Wer schon einmal in einem Altenpflegeheim zu Besuch war und sich etwas Zeit zum Beobachten genommen hat, der kennt vielleicht Situationen wie diese: Eine alte Frau soll „gefüttert“ werden, sie verweigert dies; die Pflegerin drängt unter Hinweis auf die fehlende Zeit zum Essen, die Frau spuckt sie daraufhin an und schiebt den Löffel energisch von sich weg, woraufhin die Pflegerin mit den barschen Worten „Dann eben nicht!“ aufsteht und geht.
Eine Begebenheit bei der man als Außenstehender vielleicht ein etwas ungutes Gefühl hat, aber damit wohl eher nicht das Wort „Gewalt“ in Verbindung bringt. Doch genau um solche und ähnliche Situationen im Pflegealltag soll es in der vorliegenden Diplomarbeit gehen. Das Augenmerk liegt weniger auf der direkten körperlichen Gewalt, die zwar leider hin und wieder auftritt, jedoch meiner Meinung nach eher selten ist. Auch geht es nicht um die juristischen Aspekte dieser Problematik. Gegenstand der Betrachtung ist die mehr oder weniger versteckte alltägliche Gewalt in der stationären Altenpflege, die vielleicht sogar von den Beteiligten gar nicht als solche erkannt wird. Ziel ist dabei nicht die Findung eines „Schuldigen“. Vielmehr soll die Komplexität der Entstehung von Gewalt aufgezeigt werden, denn oft ist es schwierig, im Beziehungsgeflecht von Bewohnern, Pflegekräften, Leitenden zu erkennen, wer nun „Opfer“ oder „Täter“ ist und wo die Gewalt ihre eigentliche Wurzel hat. In diesem Zusammenhang werden auch die strukturellen Rahmenbedingungen näher beleuchtet, denen eine große Bedeutung bei der Gewaltentstehung zukommt.
Die Problematik der Gewalt in der stationären Altenpflege ist sehr komplex, wird jedoch oft verschwiegen und tabuisiert. Die vorliegende Diplomarbeit soll dazu beitragen, den Leser für das Erkennen von Gewalt in der stationären Altenpflege und deren komplexe Entstehungsmechanismen zu sensibilisieren und Anstoß für eine aktive Auseinandersetzung mit dieser Thematik geben.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Überblick über die Situation der Altenpflege in Deutschland
1.1 Wissenswertes zur Pflegebedürftigkeit
1.2 Strukturen der Pflegeheime
1.3 Zukünftige Entwicklungstrends in der Altenpflege
2. Begriffliche Klärungen zur Thematik "Gewalt"
2.1 Definition des Begriffs Gewalt
2.2 Vorstellung des "Gewaltendreiecks" nach Galtung
3. Theoretische Erklärungsansätze zur Gewaltentstehung
3.1 Frustrations - Aggressions - Hypothese nach Dollard
3.2 Lerntheorien
3.2.1 Allgemeiner Überblick
3.2.1 "Lernen am Modell" nach Bandura
4. Fallbeispiel
5. Ursachen von Gewalt in der stationären Altenpflege
5.1 Ursachen außerhalb der pflegerischen Beziehung
5.1.1 Das Altenpflegeheim als "totale Institution"
5.1.2 Frustration der Heimbewohner
5.1.3 Frustration der Pflegekräfte
5.2 Ursachen innerhalb der pflegerischen Beziehung
5.2.1 Frustration der Heimbewohner
5.2.2 Frustration der Pflegekräfte
6. Formen der Gewalt in der stationären Altenpflege
6.1 Formen der Gewalt gegen Heimbewohner
6.1.1 Personale Gewalt
6.1.2 Strukturelle Gewalt
6.1.3 Kulturelle Gewalt
6.2 Formen der Gewalt gegen Pflegekräfte
6.2.1 Personale Gewalt
6.2.2 Strukturelle Gewalt
6.2.3 Kulturelle Gewalt
7. Ansätze zur Verminderung von Gewalt in der stationären Altenpflege
7.1 Ansatzpunkt Pflegekräfte
7.2 Ansatzpunkt Heimbewohner
7.3 Ansatzpunkt strukturelle Rahmenbedingungen
7.4 Ansatzpunkt Gesellschaft
Schlussbetrachtung
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang A: Übersicht über Erklärungsmodelle zur Gewaltentstehung A
Anhang B: Die Legende von der Erschaffung der Krankenschwester B
Erklärung
Gewalt fängt nicht an,
wenn einer einen erwürgt.
Sie fängt an, wenn einer sagt:
„Ich liebe dich,
du gehörst mir!“
Die Gewalt fängt nicht an
wenn Kranke getötet werden.
Sie fängt an, wenn einer sagt:
„Du bist krank,
du musst tun, was ich dir sage!“
Gewalt herrscht dort,
wo der Staat sagt:
„Um die Gewalt zu bekämpfen
darf es keine Gewalt mehr geben
außer meiner Gewalt!“
Erich Fried
(Auszug aus dem Gedicht „Die Gewalt“)
Einleitung
Wer schon einmal in einem Altenpflegeheim zu Besuch war und sich etwas Zeit zum Beobachten genommen hat, der kennt vielleicht Situationen wie diese: Eine alte Frau soll „gefüttert“ werden, sie verweigert dies; die Pflegerin drängt unter Hinweis auf die fehlende Zeit zum Essen, die Frau spuckt sie daraufhin an und schiebt den Löffel energisch von sich weg, woraufhin die Pflegerin mit den barschen Worten „Dann eben nicht!“ aufsteht und geht.
Eine Begebenheit bei der man als Außenstehender vielleicht ein etwas ungutes Gefühl hat, aber damit wohl eher nicht das Wort „Gewalt“ in Verbindung bringt. Doch genau um solche und ähnliche Situationen im Pflegealltag soll es in der vorliegenden Diplomarbeit gehen. Das Augenmerk liegt weniger auf der direkten körperlichen Gewalt, die zwar leider hin und wieder auftritt, jedoch meiner Meinung nach eher selten ist. Auch geht es nicht um die juristischen Aspekte dieser Problematik. Gegenstand der Betrachtung ist die mehr oder weniger versteckte alltägliche Gewalt in der stationären Altenpflege, die vielleicht sogar von den Beteiligten gar nicht als solche erkannt wird. Ziel ist dabei nicht die Findung eines „Schuldigen“. Vielmehr soll die Komplexität der Entstehung von Gewalt aufgezeigt werden, denn oft ist es schwierig, im Beziehungsgeflecht von Bewohnern, Pflegekräften, Leitenden zu erkennen, wer nun „Opfer“ oder „Täter“ ist und wo die Gewalt ihren eigentlichen Ursprung hat. In diesem Zusammenhang werden auch die strukturellen Rahmenbedingungen näher beleuchtet, da ihnen meiner Meinung nach eine große Bedeutung bei der Gewaltentstehung zukommt. Kaum Beachtung finden in dieser Diplomarbeit die Angehörigen, welche zwar als wichtiger, manchmal stark beeinflussender „Background“ vorhanden, aber in den Pflegealltag nicht direkt involviert sind.
Gewalt gegen alte Menschen geschieht an verschiedenen Orten z.B. im häuslichen Bereich, in der vorliegenden Arbeit wird jedoch ausschließlich der „Tatort“ stationäre Altenpflegeeinrichtung näher dargestellt.
So wird im ersten Kapitel dem Leser zunächst mittels statistischer Daten ein allgemeiner Überblick über die Situation der Altenpflege in Deutschland gegeben. Anschließend erfolgen notwendige begriffliche Klärungen zur Thematik „Gewalt“.
In Kapitel drei wird zur Erklärung der Entstehung von Gewalt die „Frustrations-Aggressions-Hypothese“ von Dollard und der Lerntheoretische Erklärungsansatz, insbesondere das „Lernen am Modell“ von Bandura vorgestellt. Diese theoretischen Ausführungen werden mittels kleiner Beispiele aus dem Pflegealltag anschaulicher gemacht und in den darauf folgenden Kapiteln zur Erklärung heran gezogen.
Nach dem notwendigen Grundlagenwissen beschäftigen sich die nächsten Abschnitte ganz konkret mit der Problematik „Gewalt in der stationären Altenpflege“.
An deren Anfang habe ich die Schilderung des Arbeitstages einer Pflegekraft gestellt, welche einen kleinen praktischen Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt „Altenpflegeheim“ geben soll.
In Kapitel fünf erfolgt die Klärung der Ursachen von Gewalt in der stationären Altenpflege. Dies stellt ein Schwerpunkt meiner Diplomarbeit dar, denn ich gehe davon aus, dass nur mit dem Wissen um die Ursachen eine Veränderung und somit Verminderung von Gewalt möglich ist.
Formen von Gewalt in der stationären Altenpflege werden in Kapitel sechs dargestellt.
Im letzten Kapitel zeige ich einige Ansatzpunkte zur Gewaltverminderung bzw. -vermeidung auf.
Die Problematik der Gewalt in der stationären Altenpflege ist sehr komplex, wird jedoch oft verschwiegen und tabuisiert. In den letzten Jahren gehen immer wieder einmal „Skandalmeldungen“ durch die Medien. Eines der jüngsten Beispiele ist eine Gerichtsverhandlung in der sich vier Görlitzer Altenpflegerinnen vor Gericht zu verantworten hatten, weil sie über Jahre hinweg geistig verwirrte Heimbewohnerinnen geschlagen, unterversorgt und bestohlen hatten. Als Tochter einer in der stationären Altenpflege tätigen Mutter konnte ich schon oft einen Blick „hinter die Kulissen“ werfen und sehen, dass Gewalt in der Pflegearbeit allgegenwärtig ist. Auf Grund dessen und im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Deutschland und der daraus resultierenden steigenden Bedeutung der Altenpflege in der Gesellschaft und in der Sozialen Arbeit, erschien es mir reizvoll und interessant mich mit der Problematik „Gewalt in der stationären Altenpflege“ auseinanderzusetzen, Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen und mögliche Lösungsansätze zu finden.
Ich hoffe, dass auch der Leser der vorliegenden Diplomarbeit für das Erkennen von Gewalt in der stationären Altenpflege sensibler wird, die komplexen Entstehungsmechanismen besser erkennen und dadurch möglicherweise verhindern kann.
1. Überblick über die Situation der Altenpflege in Deutschland
Dieses Kapitel gibt einen kurzen und eher statistischen Überblick über die Situation der Altenpflege in Deutschland. Das Forschungsfeld „stationäre Altenpflege“ soll dadurch mit Daten und Fakten unterlegt werden, um dessen Tragweite zu verdeutlichen. Dabei geben Zahlen schon einen ersten Hinweis auf kritische Zustände, die möglicherweise die Entstehung von Gewalt begünstigen. Besonders wichtig ist zudem die Kenntnis über zukünftige Entwicklungstendenzen. Denn längerfristige Lösungswege aus der Gewalt können meiner Meinung nach nur gefunden werden und wirksam sein, wenn man um zukünftig entstehende Problemlagen weiß und dieses Wissen vorausschauend mit einbezieht.
1.1 Wissenswertes zur Pflegebedürftigkeit
In Deutschland leben derzeit 82,5 Mio. Menschen, rund 20 Mio. davon sind über 60 Jahre. Also etwa ein Viertel der Deutschen sind ältere Menschen.
Mit zunehmendem Alter steigt auf Grund der körperlichen Abbauprozesse und der dadurch entstehenden Krankheiten die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden. Laut Statistischem Bundesamt sind über 2 Mio. Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Dies bedeutet: „Pflegebedürftig (…) sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen.“ (§14 Abs.1 SGB XI). Je nach Schweregrad und dem damit erforderlichen Maß an Hilfestellungen wird gemäß §15 SGB XI in drei Stufen der Pflegebedürftigkeit unterschieden – erheblich Pflegebedürftige (Stufe I), Schwerpflegebedürftige (Stufe II) und Schwerstpflegebedürftige (Stufe III).
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten zur Betreuung Pflegebedürftiger. Die Pflege kann im häuslichen Umfeld durch Angehörigen oder durch ambulante Hilfen (z.B. Sozialpflegerischer Dienst) erfolgen. Weiterhin können teilstationäre Hilfen(z.B. Tagespflege) genutzt werden. Und es besteht die Möglichkeit der Unterbringung und Pflege in einer stationären Einrichtung (z.B. Pflegeheim).
Mehr als zwei Drittel (70%) der Pflegebedürftigen werden zu Hause und 30% in Heimen versorgt. Allgemein ist ein Trend hin zur „professionellen“ Pflege durch ambulante Pflegedienste und in Pflegeheimen zu erkennen (vgl. Statistisches Bundesamt 2003a). Folgende Graphik zeigt einen Überblick über die in diesem und folgendem Abschnitt skizzierten Zahlen der Pflegebedürftigen und die Art ihrer Versorgung in Deutschland.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Eckdaten der Pflegestatistik 2001 (Quelle: Statistisches Bundesamt 2003a)
1.2 Strukturen der Pflegeheime
In diesem Abschnitt beziehe ich mich vorrangig auf die Zahlen der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen „Pflegestatistik 2001“.
In Deutschland gibt es nahezu 9.200 nach SGB XI zugelassene voll- bzw. teilstationäre Pflegeheime. Insgesamt werden in diesen etwa 604.000 Menschen versorgt. Man kann sagen, dass die Bedeutung der stationären Versorgung im Vergleich zu 1999 zugenommen hat. So wurden beispielsweise ca. 300 zusätzliche Heime eröffnet und 31.000 Menschen mehr im Heim betreut.
Betrachtet man die Bewohnerstruktur, so ist erwähnenswert, dass fast die Hälfte der Heimbewohner 85 Jahre und älter ist. Grund dafür ist die Tatsache, dass mit steigendem Lebensalter die Menschen in der Regel eher pflegebedürftig sind. Außerdem ist das Heimeintrittsalter an sich meist schon sehr hoch, da die zunehmend schwerere Pflegebedürftigkeit oft nicht mehr von der Familie oder ambulanten Diensten abgedeckt werden kann. So ist auch begründbar, dass der Anteil der Schwerstpflegebedürftigen im Heim 21% beträgt. In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass die Aufnahme in ein Pflegeheim an das Vorhandensein einer Pflegestufe gekoppelt ist.
Bei der Geschlechterverteilung der Bewohner ist auffällig, dass der Anteil der Frauen mit 79% sehr viel höher liegt als der der Männer. Erklärt werden kann dies zum einen durch deren höhere Lebenserwartung. Zum anderen durch den Frauenüberschuss, der als Folge der im 2. Weltkrieg gefallenen Männer entstand.
Bei der Ausstattung der Heime ist zu erwähnen, dass im Durchschnitt 66 Pflegebedürftige in einem Pflegeheim betreut werden. Die meisten Plätze (316.000) bei der vollstationären Dauerpflege befinden sich in 2-Bett-Zimmern und rund 310.000 Plätze in 1-Bett-Zimmern. Die 1-Bett-Zimmer gewinnen jedoch auf Grund steigender Qualitätsanforderungen an Bedeutung.
Zur personellen Ausstattung kann gesagt werden, dass 475.000 Personen in den Heimen beschäftigt sind. Im Rahmen des SGB XI, also direkt in der Pflege und Betreuung sind davon 71% tätig. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten liegt bei 85%, was auf das häufige Ergreifen der Frauen von sozial, pflegerischen Berufen zurückzuführen ist. Der Fachkräfteanteil in der Pflege liegt bei 46%.
1.3 Zukünftige Entwicklungstrends in der Altenpflege
Betrachtet man die demographische Entwicklung in Deutschland, ist ganz deutlich zu erkennen, dass die Bevölkerung weiterhin schrumpfen und altern wird. Die gleichmäßige „Alterspyramide“ des frühen zwanzigsten Jahrhundert hat sich heute schon zu einer an einigen Stellen ausgefransten „Tanne“ entwickelt und wird sich bis 2050 zu einer Art „Pilz“ weiterentwickeln (vgl. Meyer 1998, S.15). Laut der „10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung“ des Statistischen Bundesamtes wird der Anteil der jungen Menschen unter 20 Jahren an der Bevölkerung von rund einem Fünftel im Jahr 2001 auf rund ein Sechstel im Jahr 2050 sinken. Der Anteil der über 60jährigen steigt dagegen im gleichen Zeitraum von etwa einem Viertel auf mehr als ein Drittel.
Zur Veranschaulichung der Bevölkerungsentwicklung sollen folgende Graphiken dienen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 u. 3 Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland von 1950 bis 2050 bzw. 2001
bis 2050 (Quelle: Statistisches Bundesamt 2003b)
Allein die Tatsache, dass es immer mehr ältere Menschen gibt, lässt schon einen erhöhten Bedarf an Altenpflegeeinrichtungen vermuten. Hinzu kommt, dass auf Grund der steigenden Lebenserwartung immer mehr Menschen 80 Jahre und älter werden und deren Anteil an der Bevölkerung sich im Zeitraum 2001 bis 2050 wahrscheinlich verdreifachen wird. Da in dieser Altersgruppe auf Grund der stark voranschreitenden körperlichen und geistigen Abbauprozesse, die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden sehr hoch ist, wird der Bedarf speziell an stationären Pflegeeinrichtungen steigen. Nicht zuletzt auch dadurch, dass es immer weniger jüngere Familienangehörige gibt, die die Pflege übernehmen können und wollen. Der politische Trend verläuft jedoch eher dahingehend, dass die kostengünstigere ambulante Pflege zunehmend vor der kostenintensiven Stationären gefördert und ausgebaut wird. Somit ist mit weiteren Einsparungen in der stationären Altenpflege zu rechnen.
Für die Pflegeheime und ihre Mitarbeiter hat die zunehmende Hochaltrigkeit der Bewohner starke Auswirkungen. So steigt der Bedarf an medizinisch-pflegerischen Versorgungsleistungen und es erhöht sich der Anteil der demenziell oder gerontopsychatrisch veränderten Bewohnern, die einer aufwendigen und speziellen Betreuung bedürfen.
Dies unterstützt die momentan schon problematische Entwicklung der zunehmenden Arbeitsverdichtung für Pflegeheime und vor allem für deren Mitarbeiter (vgl. dip 2003). So steigt einerseits die Anzahl der Pflegebedürftigen und der Bedarf an spezieller und intensiver Betreuung. Andererseits steht immer weniger (qualifiziertes) Personal zur Verfügung. Begründet werden kann dies durch finanzielle Sparmaßnahmen, aber zunehmend wird es auch auf die fehlende Attraktivität des Berufes und des immer geringer werdenden Anteils der Menschen im Erwerbsalter zurückzuführen sein.
Auf die Frage, wie die Pflege alter Menschen angesichts der (demographischen) Entwicklungen zukünftig finanziert werden soll, möchte ich nicht näher eingehen, sondern sie nur als Denkanstoß aufführen.
Zusammenfassend könnte man zur Entwicklung der stationären Altenpflege sagen, dass der Bedarf und die Anforderungen an Pflegeheime und ihre Mitarbeiter steigen werden, die zur Verfügung stehenden Ressourcen (z.B. Personal, Finanzen) jedoch stagnieren bzw. sogar abnehmen werden.
2. Begriffliche Klärungen zur Thematik „Gewalt“
Nachdem das Forschungsfeld „stationäre Altenpflege“ näher betrachtet wurde, sollen im diesem Kapitel begriffliche Klärungen zur Thematik „Gewalt“ erfolgen. So geht es im ersten Abschnitt um die Findung einer für diese Diplomarbeit geltenden Arbeitsdefinition von Gewalt. Anschließend werden die Elemente des Gewaltendreiecks von Galtung kurz erläutert, da ich auf dessen Grundlage das sechste Kapitel „ Formen der Gewalt in der stationären Altenpflege“ aufgebaut habe.
2.1 Definition des Begriffs Gewalt
Zu Beginn muss gesagt werden, dass es keine einheitliche Definition von Gewalt gibt. Vielmehr existiert ein fast unüberschaubares Sammelsurium an Definitionen, die für die Praxis mehr oder weniger relevant sind. Aus diesem Grund erscheint mir die Findung einer für die Thematik dieser Diplomarbeit sinnvollen Gewaltdefinition angebracht.
Der Begriff Gewalt ist auf das althochdeutsche Wort „waltan“ zurückzuführen, was soviel bedeutet wie „herrschen “, „stark sein“. Er wird grundsätzlich in zweierlei Hinsicht benutzt. So ist Gewalt zum einen eine (negative) Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen. Zum anderen hat sie sich in unserer Gesellschaft als eine legitime und von der Mehrheit geduldete bzw. gewünschte Beziehungsform im so genannten Gewaltmonopol des Staates etabliert (vgl. Büttner 1997, S.420).
Es gibt Definitionen in denen der Gewaltbegriff nur mit körperlicher Gewalt in Verbindung gebracht wird. In vorliegender Diplomarbeit soll er jedoch weiter gefasst werden, wobei ich mich der Sichtweise von Ruthemann (1993) anschließe, die teilweise auch zu anderen Definitionen konträr läuft. So lautet die für diese Diplomarbeit geltende Arbeitsdefinition:
Von Gewalt wird gesprochen, wenn eine Person zum „Opfer“ wird. Dies geschieht dann, wenn die Person vorübergehend oder dauernd daran gehindert wird nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu leben und zu handeln.
Diese Beeinträchtigung kann durch Personen, (institutionelle) Strukturen und kulturell bedingte Faktoren geschehen.
Gewalt sollte aus der Sicht der geschädigten Person definiert werden. Das heißt, weniger die Absicht des „Täters“ muss im Blickfeld stehen, sondern primär die unangenehme und beeinträchtigende Wirkung auf das „Opfer“.
Diese Sichtweise entspricht dem Anliegen meiner Diplomarbeit. Denn für mich geht es nicht vorrangig darum, einzelnen „Tätern“ schädigende Absichten zu unterstellen bzw. nachzuweisen. Vielmehr soll es um das Erkennen der unangenehmen oder schädlichen Auswirkungen des Handelns gehen, welche teilweise von den „Tätern“ selbst nicht bemerkt werden.
2.2 Vorstellung des „Gewaltendreiecks“ nach Galtung
In meiner für diese Diplomarbeit festgelegten Arbeitsdefinition von Gewalt heißt es, dass „die Beeinträchtigung durch Personen, (institutionelle) Strukturen und kulturell bedingte Faktoren geschehen kann“. Dieser Aussage zu Grunde liegt das vom Friedensforscher Johann Galtung definierte „Gewaltendreieck“. Nach Galtung (1975, 1993 zitiert nach Hirsch 2000) ergeben sich drei Hauptebenen von Gewalt - personale, strukturelle und kulturelle- die als „Gewaltendreieck“ zusammenhängen und wirken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 „Gewaltendreieck“ nach Galtung
Personale Gewalt ist am ehesten fassbar. Sie beschränkt sich auf bestimmtes Handeln oder Nicht– Handeln einer Person bezogen auf eine andere Person. „Täter“ und „Opfer“ stehen sich in einer Beziehung gegenüber.
Strukturelle Gewalt ist eine „Gewalt von Oben“, welche häufig gar nicht bewusst wahrgenommen wird, da die Verantwortlichen meist nicht direkt erkennbar sind. Man könnte in diesem Zusammenhang von „Schreibtischtäter“ sprechen.
Oft ist strukturelle Gewalt Auslöser von personaler Gewalt, welche dann jedoch auf Grund ihrer besseren Erkennbarkeit meist stärker im Blickpunkt der Aufmerksamkeit steht.
Meiner Meinung nach bedarf die strukturelle Gewalt gerade im Bereich der Altenpflege besonderer Beachtung, da sie nicht minder vertreten ist bzw. Ursache personaler Gewalt sein kann.
Unter kultureller Gewalt sind gesellschaftliche Wertvorstellungen und Vorurteile zu verstehen, die eine Verringerung von Gewalt erheblich erschweren (vgl. Hirsch 2000).
Zusammenfassend könnte man sagen, dass „direkte Gewalt ein Ereignis, strukturelle ein Prozess und kulturelle eine mehr oder weniger schwer veränderliche permanente Größe (ist)“ (Hirsch 2000).
Mit Hilfe dieser Gewaltebenen wird die Komplexität von Gewaltstrukturen deutlich. Es zeigt auch, dass es für deren Beseitigung zu einseitig wäre beispielsweise nur bei der von den Pflegekräften ausgehenden personalen Gewalt anzusetzen.
In welcher Gestalt die verschiedenen Gewaltformen in der stationären Altenpflege auftreten, kann in Kapitel sechs dieser Diplomarbeit nachgelesen werden.
[...]
- Arbeit zitieren
- Janette Lieske (Autor:in), 2004, Gewalt in der stationären Altenpflege, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/64155