Die Arbeit befasst sich mit dem Einfluss von Interferenzen auf den Spracherwerb. Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich zuerst Interferenz zu definieren und sie von ähnlichen Phänomenen abzugrenzen. Im Anschluss sollen die Erkenntnisse aus der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Übersetzungswissenschaft und der angewandten Didaktik erörtert werden, um schließlich die Relevanz des Einflusses von Interferenzen auf den Spracherwerb angemessen einzugrenzen.
Bezüglich der Rolle und Wichtigkeit von sprachlichen Interferenzen gingen die fachlichen Meinungen seit den ersten Definitionen dieses Phänomens in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts in ein breites Spektrum auf: Mal ist Interferenz der wichtigste Fehler des Lerners, der absolut zu verhindern ist, dann bietet sie einen Einblick in den Lernprozess, für andere ist sie nur ein Nebenprodukt eines Prozesses, der Lernen wesentlich erleichtert, oder bildet einen essentiellen Bestandteil im Lernvorgang; kurzzeitig wurde gar die Existenz von Interferenzen selbst in Frage gestellt. Doch welcher Platz kommt ihr nach aktueller Erkenntnis im Erwerb von Fremdsprachen zu?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition von Interferenz
3. Interferenz in der allgemeinen Sprachwissenschaft
3.1 Deutung des Behaviorismus
3.2 Kritik der Psycholinguistik
3.3 Konsens
3.4 Faktoren für das Auftreten von Interferenzen
3.5 Mittel der Sprachökonomie
3.6 Schlussfolgerung
4. Interferenz in der Übersetzungswissenschaft
4.1 Definition von Übersetzung
4.2 Maßstäbe einer gelungenen Übersetzung
4.3 Auftreten von Interferenzen in Übersetzungen
4.4 Bedeutung von Interferenzen in der Übersetzungswissenschaft
5. Der Umgang der Didaktik mit Interferenzen
5.1 (Nicht-) Vorkommen von Interferenzen in FLE Lehrplänen in Deutschland
5.2 Interferenzen in der methodologischen Literatur
5.3 Bewusstsein der Lehrenden für Interferenzen
5.4 Schlüsse aus der Didaktik
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
Einleitung
Bezüglich der Rolle und Wichtigkeit von sprachlichen Interferenzen gingen die fachlichen Meinungen seit den ersten Definitionen dieses Phänomens in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts in ein breites Spektrum auf: Mal ist Interferenz der wichtigste Fehler des Lerners, der absolut zu verhindern ist, dann bietet sie einen Einblick in den Lernprozess, für andere ist sie nur ein Nebenprodukt eines Prozesses, der Lernen wesentlich erleichtert, oder bildet einen essentiellen Bestandteil im Lernvorgang; kurzzeitig wurde gar die Existenz von Interferenzen selbst in Frage gestellt. Doch welcher Platz kommt ihr nach aktueller Erkenntnis im Erwerb von Fremdsprachen zu?
Um das herauszuarbeiten empfiehlt es sich zuerst Interferenz zu definieren und sie von ähnlichen Phänomenen abzugrenzen. Im Anschluss sollten die Erkenntnisse aus der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Übersetzungswissenschaft und der angewandten Didaktik erörtert werden um schließlich die Relevanz des Einflusses von Interferenzen auf den Spracherwerb angemessen einzugrenzen.
Definition von Interferenz
Es war der junge Linguist Uriel Weinreich, der die Einflüsse einer Sprache auf die andere in einem bilingualen Umfeld erstmalig systematisch erforschte. Der jüdische New Yorker veröffentlichte 1953 sein Werk „Languages in Contact. Findings and Problems“, in welchem er die sprachliche Interferenz definierte: „Die Interferenz ist die Gesamtheit der Fälle von Abweichung bezüglich der geltenden Norm in den betroffenen Sprachen; Diese Fälle entstehen im Sprechen der Zweisprachigen als Ergebnis des Kontaktes zwischen diesen Sprachen.1 “
Diese Definition dient bis heute als Basis, allerdings mit der Modifikation, dass als Interferenz schon der einzelne jener Fälle bezeichnet wird.
Am plausibelsten scheint die Definition, welche Maurits Van Overbeke von Martinet (1960), Mackey (1965) und Halliday, Mac Intosh und Strevens (1964) übernahm2. Daraus ergeben sich die folgenden Kerneigenschaften:
1. Die Interferenz ist eine Anwendung (durch ein Person).
2. Eine Interferenz verstößt gegen die Norm der Zielsprache.
3. Dieser Verstoß ist dem Einfluss einer anderen Sprache geschuldet.
Gemäß „2.“ ist die Interferenz hier, normativ gesehen, auf negative Übertragungen reduziert. Dies ist die Sichtweise der kontrastiven Linguistik, die, gemäß Francis Debyser3, als angewandte Wissenschaft neben der deskriptiven Perspektive auch den Anspruch verfolgt, Methoden aufzuzeigen, die ein Erreichen der Norm im Spracherwerb erleichtern.
So folgen auch methodologische Werke dieser Wertung, weil sie auf die Korrektur von Fehlern hinsichtlich der geltenden Norm ausgerichtet sind.
Von dieser Anwendungsorientierung losgelöst ist hingegen die Psycholinguistik, welche die Interferenz als nicht normkonformes oder normkonformes Produkt des Vorgangs „Transfer“ definiert. Damit betont sie den kognitiven Prozess, der hier aber nicht Untersuchungsgegenstand ist. Es empfiehlt sich eher Interferenz als nicht normkonform zu definieren um die Rolle dieses Phänomens zu ergründen. Denn eine „gelungene“ Übertragung der Strukturen einer anderen Sprache lässt sich in der Regel nicht von einer korrekten Anwendung der Zielsprache unterscheiden.
Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle die Debatte um die mögliche Notwendigkeit der Fehler zum Spracherwerb bleiben. Demnach würde der Lerner stets Hypothesen formulieren und verifizieren oder falsifizieren, was den Spracherwerb zu einem ständigen Umbau machte. Sollte diese These zutreffen, steht das dennoch nicht im Widerspruch mit der hier verwendeten Definition: Die Fehlerkorrektur dient nicht der vollkommenen Vermeidung von abnormen Verwendungen im Spracherwerb, sondern deren Minimierung. Der optimale Lernprozess wird zwar als fehlerlos festgelegt, die Unerreichbarkeit aber liegt auf der Hand.
Interferenzen lassen sich auf verschiedene Weisen gruppieren. Die folgende binäre Klassifikation folgt im Wesentlichen derjenigen von Van Overbeke.
1) Prozess-Interferenz / Ergebnis-Interferenz: Die Verwendungen einer bestimmten Interferenz sind Prozess-Interferenzen, wohingegen die daraus resultierenden Folgen Ergebnis-Interferenzen sind. Zum Beispiel wird unter Einfluss des Englischen oft das Konzept von to realize auf réaliser übertragen , etwa: „J’ai réalisé que je n’ai aucune possibilité à réussir“. In diesem Fall handelt es sich um eine Prozess-Interferenz.
Sobald diese Verwendung ein weitergehendes Resultat wie die Eintragung dieser Verwendungsform in ein Lexikon nach sich zieht, ist dieses Resultat eine Ergebnis-Interferenz.
2) Proaktive Interferenz / Retroaktive Interferenz: Wenn der Einfluss von der Muttersprache ausgeht und eine angelernte Fremdsprache betrifft, liegt eine proaktive Interferenz vor.
Sollte sich der Fremdsprachenerwerb auf die Verwendung der Muttersprache auswirken, handelt es sich um eine retroaktive Interferenz.
3) Interferenzen, die den Code betreffen / Interferenzen, die die soziolinguistischen Verhaltensweisen betreffen: Der Großteil der Interferenzen betrifft den Code, verstößt gegen die Grammatik.
Es kann aber vorkommen, dass rein grammatikalisch korrekte Formen entweder in jedem Fall tabu sind oder nur in anderem Kontext benutzt werden. Etwa „se coucher ensemble“ kann bei Französisch Sprechern die Interferenz „Wollen wir zusammen schlafen?“ hervorrufen, im Deutschen wird das als sexuelle Aufforderung verstanden, obwohl der Sprecher mit „zusammen“ lediglich die örtliche Nähe ausdrücken wollte.
4) Segmentale Interferenz / Supra-segmentale Interferenz: Betrifft die Interferenz ein oder mehrere Segmente (Wort, Morphem, Phonem), ist sie segmental. Wenn zum Beispiel der Einfluss der L1 ein Morphem in Bedeutung oder Form von der Norm abweichen lässt, ist dies eine morphologische Interferenz.
Falls eine von den Segmenten unabhängige Dimension betroffen ist, liegt eine supra-segmentale Interferenz vor (bei Intonation, Tempo, Rhythmus etc.).
5) Interferenz der Dekodierung / Interferenz der Produktion: Wenn bei der Dekodierung eines Textes eine Interferenz ein von der Norm abweichendes Verstehen bewirkt, fällt das meist erst in einer erneuten Produktion auf. Nur wenn der Sinn anders aufgefasst wird, lassen Reaktionen jene Art der Interferenz erkennen. Andersherum kann einer produzierten Interferenz allenfalls unter Laborbedingungen ein möglicher Ursprung als Interferenz der Dekodierung nachgewiesen werden.
Deshalb reduziert sich die in natürlicher Umgebung stattfindende Forschung zu Interferenz auf die Produktion und trennt nicht nach Ursprung.
6) Sekundäre Interferenz / Primäre Interferenz: Francis Debyser klassifizierte Interferenzen, die komplexe sprachliche Systeme im Ganzen betreffen als sekundäre Interferenzen.4 Ab wann ein sprachliches Konzept komplex ist, bleibt eine subjektive Einordnung. Jedenfalls gehört zum Beispiel das Konzept des präpositionalen Systems dazu. Hier decken sich wohl von keiner Sprache die Anwendungsweisen ähnlicher Einheiten. Das ist neben dem allgemeinen Konzept vor allem den zahlreichen festen Wendungen geschuldet, die sich in jeder Sprache auch abweichend vom allgemeinen Konzept entwickelt haben. Infolge dieser Umstände könnte ein L1 Französischsprachiger folgende Interferenz in sein Deutsch bringen: „Ich bin in Reisen“. Die vorgeschriebene Verwendung von auf Reisen widerspricht in diesem Fall dem allgemeinen Konzept von auf, nämlich der räumlichen Verordnung über dem Objekt oder der davon hergeleiteten Überordnung.
Alle anderen Interferenzen sind primäre Interferenzen.
Unter die beiden folgenden Kategorien kann eine Interferenz fallen, sie muss aber nicht in diese Schemata passen:
7) Interferenz der ersten Gliederung / Interferenz der zweiten Gliederung: Ein Morphem als kleinste bedeutungstragende Einheit bildet ein zweiseitiges Ganzes (Bedeutung und Aussprache). Bei der Interferenz der ersten Gliederung wird einem Morphem der L2 aufgrund äußerlicher Ähnlichkeit die gleiche Denotation oder Konnotation wie in der L1 zugedacht. Die Denotation ist die allgemeingültige Bedeutung einer bedeutungstragenden Einheit (Morphem, Wort, Satz). Das klassische Beispiel für eine denotative Interferenz eines Deutsch Muttersprachlers ist: „I become a beefsteak“. Bei konnotativen Interferenzen werden erweiterte, subjektive Bedeutungen (z.B. neuartige metaphorische Ausdrücke) aus der L1 auf die L2 projiziert. Dieser Typus ist schwer nachzuweisen, da er sich kaum von einer persönlichen Erweiterung innerhalb der Zielsprache abgrenzen lässt.
Wird hingegen infolge von veränderten Phonemen die Norm verletzt, handelt es sich um eine Interferenz der zweiten Gliederung. Dabei kommt es entweder zu einer Überdifferenzierung oder einer Unterschätzung. Im Falle ersterer wird eine Differenzierung von Tönen in der L2 vorgenommen, die dort nicht unterschieden werden oder nicht bekannt sind. So könnte ein anglophoner Sprecher das deutsche /thema/ als /θema/ überdifferenzieren. Eine Unterschätzung vereinfacht in der L2 differenzierte Phoneme auf die in der L1 übliche Form. Etwa sind die französischen Nasale dem Deutschen fremd, wodurch ein Sprecher mit L1 Deutsch dazu neigen könnte im Französischen un wie une mit /yn/ auszusprechen, statt richtigerweise /œ̃/.
8) Paradigmatische Interferenz / Syntagmatische Interferenz: In seinem Essay5 formulierte Roman Jakobson diese Unterscheidung, die sich auf die Regeln zur Verkettung von Einzelelementen bezieht: Es gebe Abweichungen von der Norm durch Störungen, verursacht von „Gleichartigkeit“ (paradigmatisch) oder der „Nachbarschaft“ (syntagmatisch). In sprachlichen Systemen gibt es meist mehrere Einheiten aus denen der Sprecher eine auswählen muss: [d] und [t], oder der / die / das / den /des / dem beispielsweise. Lernt nun zum Beispiel ein L1 Englischsprachiger Deutsch, könnte er das vertrauliche Du übergeneralisierend für alle Sprechsituationen anwenden, also auch wenn das höfliche Sie normgerecht wäre. Denn im Englischen gibt es keine Unterscheidung zwischen einem höflichen und einem vertraulichen Personalpronomen. Der Grund dafür, dass er nicht Sie übergeneralisiert, ist die Ähnlichkeit von you und Du. Es liegt eine paradigmatische Interferenz vor.
Syntagmatische Interferenzen verstoßen nach Jakobson gegen bestimmte grammatische Regeln, die die Reihenfolge der sprachlichen Einheiten (i.d.R. Worte) festlegen. Ein solcher Verstoß gegen syntagmatische Normen könnte lauten: „Ich dem Mädchen das Buch gebe“.
Zum Großteil sind Interferenzen proaktive, den Code betreffende, segmentale, primäre Prozessinterferenzen. Zu solchen gehören auch Interferenzen der ersten oder zweiten Gliederung. Paradigmatische oder syntagmatische Interferenzen können davon abweichend sekundäre Interferenzen sein.
Eine Trennung von inter- und intralinguistischen Interferenzen ist hier nicht zulässig, da Interferenzen als „dem Einfluss einer anderen Sprache geschuldet“ definiert sind. Somit würde intralinguistische Interferenz ein Oxymoron bilden.
In der frühen Entwicklung verfügt das Kleinkind noch nicht über die Möglichkeit mehrere Sprachen als Systeme zu differenzieren. Also hat es noch keine voneinander abgegrenzten Sprachen. Dementsprechend gibt es in dieser Zeit Sprachmischung, aber keine Interferenzen, denn Interferenzen sind als dem Einfluss einer Sprache auf die andere definiert.
Das wird durch die Forschung von Kadar-Hoffmann zu den Entwicklungssequenzen bestätigt: So deckte sich bei dem dreisprachig aufwachsenden Hanno die Entwicklung der Negation in allen drei Sprachen mit dem monolingualen Erwerb anderer Kinder; Es gab also keine Interferenzen6. Dazu sei gesagt, dass die Negationsstruktur allgemein sehr interferenzanfällig ist und das Verneinen eine der ersten Anwendungen von Sprachen darstellt, die Kinder erlernen.
Sprachmischung beschreibt sämtliche Fälle, in denen sich mehrerer Sprachen bedient wird (unabhängig davon ob der Sprecher diese Systeme differenzieren kann). Das schließt also bewusstes wie unbewusstes code-switching, kindliches code-mixing und Interferenzen ein.
Interferenz in der allgemeinen Sprachwissenschaft
Deutung des Behaviorismus
Das Modell des Behaviorismus gibt die Interferenz sehr anschaulich und reduziert wieder. Daher bietet es sich an das Verständnis aus dieser Sicht aufzubauen und dann zu begründeter Kritik und weiterführenden Erkenntnissen zu kommen.
Der Behaviorismus entstammt der Psychologie, es geht um menschliches Verhalten. Dieses wird durch Stimulus-Reaktion Beziehungen bestimmt. Durch Rückmeldungen aus der Umwelt werden die richtigen Reaktionen erkannt und die S-R Beziehung erlernt. Dieser Prozess heißt Konditionierung. Auf die Linguistik übertragen heißt das: Sprachliche Gewohnheiten sind Konditionierungen. Somit ist die sprachliche Kompetenz die Summe dieser Konditionierungen.
Der Mehrsprachenerwerb wird als Konflikt zweier Kompetenzen gewertet. Das heißt: Ähnliche Stimuli erfordern in der anderen Sprache differente Reaktionen. Die daraus entstehenden Fehler sind Interferenzen. Die Kompetenz in der dominanten Sprache enthält Konditionierungen, die im Widerspruch zu den richtigen Reaktionen der Zielsprache stehen. Je größer die Differenz der Kompetenzen, desto mehr Interferenzen sind zu erwarten. Die dominante Sprache ist fast immer die Muttersprache L1. Daher wird im Folgenden dominante Sprache mit L1 und Zielsprache mit L2 bezeichnet.
Ein Beispiel aus der Syntax: Im Französischen muss das Verb vor dem direkten Objekt stehen, außer dieses ist ein Pronomen. Lernt ein Französisch Muttersprachler Latein, wird es vorkommen, dass er das Verb nicht an das Satzende stellt, wie es das Latein verlangt. Dieses Problem gäbe es nicht, wenn er Englisch lernen würde, denn dort ist die korrekte Reaktion identisch mit der französischen.
Die Ursache dafür ist die Generalisierung: Erlernte Konditionierungen werden auf den ihrigen ähnliche Stimuli übertragen. Kommt es deshalb zu einer Interferenz, liegt eine Übergeneralisierung vor.
Meist hilft die Generalisierung allerdings seine Handlungsmöglichkeiten über das Gelernte hinaus zu erweitern und führt zu einem zielgerechten Ergebnis: J. F. Le Ny stellte die positive, sprachökonomische Funktion von Generalisierung fest: „la généralisation joue un rôle important en ne rendant pas nécessaire le conditionnement à tous les aspects d’un stimulus générique7 “. Also ist Generalisierung ein nützliches Mittel um eine größere Anzahl an Stimuli als die explizit erlernten korrekt beantworten zu können.
Insbesondere Pavlov und die amerikanischen Behavioristen beschäftigten sich mit der Differenzierung als gegenteiligem Vorgang. Eine direktere Übersetzung wäre Diskriminierung, dieser Begriff ist jedoch durch seine vornehmlich sozialwissenschaftliche Nutzung stark geprägt. Die Differenzierung ist die Unterscheidung zwischen zwei ähnlichen Stimuli.
Schließlich sei das Ziel der Pädagogik in jenen Fällen der Generalisierung, die Übergeneralisierungen darstellen, also Interferenzen bilden, für Differenzierung zu sorgen, indem durch den Lehrenden die Distanz zwischen den ähnlichen Stimuli erhöht wird.
Kritik der Psycholinguistik
Die Klarheit dieses Modells täuscht darüber hinweg, dass sich die Realität erheblich komplizierter gestaltet. Etwa sind die meisten S-R Beziehungen wohl deutlich komplexer: mehrere Stimuli wirken sich verschieden stark auf mehrere Reaktionen aus, während Rückkopplungen und Einflüsse innerhalb der Stimuli nicht auszuschließen sind. Dementsprechend warf Noam Chomsky dem führenden Behavioristen B. F. Skinner 1959 anlässlich dessen Buchs „Verbal Behavior“ (1957) die Vereinfachung vor8.
Chomsky kam zu dem Schluss, dass Lernprozesse im Gehirn anders gestaltet seien: Lernen sei die Organisation eines Beziehungsnetzes der Zeichen. Das Gehirn bilde keine Tabelle von S-R Beziehungen, sondern denke in Bildern, die ihren Sinn aus Beziehungen bekommen. Dieser Ansatz ist derzeit allgemein anerkannt.
Konsens
Ob es nun ähnliche Bilder oder ähnliche Stimuli sind: Der Auslöser von Interferenz ist die Analogie, in Verbindung mit einer ausreichenden Differenz der Kompetenz zwischen der L1 und der L2. Auf diesen gemeinsamen Nenner kommen der Begründer der generativen Grammatik und die Behavioristen.
Zudem lässt sich das Prinzip der Generalisierung auch in Bezug auf die Beziehungen zwischen Zeichen definieren: Einem Netz von Zeichen wird ein Zeichen zugeordnet, welches einem bereits zugehörigen Zeichen ähnelt oder in eine angeschlossene Gruppe zu passen scheint.
Unter der Analogie sind Ähnlichkeiten zwischen Strukturen, Verwendungsweisen beziehungsweise optischen oder phonetischen Erscheinungsformen zu verstehen.
Faktoren für das Auftreten von Interferenzen
Dass es Auslöser gibt, setzt Kausalität voraus, nach der es entweder zu Interferenzen kommt oder nicht. Demnach folgt Interferenz einer selektiven Systematik. Diese wurde von empirischen Forschungen belegt9 welche Wode auf drei signifikante Faktoren für die Produktion von Interferenzen schließen ließen10: Neben der Analogie und der Differenz in den Kompetenzen sei auch die Markiertheit der jeweiligen Elemente in analogen Systemen entscheidend. Wenn die L1 unmarkiertere Elemente als die L2 verwendet, werden die Strukturen der L1 übertragen.
Etwa werden Französischlerner mit L1 Deutsch dazu neigen die unmarkierteren, weniger strengen syntagmatischen Regeln der L1 auf die L2 anzuwenden, wenn der strengere Satzbau nicht explizit behandelt wird.
Der Faktor der Analogie wirkt nicht nur bei einzelnen Elementen, sondern auch bei Systemen: Beispielsweise vermeiden nach Schachter11 chinesische und japanische L2-Lerner des Englischen die Bildung von Relativsätzen. Das liege daran, dass diese Sprachen Relativsätze vor das Bezugsnomen setzen, während sie im Englischen nachgestellt werden. Zum Vergleich: Arabisch und Persisch stellen sie ebenfalls nach. Mit diesen Sprachen als L1 treten Relativsätze im Englischerwerb erheblich häufiger auf als bei den beiden ostasiatischen Sprachen. Damit verbunden ist auch eine höhere Anzahl an Interferenzen.
[...]
1 Weinreich, Uriel, Languages in Contact. Mouton: 1963.
2 Van Overbeke, Maurits, Mécanismes de l‘interférence linguistique. Madrid: Fragua 1976.
3 Debyser, Francis, La linguistique contrastive et les interférences. In: Langue française, n°8, 1970, Apprentissage du francais langue étrangère.
4 Debyser, Francis, La linguistique contrastive et les interférences. In: Langue française, n°8, 1970, Apprentissage du francais langue étrangère.
5 Jakobson, R., Deux aspects du langage et deux types d’aphasie. In: Essais de linguistique générale. Paris: Éditions de Minuit 1963.
6 Kadar-Hoffman, G., Trilingualer Spracherwerb: Der gleichzeitige Erwerb des Deutschen, Französischen und Ungarischen bei einem Kind, dargestellt am Beispiel der Negation, Diss., Kiel: 1983.
7 J. Le Ny, Le Conditionnement. Paris: P.U.F., 1961.
8 Chomsky, N., 1959, Rezension von Skinner (1957). Language 35, S. 26-58.
9 Z.B. Wode (1977, 1978), Jordens (1977), Kellermann (1978)
10 Wode, Henning, Psycholinguistik. Eine Einführung in die Lehr- und Lernbarkeit von Sprachen, Ismaning: Hueber 1993.
11 Schachter, L., 1974, An error in error analysis. LL 24, S. 205-214.