Bilingualer Unterricht bietet die Möglichkeit, Sachfachthemen in einer Sprache zu lernen und zu lehren, die nicht die Muttersprache der Schüler ist. Initiativen zur Einrichtung von bilingualem Unterricht in Deutschland wurden anfänglich ausschließlich von der Fremdsprachendidaktik unternommen. Entscheidend jedoch ist, dass es sich beim bilingualen Unterricht nicht um einen „verkappten“ Fremdsprachenunterricht handelt. In zahlreichen Fachzeitschriftenaufsätzen wird daher die nicht eindeutige Bezeichnung „bilingualer Unterricht“ zunehmend durch den Begriff des Content and Language Integrated Learning (CLIL) ersetzt.
Die vorliegende Arbeit untersucht und diskutiert, ob Politik sich als Fach für bilingualen Unterricht eignet und den Anspruch erfüllen kann, sowohl sachfachliche als auch fremdsprachliche und interkulturelle Lerninhalte und -ziele zu vermitteln.
Der erste Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Darstellung der Möglichkeiten des integrativen Inhalts- und Sprachlernen im bilingualen Unterricht. Am Beispiel des Faches Politik wird verdeutlicht, wie man sachfachlichen und fremdsprachlichen Lernzielen und -inhalten gleichsam gerecht werden kann und welche Schwierigkeiten und Grenzen sich ergeben können. Der zweite Schwerpunkt untersucht das Ausbilden der interkulturellen Kompetenz im bilingualen Politikunterricht. Mit dem theoretischen Teil der Arbeit wird ein praktischer Teil verknüpft. Dieser beschäftigt sich mit einem dreistündigen Modulansatz, durchgeführt in der 10. Klasse eines Gymnasiums in der Region Hannover. Im letzten Punkt der Arbeit wird der erprobte Modulansatz vor dem zuvor theoretisch erläuterten Hintergrund zum bilingualen Lernen und Lehren analysiert. Die abschließende Bewertung fasst zusammen, ob sich das Fach Politik als bilinguales Sachfach eignet, welche Möglichkeiten sich ergeben und welche Grenzen dem Lernen und Lehren in der Fremdsprache gesetzt sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Bilingualer Sachfachunterricht - zweisprachig lernen und lehren
2. Bilingualer Sachfachunterricht: Politik - Englisch
2.1 Zur Situation des Fremdsprachenlernens in Deutschland
2.2 Rolle und Bedeutung der Arbeitssprache Englisch
2.3 Politik - ein Fach für bilingualen Unterricht?
2.4 Fazit
3. Integratives Sprach- und Inhaltslernen im bilingualen Politikunterricht
3.1 Die Bedeutung von Sprache im muttersprachlichen Politikunterricht
3.2 Fremdsprachenlernen im bilingualen Politikunterricht
3.2.1 Einsatz von Fremd- und Muttersprache - code-switching
3.2.2 Fehlerkorrektur bzw. Fehlertoleranz
3.2.3 Leistungsmessung bzw. Leistungsbewertung
3.3 Inhaltslernen im bilingualen Politikunterricht
3.4 Fazit
4. Interkulturelles Lernen im bilingualen Politikunterricht
4.1 Interkulturelle Kompetenz als Lernziel
4.2 Möglichkeiten zum interkulturellen Lernen im bilingualen Politikunterricht
4.3 Fazit
5. Anforderungen und Herausforderungen für Lehrer und Schüler im
bilingualen Unterricht
5.1 Die Rolle des Lehrers im Unterricht und in der Vorbereitung:
„Mehr und Anders“
5.2 Neue Anforderungen für Schüler: zwischen Motivation und Doppelbelastung
5.3 Fazit
6. Entwicklung und Erprobung eines bilingualen Modulansatzes im Fach Politik
6.1 Thema des Unterrichtsmoduls
6.2 Unterrichtsziele
6.3 Klassensituation
6.4 Sachanalyse
6.5 Didaktische und methodische Vorüberlegungen
6.6 Stundenentwürfe in tabellarischer Form
6.6.1 Erste Stunde (13. Dezember 2005)
6.6.2 Zweite Stunde (15. Dezember 2005)
6.6.3 Dritte Stunde (20. Dezember 2005)
6.7 Unterrichtsverlauf
6.7.1 Erste Stunde
6.7.2 Zweite Stunde
6.7.3 Dritte Stunde
6.8 Fazit und Reflexion des Unterrichtsmoduls
7. Evaluation des Modulansatzes in Bezug auf die theoretischen Grundlagen
7.1 Inhalts- und Sprachlernen im Unterrichtsmodul
7.2 Interkulturelles Lernen im Unterrichtsmodul
7.3 Fehlertoleranz im Unterrichtsmodul
7.4 Reflexion der Lehrerrolle: Unterrichtsvorbereitung und Verlauf
7.5 Die Rolle der Lernenden: Unterrichtsverhalten und Bewertung
des Unterrichtsmoduls
7.6 Fazit
8. Zusammenfassung und Bewertung
9. Summary
10. Bibliographie
11. Anhangsverzeichnis
Anhang
1. Bilingualer Sachfachunterricht - zweisprachig lernen und lehren
Bilingualer Unterricht bietet die Möglichkeit, Sachfachthemen in einer Sprache zu lernen und zu lehren, die nicht die Muttersprache der Schüler[1] ist, strebt aber keine „Zweisprachigkeit“ an. (De Florio-Hansen 2003: 11; Bach 2005: 15) Die Einschätzung als „vorübergehende Modeerscheinung“ im deutschen Schulwesen (Otten und Wildhage 2003: 10) verkennt die Tatsache, dass es sich nicht um eine neue Unterrichtsform handelt, denn bilingualer Unterricht existiert in Deutschland bereits seit mehr als 30 Jahren. Ursprünglich gedacht als „Begegnungssprachenkonzept“ sollte der zweisprachig deutsch-französisch erteilte Unterricht die partnerschaftlichen Beziehungen in den deutsch-französischen Grenzgebieten festigen. (Otten und Wildhage 2003: 15)
Seit Mitte der 1990er Jahre in ganz Deutschland zu einem Trend geworden, entwickelt sich bilingualer Sachfachunterricht zunehmend zu einer zukunftsträchtigen und beständigen Unterrichtsform. (Bach 2005: 9) Heute schätzt man in Deutschland die Gesamtanzahl von Schulen, die bilingualen Unterricht anbieten, auf mehr als 450. Bilingual unterrichtet wird zumeist an Gymnasien, jedoch werden mittlerweile auch in anderen Schulformen dementsprechende Angebote erprobt. (Otten und Wildhage 2003: 16)
Initiativen zur Einrichtung von bilingualem Unterricht in Deutschland wurden anfänglich ausschließlich von der Fremdsprachendidaktik unternommen. Der englische „Arbeitssprachenunterricht“ stellte einen neuen und viel versprechenden Weg zu einem verbesserten und ertragreicheren Fremdsprachenlernen dar. (De Florio-Hansen 2003: 11) Entscheidend dabei ist, dass es sich beim bilingualen Unterricht nicht um einen „verkappten“ Fremdsprachenunterricht handeln soll. (Kronenberg 1993: 126) In zahlreichen Fachzeitschriftenaufsätzen wird daher die nicht eindeutige Bezeichnung „bilingualer Unterricht“ zunehmend durch den Begriff des Content and Language Integrated Learning (CLIL[2] ) ersetzt. (Wolff 2002b: 8) Aus der heutigen „sprachenpolitischen Sicht“ wird bilingualer Unterricht als das Mittel zur Verknüpfung von fremdsprachlichem und interkulturellem Lernen beurteilt. (Otten und Wildhage 2003: 12). Vor dem Hintergrund der europäischen Annäherung wird bilinguales Lernen als „eines der mächtigsten Instrumente angesehen, um die Mehrsprachigkeit in Europa zu fördern“. (Wolff 2002a: 66) Als vorrangiges Lernziel wird in besonderem Maße der Aufbau einer interkulturellen Kompetenz gesehen. Durch die Ausbildung spezifischer Sachkenntnisse und Fertigkeiten sollen Jugendliche auf die beruflichen und sozialen Anforderungen in Europa vorbereitet werden. Integration, Offenheit, Mobilität und Teamfähigkeit sind die damit am häufigsten in Zusammenhang gebrachten Begriffe. (Bach 2005:10)
Sprache und Mehrsprachigkeit nehmen in Bezug auf interkulturelle Kompetenz eine bedeutsame Rolle ein. Im Einwanderungsland Deutschland zeigt sich bereits im Schulalltag, dass man nicht mehr von einem „monolingualen Klassenzimmer“ sprechen kann. (Riedel 2004: 77) Interkulturelle Unterschiede und Sprachenvielfalt verlangen zunehmend nach „Fremdverstehen“, der Fähigkeit, „das Fremde als authentische Bereicherung des Eigenen zu begreifen [...], sich auf die Andersartigkeit des Gegenüber einzulassen und Differenzen zwischen [...] der anderen Kultur und Sprache zu erkennen und zu verstehen“. (Beetz, Blell und Klose 2005: 15) Mehrsprachigkeit befähigt Schüler dabei in besonderem Maße, sich auf die Andersartigkeit des „Fremden“ einzulassen und anhand von Sprache Differenzen und Gemeinsamkeiten zu erfassen und zu verbalisieren. Obwohl zurzeit noch nicht eingeschätzt werden kann, welche Sprachen in welchem Maße in Deutschland bzw. Europa benötigt werden, kann man davon ausgehen, dass wirtschaftliche wie auch politische Gründe nach einer Mehrsprachigkeit verlangen werden. (Wode 1995: 17)
Für die integrative Förderung von sachfachlichem, fremdsprachlichem und interkulturellem Lernen im bilingualen Unterricht werden zwei Alternativen geboten. Einerseits kann das Sachfach „bilingual“, also mit fremdsprachigen und muttersprachlichen Anteilen, vermittelt werden, ein zweiter Ansatz plädiert hingegen für eine Einsprachigkeit des Unterrichts in der jeweiligen Zielsprache. (Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 6) Auf Aspekte einer „funktionalen Fremdsprachigkeit“ im fremdsprachigen Sachfachunterricht soll ausführlicher in Punkt 3 dieser Arbeit eingegangen werden. (Butzkamm 2005: 91)
Die Anzahl der bilingual unterrichteten Fächer hat sich in den letzten Jahren stark erweitert. Thürmann führt in seiner „Zwischenbilanz“ zwölf Fächer auf, die sowohl in Verbindung mit Englisch aber auch mit Französisch bilingual unterrichtet werden. (Thürmann 1999: 10) Die populärsten Sachfächer werden dem gesellschaftswissenschaftlichen Bereich zugeordnet: Geschichte, Erdkunde, Sozialkunde / Politik. (Finkbeiner 2002a: 5) Zu erwähnen wäre aber auch ein deutlicher Anstieg in den naturwissenschaftlichen und berufsvorbereitenden Fächern, sowie ein größeres Interesse an bilingualem Kunst-, Sport- und Musikunterricht. (Thürmann 1999: 11)
Genau dieses Bild spiegelt sich auch in Wildhages Bestandsaufnahme der bilingual unterrichtenden Schulen in Niedersachsen wider. (vgl. dazu Wildhage 2000: 213ff.) Im Schuljahr 1999/2000 wurde an insgesamt 47 allgemeinbildenden Schulen „fremdsprachig erteilter Unterricht“ angeboten. Die am zahlreichsten vertretenen Fächer waren Geschichte an 37 und Erdkunde an 33 Schulen. Danach erst folgten die Fächer Biologie und Politik, die an deutlich weniger Schulen bilingual unterrichtet wurden. (Wildhage 2000: 213) Dieses Bild zeigt sich auch in Nordrhein-Westfalen. Hier wurde im Schuljahr 1993/94 von 30 Gymnasien an nur zwölf Schulen Politik als bilingual unterrichtetes Fach angeboten. Als Hauptursache wird hier hauptsächlich der Mangel an Lehrkräften mit der Fächerkombination Englisch und Politik genannt. (Schütz 1993: 98)
Zwar lässt sich feststellen, dass das Fach Politik zunehmend an Zuspruch gewinnt, wie das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt. Die Richtlinien für den bilingualen Unterricht empfehlen, Politik als zweites bilinguales Fach direkt nach Erdkunde aber vor Geschichte in Jahrgangsstufe 8 einsetzen zu lassen. (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1994: 14) Jedoch zeigt ein Blick in die Fachliteratur, dass von fachwissenschaftlicher Seite ein weitaus größeres Interesse an bilingualem Geschichts- als an Politikunterricht besteht. Folgt man den Empfehlungen des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums, so wird deutlich, dass gerade das Fach Politik zahlreiche Möglichkeiten für interkulturelles Lernen bieten kann. (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1994: 7-9) Die spezifischen Lernfelder Gesellschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Nationale und Internationale Beziehungen ermöglichen nicht nur die direkte Beschäftigung mit den Inhalten der Zielsprachenkultur sondern können gerade durch kontrastives Vorgehen unterschiedlich „perspektiviert werden“. (Wolff 2002a: 70)
Die vorliegende Arbeit soll untersuchen und diskutieren, ob Politik sich als Fach für bilingualen Unterricht eignet und den Anspruch erfüllen kann, sowohl sachfachliche als auch fremdsprachliche und interkulturelle Lerninhalte und -ziele zu vermitteln.
Am Anfang der Untersuchung steht eine allgemeine Einschätzung des Potentials von bilingualem Unterricht. Diese soll darüber Auskunft geben, ob es gelingen kann Schüler und Jugendliche durch bilinguales Lernen auf die in Beruf und Gesellschaft geforderte „Mehrsprachigkeit“ (Bach 2005: 11) vorzubereiten. Ebenso soll dargestellt werden, welche Bedeutung die englische Sprache für den europäischen Kontext hat und welche Auswirkungen sich daraus für die Wahl der Arbeitssprache im bilingualen Unterricht ergeben. Im Anschluss soll eine erste Diskussion einschätzen, ob sich Politik als bilinguales Fach eignet und welche Möglichkeiten das Fach bieten kann, aber auch welche Probleme sich ergeben können.
Der erste Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Darstellung der Möglichkeiten des integrativen Inhalts- und Sprachlernen im bilingualen Unterricht. Am Beispiel des Faches Politik soll verdeutlicht werden, wie man sachfachlichen und fremdsprachlichen Lernzielen und -inhalten gleichsam gerecht werden kann und welche Schwierigkeiten und Grenzen sich ergeben können. Damit im Zusammenhang stehen die Rolle der Fremdsprache und der Einsatz der Muttersprache im bilingualen Sachfachunterricht. Wie bereits erwähnt soll hier näher auf Butzkamms Theorie der „funktionalen Fremdsprachigkeit“ (Butzkamm 2005: 91) eingegangen werden, wie auch auf das Konzept des code-switching. (Thürmann 2005: 82)
Ebenso wird dargestellt, welche besonderen Maßstäbe in Bezug auf Fehlerkorrektur bzw. -toleranz gelten und wie es möglich ist, das Fremdsprachenlernen zu fördern, ohne die Motivation der Schüler zu beeinträchtigen. Im Zusammenhang damit soll erläutert werden, wie die Leistungen der Schüler im bilingualen Unterricht überprüft und bewertet werden können und mit welchen Grenzen und Problemen die Lehrkräfte hierbei konfrontiert sind.
Um der Befürchtung entgegenzuwirken, dass es sich beim bilingualen Unterricht um eine Erweiterung des Fremdsprachenunterrichts handelt, soll erläutert werden, wie sich inhaltliches Lernen im bilingualen Unterricht effektiv und den Rahmenrichtlinien des Sachfaches angemessen realisieren lässt. (Wildhage und Otten 2003: 14-15) Im Mittelpunkt stehen dabei Inhalte und Themen des Politikunterrichts, Methoden und Arbeitsweisen, sowie Sozialformen und die für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer wichtigen und erforderlichen Kompetenzen.
Der zweite Schwerpunkt beschäftigt sich mit dem Ausbilden der interkulturellen Kompetenz im bilingualen Unterricht. Welche Anforderungen stellt dieses Lernziel an den bilingualen Unterricht und welche Chancen bietet das Fach Politik diesen Ansprüchen nachzukommen? Im Vordergrund stehen hier die Besonderheiten des Faches Politik und seine Möglichkeiten, Schüler auf das soziale und berufliche Leben vorzubereiten. Anhand der für den Politikunterricht formulierten Lernziele soll dargestellt werden, inwiefern sich diese mit den entsprechenden Inhalten des fremdsprachlichen Auslandes verbinden lassen und welche Möglichkeiten dies in Bezug auf das Entwickeln einer interkulturellen Kompetenz bietet.
Im Anschluss soll näher auf die Bedeutung des bilingualen Unterrichts für Lehrer und Schüler eingegangen werden. Mit welchen neuen Herausforderungen sehen sich Lehrer und Schüler konfrontiert und welche Mittel gibt es, um diesen erhöhten Anforderungen entgegenzutreten? Auf Seiten der Lehrer bezieht sich diese Analyse zunächst auf die Schwierigkeiten bei der Unterrichtsmaterialsuche und -auswahl. Ebenso sehen sich Lehrer im bilingualen Politikunterricht mit der Diskrepanz zwischen ihrem fachlichen Wissen und dem sprachlichen Umsetzen in der Fremdsprache konfrontiert. Zwar werden bilingual unterrichtende Lehrer nach ihrer Fächerkombination ausgewählt (Wolff 2002a: 71), jedoch bleibt die Frage, ob diese „Doppelfakultas“ ausreicht, um sachfachspezifische Kenntnisse in der Fremdsprache mehr als „rudimentär“ zu vermitteln. (Kronenberg 1993: 132-133; Schütz 1993: 97) Möglichkeiten, um die zusätzliche Belastung bilingual unterrichtender Lehrkräfte auszugleichen sollen ebenfalls betrachtet werden. Auch wird erläutert, welche Seminare und Praktika es für die erste und zweite Ausbildungsphase bilingual unterrichtender Lehrkräfte gibt und ob künftigen Junglehrern auf diese Weise die spätere „Selbstschulung“ erspart werden kann. (Schütz 1993: 111) Anschließend soll dargestellt werden, mit welchen neuen Anforderungen Schüler im bilingualen Unterricht konfrontiert werden und durch welche Maßnahmen einer möglichen Überforderung der Schüler entgegengewirkt werden kann.
Mit dem theoretischen Teil der Arbeit wird ein praktischer Teil verknüpft. Dieser beschäftigt sich mit einem dreistündigen Modulansatz zum Thema „Das Regierungssystem Großbritanniens im Vergleich zu Deutschland - ein Vergleich beider Staatsoberhäupter“, durchgeführt in einer 10. Klasse des Gymnasiums Mellendorf in der Region Hannover. Die ausgewählte Klasse konnte bisher keine Erfahrung mit bilingualem Politikunterricht sammeln und wurde auch nicht ausführlich auf die neue Unterrichtsform vorbereitet. Im ersten Teil soll die Auswahl des Unterrichtsthemas begründet und die Lernziele genannt werden. Daran schließt sich die Vorstellung der Lerngruppe und die Sachanalyse der geplanten Unterrichtsinhalte an. Es folgen die didaktischen und methodischen Vorüberlegungen und die in tabellarischer Form verfassten Stundenentwürfe. Abschließend soll der Unterrichtsverlauf ausführlich dargestellt und die drei Stunden des Unterrichtsmoduls reflektiert werden.
Im letzten Punkt der Arbeit soll der erprobte Modulansatz vor dem zuvor theoretisch erläuterten Hintergrund zum bilingualen Lernen und Lehren analysiert werden. Um dies in Nachhinein realisieren zu können, wurden die drei Unterrichtsstunden mit Hilfe einer Kamera festgehalten. Die Evaluation soll untersuchen, inwiefern sich das ausgewählte Thema der drei Stunden eignete, um sowohl sachfachliches als auch fremdsprachliches Lernen zu integrieren und interkulturelle Aspekte zu vermitteln. Des Weiteren soll analysiert werden, ob die im theoretischen Teil erläuterten Empfehlungen zum Einsatz von Mutter- und Fremdsprache und code-switching innerhalb der drei Unterrichtsstunden umgesetzt werden konnten.
Die Evaluation soll auch darüber Auskunft geben, welche Erkenntnisse sich aus dem Modul in Bezug auf Unterrichtsvorbereitung und -durchführung für den bilingual unterrichtenden Lehrer ableiten lassen. Ebenso soll dargestellt werden, ob und wie es den Schülern gelungen ist, mit den neuen Herausforderungen des bilingualen Politikunterrichts umzugehen, ohne dass vorher eine spezielle Einführung stattgefunden hat. Als zusätzliche Information dient hier ein am Ende der Unterrichtseinheit an die Schüler ausgeteilter Evaluationsbogen (Anhang 12).
In der abschließenden Bewertung soll zusammengefasst werden, ob sich das Fach Politik als bilinguales Sachfach eignet, welche Möglichkeiten sich ergeben und welche Grenzen dem Lernen und Lehren in der Fremdsprache gesetzt sind. Es soll versucht werden, einen kurzen Ausblick auf die Vorgaben einer eigenständigen Didaktik für bilingualen Politikunterricht zu formulieren, um das Lernen inhaltlicher Sachfachthemen zu sichern und den Aufbau fremdsprachlicher und interkultureller Fähigkeiten und Fertigkeiten zu unterstützen.
2. Bilingualer Sachfachunterricht: Politik - Englisch
2.1 Zur Situation des Fremdsprachenlernens in Deutschland
„Die künftige Sprachensituation in Europa ist ohne Vorbild: Im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Integration entsteht ein Raum der Mehrsprachigkeit und der prinzipiellen Gleichberechtigung von Nationalsprachen. In dem Maße, in dem Grenzen fallen oder zumindest für alle überwindbar sind, nimmt die Mobilität der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu, sind Menschen zunehmend auf Fremdsprachenunterricht angewiesen, um innerhalb und außerhalb des eigenen Landes Kontakte anzubahnen und aufrechtzuerhalten.“ (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1994: 7)
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche signifikante Rolle das Lernen und Beherrschen von Fremdsprachen im Kontext Europa spielt. So reicht es für Jugendliche heutzutage nicht mehr aus, Grundkenntnisse zu beherrschen, die ein kurzes und begrenztes Alltagsgespräch ermöglichen. (Mentz 2001: 69) Im Gegenteil, Lehrpläne des Englischunterrichts fordern seit geraumer Zeit als Ziel des Englischunterrichts die Befähigung der Schüler zum „fremdsprachlichen Handeln“, zur „Verwendung des Englischen im privaten und beruflichen Alltag“, aber auch „die Bereitschaft, sich mit bestimmten sozialen, politischen und kulturellen Begebenheiten des fremden Landes auseinanderzusetzen“, zusammengefasst in dem Begriff der „fremdsprachlichen Handlungsfähigkeit“. (Timm 1998: 8; Bach 2005: 10) Gute Fremdsprachenkenntnisse in mindestens einer Fremdsprache - wünschenswert sind zwei - eröffnen Jugendlichen bessere Ausbildungs- und Berufschancen. (Christ 1999: 8) Umgekehrt heißt dies, dass sowohl Gesellschaft aber auch Wirtschaft hohe Erwartungen in den Fremdsprachenunterricht in der Schule setzen. (Bonnet, Breidbach und Hallet 2003: 174) Denn eine Fremdsprache nach der schulischen Ausbildung in der Universität oder neben der Berufstätigkeit nachzuholen, erweist sich meist als schwieriger und letztlich auch weniger effektiv als in der Schule. So liegt es beim Englischunterricht, dem durch die fast europaweite Anerkennung des Englischen als lingua franca eine herausragende Rolle zukommt, das Lernen im Fremdsprachenunterricht in „Spektrum, Abfolge und Dauer, [...] aber auch in Effizienz“ zu überprüfen. (Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 6)
Es soll in diesem Kapitel keinesfalls eine umfassende Kritik des traditionellen Fremdsprachenunterrichts formuliert werden, dennoch ist es unerlässlich einige Nachteile zu benennen. Erst danach ist es möglich, die didaktischen und methodischen Gründe hervorzuheben, die letztlich zu der Popularität des bilingualen Unterrichts in Deutschland geführt haben.
Dem Fremdsprachenunterricht wird nicht selten vorgeworfen, zu wenig Authentizität in Bezug auf Unterrichtsmaterialien, Unterrichtssituationen und Sprechanlässe zu gewähren und eine freie Kommunikation zu selten zuzulassen. (Rymarczyk 2003: 20) Lernkonzepte und Lehrmaterialien seien größtenteils veraltet und scheiterten daran, den Schülern die im Kontext Europa erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln. (Wolff 1997, zitiert in Bach und Niemeier 2005: 11) Zwar steht das Sprechen im Fremdsprachenunterricht stets an oberster Stelle, aber nur selten gelingt es, dass sich Schüler von den Inhalten des Fremdsprachenunterrichts ganzheitlich, sprich affektiv und kognitiv, angesprochen fühlen. (Wolff 2002a: 67; Timm 2002: 13) Die Lerninhalte des Fremdsprachenunterrichts beziehen sich erfahrungsgemäß nicht auf reale oder wirklichkeitsnahe Prozesse. (Segermann 1992: 5) „Pseudoreale“ Lerninhalte erreichen jedoch nur eine geringe Motivation bei den Schülern, da die didaktische Absicht hinter den vermittelten Inhalten erkennbar wird und der Bezug zu einem fachlich relevanten Thema kaum enthalten ist. (Wolff 2005: 161-162) Aus diesen Gründen gelingt es in der Praxis eher selten, den in den Rahmenrichtlinien geforderten „an Lebensnähe und Wirklichkeitsbezug orientierten Englischunterricht“ in der Schule zu realisieren. (Niedersächsisches Kultusministerium 1989: 8) Eine Erweiterung und Veränderung des Fremdsprachenunterrichts ist dementsprechend nicht erst seit kurzem unumgänglich. (Roth 1989: 134-135; Otten und Wildhage 2003: 12)
In der heutigen Diskussion zeichnet sich ab, dass bilingualer Sachfachunterricht als erfolgreiche Form des Zweitsprachenerwerbs international anerkannt ist. (Wolff 2005: 160; De Florio-Hansen 2003: 15) Im fremdsprachlichen Sachfachunterricht wird die Zielsprache nicht als „grammatisches Regelsystem“ vermittelt (focus on forms), sondern man konzentriert sich darauf, wie die Fremdsprache für inhaltliches Lernen im Sachfach verwendet werden kann (focus on content). Auf diese Weise gelingt es dem bilingualen Unterricht im Gegensatz zum traditionellen Fremdsprachenunterricht, dass sich Spracherwerb auf „implizite, natürliche“ Weise vollzieht. (Vollmer 2005a: 47; Hallet 1999: 23) Wolff bezeichnet den fremdsprachlichen Sachfachunterricht als die „optimale Lernumgebung“ zum Fremdsprachenerwerb, insbesondere in Bezug auf Lerninhalte, Lernformen und Lern- und Arbeitstechniken. (Wolff 2005a: 161) Durch die Verwendung der Fremdsprache als Medium gelingt es Schülern, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, sachrelevante Problemstellungen in der Fremdsprache zu verbalisieren, um so später auch an internationaler Kommunikation teilnehmen zu können. (Breidbach 2005: 168) Durch inhaltsorientierte Spracharbeit sollen Schüler in der Fremdsprache die für den Sachfachunterricht relevanten Arbeits- und Handlungsweisen erlernen und beherrschen: beschreiben, erläutern, bewerten und mit anderen erörtern. (Krechel 2005: 66) Ebenso gewinnen die Arbeits- und Lerntechniken durch die direkte Aneignung und Übung anhand sachfachlicher Inhalte einen höheren Grad an Authentizität und bieten den Schülern damit „echte“ Sprechanlässe. (Wolff 2005a:163; Krechel 2005: 65; Pilzecker 1996: 9)
Zwar zeichnet sich in der fachlichen Diskussion eine deutliche Tendenz zu mehr fremdsprachlichen Sachfachunterricht ab, dennoch müssen auch Kritikpunkte und Zweifel auf ihre Berechtigung untersucht werden. Als zentrales Problem des bilingualen Unterrichtskonzeptes wird die „Diskrepanz zwischen den kognitiven und den fremdsprachlichen Möglichkeiten des Lernenden“ gesehen. (Wolff 2002a: 68; Pilzecker 1996: 10; De Florio-Hansen 2003: 11) Dieses Missverhältnis birgt zwei Gefahren: Zum Ersten können die neuen Anforderungen für Schüler zu einer Doppelbelastung und damit zu einer Überforderung führen. (Decke-Cornill 1999: 166) Zurückhaltung und Verstummen seitens der Schüler als Folge von Angst vor Fehlern in der Ausdrucksweise sind nicht wünschenswert, aber leider in der schulischen Praxis nicht vollkommen auszuschließen. (Christ 1999: 6; Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 8) Zweitens sehen insbesondere Vertreter der Sachfächer die Gefahr im Vernachlässigen fachlicher zugunsten fremdsprachlicher Inhalte. So fordert Rautenhaus, dass sich die Fremdsprachendidaktik auf die Didaktik und die Lerninhalte des Sachfaches einstellen muss. Zwar sollen beide Fächer integriert werden, aber zunächst gilt es die Richtlinien des Sachfaches zu erfüllen. (Rautenhaus 2005: 110)
Der Ursprung dieser Kritikpunkte und vielleicht auch deren Lösung sind in dem Nichtvorhandensein bzw. der Entwicklung einer Didaktik und Methodik für den fremdsprachlichen Sachfachunterricht verankert. (Breidbach 2005: 165) Zwar werden von Fremdsprachendidaktikern bereits zahlreiche Versuche unternommen, eine allgemeine Didaktik auszuarbeiten, jedoch mangelt es unter anderem an der nur schleppend vorangehenden Kooperation zwischen den Fremdsprachen- und den Sachfachdidaktikern. (Wildhage und Otten 2003: 10; Mentz 2001: 75)
2.2 Rolle und Bedeutung der Arbeitssprache Englisch
Das Spektrum an Sprachen, in denen in Deutschland bilingual unterrichtet wird, nimmt ebenso unbegrenzt zu wie die Auswahl der beteiligten Sachfächer. Dennoch liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Verwendung des Englischen (60 %); Sprachkombinationen mit Französisch (11 %) oder Spanisch (3 %) sind deutlich seltener. (Finkbeiner 2002b: 9)
Die Dominanz der englischen Sprache lässt sich durch eine Vielzahl von Gründen erklären. Global betrachtet ist Englisch nicht nur Muttersprache in Ländern wie Großbritannien, Irland, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland, sondern auch gültige Amts- und Verkehrssprache in zahlreichen Ländern der so genannten Dritten Welt sowie anerkannte Lingua Franca in Wissenschaft und internationalem Verkehr. (Otten und Wildhage 2003: 20) Im Hinblick auf den Anspruch der Mehrsprachigkeit reicht es zwar nicht, nur der englischen Sprache mächtig zu sein, allerdings gehört „die Beherrschung des Englischen [...] schon in der heutigen Gesellschaft zu den Schlüsselqualifikationen“, denn „sie ist für jeden Beruf von absoluter Notwendigkeit“. (Wolff 2005a: 151) Kritik üben allerdings zunehmend Didaktiker anderer Fremdsprachen. (Decke-Cornill 1999: 167) So sollte sich die Förderung von Sprachen nicht auf die „Leitsprache“ Englisch beschränken. Die Zusammenführung Europas und das in diesem Zuge geforderte Verständnis für Sprache und Kultur der „Anderen“ benötige mehr als eine „hegemoniale“ Sprache. (Rössler 2004: 134-135) Andererseits wird durch die ausgeprägte Konzentration auf die englische Sprache keineswegs verhindert, dass andere Fremdsprachen erlernt werden können; im Gegenteil, Christ und Bosenius stellen fest, dass die intensive Beschäftigung mit einer Fremdsprache Schüler zum Lernen weiterer Sprachen motiviert. (Christ 1999: 9; Bosenius 2003: 136)
Englisch ist zurzeit das weltweit anerkannte Kommunikationsmittel. (Rymarczyk 2003: 28) Die Dominanz der englischen Sprache zeichnet sich daher auch im deutschen Schulsystem ab. Während Französisch, bzw. Spanisch meistens nur als zweite oder dritte Fremdsprache im Lehrplan eingeführt werden, ist Englisch in der Regel in allen Bundesländern Fremdsprache Nummer eins. Nicht nur der frühe Einstieg ins Englische in deutschen Grundschulen, sondern auch die fortschreitende Anglikanisierung bzw. Amerikanisierung des Alltagslebens der Schüler unterstreichen die allgemeine Bedeutung dieser Sprache. (Kugler-Euerle 2002: 32) Ebenso lässt sich ein zunehmender Einfluss von Medien und Unterhaltung erkennen, der Kinder und Jugendliche motiviert und anspornt, die englische Sprache sprechen und vor allem verstehen zu können.
Übertragen auf den bilingualen Politikunterricht bedeutet dies, dass das Lernziel der politischen Handlungsfähigkeit nicht mehr nur mit nationalen Ereignissen und Wirklichkeiten verknüpft ist. Kinder und Jugendliche sollen sich nicht nur im nationalen Kontext kritisch äußern können, sondern auch im internationalen Rahmen fähig sein, gesellschaftliche Konflikte bzw. internationale Beziehungen und Kontroversen zu erkennen und zu diskutieren. Um dies gewährleisten zu können, müssen Schüler auf die gesellschaftliche Realität vorbereitet werden. Dies bedeutet auch, die „Internationalisierung von Forschung und Wissenschaft“ (an-)zu erkennen. (Hallet 1999: 24) Englisch hat sich mittlerweile zu der meist genutzten Wissenschaftssprache entwickelt. Über 80 % aller elektronisch gespeicherten Informationen auf der Welt sind in englischer Sprache, etwa zwei Drittel aller Wissenschaftler auf der Welt lesen Fachliteratur in Englisch und ca. 90 % aller gedruckten Bücher sind auf Englisch geschrieben. So bereitet eine hohe Sprachkompetenz in Englisch auch optimal auf ein Hochschulstudium aller Fächer vor, da ein großer Teil aller Fachliteratur auf Englisch verfasst wird. (http://www.britischebotschaft.de/de/britain/ab_6.htm; 23.01.2006) Ein zukunftsorientierter Fachunterricht, der auf Studium, Berufstätigkeit und „Lebensbewältigung“ zielt, muss demnach Schülern eine wissenschaftlich fundierte und fachlich angemessene Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft vermitteln, damit sie an internationaler Kommunikation in Politik, Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft teilnehmen können. (Hallet 1999: 25).
Dennoch wird wiederholt darauf hingewiesen, dass Fremdsprachenlernen in der Schule nicht dafür ausreicht, um auch spezifische Fachliteratur zu verstehen, da auch ausgebildete Englischlehrer im bilingualen Politikunterricht mit dem Problem konfrontiert sind, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse im Sachfach in der Fremdsprache nicht angemessen und richtig vermitteln zu können. (Schütz 1993: 96-97) Ebenso zweifelt Breidbach daran, dass im erweiterten Fremdsprachenunterricht „ökonomische Wettbewerbsvorteile“ dadurch erworben werden, dass zum Beispiel geschichtspolitische Sachverhalte in einer anderen Sprache besprochen werden. (Breidbach 2005: 169) Es bleibt aber unbestritten, dass Schüler durch den bilingualen Unterricht auf die Anforderungen in Studium und Beruf vorbereitet werden, da die intensivere Vorbereitung auf englischsprachige Fachtexte „Berührungsängsten“ bei Schülern vorbeugen kann. (Link und von Machui 2002: 2; Christ 1999: 9)
Es lässt sich festhalten, dass die Allgegenwärtigkeit des Englischen im privaten und beruflichen Leben sich auch auf die Praxis des bilingualen Unterrichts ausgeweitet hat. Die bewusste Ausrichtung der Ziele des Fremdsprachenunterrichts auf eine Verbesserung der Erfolgschancen im beruflichen und privaten Lebensbereich führte in Deutschland dazu, dass bilinguale Angebote heutzutage Englisch als Arbeitssprache im Unterricht bevorzugen. (Vollmer 2005a: 51)
2.3 Politik - ein Fach für bilingualen Unterricht?
Die folgende Diskussion soll Aufschluss darüber geben, ob und in welchem Maße sich Politik für den fremdsprachlich erteilten Sachfachunterricht eignet aber auch untersuchen welche Probleme sich ergeben können. Da bilingualer Politikunterricht von der eigenen Sachfachdidaktik bisher kaum beachtet worden ist, können Pro- und Contra-Argumente größtenteils von den Einschätzungen der Geschichts- sowie der Fremdsprachendidaktik transferiert werden. (Lamsfuß-Schenk 2002: 87; Hübner, Grammes und Stork 2004: 246)
Die Lernziele des Politikunterrichts stellen hohe Anforderungen an Lehrer und Schüler. Preiser hält bereits im Jahre 1982 fest:
„Politische Bildung erhebt - mehr noch als andere Unterrichtsfächer - einen Bildungs- und Erziehungsanspruch, der weit über die augenblickliche Lebenssituation des Lernenden hinausreicht und die Beziehung des Individuums zu seiner Umwelt über alle Lernbereiche hin betrifft: Politische Bildung soll zum kompetenten und an Werten orientierten Handeln im gesellschaftlichen Raum befähigen und ermuntern.“ (Preiser 1982: 89)
Auch die Rahmenrichtlinien des Landes Niedersachsen für das Fach Politik sind ähnlich formuliert:
„Politik erfasst und bestimmt das Leben aller Menschen. [...] Die Erziehung zu mündigen und politisch aktiven Menschen impliziert die Erziehung zur politischen Urteilsfähigkeit, zur Selbst- und Mitbestimmung und zur sozialen Verantwortung ebenso wie zu Empathie, Solidarität und zum Bemühen um Verständigung mit Andersdenkenden.“ (Niedersächsisches Kultusministerium 1997: 4)
Allerdings war die Politikdidaktik bis in die 1970er Jahre fast ausschließlich durch Institutionenkunde geprägt. Erst Mitte der 1970er Jahre reformierte Gieseckes Konzept der „Konfliktdidaktik“[3] den bisherigen Ansatz hin zu handlungs- und problemorientierten Unterrichtsmethoden. (vgl. dazu Giesecke 1974: 144) Bis heute stehen Gieseckes Lernziele „Mitbestimmung“ und „Partizipation“ in und an der demokratischen Gesellschaft an oberster Stelle. Gieseckes Konfliktanalyse wird von der Politikdidaktik immer noch als sinnvolles und praktikables Unterrichtsverfahren eingeschätzt um politische Bildung im Unterricht zu vermitteln. (Hübner, Grammes und Stork 2004: 238)
Auch die Geschichtsdidaktiker plädieren für mehr „Problemorientierung“ im Geschichtsunterricht. (Lamsfuß-Schenk 2000: 77) Bis heute gilt Geschichte als „Leitfach“ für bilingualen Unterricht. (Wildhage 2003: 77) Dabei bietet auch das Fach Politik aufgrund seiner Rahmenrichtlinien, Unterrichtsmethoden, Inhalte und Themen vielfältige Umsetzungsmöglichkeiten für bilingualen Unterricht.
Der wohl offensichtlichste Vorteil des Faches Politik ist die Tatsache, dass es keinen „enggefassten Inhaltskatalog“ (Wolff 2002a: 69) gibt, sondern die Lernziele anhand von vier Lernfeldern bzw. Kategorien abgeleitet werden: Gesellschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit, Nationale und Internationale Beziehungen. (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1994: 22-24) Diese Lernfelder sollen im bilingualen Unterricht mit Inhalten gefüllt werden, die sowohl im deutschen Kulturkreis als auch in dem des Ziellandes eine Rolle spielen. (Wolff 2002a: 69) So ergeben sich für den Lehrer zahlreiche Möglichkeiten, Unterrichtsthemen kontrastiv und „mehrperspektivisch“ zu behandeln, indem Probleme, Konflikte oder kulturelle Eigenheiten des Ziellandes in den Unterricht eingebunden werden, ohne dass die Perspektive des eigenen Landes außer Acht gelassen wird. (Wolff 2002a: 69) Ebenso können im Fach Politik die Lernenden in besonderem Maße in die Themenauswahl mit einbezogen werden. Bilingualer Politikunterricht bietet damit die Chance innerhalb der vorgegebenen Lernfelder lernerorientiert und lernerzentriert zu arbeiten, indem die Unterrichtsthemen und -methoden mit den Interessen, Bedürfnissen und Erfahrungen der Schüler abgestimmt werden. (Timm 2002: 12-13; Wolff 2002a: 69)
Als Beispiel für kontrastives und „mehrperspektivisches“ Lernen eignen sich soziale Fragen, die im Besonderen die Lebenswelt der Jugendlichen betreffen. Da dem Fach Politik im 10. Jahrgang auch eine tragende Rolle in Bezug auf Berufsvorbereitung zukommt, bieten sich im Themenbereich „Jugendliche in Europa“ Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitsplatzsuche an, um aufzuzeigen, wie Jugendliche in anderen Ländern mit entsprechenden Problemen und Anforderungen umgehen. (Niedersächsisches Kultusministerium 1997: 33; Christ 2004: 32) Der Vergleich verschiedener Standpunkte kann den Schülern somit nicht nur die eigene Situation bewusst machen sondern auch bei der Einordnung und Relativierung der eigenen Probleme innerhalb des europäischen Marktes helfen. Einerseits wird durch die verschiedenen Perspektiven und ein kontrastives Vorgehen die Sichtweise auf die Eigenarten des eigenen Kulturkreises „geschärft“ (Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 8), aber andererseits auch Einblicke in die Verhältnisse des Ziellandes geboten. (Kronenberg 1993: 123; Wildhage 2002: 5) Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass eine intensivere Beschäftigung mit englischsprachigen Beispielen nicht nur in Bezug auf die Erweiterung von Fremdsprachenkenntnissen sondern auch für eine Steigerung von Motivation förderlich ist. (Christ 1999: 8)
Im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Fächern ist Politik- und Geschichtsunterricht durch einen hohen Diskussionsanteil geprägt. Daher wird den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern des Öfteren vorgeworfen, die „Diskrepanz zwischen den kognitiven und fremdsprachlichen Möglichkeiten“ der Lernenden zu verstärken. (Wildhage 2002: 4) Sicherlich erfordert der an freiem Meinungsaustausch und Debatten orientierte Politikunterricht eine erhöhte Sprachkompetenz, um Inhalte und Überzeugungen entsprechend „rüberzubringen“. Schüler, die über diese nicht in entsprechendem Maße verfügen, könnten sich ausgeschlossen fühlen und als Folge davon entweder verstummen oder auf „Zwei-Wort-Sätze“ zurückgreifen. (Hübner, Grammes und Stork 2003: 240) Möglichkeiten diesem Problem durch gezielte Spracharbeit zu begegnen sollen in Kapitel 3 erläutert werden.
Auf die aus zusätzlicher Spracharbeit resultierende Gefahr, im bilingualen Politikunterricht sachfachliche Inhalte zugunsten fremdsprachlicher Förderung vernachlässigt werden könnten soll ebenfalls in Punkt 3 eingegangen werden. (Rautenhaus 2005: 113) Hier sei nur festgestellt, dass dieses Problem in allen bilingual unterrichteten Fächern besteht, Politikunterricht jedoch zahlreiche Mittel und Wege bietet, um diesen Schwierigkeiten entgegenzuarbeiten.
Bilingualer Politikunterricht eröffnet die Möglichkeit Schüler, insbesondere Schülerinnen, die in der Regel weniger Interesse an sozialen und politischen Themen mitbringen, durch die Verwendung der Fremdsprache zu motivieren. Zwar lässt sich diese Annahme nicht ausreichend empirisch belegen, jedoch gehen Hübner, Grammes und Stork davon aus, dass die Verwendung der englischen Sprache das Interesse und die Motivation für Politikunterricht fördern könnte. (Hübner, Grammes und Stork 2004: 241)
Bilingualer Politikunterricht bietet nicht nur ausreichend „Sprechanlässe“, sondern auch zahlreiche Gelegenheiten um Schüler außerhalb der Schule mit politischen und sozialen Problemfeldern oder historischpolitischen Ereignissen vertraut zu machen. (Rymarczyk 2003: 20) Exkursionen in das Zielland oder Museenbesuche, in denen beispielsweise über soziale Fragen wie Migration in Deutschland und Europa auch in englischer Sprache informiert wird sind nur einige Beispiele. (Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 9)
Bei näherer Betrachtung der jeweiligen Rahmenrichtlinien wird deutlich, dass sowohl der Englisch- als auch der Politikunterricht auf fremdsprachliche bzw. politische Handlungsfähigkeit abzielen. (Timm 1998: 8; Niedersächsisches Kultusministerium 1997: 34) Schüler sollen im Politikunterricht anhand der Bearbeitung von aktuellen oder exemplarischen Konflikten befähigt werden durch selbstständige Analysen zu einem eigenständigen, begründeten Urteil zu kommen. Dieses Motiv der Handlungsorientierung lässt sich auch im fremdsprachigen Politikunterricht umsetzen. Das Ziel der „gesellschaftlichen Partizipation“, sprich der Fähigkeit an öffentlichen Diskussionen und der „aktuellen politischen Publizistik“ teilnehmen zu können, kann durch das bilinguale Unterrichtskonzept erreicht werden. (Hübner, Grammes und Stork 2004: 238) So können zum Beispiel anhand des Themas „Demokratie - mitmachen oder zuschauen“ (Christ 2004: 33) Fragen bearbeitet werden, die sich mit der Wahlbeteiligung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern beschäftigen. Eine entsprechende Analyse kann nicht nur Aufschluss geben über die Gründe für Politikverdrossenheit, sondern auch Möglichkeiten aufzeigen, wie sich Jugendliche in Europa politisch engagieren können. Eine Gegenüberstellung der politischen Systeme innerhalb Europas, zum Beispiel anhand von Großbritannien und Deutschland, vermittelt nicht nur Kenntnisse über die Unterschiede der politischen Institutionen sondern führt auch zu einer Neubewertung politischer Regelungen und Gewohnheiten im eigenen Land. (Christ 2004: 33-34)
In keinem anderen Fach steht die Auseinandersetzung mit aktuellen Konflikten und Problemen so ausgeprägt im Vordergrund wie in Politik. Daher gelingt es dem bilingualen Politikunterricht auch die Authentizität zu vermitteln, die im Fremdsprachenunterricht zunehmend gefordert wird und im bilingualen Geschichtsunterricht zumeist schwieriger zu erreichen ist. (Wolff 2005a: 161-162) Diese Authentizität wird nicht zuletzt durch zeitgemäße Originalquellen erreicht. Die Verwendung englischsprachiger Zeitungsartikel im Unterricht, die sich auf aktuelle Themen beziehen, vermitteln Schülern nicht nur tagespolitisches Wissen sondern geben den Lernenden auch konkrete Anlässe, die in der Fremdsprache gelernten Arbeitsweisen und Fertigkeiten an authentischen Texten anzuwenden. (Lamsfuß-Schenk 2002: 87) So gelingt es, aktuelle Probleme wie zum Beispiel Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit in den Unterricht einzubinden und anhand von verschiedenen Zeitungstexten, Berichten oder sonstigen Quellen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ebenso eignet sich in diesem Zusammenhang das Thema „Migration in Europa“, welches sowohl historisch aber auch politisch bearbeitet werden kann. Die Kontrastierung von Sichtweisen verschiedener Kulturkreise vor dem historisch-politischen Hintergrund von Migration innerhalb Europas schafft nicht nur Verständnis für „die Anderen“ sondern auch Einsicht in die historisch-politischen Begebenheiten des eigenen Landes. Die geforderte Authentizität lässt sich auch durch den Einsatz von Sozialformen wie Rollenspiele und Projektarbeit realisieren. Diese sind auch im monolingualen Politikunterricht häufig verwendete Unterrichtsformen und lassen sich besonders bei aktuellen Themen und Konflikten einsetzen, dessen Bearbeitung auf Empathie und Verständnis abzielt. (Schmid-Schönbein, Goetz und Hoffknecht 1994: 8)
Da im Politikunterricht nicht ausschließlich die sozialen, politischen und gesellschaftlichen Fragen innerhalb Deutschlands behandelt werden sollen, sondern der „Prozess der europäischen Einigung“ und globale Ziele wie „Völkerverständigung“ und „interkulturelle Kompetenz“ zunehmend in den Vordergrund treten, werden auch an den Politikunterricht höhere Anforderungen gestellt. Gerade diese Lernziele können als Legitimation für bilingualen Politikunterricht fungieren. (Hübner, Grammes und Stork 2004: 237) Um Schüler zu „Mittlern zwischen den Kulturen“ zu machen und Toleranz zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft zu erreichen, ist „interkulturelle Kompetenz“ ein grundsätzliches Ziel von bilingualem Unterricht. (Christ 1999: 1; Schmid-Schönbein 1994: 8; Wildhage 2002:5) Inwiefern Politikunterricht einen Beitrag zu interkulturellem Lernen leisten kann soll in Punkt 4 dieser Arbeit ausführlich besprochen werden.
2.4 Fazit
Die Diskussion der Vor- und Nachteile von Politik als bilingual unterrichtetes Sachfach hat gezeigt, dass sich das Fach Politik aus einer Reihe von Gründen für bilingualen Unterricht eignet. Politikunterricht kann bedingt durch relativ offene curriculare Vorgaben mehr als andere Fächer zielsprachige Themen und Konflikte in den bilingualen Unterricht einbauen. (Wolff 2002a: 69)
Durch handlungsorientierte Methoden, Projektarbeit und offene Unterrichtsformen lässt sich Politikunterricht auch in der englischen Sprache besonders abwechslungsreich und vor allem lernerorientiert gestalten. Ebenso vielfältig sind die Möglichkeiten für interkulturelles Lernen im bilingualen Politikunterricht. Zeitgemäße Unterrichtsmaterialien und aktuelle Themen beinhalten ein besonderes Potential an Authentizität, das weit über landeskundliche Themen im traditionellen Fremdsprachenunterricht hinausgeht.
3. Integratives Inhalts- und Sprachlernen im bilingualen Politikunterricht
Bilingualer Politikunterricht sieht sich wie auch andere fremdsprachig unterrichtete Sachfächer mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert: er muss die Ansprüche der Lernziele und Lerninhalte des Sachfaches erfüllen, das Lernen der Fremdsprache fördern, interkulturelles Lernen unterstützen, Themen und Inhalte so authentisch wie möglich vermitteln, schüler- und handlungsorientiert sein, zahlreiche Methoden und Arbeitstechniken integrieren, aber die Schüler trotz all dieser Ambitionen nicht überfordern. (Lummel 2004: 85-86) Nur unter Berücksichtigung all dieser Aspekte und Forderungen, ist es möglich, gleichzeitig eine hohe Kompetenz im Sachfach und in der Fremdsprache zu erlangen. (Wolff 2002a: 72)
[...]
[1] Die Begriffe „Schüler“ und „Lehrer“ beziehen sich in der gesamten Arbeit auf männliche und weibliche Personen.
[2] Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in der gesamten Arbeit der Begriff „bilingualer Unterricht“ verwendet.
[3] Gieseckes „Konfliktdidaktik“ von 1974 ist auch heute noch für den Politikunterricht von Bedeutung. Sein Modell, das vom Grundgesetz abgeleitet ist, soll die Schüler zur politischen Mitbestimmung anregen und stellt diejenigen Fähigkeiten in den Vordergrund, über die ein mündiger Bürger als Grundeinsichten verfügen muss, um mittelbar wie auch unmittelbar an der Demokratie in Deutschland mitwirken und mitgestalten zu können. Giesecke nennt in seinem Ansatz keine konkreten Handlungsanweisungen, um Konfliktsituationen im Politikunterricht zu lösen. Er stellt heraus, dass sein didaktisches Konzept stets Planspielcharakter hat und es nicht um konkrete politische Situationen geht.
- Arbeit zitieren
- Alke Eilers (Autor:in), 2006, Bilingualer Unterricht. Politikunterricht auf Englisch. Möglichkeiten und Grenzen eines Modulansatzes, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/57707