben durch Slogans wie beispielsweise „Mit besseren Noten fühlt sich Ihr Kind allem gewachsen“12 oder „Selbstbewusst durch gute Noten“.
Gruppenunterricht findet in fachspezifisch zusammengestellten Gruppen statt. Eine Gruppe besteht aus maximal 5 Gruppenmitgliedern. Die normale Unterrichtseinheit beträgt 90 min. Wenn demnach eine Gruppe voll besetzt ist, hat der Nachhilfelehrer durchschnittlich 18 min für jedes einzelne Gruppenmitglied zur Verfügung. In dieser kurzen Zeit versprechen die „Nachhilferiesen“ eine individuelle, speziell auf die Bedürfnisse des Schülers zugeschnittene Hilfeleistung. Hinzu kommt die Vermittlung von Lerntipps und Lerntechniken.[12]
Aus meiner Sicht spricht diese Vorgehen nicht von sonderlicher Qualität. Der Kommerz steht hier im Vordergrund und nicht die Bedürfnisse des Kindes.
Im Gegensatz dazu kann bei einer Einzelbetreuung wirklich auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen werden und dies von einer Dauer von 90 min. Als Nachhilfelehrer kann ich mich speziell für dieses eine Kind vorbereiten, während meiner Meinung nach in einer fachspezifischen aber nicht altershomogenen Gruppe, dies nicht der Fall sein dürfte.
Aus diesen Gründen basiert das nachfolgende Konzept auf der intensiven Einzelbetreuung von Kindern und Jugendlichen, sowie der Familien.
2. Das Konzept einer sozialpädagogisch - orientierten Nachhilfe ergänzt durch Elemente der Lerntherapie
2.1 Einleitung
Angesichts der beschriebenen Merkmale von Nachhilfe und deren Durchführung bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass eine neue optimierte Sichtweise über die Auseinandersetzung mit schulischen Lerninhalten, den Umgang mit Schülern und deren Bezugspersonen wie Eltern und Lehrern notwendig ist. Ich möchte durch diese Konzeption eine Hilfestellung und Handreichung für alle Nachhilfelehrern oder diejenigen die Wissen und Fakten an andere Menschen weitergeben anbieten. Es fließen sowohl lerntherapeutische als auch sozialpädagogische Aspekte in die Arbeit mit ein. Es wird keine genaue Differenzierung möglich sein, da sich sowohl die Lerntherapie wie auch die Soziale Arbeit sich verschiedenen Bezugswissenschaften bedienen.
Ich verwende aus Übersichtlichkeitsgründen stets die maskuline Form der Personen. Bitte beachten sie, stets die weibliche Form zu berücksichtigen.
Ich werde in diesem Konzept nicht den Sozialpädagogen als Hauptperson behandeln. Da es sich um ein Nachhilfekonzept handelt, werde ich den Begriff Nachhilfelehrer verwenden. Dadurch möchte ich verdeutlichen, dass nicht nur Sozialpädagogen nach diesem Konzept handeln können, sondern beispielsweise auch Lehrer.
2.2 Grundlagen des Konzeptes
Dieses Konzept geht weg von der bekannten Gruppenbetreuung von den großen Nachhilfeunternehmen wie beispielsweise „Schülerhilfe“ und „Studienkreis e.V.“.
Die Grundlage der Umsetzung beruht auf der Einzelbeschulung bzw. Einzelbetreuung von Schülern. Hierdurch ist eine individuelle und adäquate Hilfestellung in einem angemessenen Zeitrahmen gewährleistet.
Die Einzelbetreuung macht es dem Nachhilfelehrer leichter auf die besonderen Bedürfnisse des Kindes einzugehen, welche im schulischen, persönlichen und familiären Bereich liegen können.
Der Anspruch und die Arbeit des Konzepts an einen Nachhilfelehrer übersteigen und erneuern das bekannte Bild dessen.
Der Nachhilfelehrer muss sowohl Grundwissen im Bereich der Sozialen Arbeit haben als auch ausreichend Fachwissen der zu unterrichtenden Lerninhalte besitzen. Hinzu kommen das Wissen über die Grundlagen des Lernens und die Methoden von der Vermittlung von Lerninhalten. Abschließend sollte der Nachhilfelehrer Kenntnisse über verschiedene Kinder- und Jugendpsychiatrische Erscheinungsbilder haben, da er durch seine intensive Arbeit mit dem Kind mögliche Störungen erkennen kann und die Möglichkeit besitzt die Familie auf dieses Defizit aufmerksam zu machen.
2.3 Zielgruppe
Dieses Konzept ist auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zwischen der 4. und 10. Klasse vorgesehen und beschränkt sich auf keine besondere Schulform. Es ist keine weiterführende Hilfe für die Beschulung von Menschen mit geistiger Behinderung ebenso wenig wie für Schüler welche einen besonders hohen individuellen Betreuungsaufwand benötigen. Dieser Personenkreis besucht vorwiegend die Förderschule für individuelle Lernschwierigkeiten.
2.4 Zielsetzung des Konzeptes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Zielsetzung des Konzeptes
2.5 Aufgabenkatalog des Nachhilfelehrers
Auf den Nachhilfelehrer kommen viele Aufgaben zu. Er muss in der Lage sein, sowohl dem Schüler als auch den Eltern gerecht zu werden. Aus meiner Sicht steht jedoch das Wohl des Schülers im Vordergrund.
Zuerst möchte ich die Aufgaben bezüglich der Person des Schülers verdeutlichen:
- Vermittlung von fachspezifischem schulischem Wissen
- Stärkung der Persönlichkeit und des Selbstbewusstsein
- Vermittlung von Lerntechniken und –methoden
- Erlernen von Problemlösungsstrategien
- Entwicklung von Coping-Strategien, insbesondere im Umgang mit emotionalen Belastungen
- Verständnis und Problembearbeitung bei Frustration
Des Weiteren muss der Nachhilfelehrer im Gegensatz zu anderen Konzepten, regelmäßigen Kontakt zu Eltern und Lehrern pflegen. Nur so kann er überprüfen, ob er mit seinen eingesetzten Methoden und Techniken auf dem richtigen Weg ist seine Ziele zu erreichen oder neue Ziele entwickeln werden müssen.
Wenn durch eine Veranschaulichung der einzelnen Wechselbeziehungen von Familie, Schule und dem Schüler sich Schwierigkeiten herauskristallisieren, muss der Nachhilfelehrer auch eine intensive Arbeit mit den Eltern des Schülers anstreben. Dies kann beispielsweise in Form von regelmäßigen Gesprächen stattfinden.
Neben den genannten Aufgaben bezüglich des Schülers und der Zusammenarbeit werden folgende fachliche Anforderungen an den Nachhilfelehrer gestellt:
- Führung einer guten Dokumentation einzelner Unterrichtsstunden, Vorkommnisse und Gesprächsnotizen
- Erstellung einer Anamnese, ebenso wie einer Aufstellung der Systembeziehungen
- Eine detaillierte Erfassung des aktuellen Leistungsvermögen des Schülers und seiner psychosozialen Verfassung (IST-Stand Erhebung)
- Entwicklung eines individuellen Zielkatalogs (SOLL-Stand) mit Einbeziehung der möglichen Anwendung von spezifisch ausgewählten Lerntechniken und Lernmethoden
- Genaue Überwachung der regelmäßigen Gesprächskontakte mit Eltern und Lehrern
Um diese Aufgaben professionell bewältigen zu können, muss der Nachhilfelehrer sich einigen theoretischen Grundkenntnissen bewusst sein. Welche sich sowohl auf die Beziehungen Schülers zu seiner Umwelt beziehen als auch intrapersonell. Des Weiteren sollte er die Grundlagen der klientenzentrierten Arbeit beherrschen, um den einzelnen Personen des Hilfesystems gerecht zu werden.
2.6 Handlungsrelevante Theorien der Sozialen Arbeit
2.6.1 Nachhilfearbeit als systemische Arbeit
Gewöhnlich beschränkt sich die Arbeit mit Schülern auf die individuellen schulischen Defizite und Lernschwierigkeiten. Ein Schüler kann sich nicht von seiner Umwelt abgrenzen. Es besteht immer eine Wechselseitigkeit von Mensch und Umwelt.
Ein Schüler wird stets mit anderen Schülern verglichen, jedoch nur in speziellen schulischen Leistungsvermögen und Verhaltenweisen. Dabei wird versucht ihn zu einem bestimmten Typus zuzuordnen. Aus meiner Sicht kann man einen Schüler nicht nur auf seine schulischen Defizite hingesehen fördern, sondern muss dessen gesamtes soziales System beachten. Dies ist deshalb von Bedeutung, da der Schüler im stetigen Wechselprozess zu seiner Umwelt steht, welche ihn relativ beeinflusst und damit eine bedeutungsvolle Rolle in der Entwicklung eines jungen Menschen spielt. Aufgrund verschiedener Beeinflussungen können bei einem Schüler negative Merkmale bzw. Verhaltensweisen auftreten. Beispielsweise kann ein zu starker Druck durch die Eltern zu einer Lernblockade, Leistungsverweigerung und Schulunlust führen und ein daraus folgender Leistungsabfall. Derartige psychische Probleme können mit einer reinen Nachhilfe in Form von Gruppenarbeit nicht behoben werden, da in der Regel kein Kontakt zu den Eltern besteht. Durch die alleinige Bearbeitung von fehlendem Wissen kann z.B. noch keine Lernblockade behoben werden und in den seltensten Fällen hilft es dem Schüler in seiner persönlichen Entwicklung und Reifung. Viele schulische und persönliche Probleme basieren auf dem Einfluss der Umwelt.
Da der Mensche ein soziales Wesen ist, d.h. er in Beziehung zu anderen Menschen und Gruppen steht, gehört er zu mehreren System. Er wird als Systemangehöriger bezeichnet.[13] „Allerdings ist er es nicht in seiner konkreten Totalität, sondern lediglich insofern, als er handelnd interagiert mit den anderen Systemangehörigen, in seiner Rolle also.“[14] Jedoch beschränkt sich das menschliche Handeln nicht nur auf das Sozialsystem, es gehören noch drei weitere Systemkategorien hinzu. Der Mensch gehört nicht nur einem Sozialsystem an, sondern ist ebenso ein Organismus, eine Persönlichkeiten und ein Kulturteilnehmer. Das menschliche Handeln wird von allen Kategorien beeinflusst. Die vier Systemkategorien lassen sich nicht von einander trennen, sie beeinflussen und bedingen sich wechselseitig. Demnach hat beispielsweise der Organismus Einfluss auf die Persönlichkeit des Menschen, wie es z.B. bei einer biochemischen Ursache von Hyperaktivität der Fall ist.
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Solche Interdependenzen werden in der Fachsprache auch als „«psychosomatisch», «psychosozial», «soziokulturell» u.ä.“[15] bezeichnet.
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Abbildung 6: Zusammenwirkung der vier Systemkategorien
Der Nachhilfelehrer muss sich nicht nur aller Systemkategorien bewusst sein, sondern auch deren Zusammen- bzw. Wechselwirkungen erkennen um darauf reagieren zu können.
Nachfolgend werde ich anhand eines beispielhaften Schüler die Komplexität der unterschiedlichen Systemangehörigkeit darstellen. Die einzelnen Subsysteme haben Einfluss auf die Schulleistungen, in Form von Noten und das Schülerverhalten. Die Wechselwirkungen der einzelnen Subsysteme bestimmen zu einem relativen Teil die persönlichen Lernvoraussetzungen des Schülers.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Wechselwirkung der verschiedenen Subsysteme eines Nachhilfeschülers
Zu Beginn eines Nachhilfeunterrichts sollte abgeklärt werden, in welchen Subsystemen der Nachhilfeschüler involviert ist. Danach kann man nach möglichen dysfunktionalen Wirkungen suchen, welche die Leistungsmöglichkeiten des Schülers negativ beeinflussen.
KOWALCZYK und OTTICH[16] beschäftigten sich mit den möglichen Problemen innerhalb der einzelnen Subsysteme. Zuerst werde ich einen Blick auf die Variablen seitens des Schülers werfen.
[...]
[1] BIELER 1968, S. 3.
[2] RUDOLPH 2002, S. 20.
[3] KOWALCZYK u.a. 2002, S. 24.
[4] Vgl. Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V./ HOLLING u.a. 2001, S. 19.
[5] Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V./ HOLLING 2001, S. 19.
[6] vgl. BIELER 1968, S. 38.
[7] vgl. RUDOLPH 2002, S. 38.
[8] zit. n. HINTZ/PÖPPEL/REKUS in RUDOLPH 2002, S. 38.
[9] vgl. RUDOLPH 2002, S. 45.
[10] Vgl. KOWALCZYK 2002, S. 29.
[11] RUDOLPH 2002, S. 136.
[12] SCHÜLERHILFE 2005, Flyer.
[12] Vgl. Schülerhilfe 2005, Flyer.
[13] LÜSSI 2001, S 65f.
[14] LÜSSI 2001, S. 66.
[15] ebd.
[16] Vgl. KOWALCZYK u.a. 2002, S. 36 f.