Am 1 Mai 2004 hat die Europäische Union (EU) zum vierten Mal - seitdem sie als europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 gegründet wurde - neue Mitglieder aufgenommen. Diesmal traten zehn Mitteleuropäische Länder (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Slowenien sowie Malta und Zypern) bei. Die Osterweiterung der EU stellt für alle beteiligten Länder und die Gemeinschaftsinstitutionen eine beträchtliche Herausforderung dar. Denn noch nie zuvor traten der EU so viele Länder gleichzeitig bei, und noch nie zuvor waren die ökonomischen Unterschiede innerhalb der Gruppe der beitretenden Länder sowie zwischen diesen und den bisherigen Mitgliedsländern derart groß 1 . Es wurden relativ arme Volkswirtschaften aufgenommen, die erst seit 1990 ihr Wirtschaftssystem auf eine Marktwirtschaft umgestellt haben. Unter großen Teilen der Bevölkerung, vor allem Deutschlands und Österreichs, und dabei besonders in Regionen mit einer hohen Arbeitslosigkeit, besteht die Sorge, dass durch die Öffnung der Grenzen die heimischen Arbeitsmärkte negativ betroffen sein werden. Die Öffentlichkeit ist vor allem von der Angst geprägt, dass es durch die EU-Osterweiterung zu fallenden Löhnen (Lohndumping) kommt - und dies aus zwei Richtungen: durch ausländische Direktinvestitionen (und damit Verlagerung von Arbeitsplätzen) der alten EU-Ländern in den neuen „billigeren“ Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE-Länder) und andererseits durch die Migration der billigen Arbeitskräfte aus Osteuropa, die im Zuge der Freizügigkeit in der ganzen EU arbeiten können und die oftmals ihre Arbeitskraft in den alten EU-Mitgliedsstaaten günstiger anbieten. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Führt hohe Einkommensgefälle zwischen Deutschland und den neuen EU-Ländern zu negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt?
2.1 EU und die neuen Mitgliedsländer: Wie groß ist der Abstand
2.2 Die theoretische Sicht
3. Zunehmender Lohnkostendruck durch Auslandinvestitionen und Verlagerung der Produktion?
3.1 Direktinvestitionen
3.2 Verlagerung der Produktion (Outsourcing)
4. Druck auf die Löhne durch Zuwanderung?
4.1 Arbeitnehmerfreizügigkeit
4.2 Frühere Beitrittsrunden
4.3 Umfang der Zuwanderung und Prognose des Migrationpotenzials
4.4 Folgen auf Löhne und Beschäftigung durch Migration
5. Schlussfolgerungen
6. Anhang (5 Tabellen)
7. Literaturverzeichnis
„Der Gemeinsame Binnenmarkt hätte keinen Sinn, wenn er zu einem
sozialen Fortschritt mit umgekehrten Vorzeichen führen und einen
Wettbewerb zwischen Europäern auslösen würde, der die fundamentalen
Rechte der Arbeitnehmer in Frage stellt.“
(Cecchini-Report zum Binnenmark
1. Einleitung
Am 1 Mai 2004 hat die Europäische Union (EU) zum vierten Mal – seitdem sie als europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 gegründet wurde – neue Mitglieder aufgenommen. Diesmal traten zehn Mitteleuropäische Länder (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Slowenien sowie Malta und Zypern) bei. Die Osterweiterung der EU stellt für alle beteiligten Länder und die Gemeinschaftsinstitutionen eine beträchtliche Herausforderung dar. Denn noch nie zuvor traten der EU so viele Länder gleichzeitig bei, und noch nie zuvor waren die ökonomischen Unterschiede innerhalb der Gruppe der beitretenden Länder sowie zwischen diesen und den bisherigen Mitgliedsländern derart groß[1]. Es wurden relativ arme Volkswirtschaften aufgenommen, die erst seit 1990 ihr Wirtschaftssystem auf eine Marktwirtschaft umgestellt haben.
Unter großen Teilen der Bevölkerung, vor allem Deutschlands und Österreichs, und dabei besonders in Regionen mit einer hohen Arbeitslosigkeit, besteht die Sorge, dass durch die Öffnung der Grenzen die heimischen Arbeitsmärkte negativ betroffen sein werden. Die Öffentlichkeit ist vor allem von der Angst geprägt, dass es durch die EU-Osterweiterung zu fallenden Löhnen (Lohndumping) kommt - und dies aus zwei Richtungen: durch ausländische Direktinvestitionen (und damit Verlagerung von Arbeitsplätzen) der alten EU-Ländern in den neuen „billigeren“ Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE-Länder) und andererseits durch die Migration der billigen Arbeitskräfte aus Osteuropa, die im Zuge der Freizügigkeit in der ganzen EU arbeiten können und die oftmals ihre Arbeitskraft in den alten EU-Mitgliedsstaaten günstiger anbieten.
In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage des Lohndumpings in Deutschland. Kommt es durch die EU-Osterweiterung zu schärferer Billiglohnkonkurrenz auf dem deutschen Arbeitsmarkt?
Um Antwort auf diese Frage zu bekommen, versuche ich im Laufe der Arbeit zu klären:
a) In welchem Maße wird es zu Direktinvestitionen und zu einer Auslagerung der Produktion (Outsoursing) kommen und welche Auswirkungen hat das?
b) In welchem Maße wird es zur Migration von Arbeitskräften kommen und welche Auswirkungen hat das?
2. Führt hohe Einkommensgefälle zwischen Deutschland und den neuen EU-Länder zu negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt?
2.1 EU und die neuen Mitgliedsländer: Wie groß ist der Abstand?
Mit der Osterweiterung ist die Einwohnerzahl der EU von rund 380 Mio. auf 455 Mio. Menschen gestiegen. Dagegen hat die Wirtschaftsleistung nur von 8.815 auf 9.219 Mrd. Euro zugenommen. Grund dafür ist ein niedriges wirtschaftliches Niveau der neuen EU-Mitgliedstaaten. Exemplarisch lässt sich das am Einkommens- und Produktivitätsniveau zeigen. Nimmt man als Maßstab den Kaufkraftstandart (EU=100%), dann liegt das Pro-Kopf-Einkommen (Bruttoinlandsprodukt je Einwohner) in den neuen EU-Mitgliedsländer in der Schwankungsbreite von 35 Prozent (Lettland) bis zu 74 Prozent (Slowenien). Das heißt, die durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen in den MOE-Ländern liegen bei weniger als der Hälfte des Durchschnitts der alten 15 EU-Länder. Die Wirtschaftskraft aller 10 neuen EU-Länder zusammen erreicht also insgesamt nur etwa 5% des Bruttoinlandsproduktes der EU-15.
Betrachtet man das Einkommensniveau in Euro statt in Kaufkraftparitäten, so stellt sich die relative Position der Beitrittsländer noch schlechter dar[2].
Die Einkommensunterschiede reflektieren deutliche Differenzen im Lohnniveau. Die Unterschiede in Pro-Kopf-Einkommen und Lohnniveau reflektieren wiederum Unterschiede in den Faktorausstattungen und Faktorproduktivitäten. Die neuen Mitgliedsländer erreichen allenfalls das Produktivitätsniveau von Griechenland und Portugal.
Vor dem Hintergrund dieser Produktivitätsunterschiede müssen auch die erheblichen Differenzen zwischen den Durchschnittslöhnen der Beitrittsländern und jenen Deutschlands gesehen werden[3]. Rein zahlenmäßig betrachtet sind die Löhne in Osteuropa konkurrenzlos billig[4]. So verdient einE ArbeitnehmerIn in der Tschechischen Republik, Polen oder Ungarn nur etwa ein Drittel dessen, was einE ArbeitnehmerIn in der BRD verdient. Angestellte erzielen in der Tschechischen Republik rund die Hälfte der deutschen Durchschnittsgehälter, in Polen rund 40% und in Ungarn nur zwischen 30 und 35%[5].
2.2 Die theoretische Sicht
Aus theoretischer Sicht kann es durchaus dazu kommen, dass die Löhne und Beschäftigung in Deutschland durch die EU-Osterweiterung negativ betroffen sein werden, d. h. sie werden senken.
Die klassische Modell der Handelstheorie (Heckscher–Ohlin–Samuelson Modell) besagt, dass wenn sich zwei Gesellschaften mit wirtschaftlich unabhängigen Volkswirtschaften und mit unterschiedlichen Faktorausstattungen einigen, diese Einigung indirekt zu einer Angleichung der Faktorpreise in beiden Gesellschaften führt[6].
Deutschland ist stark vom Kapital her, dagegen die neuen Mitgliedsländer gut mit billigen Arbeitskräften ausgestattet. Daher bestünde der Vorteil für Deutschland im Export des Kapitals in die „billigeren“ EU-Länder und/oder im Import der billigeren Arbeitskräfte aus dem Osten. Dadurch würde der relativer Preis für kapitalintensive Güter steigen und der relative Preis für arbeitsintensive Güter fallen. Es würde also zu Preisanpassungen auf den Gütermärkten kommen und folglich zu steigenden Kapitalrenditen. Anschließend würden die Löhne sinken bis die Faktorpreise zwischen zwei Ländern sich ausgeglichen haben.
[...]
[1] Wichtige Kennziffern der alten und neuen EU-Mitgliedstaaten siehe Tabelle 1 im Anhang
[2] siehe Tabelle 2 im Anhang
[3] http://www.igmetall.de/download/europa/eu_osterweiterung_0401.pdf 22.08.2004
[4] siehe Tabelle 3 im Anhang
[5] http://www.attac.de/eu-ag/bilder/EU_Osterweiterung_Kraus.pdf 12.09.2004
[6] vgl. Brücker, H., Wirtschaftsdienst 5/2004, S. 279