Das Gedicht im Vorwort stammt von einem erwachsenen Autisten, dessen Name leider nicht bekannt ist. Es vermittelt einen ersten Eindruck von dem Phänomen Autismus und ich habe es deshalb als Ausgangspunkt für diese Arbeit ausgewählt. Ziel dieser Arbeit ist es, Einblicke in die Frühförderung autistischer Kinder zu erhalten. Aus diesem Grund soll zunächst ein allgemeines Verständnis von dem Krankheitsbild Autismus und der Institution Frühförderung gewährleistet sein. Mir ist durchaus bewusst, dass diese beiden Teilaspekte an sich sehr umfang-reich sind. Eine weitreichende Ausführung derer ist deshalb nicht möglich. In dem Kapitel „Autismus - Was ist das?“ wird ein erster Zugang über einen Definitionsansatz und die Klärung der Begrifflichkeit erlangt. Außerdem werden in diesem Kontext die beiden Hauptformen des Autismus kurz erläutert. Im weiteren Verlauf beziehe ich mich dann ausschließlich auf die Form des frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom) bei Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Dabei werden wesentliche Sachverhalte wie Symptome, Diagno-se und die familiäre Situation beschrieben. Auf mögliche Ursachen und die Ver-breitung des frühkindlichen Autismus werde ich bewusst nicht eingehen, weil das meiner Meinung nach Aspekte sind, die für diese Arbeit nicht so relevant sind. Um einen praktischen Bezug herzustellen, werde ich verschiedene Aspekte der Arbeit mit Auszügen aus einem Fallbeispiel unterlegen. Es handelt sich dabei um den Bericht „Leben mit unserem autistischen Kleinkind“ von UWE PETERSEN (1995). Herr Petersen ist Dipl.-Ingenieur und beschreibt darin, wie er und seine Frau (Kindergärtnerin) die ersten Lebensjahre ihres autistischen Sohnes Nils, der 1988 geboren wurde, erlebt haben. Diese Auszüge werden stets eingerückt und mit einem geringeren Zeilenabstand versehen sein, damit sie sich von dem übrigen Text abzeichnen. Des Weiteren wird das System der Frühförderung punktuell in den Bereichen: Aufgaben und Ziele, Organisationsformen und Stellung der Eltern beleuchtet. Anschließend geht es konkret um die Frühförderung autistischer Kinder. Dabei beziehe ich mich speziell auf die „Übungsanleitungen zur Förderung autistischer und entwicklungsbehinderter Kinder“ von SCHOPLER, LANSING und WATERS und lasse andere Therapieansätze außen vor, weil einige von ihnen auch noch sehr umstritten sind. [...]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Autismus – Was ist das?
3. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom)
3.1 Symptome
3.2 Diagnose
3.3 Familiäre Situation
4. Frühe Hilfe – Frühförderung
4.1 Aufgaben und Ziele
4.2 Organisationsformen
4.3 Zusammenarbeit mit den Eltern
5. Frühförderung autistischer Kinder
5.1 Früherkennung
5.2 Frühbehandlung und Früherziehung
5.3 Hilfen für die Eltern betroffener Kinder
6. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Bücher
Elektronische Medien
Anhang
Vorwort
Autismus aus der Sichtweise eines Autisten...
Mama, halt mich nur ganz fest, denn sonst spüre ich Dich nicht. Halt mich ganz doll, sonst habe ich Angst, Du lässt mich fallen.
Mama, ich brauche Deine Nähe, auch wenn Du es nicht spürst. Ich kann nur nicht zeigen oder sagen, wie sehr ich Dich brauch.
Mama, die Welt ist zu groß für mich. Das macht mir Angst. Mach Sie mir kleiner und Übersichtlicher (sic!), damit ich sie verstehen kann.
Mama, Du wunderst Dich, warum ich mich verletze. Ich empfinde es nicht so, denn ich tue das, um mich zu spüren.
Mama, ich schaukele hin und her. Wenn Du es selbst versuchst, dann wirst du sehen, wie entspannend das ist und welch gutes Gefühl es mir beschert.
Mama, ich möchte gerne tun, was Du oder andere tun, aber die Zusammenhänge verstehe ich nicht. Deshalb tue ich Dinge in unpassenden Situationen.
Mama, ich kann Dein Gesicht nicht lesen und verstehe nicht, wenn Du ärgerlich bist oder wenn Du Dich freust. Hab deshalb geduld (sic!) mit mir und erklär es mir immer wieder mit Beispielen, die ich verstehen kann.
Mama, ich spiele immer wieder mit dem gleichen Spielzeug, weil ich es kenne und einschätzen kann. Neues macht mir Angst, weil ich nicht weiß, was damit passiert.
Mama, ich möchte mich nicht isolieren von anderen Menschen, aber ich kann nicht an ihren Gesichtern erkennen, ob sie lieb zu mir sind oder mir nicht gut gesinnt. Deshalb brauche ich lange Zeit, um Menschen einschätzen zu lernen und sie an mich herankommen zu lassen.
Mama, meine Liebe zeige ich anders, als andere Menschen... aber sie ist nicht minder stark. Wenn Du Dich auf mich einlässt, wirst Du sie bald spüren.
(...)
Verfasser unbekannt
(hrsg. von Steffi Burmeister-Kitzmuller, Jahr unbekannt, Online im Internet: Verfügbar unter: http://www.liams-delphinentraum.de/Autimus.htm [Stand 2004-12-16])
1. Einleitung
Das Gedicht im Vorwort stammt von einem erwachsenen Autisten, dessen Name leider nicht bekannt ist. Es vermittelt einen ersten Eindruck von dem Phänomen Autismus und ich habe es deshalb als Ausgangspunkt für diese Arbeit ausgewählt.
Ziel dieser Arbeit ist es, Einblicke in die Frühförderung autistischer Kinder zu erhalten. Aus diesem Grund soll zunächst ein allgemeines Verständnis von dem Krankheitsbild Autismus und der Institution Frühförderung gewährleistet sein. Mir ist durchaus bewusst, dass diese beiden Teilaspekte an sich sehr umfang-reich sind. Eine weitreichende Ausführung derer ist deshalb nicht möglich.
In dem Kapitel „Autismus – Was ist das?“ wird ein erster Zugang über einen Definitionsansatz und die Klärung der Begrifflichkeit erlangt. Außerdem werden in diesem Kontext die beiden Hauptformen des Autismus kurz erläutert. Im weiteren Verlauf beziehe ich mich dann ausschließlich auf die Form des frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom) bei Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Dabei werden wesentliche Sachverhalte wie Symptome, Diagno-se und die familiäre Situation beschrieben. Auf mögliche Ursachen und die Ver-breitung des frühkindlichen Autismus werde ich bewusst nicht eingehen, weil das meiner Meinung nach Aspekte sind, die für diese Arbeit nicht so relevant sind.
Um einen praktischen Bezug herzustellen, werde ich verschiedene Aspekte der Arbeit mit Auszügen aus einem Fallbeispiel unterlegen. Es handelt sich dabei um den Bericht „Leben mit unserem autistischen Kleinkind“ von Uwe Petersen (1995). Herr Petersen ist Dipl.-Ingenieur und beschreibt darin, wie er und seine Frau (Kindergärtnerin) die ersten Lebensjahre ihres autistischen Sohnes Nils, der 1988 geboren wurde, erlebt haben. Diese Auszüge werden stets eingerückt und mit einem geringeren Zeilenabstand versehen sein, damit sie sich von dem übrigen Text abzeichnen. Des Weiteren wird das System der Frühförderung punktuell in den Bereichen: Aufgaben und Ziele, Organisationsformen und Stellung der Eltern beleuchtet.
Anschließend geht es konkret um die Frühförderung autistischer Kinder. Dabei beziehe ich mich speziell auf die „Übungsanleitungen zur Förderung autistischer und entwicklungsbehinderter Kinder“ von Schopler, Lansing und Waters und lasse andere Therapieansätze außen vor, weil einige von ihnen auch noch sehr umstritten sind. Abschließend gehe ich noch mal kurz darauf ein, wo Eltern betroffener Kinder beispielsweise Hilfe und Unterstützung finden.
2. Autismus – Was ist das?
Autismus ist eine schwere Entwicklungsstörung - insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung - und ist gekennzeichnet durch erhebliche Beein-trächtigungen in der sozialen Interaktion, der Kommunikation und im Verhalten. Die Begriffe „Autismus“ und „autistisch“ wurden bereits 1911 von dem Schweizer Psychologen Eugen Bleuler geprägt. „Autismus“ stammt aus dem griechischen Wort autos (Wortstamm) und steht für „selbst“. Bleuler beschrieb damit derzeit schizophrene Patienten, die sich überwiegend in sich selbst zurückgezogen hatten und mangelnde soziale Integration aufwiesen. (vgl. Able/Köngeter 2001, S.16) Einige Zeit später hielten Leo Kanner und Hans Asperger unabhängig voneinander diese Begrifflichkeiten bezogen auf eine Gruppe auffälliger Kinder für passend. Der Kinderpsychiater Kanner entdeckte Ende des Jahres 1943 die „autistische Störung des affektiven Kontaktes“, welche er später als „frühkindlichen Autismus“ bezeichnete. Das besondere gemeinsame Merkmal der von ihm beobachteten elf Kinder war, dass sie alle extreme Züge von Kontaktverweigerung und Zurückgezogenheit aufzeigten. „Im Gegensatz zu schizophrenen PatientInnen zeigten die Kinder von Anfang an kein Bestreben, Kontakt zu Personen aufzunehmen, weder zu Kindern noch zu Erwachsenen.“ (Able/Köngeter 2001, S. 19) Betroffene des frühkindlichen Au-tismus, heutzutage auch „Kanner-Syndrom“ genannt, zählen zu der Gruppe der besonders schwer beeinträchtigten Autisten. Durch den „Syndrom“-Begriff soll verdeutlicht werden, dass bei Autismus unterschiedlich viele Symptome in vari-ierender Ausprägung auftreten können. Die Symptome des Kanner-Syndroms treten meist schon in den ersten Lebensmonaten eines Kindes auf bzw. manifestieren sich bis zum 30. Lebensmonat. Den Kindern ist es meistens nicht möglich eine vollständige Sprache zu erlernen. Weitere Ausführungen zum frühkindlichen Autismus folgen jedoch im nächsten Kapitel.
Ungefähr zu der gleichen Zeit (Anfang 1944) stellte der Jugendpsychiater Asperger nach langjähriger Arbeit einen Typus von Kindern mit ähnlich charakteristischen Auffälligkeiten vor. Trotz der Verschiedenheit der Kinder, wie das auch bei Kanner der Fall war, konnte Asperger die gemeinsame Grund-störung der „autistischen Psychopathie“ feststellen. Er wählte diesen Begriff aufgrund des eingeschränkten Bezuges der Kinder zu ihrer Umwelt, welchen er als Grundstörung sah. Mittlerweile wird für diese Form des Autismus meist die Bezeichnung „Asperger-Syndrom“ verwendet. In manchen Fällen haben Menschen mit Asperger-Syndrom trotz Lernschwierigkeiten eine überdurch-schnittliche Intelligenz und ihre zwischenmenschlichen Störungen sind nicht so tiefgreifend wie beim Kanner-Syndrom. Erste Symptome treten bei ihnen zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr auf. Die Sprachentwicklung setzt zwar spät ein, dennoch können die Kinder eine weitgehend ausgereifte Sprache erlernen. Wobei diese meist durch eine ungewöhnliche Sprachmelodie gekenn-zeichnet ist.
Aus dem Zusammenhang der kurzen Erläuterung der beiden Hauptformen des Autismus (Asperger- und Kanner-Syndrom) kann geschlussfolgert werden, dass es den meisten Autisten mit Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter eher möglich ist, ein verhältnismäßig normales – wenn auch isoliertes – Leben zu führen. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit der Blickpunkt auf Menschen mit frühkindlichem Autismus gerichtet, um herauszufinden, inwieweit adäquate Frühförderung den weiteren Verlauf dieser Behinderung beeinflussen kann.
3. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom)
Wie schon erwähnt, stammt die erste ausführliche Beschreibung dieses Typus von Kanner (1943). Die Bandbreite der möglichen Symptome ist groß, da auch Unterschiede im (zeitlichen) Auftreten und der Intensität vorhanden sind. Ein einheitliches Erscheinungsbild, das allen Betroffenen gleich ist, gibt es demzu-folge nicht.
3.1 Symptome
Folgende Merkmale/Symptome sind bei dem frühkindlichen Autismus typisch (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Auffälliges Kontaktverhalten
Die Kinder sind unfähig einen Kontakt zu ihrer „belebten“ Umwelt aufzubauen und scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben (autistische Zurückgezogenheit). Sie sehen gewissermaßen durch Personen hindurch oder wenden sich ab, dabei macht es häufig keinen Unterschied, ob es sich um ihre Eltern oder andere Personen (besonders Gleichaltrige) handelt. Blick- oder Körperkontakt aufzunehmen fällt den Betroffenen sehr schwer bzw. wird vermieden. Auch eine Reaktion auf Ansprechen oder Rufen etc. bleibt vielfach aus, deshalb entsteht oft der Verdacht auf einen Hörschaden.
In solchen Situationen habe ich manchmal unmittelbar neben seinem Ohr in die Hände geklatscht und er zuckte nicht einmal zusammen. Wenn man aber andererseits ganz leise einen Joghurtbecher öffnete, war er sofort hellwach, Joghurt ist seine Lieblingsspeise. Natürlich wurde bei ihm Schwerhörigkeit diagnostiziert. Der audiometrische Test muß für ihn die Hölle gewesen sein. (Petersen 1995, S. 16)
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