Die bis heute anhaltende Aktualität und Brisanz des Stückes ist zum einen in der provozierenden Wirkung des dramatischen Schlusses, der noch immer kontroverse Diskussionen hervorruft, begründet, zum anderen in der Bedeutsamkeit der tragischen Konflikte, in denen sich die Figuren befinden. Lessing greift mit ‚Emilia Galotti’ die literarisch oft bearbeitete Legende der Virginia auf, wie sie bei Titus Livius in seinem Geschichtswerk „Ab urbe condita“ und später bei Dionysios von Halikarnaß zu finden ist.2 Lessing verändert die beiden Vorlagen jedoch insoweit, dass er die politische Thematik, die in der Virginia-Legende eine tragende Rolle spielt, bei ‚Emilia Galotti’ in den Hintergrund stellt und sich vielmehr auf die Psychologie der Figuren konzentriert. Er habe „geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werter ist, als ihr Leben, für sich schon tragisch genug, und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen Staatsverfassung darauf folgte.“3 Lessings Hauptinteresse gilt also weniger der politischen Dimension, sondern vielmehr den Konflikten der einzelnen Individuen, durch deren Betrachtung er sich bei den Rezipienten eine moralische Reflexion und Beeinflussung erhofft. Das wichtigste Hilfsmittel zu dieser moralischen Belehrung stellt für Lessing das Mitleid dar, wobei er dieses als eine Form des Mit-Leidens versteht, die seiner Meinung nach die höchste aller Tugenden darstellt.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich infolgedessen mit Lessings Mitleidskonzeption im Hinblick auf ‚Emilia Galotti’. Neben einer knappen Darstellung dieser Konzeption steht vor allem deren Ausführung in Lessings Stück anhand einer textimmanten Analyse der einzelnen Figuren im Vordergrund der Hausarbeit. Da es sich bei Lessings Mitleidskonzeption jedoch um ein sehr komplexes und noch immer viel diskutiertes Gebiet handelt, werde ich mich bei meinen Ausführungen auf diejenigen Aspekte konzentrieren, die für das nähere Verständnis der Handlung und der Figuren von Bedeutung sind.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Lessings Mitleidskonzeption
- 3. Lessings Mitleidskonzeption in ‘Emilia Galotti’
- 3.1 Emilia Galotti
- 3.2 Odoardo Galotti
- 3.3 Graf Appiani
- 3.4 Prinz Hettore
- 3.5 Gräfin Orsina
- 4. Abschließende Bemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht Lessings Mitleidskonzeption und deren Anwendung in "Emilia Galotti". Ziel ist es, die moralische und erzieherische Absicht Lessings im Drama aufzuzeigen und zu analysieren, wie er durch die Erzeugung von Mitleid beim Zuschauer eine kathartische Wirkung erzielt. Dies geschieht anhand einer Figuren- und Handlungsanalyse.
- Lessings Mitleidskonzeption und ihre philosophischen Grundlagen
- Die Rolle des Mitleids in der moralischen Erziehung des Zuschauers
- Analyse der Figuren in "Emilia Galotti" im Hinblick auf ihre Fähigkeit, Mitleid zu erzeugen
- Die Verbindung zwischen Mitleid, Katharsis und moralischer Besserung
- Der Vergleich mit der aristotelischen Tragödientheorie
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die anhaltende Relevanz von Lessings "Emilia Galotti". Sie hebt die Aktualität des dramatischen Schlusses und die Bedeutung der tragischen Konflikte hervor. Die Arbeit konzentriert sich auf Lessings Mitleidskonzeption als zentrales Element der moralischen Wirkung des Dramas und kündigt eine textimmanente Analyse der Figuren an. Der Fokus liegt auf den Aspekten der Mitleidskonzeption, die für das Verständnis der Handlung und Figuren relevant sind.
2. Lessings Mitleidskonzeption: Dieses Kapitel beschreibt Lessings Verständnis von Mitleid als zentrale Komponente seiner Dramaturgie. Lessing strebte mit seinen Dramen nicht nur Unterhaltung an, sondern auch eine moralische Beeinflussung des Publikums. Mitleid, für Lessing gleichbedeutend mit Tugendhaftigkeit, sollte den Zuschauer zu moralischer Besserung führen. Das Kapitel beleuchtet Lessings Bezug zur aristotelischen Tragödientheorie, insbesondere die Katharsis, und seine Auseinandersetzung mit der Interpretation von "Phobos" und "Eleos". Es wird deutlich, dass Lessing die moralische Erziehung durch Mitleid als Hauptaufgabe der Tragödie sah, im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, die die Erregung der Leidenschaften priorisierten.
Häufig gestellte Fragen zu "Lessings Mitleidskonzeption in Emilia Galotti"
Was ist der Inhalt dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Lessings Mitleidskonzeption und deren Anwendung in seinem Drama "Emilia Galotti". Sie untersucht die moralische und erzieherische Absicht Lessings und wie er durch Mitleid beim Zuschauer eine kathartische Wirkung erzielt. Die Analyse basiert auf einer Figuren- und Handlungsanalyse des Dramas.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: Lessings Mitleidskonzeption und ihre philosophischen Grundlagen; die Rolle des Mitleids in der moralischen Erziehung des Zuschauers; eine Analyse der Figuren in "Emilia Galotti" im Hinblick auf ihre Fähigkeit, Mitleid zu erzeugen; die Verbindung zwischen Mitleid, Katharsis und moralischer Besserung; und einen Vergleich mit der aristotelischen Tragödientheorie.
Welche Kapitel enthält die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in folgende Kapitel: 1. Einleitung; 2. Lessings Mitleidskonzeption; 3. Lessings Mitleidskonzeption in ‘Emilia Galotti’ (mit Unterkapiteln zu den einzelnen Figuren: Emilia Galotti, Odoardo Galotti, Graf Appiani, Prinz Hettore, Gräfin Orsina); 4. Abschließende Bemerkungen.
Was wird in der Einleitung behandelt?
Die Einleitung führt in die Thematik ein, erläutert die anhaltende Relevanz von Lessings "Emilia Galotti", hebt die Aktualität des dramatischen Schlusses und die Bedeutung der tragischen Konflikte hervor. Sie konzentriert sich auf Lessings Mitleidskonzeption als zentrales Element der moralischen Wirkung und kündigt eine textimmanente Figuren-Analyse an. Der Fokus liegt auf den Aspekten der Mitleidskonzeption, die für das Verständnis der Handlung und Figuren relevant sind.
Wie beschreibt die Arbeit Lessings Mitleidskonzeption?
Kapitel 2 beschreibt Lessings Verständnis von Mitleid als zentrale Komponente seiner Dramaturgie. Lessing strebte mit seinen Dramen nicht nur Unterhaltung, sondern auch eine moralische Beeinflussung des Publikums an. Mitleid, für Lessing gleichbedeutend mit Tugendhaftigkeit, sollte den Zuschauer zu moralischer Besserung führen. Das Kapitel beleuchtet Lessings Bezug zur aristotelischen Tragödientheorie (insbesondere die Katharsis) und seine Auseinandersetzung mit "Phobos" und "Eleos". Lessing sah die moralische Erziehung durch Mitleid als Hauptaufgabe der Tragödie.
Wie wird Lessings Mitleidskonzeption in "Emilia Galotti" analysiert?
Kapitel 3 analysiert die Anwendung von Lessings Mitleidskonzeption in "Emilia Galotti". Es untersucht die einzelnen Figuren (Emilia Galotti, Odoardo Galotti, Graf Appiani, Prinz Hettore, Gräfin Orsina) im Hinblick auf ihre Fähigkeit, Mitleid beim Zuschauer zu erzeugen, und wie dies zur moralischen Wirkung des Dramas beiträgt.
- Arbeit zitieren
- Jana Marquardt (Autor:in), 2005, Die Dramaturgie des Mitleids in Lessings 'Emilia Galotti', München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/57159