In dieser Hausarbeit wird der Aspekt der Prävention aus der Vielzahl der Methoden der Sozialen Arbeit herausgegriffen und durch Komplexitätsreduktion ein Teilbereich der Frühen Hilfen mit zwei Gruppenformen konzeptionell beleuchtet.
Der Vergleich eines langfristig erprobten, traditionellen Eltern-Kind-Gruppe-Konzeptes mit dem Konzept eines neuartigen, integrativ arbeitenden Gruppenkon-zeptes, wie es sich mit dem Projekt "Café Kinderwagen" darstellt, gibt Anlass für eine Diskussion über die Anpassung derartiger Konzepte an die Bedürfnisse einer Gesellschaft, die sich ständig im Wandel befindet.
Die Aktualität, Bedeutung und Wertschätzung der Frühen Hilfen als Teilbereich der Sozialen Arbeit zeigt sich u.a. in der jüngst beschlossenen Sicherung der Initiative Frühe Hilfen für Schwangere und Familien mit kleinen Kindern durch die finanzielle Absicherungszusage des Bundes an die Länder. Bundesfamilienministerin Barley kündigte im August 2017 an, dass mit Mitteln in einer Größenordnung von 51 Mio. Euro jährlich "Netzwerke mit frühen Hilfsangeboten für Schwangere aus[ge]baut werden. Zudem gehe es um die psychosoziale Unterstützung von Familien mit Kindern bis zum dritten Lebensjahr." Die dauerhafte Sicherung der für die Frühen Hilfen benötigten Finanzmittel wird durch eine gleichnamige gemeinnützige Stiftung auf der Grundlage einer Bund-Länder-Vereinbarung ab 2018 erreicht werden.
Durch Schaffung von gesetzlichen Grundlagen nach breiter überparteilicher Diskussion in den Parlamenten wird sehr deutlich, dass die Präventionsarbeit der Frühe Hilfen gesellschaftspolitisch besonders wichtig ist und gerade auch wegen der derzeitigen Migrationsbewegung nach Deutschland mit dem Erfordernis der Integration außerordentlich aktuell ist. Im Bericht 2016 über die Bundesinitiative Frühe Hilfen wird informiert, dass das Konzept der Frühen Hilfen in allen Bundesländern umgesetzt und grundsätzlich erfolgreich sowie stetig weiterbetrieben wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffliche Grundlagen
2.1. Prävention
2.2. Frühe Hilfen
3. Konzept: Eltern-Kind-Gruppe
3.1. Zielgruppen
3.2. Ziele der Eltern-Kind-Gruppe
3.3. Funktion der Kursleitung
4. Konzept: „Café Kinderwagen“ Wolfenbüttel
4.1. Zielgruppen
4.2. Ziele des Projektes „Café Kinderwagen“
4.3. Funktion des Gruppenleiters und der Mitarbeiter
5. Das Projekt „Café Kinderwagen“ im Vergleich mit Eltern-Kind-Gruppen
6. „Café Kinderwagen“, ein Projekt der Sozialen Arbeit und der Frühen Hilfen
7. Fazit und Schlussbemerkungen
8. Literaturverzeichnis
9. Rechtsquellenverzeichnis
Präventionsarbeit der Frühen Hilfen
Entspricht das Projekt „Café Kinderwagen“ des Landkreises Wolfenbüttel als Maßnahme der präventiven Frühen Hilfen dem Konzept einer Eltern-Kind-Gruppe?
1. Einleitung
Die Aktualität, Bedeutung und Wertschätzung der Frühen Hilfen als Teilbereich der Sozialen Arbeit zeigt sich u.a. in der jüngst beschlossenen Sicherung der Initiative Frühe Hilfen für Schwangere und Familien mit kleinen Kindern durch die finanzielle Absicherungszusage des Bundes an die Länder. Bundesfamilienministerin Barley kündigte im August 2017 an, dass mit Mitteln in einer Größenordnung von 51 Mio. Euro jährlich „Netzwerke mit frühen Hilfsangeboten für Schwangere aus[ge]baut werden. Zudem gehe es um die psychosoziale Unterstützung von Familien mit Kindern bis zum dritten Lebensjahr.“ (Welt N24 2017: 1) Die dauerhafte Sicherung der für die Frühen Hilfen benötigten Finanzmittel wird durch eine gleichnamige gemeinnützige Stiftung auf der Grundlage einer Bund-Länder-Vereinbarung ab 2018 erreicht werden (vgl. T-online 2017: 1). Durch Schaffung von gesetzlichen Grundlagen nach breiter überparteilicher Diskussion in den Parlamenten wird sehr deutlich, dass die Präventionsarbeit der Frühe Hilfen gesellschaftspolitisch besonders wichtig ist und gerade auch wegen der derzeitigen Migrationsbewegung nach Deutschland mit dem Erfordernis der Integration außerordentlich aktuell ist. Im Bericht 2016 über die Bundesinitiative Frühe Hilfen wird informiert, dass das Konzept der Frühen Hilfen in allen Bundesländern umgesetzt und grundsätzlich erfolgreich sowie stetig weiterbetrieben wird (vgl. NZFH in der BZgA 2016: 37ff.).
In dieser Hausarbeit wird der Aspekt der Prävention aus der Vielzahl der Methoden der Sozialen Arbeit (vgl. Galuske 2013: 168) herausgegriffen und durch Komplexitätsreduktion ein Teilbereich der Frühen Hilfen mit zwei Gruppenformen konzeptionell beleuchtet.
Der Vergleich eines langfristig erprobten, traditionellen Eltern-Kind-Gruppe-Konzeptes mit dem Konzept eines neuartigen, integrativ arbeitenden Gruppenkonzeptes, wie es sich mit dem Projekt „Café Kinderwagen“ darstellt, gibt Anlass für eine Diskussion über die Anpassung derartiger Konzepte an die Bedürfnisse einer Gesellschaft, die sich ständig im Wandel befindet.
Der erste Abschnitt definiert zum Verständnis der Zusammenhänge die verwendeten Begrifflichkeiten „Prävention“ und „Frühen Hilfen“ im Blickauf das frühe Kindesalter. Der anschließende Abschnitt stellt das Konzept der klassischen Eltern-Kind-Gruppe dar und gibt Aufschluss über Ziele, Zielgruppen, Funktionen der Mitarbeiterund organisatorische Begleitumstände. Dieser formellen Konzeption schließt sich die Projektdarstellung „Café Kinderwagen“des Landkreises Wolfenbüttel in Kooperation mit der Evangelischen Familienbildungsstätte Wolfenbüttel an. Es wird untersucht, wieweit das Konzept der Eltern-Kind-Gruppe in dem Projekt „Café Kinderwagen“ berücksichtigt wurde, welche Aspekte nicht Eingang gefunden haben und welche weiteren darüber hinausführenden gewinnbringenden Ziele für Kinder und Eltern verfolgt werden. Im sechsten Abschnitt wird der Bezug und die Fachspezifität der Sozialen Arbeit zum Projekt „Café Kinderwagen“ als Maßnahme der Frühen Hilfen hergestellt. Die Hausarbeit schließt mit der Zusammenfassung der wichtigsten und neu erworbenen Erkenntnisse und reflektiert diese kritisch. Ein Ausblick über die Notwendigkeit der Präventionskettenarbeit durch Projekte wie „Café Kinderwagen“ wird gegeben.
2. Begriffliche Grundlagen
2.1. Prävention
Das Wort Prävention leitet sich vom lateinischen Wort „praeveniere“ = „zuvorkommen“ ab. Fachbezogen bedeutet es „vorbeugendes Eingreifen“ (Galuske 2013: 317) und ist eng verknüpft mit dem Verhindern von schädlichen Entwicklungsverläufen (vgl. Wohlmuth 2009: 11). Die Idee, die hinter diesem vorbeugenden Eingreifen steht, ist das frühzeitige Eingreifenin absehbare Schadmöglichkeiten, um Interventionen in der Zukunft überflüssig zu machen. Das gilt auch und besonders in der frühkindlichen Förderung der unter 3-Jährigen in Eltern-Kind-Gruppen. Abzugrenzen ist, dass Interventionen eine andere Form des Eingreifens darstellen als die Präventionen selbst. Sie unterscheiden sich zeitlich, da Präventionen immer deutlich vor Interventionen verortet sind bzw. sein sollten. Präventive Maßnahmen beugen im Unterschied zu Interventionen, welche versuchen, den bereits eingetretenen Schaden zu beheben oder zu lindern, vor. „Vorbeugen ist besser als heilen“ (Galuske 2013: 317) lautet dabei die Devise der Präventionsarbeit. Bereiche in denen Prävention sinnvoll erscheint sind zusätzlich zu Frühen Hilfen z.B. Gewaltprävention, Sprach- und Bildungsförderung, Gesundheitsprofilaxe, Unfallverhütung u.v.m. (vgl. Galuske 2013: 317). Galuske (2013: 319 ff.) gliedert Prävention im Sinne der Sozialen Arbeit in Primär-, Sekundärprävention und tertiäre Prävention. Die Primär- und Sekundärprävention hat besondere Bedeutung für die frühe Unterstützung in Eltern-Kind-Gruppen. Wohlmuth (2009: 27) stellt für den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit fest, dass Primärpräventionen sich auf die Aufklärung und Sensibilisierung der Eltern beziehen und eine verbesserte Umgebung für das Kind schaffen möchten. Dabei greifen Sekundärpräventionen, als eine Art frühzeitige Erkennung von möglichen, unmittelbar bevorstehenden Schädigungen, wenn die Risikofaktoren bereits manifest werden (vgl. Galuske 2013: 321). Die Soziale Arbeit versucht unter dem Aspekt der Prävention durch zweierlei Maßnahmen der Klientel zu helfen: 1. durch „die Verhinderung negativer Entwicklungen und den Abbau von Risikofaktoren“ (NZFH in der BZgA 2016: 26) sowie 2. durch „die Förderung von Kompetenzen und die Stärkung von Schutzfaktoren“ (NZFH in der BZgA 2016: 26).
2.2. Frühe Hilfen
„Frühe Hilfen sind ein neues, die bestehenden Sozialleistungssysteme ergänzendes und verbindendes Versorgungselement für werdende Eltern sowie Familien mit Säuglingen und Kleinkindern in Deutschland.“ (NZFH in der BZgA 2016: 5) Die gesetzliche Grundlage für Frühe Hilfen findet sich im Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz- BKischG) vom 22.12.2011 (vgl. Bundesgesetzblatt 2011: 2975f.). Das „Frühe“ im Namen Frühe Hilfen deutet einerseits auf das Alter der Zielgruppe „Kind“ hin, hebt andererseits den Präventionsgedanken frühzeitig vorbeugende und nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen hervor (vgl. Buschhorn 2012: 16). „Prävention im Kontext der Frühen Hilfen [bedeutet] auch die frühzeitige Vermeidung und Verminderung von Entwicklungsbenachteiligungen für die Kinder.“ (NZFH 2014: 8) Die Frühen Hilfen werden zu den primären und sekundären Präventionsmaßnahmen (s.o.) gezählt und unterstützen Schwangere oder Eltern von Säuglingen und Kleinkindern bis zu 3 Jahren in der Förderung, den Entwicklungsmöglichkeiten, der Bildung und der Sicherheit ihrer Kinder (vgl. NZFH 2014: 6). Sie bilden den Start einer Präventionskette, verbinden die Bereiche Kinder- und Jugendhilfe, Frühförderung, Gesundheitswesens und Schwangerschafts(konflikt)beratung (vgl. Sann/Schäfer 2008: 106) und können als Grundlage für die darauf „aufbauenden Präventionsstrategien über das gesamte Kinder- und Jugendalter mit dem Ziel, für alle Kinder eine förderliche Umgebung für ihre Entwicklung“ (NZFH 2014: 11) zu schaffen, gelten. Als ein Ziel der Frühen Hilfen nennt Buschhorn (2012: 18) zunächst die „Stärkung der Erziehungs- und Vorsorgekompetenz“ (Renner/Heimeshoff 2010: 12 zit. n. Buschhorn 2012: 18) der Eltern selbst. Denen kommt es dabei verstärkt auf einen Zuwachs an Wissen, eine Steigerung an Handlungsmöglichkeiten oder -optionen, die Selbsterfahrung, die Selbsterziehung, und auf den Aufbau sowie die Nutzung von Hilfenetzwerken an (vgl. Tschöpe-Scheffler 2008: 61f.). Im Vordergrund der Frühen Hilfen stehen zum einen die „Beziehungskompetenzen der Eltern als Vorrausetzung für eine gelingende Bindungsentwicklung“ (NZFH 2014: 9) anzuregen und zum anderen die Erziehungskompetenzen zu fördern (vgl. NZFH 2014: 9). Im Sinne der Prävention helfen die Frühen Hilfen bei der Wahrnehmung und Reduktion von kindeswohlschädlichen Einflüssen (vgl. ebd.: 13). Die Angebote der Frühen Hilfen wenden sich an Eltern aller sozialen Schichten und Nationalitäten, sind bedarfs- und lebensweltorientiert und werden je nach Situation den aktuellen Bedürfnissen der Eltern und Kinder angepasst. Die Teilnahme an den Angeboten ist auf freiwilliger Basis gehalten und soll zur Erleichterung der Annahme auf einem niedrigschwelligen Niveau erfolgen (vgl. ebd.: 8). Auf solche Weise können die Zielgruppen in ihren Unterschiedlichkeiten von Kultur, Sprache, Religion, psychosozialbelastetem Hintergrund und Bildungsstand bedarfsgerecht angesprochen werden. Besonders Familien mit geringen Ressourcen und in schwierigen Lebenslagen finden hier Hilfe und Unterstützung (vgl. ebd.: 9). Allen Familien werden „ Hilfe, Anregungen, Austausch und Unterstützung “ (Tschöpe-Scheffler 2008: 71) auf eine niedrigschwellige Art geboten. Die Qualitätssicherung, sowie die Wirkung der Angebote werden über Dokumentationen, Reflexionen und Evaluationen fortlaufend gewährleistet (vgl. NZFH 2014: 12). Erfolgreiche Konzepte werden im Regelsystem langfristig gesichert (vgl. Sann 2008: 113).
3. Konzept: Eltern-Kind-Gruppe
Eltern-Kind-Gruppen verstehen sich als ein ergänzender Erfahrungsraum mit Austauschmöglichkeiten für Eltern jeder Nationalität unabhängig von Konfession und politischer Anschauung und ihre Kinder (vgl. Thomas 2012: 1). Dem Konzept Arbeit mit Eltern-Kind-Gruppen liegt „ein qualifiziertes, familienbegleitendes Angebot“ (Tuschhoff/Daude 2010: 1) zugrunde. Die pädagogische Grundausrichtung kann sich unterschiedlich gestalten und hat Einflüsse auf den Stundenablauf (vgl. BmFSFJ 2015: 22). Vornehmlich werden Eltern-Kind-Gruppen mit ausgebildetem Fachpersonal von Familien-Bildungsstätten angeboten (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1), können sowohl überregional in den Kreisstädten als auch regional in dörflichen Gemeinden stattfinden. In der Form der sogenannten „offenen“ Eltern-Kind-Gruppe muss weder eine förmliche Anmeldung noch eine kontinuierliche Teilnahme an den Angeboten erfolgen. Die Interessenten können zu den angegebenen Zeiten mit ihren Kindern voraussetzungs- und zwangloserscheinen und am Angebot teilnehmen. Die Annahmefreudigkeit (Niederschwelligkeit des Projektes) soll hierdurch im Gegensatz zu Kursen erhöht werden, bei denen eine förmliche Anmeldung erforderlich ist. Das Programm soll möglichst auch Elternabende anbieten (vgl. Lindemann-Degen 2012: 39), um den Eltern losgelöst von den mithörenden Kindern die Möglichkeit des Austausches zu gewährleisten. Die Kurse sollen in der Woche regelmäßig für zwei Stunden über eine Dauer von ein bis zwei Jahren in einer Kursstärke von 10 teilnehmenden Eltern mit deren Kindern ermöglicht werden (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 2), um die gewünschte Qualität der Betreuung sichern zu können.
3.1. Zielgruppen
Elterninitiativen oder öffentliche Träger bieten lokal und regional für Eltern und ihre Kleinkinder im Alter von 1-3 Jahren und für Babys bis zum Alter von einem Jahr jeweils passende Kurse an (vgl. Nickel 1996: 15f.). Die Eltern-Kind-Gruppen sehen möglichst altershomogene Kindergruppen mit gleichem Entwicklungsstand vor, um passgenaue Offerten anbieten zu können, die viele spezifische Interessen der jeweiligen Altersstufe abdecken. Kommt es, bedingt durch geringe Teilnehmerzahlen und dadurch zu logistischen Zusammenfassungen von Kursen, zu Altersmischungen, ist die Fluktuation in der Gruppe erhöht, da die Kinder zu unterschiedlichen Zeitpunkten den Übergang in die Tagesbetreuungen finden. Eltern und Kinder sollen gemeinschaftlich am Angebot teilnehmen, weshalb eine Abgrenzung zu Elterngruppen oder Kindergruppen erfolgen muss (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 2). Folglich sind zwei Zielgruppen Eltern wie Kinder gemeinsam anwesend, die unter Anleitung zusammen oder parallel operieren. Die Konzepte sind für Mütter und/oder Väter ausgelegt, werden meist jedoch von Müttern wahrgenommen (vgl. ebd.: 1). Alle Familienformen, wie die Kernfamilie, Alleinerziehende, Patchwork-, Regenbogen-, Adoptiv- oder Pflegefamilien, aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten werden angesprochen (vgl. Zipfel 2012: 16). Eltern-Kind-Gruppen-Arbeit wird mancherorts auch von Kindergärten für in die Region zugezogene, junge Eltern zum Informationsaustausch geleistet (vgl.Jaszus2014: 577).
3.2. Ziele der Eltern-Kind-Gruppe
Leitziele von Eltern-Kind-Gruppen sind laut Thomas (2012: 21) „Informationsaustausch, Gemeinschaftserlebnisse, Handlungsimpulse für Eltern und Kinder, sowie die Entlastung im Familienalltag“. Der Informationsaustausch zwischen der Kursleitung und den Eltern deckt u.a. „pädagogische, psychologische, gesellschaftliche und politische“ (Tuschhoff/Daude 2010: 1) Themen ab. Dabei wird durch die besondere Atmosphäre und die zu erwartende Empathie der Elternschaft durch ähnliche Erlebnisse und Situationen eine Vertrauensbasis geschaffen, die Grundlage für Diskussionen und Hilfegespräche sein kann (vgl. Thomas 2012: 21f.). Wesentlicher Aspekt ist der Austausch über Informationen, die ein „Orientierungswissen für die Alltagsbewältigung“ (Thomas 2012: 22) enthalten und so den Eltern das tägliche Leben mit den Kindern erleichtern können. Die Annahme wird durch eine Analyse der Erziehungshilfestatistik gestützt, die hervorhebt, dass insbesondere junge Eltern gravierende Unsicherheiten im erzieherischen Umgang mit ihren Kindern haben, wodurch sich später starke Verhaltensauffälligkeiten der Kinder in der Eltern-Kind-Bindung und im sozialen Miteinander in Gruppen zeigen (vgl. FKSB 2017: 3). In Eltern-Kind-Gruppen wird das Bindungsverhalten zwischen Eltern und ihren Kindern durch intensive Beschäftigungsmöglichkeiten fernab vom stressigen/ hektischen Alltaggestärkt und die Eltern zu einer intensiveren und bewussteren Beobachtung ihrer Kinder angeregt (vgl. Zipfel 2012: 15). Weitere Themen betreffen die Entwicklung oder Erziehung der Kinder, die damit oft verbundenen Erlebnisse während des Umgangs mit ihren Kindern und die Empfindungen der Eltern. Durch den vertieften Einblick in die kindliche Entwicklung sind Eltern über Gemeinschaftserlebnisse befähigter, das altersentsprechende Verhalten der Kinder zu fördern, das Kind neu zu verstehen und in einer Art Schutzraum den Ablösungsvorgang ihres Kindes zuzulassen. Dies charakterisiert das Konzept, da es einerseits den Eltern möglich ist, fernab vom täglichen Leben und dessen Zwängen intensive Qualitätszeit mit dem Kind zu verbringen, andererseits durch die Gruppe es zulassen zu können, dass das Kind sich von der Bezugsperson löst und in der Gemeinschaft agiert (Explorationsverhalten) (vgl. Thomas 2012: 22). Durch die Vergleichsmöglichkeit mit anderen Kindern derselben Altersklasse fallen atypische Entwicklungsverläufe auf und können frühzeitig behoben werden (vgl. ebd.: 23). Das entspricht dem sekundären Präventionsgedanken, weil sich in solchen Fällen die Probleme zu manifestieren begonnen haben. Eltern können begleitend Spiel- und Lernimpulse für ihr Kind vermittelt bekommen und diese später in ihren Alltag integrieren, um die Beziehungsgestaltung über den Kurs hinaus entlastend auszubauen (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1). Der Bindungsaufbau in der frühen Kindheit ist ein wesentlicher Aspekt der Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und ihren Kindern. Über die Stärkung der Bindung erfahren die Kinder Sicherheit und eine zuverlässige Bedürfnisbefriedigung, was sie in ihrer Entwicklung stärkt (vgl.Heinrichs/Lohaus 2011: 105f.). Die positive Bindung zwischen den Eltern und ihrem Kind wird als ein wichtiger Schutzfaktor für die positive Entwicklung des Kindes gesehen und wird auch aus entwicklungspsychologischer Sicht für eine wichtige Determinante gehalten (vgl. ebd.: 274).
Die Entlastung der Eltern im Familienalltag als eines der Leitziele wird durch die wohltuende Atmosphäre, die während des Zusammenseins der Gruppe zeitweilig ausgeblendeten Alltagsverpflichtungen, Sorgen und Probleme,die abwechslungsreichen und vielgestaltigen Angebote und die Kommunikation über Probleme des Alltags erreicht. Eltern können über sie beschäftigende Familienprobleme, auch veraltete Überlieferungen und Bilder des Elternseins aufbauend sprechen und sich Rat einholen (vgl. Thomas 2012: 24), was emotionale Entlastung bedeutet, aber auch praktische Hilfestellungen für den Alltag offeriert. In diesem Zusammenhang spricht Thomas weiter von „der Prävention von Überlastungserfahrungen in Familien“ (Thomas 2012:24). Die Zielgruppe „Kinder“ profitiert in der Eltern-Kind-Gruppe gleichermaßen wie die Eltern von der Qualitätszeit und der langsamen, sanften Abnabelung der Bezugspersonen in einem vertrauten Umfeld unter Ermöglichung von neuen Kontakten zu Gleichaltrigen oder Erwachsenen und dem damit verbundenen Bindungsaufbau (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1). Das Üben der Ablösung ist ein wichtiger Schritt für den späteren Übergang in den Kindergarten bzw. in die Krippe. Die elterliche Aufsicht ist gegeben, aber sehr oft lassen Eltern in der Situation der Spielgruppe Erprobungshandlungen der Kinder eher zu. Erste Konflikte innerhalb der Peergroup können ausgetragen oder andere Sozialkompetenzen wie das Teilen mit anderen Kindern geübt, sowie Verhaltensmuster durch Übernahme vorbildhaften Verhaltens erlernt werden (vgl. Thomas 2012: 23). Die speziell auf ihre Entwicklung abgestimmten Aktionsangebote, die in diesem Umfang allein daheim nicht möglich wären, fördern sie optimal in ihren Entwicklungsschritten (vgl. ebd.: 22). Im Erlebnisraum Eltern-Kind-Gruppe besteht die Möglichkeit „soziale Regeln und Normen“ (Thomas 2012: 22) zu vermitteln. Da der Mensch am besten im sozialen Kontext gedeiht und nicht losgelöst von ihm existieren kann, kommt der Gruppe logischerweise eine wichtige Funktion der Sozialisation zu.
3.3. Funktion der Kursleitung
Die dargestellten Ziele für Eltern-Kind-Gruppen setzt die Kursleitung im Besonderen um. Sie hat die Aufgabe, sich sowohl ihrer Ausbildung entsprechend um die Kinder fürsorglich und förderlich zu kümmern, als auch Elternarbeit zu leisten (vgl. Erdem/Thomas 2012: 33f.). Um eine Wohlfühlstimmung in entspannter Umgebung für Eltern und Kind zu schaffen und zu sichern, arbeitet sie beständig am Vertrauens- und Bindungsaufbau (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1f.). Sie setzt gezielt Impulse, die dem Kind entwicklungsspezifisch abgestimmt dienen, seine Fähigkeiten und Kompetenzen weiterzuentwickeln und gestaltet die Spiel- und Lernumgebung für eine Entfaltung der kindlichen Neigungen (vgl. Lindemann-Degen 2012: 38). Die Kinder haben hierdurch die Gelegenheit, Grenzen zu erfahren, Regeln kennen zu lernen und gleichzeitig in Spiel und Bewegung aufzugehen. Für die Eltern wird die Kursleitung die Rolle der kompetenten Ansprechpartnerin einnehmen, die Wahrnehmung der Eltern in Bezug auf ihr Kind aktivieren und die vorhandenen Elternkompetenzen stärken oder auch neue anlegen (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1.). Durch eine flexibel gehaltene Kursplanung wird auf die späteren Bedürfnisse einzelner Teilnehmer*innen adäquat eingegangen werden können, wodurch eine Entlastung der Eltern im Alltag erzeugt wird (vgl. Erdem/Thomas 2012: 34). In Folge ihrer Fach- und Sozialkompetenz, geht die Leitung des Kurses präventiv und neutral auf vermeintliche, sich entwickelnde oder bereits vorliegende Probleme ein und kann durch die Nähe zu den Familien „einen angstfreien Zugang zu weiteren Unterstützungssystemen herstellen“ (Erdem/Thomas 2012: 35), wodurch sie eine „wichtige Orientierungsfigur gerade auch für sozial nicht oder nicht stabil vernetzte Eltern sein“ (Erdem/Thomas 2012: 35) kann.
Während der Elternabende sollte die Kursleitung den Kursablauf und das Gruppenleben zum Gegenstand der Diskussion machen, um die Qualität der Arbeit zu erhöhen (vgl. Lindemann-Degen 2012: 39). Zu dieser Qualitätserhöhung gehört auch die gegenseitige Rückmeldung, woraus sich unter Einbeziehung vorhandener Elternkompetenzen gestalterische und inhaltliche Verbesserungsmöglichkeiten ergebenkönnen (vgl. Barth/Bernitzke/Fischer 2014: 553).vFür die Kursleitung besteht die wichtige Aufgabe, eine Selbstreflexion der Eltern anzustoßen oder auch neue Handlungsoptionen partizipativ zu schaffen (vgl. Tuschhoff/Daude 2010: 1). Darüber hinaus soll sie die Öffentlichkeitsarbeit stärken, da zufriedene Eltern als Multiplikatoren wirken und weitere Eltern für die Kursangebote interessieren können (vgl. Barth/Bernitzke/Fischer 2014: 553).
4. Konzept: „Café Kinderwagen“ Wolfenbüttel
Das Konzept für das „Café Kinderwagen“ Wolfenbüttel beruht auf der Richtline über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Familien unterstützenden Maßnahmen des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration vom 15.10.2012 (vgl. Niedersächsisches Ministerialblatt 2012: 1139f.). „Café Kinderwagen“ dient als Anlaufstelle mit Austauschmöglichkeiten und Beratung für Eltern unabhängig von Nationalität, Konfession, politischer Anschauung und für deren Kinder. Es sieht vor, dass die Treffen nicht nur zentral in der Kreisstadt, sondern in den verschiedenen Gemeinden Wolfenbüttels annähernd entfernungsgleich verteilt, also unmittelbar vor Ort der Hilfesuchenden, stattfinden, wobei in den sozioökologisch stärker belasteten Regionen Kurstreffen alle 14 Tage, in den weniger belasteten Gemeindeverbänden einmal monatlich angeboten werden sollen. Die Bewilligung des Konzepts lässt eine bedarfsgerechte und flexible Gestaltung der Angebote in den verschiedenen Standorten zu: Bei höher Annahme soll das jeweilige Café mehr Öffnungstage im Monat erhalten, bei zu geringer Annahme besteht sogar die Möglichkeit den Betrieb ganz einzustellen, ohne Einschränkungen in der Höhe der bewilligten Mittel hinnehmen zu müssen. Die Öffnungszeiten des Cafés sollen sich auf drei Stunden pro Öffnungstagbelaufen (vgl. FSKB 2017: 6). Zur Erhaltung der Niederschwelligkeit ist Kostenfreiheit zugesichert worden (vgl. EFB WF 2017: 1).
4.1. Zielgruppen
Das Konzept „Café Kinderwagen“ richtet sich in erster Linie an zugewanderte, schwangere Frauen bzw. Eltern mit ihren Säuglingen oder Kleinkindern. Dem Grundsatz der Präventionsarbeit und der Frühen Hilfen folgend können auch Familien, die keinen Migrationshintergrund haben, sowie Familien in belasteten Lebenslagen an diesem Angebot teilhaben (vgl. FKSB 2017: 6). Der Fokus der Arbeit liegt auf der persönlich und praktisch beratenden Betreuung von Familien mit Säuglingen, wobei auch Geschwisterkinder zu den Treffen von „Café Kinderwagen“ mitgebracht werden dürfen (vgl. EFB WF 2017: 1) und in ihrer Entwicklung gefördert werden.
4.2. Ziele des Projektes „Café Kinderwagen“
Das Projekt nennt als Ziel die Betreuung und Unterstützung Schwangerer und Eltern von Säuglingen durch examinierte Hebammen oder Familienhebammen während des Schwangerschaftsverlaufes und nach der Niederkunft, wobei sie ihre Fragen rund um das Elternwerden stellen können und Hilfestellungenerhalten (vgl. FSKB 2017: 5). Diesen Gruppen mangelt es, wenn losgelöst aus ihren Familienverbänden, naturgemäß auch an tradierten Erfahrungswerten im Umgang mit Säuglingen und kleinen Kindern, woran sich das Angebot des „Café Kinderwagen“ ebenso orientiert. Nach der Niederkunft schließen sich insbesondere Tipps zur Säuglingspflege und Hinweise zur Schaffung eines neuen Bewusstseins und einer Verbesserung der Sichtweise für die Bedürfnisse ihres Kindes „im Hinblick auf Gesundheit, Feinfühligkeit, Perspektivwechsel und Selbstbewusstsein“ an (vgl. ebd.: 4). Eine weitere Zielsetzung ist es, benachteiligte Kinder präventiv zu stärken, indem die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung und ihren Elternkompetenzen Verbesserungsangebote erfahren (vgl. ebd.: 5). Ein weiteres Anliegen von „Café Kinderwagen“ ist die Integration von Migrationsfamilien, die durch die Flucht aus ihrem Heimatland traumatisiert sein können, die u.a. auch nicht mit dem Förder- und Gesundheitssystem vertraut sind und die über keine ausreichende, für eine erfolgreiche Integration erforderliche Kenntnis vom gesellschaftlichen Aufbau Deutschlands verfügen (vgl. ebd.: 3f.). „Café Kinderwagen“ soll ihnen ermöglichen, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden und Angebote zu nutzen, welche zu einem gelingendem [ sic ] Aufwachsen ihrer Kinder beitragen.“ (FSKB 2017: 6) Familien soll durch Beteiligung von Kooperationspartnern die Möglichkeit geboten werden soziale Netzwerke aufzubauen, wozu die breite Streuung von „Café Kinderwagen“-Gruppen im Landkreis Wolfenbüttel als hürdenfrei erreichbarer Ort für junge Mütter und Familien beitragen kann. Dazu eröffnet ihnen der Austausch mit dem Fachpersonal neue Informationsquellen mit der Teilnahmemöglichkeit an der Präventionskette (vgl. ebd.: 6.).
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