In den letzten zwanzig Jahren sind vermehrt Spezialeinrichtungen zur Behandlung von Angststörungen entstanden. Selbsthilfegruppen für Betroffene schossen aus dem Boden. Angst ist eine der am häufigsten auftretenden Emotion auf der Welt, so verwundert es nicht, dass sie in unserer Gesellschaft weit verbreitet und vielfach unter-sucht worden ist. Vor allem in den letzten Jahren rückte das Thema Angst verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit. Oft wird mittlerweile auch von einer „Angstgesellschaft“ gesprochen, in der soziale, politische aber auch existentielle Ängste zunehmen. Ausgehend davon ist das Phänomen der Angst egal in welchen Berufsgruppen ein brandaktuelles Thema.
Der Angstbegriff, der dieser Arbeit zu Grunde liegt, stützt sich auf die Angstdefinition von Hackford/ Schwenkmezger (1985):
„Angst ist eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungsprozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken anzuführen…. Emotionales Merkmal ist die als unangenehm erlebte Erregung, die sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltensänderungen einhergehen kann.“
Verschiedene psychologische Richtungen (die Psychoanalyse von Freud (1895), die Lernpsychologie durch Mowrer (1939) und Miller (1948) und die kognitive Psychologie durch Epstein (1972) und Bandura (1979)) haben sich bemüht, das Phänomen Angst näher zu bestimmen. Sie dienen als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen, werden jedoch an dieser Stelle nicht weiter diskutiert.
Die vorliegende Arbeit setzt sich vordergründig mit den Ängsten von Referendaren auseinander. Dabei stützt sich die Arbeit im theoretischen Teil hauptsächlich auf Untersuchungen und Ergebnisse der Lehrerforschung und der empirische Teil wird vornehmlich von der Gruppe der Referendare bestimmt. Weiterhin soll die Arbeit einen Einblick in den bisherigen Forschungsstand geben und einen ergänzenden Beitrag zur Untersuchung von Ängsten bei Lehrern und Referendaren leisten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Themenbegründung
1.2 Einordnung des Themas in den wissenschaftlichen Forschungsstand
1.3 Fragestellungen
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Bedingungen für die Entstehung von Lehrerangst
2.1.1 Formen der Lehrerangst
2.1.2 Ursachen und Gründe der Lehrerangst
2.1.3 Auswirkungen und Bewältigungsmöglichkeiten der Lehrerangst
2.1.4 Lehrerrollen und Rollenkonflikte
2.1.5 Anforderungsstrukturen
2.2 Ängste von Referendaren – Der Praxisschock
2.3 Kritik an der Lehrerausbildung
3 Empirische Untersuchung
3.1 Zielstellungen
3.2 Methodisches Vorgehen
3.3 Stichprobe
3.4 Datenerhebung und -verarbeitung
3.4.1 Auswertung der Interviews
3.4.2 Ergebnisse und Interpretation der Interviews
4 Diskussion der Methode
4.1 Aspekte der Auswahl der zu Befragenden
4.2 Aspekte der Datenerhebung und -verarbeitung
5 Zusammenfassung und Konsequenzen
6 Abbildungsverzeichnis
7 Anhang
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Angst zu haben ist ein Urzustand des Menschen und ist verankert in seinen Grundbefindlichkeiten wie Hunger und Durst. „Angst haben ist einfach menschlich“[1] schreibt Brück (1980) und Klußmann (2002) sagt, „Angst gehört ebenso zum Leben wie Schmerz … Lebens- und Weltangst gehören zur Basis des Menschseins überhaupt.“[2] Schon in der Bibel steht geschrieben (Joh.16, 33), „In der Welt habt ihr Angst“[3].
In den letzten zwanzig Jahren sind vermehrt Spezialeinrichtungen zur Behandlung von Angststörungen entstanden. Selbsthilfegruppen für Betroffene schossen aus dem Boden. Angst ist eine der am häufigsten auftretenden Emotion auf der Welt, so verwundert es nicht, dass sie in unserer Gesellschaft weit verbreitet und vielfach untersucht worden ist. Vor allem in den letzten Jahren rückte das Thema Angst verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit. Oft wird mittlerweile auch von einer „Angstgesellschaft“[4] gesprochen, in der soziale, politische aber auch existentielle Ängste zunehmen. Ausgehend davon ist das Phänomen der Angst egal in welchen Berufsgruppen ein brandaktuelles Thema.
Der Angstbegriff, der dieser Arbeit zu Grunde liegt, stützt sich auf die Angstdefinition von Hackford/ Schwenkmezger (1985):
„Angst ist eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungsprozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken anzuführen…. Emotionales Merkmal ist die als unangenehm erlebte Erregung, die sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltensänderungen einhergehen kann.“[5]
Verschiedene psychologische Richtungen (die Psychoanalyse von Freud (1895), die Lernpsychologie durch Mowrer (1939) und Miller (1948) und die kognitive Psychologie durch Epstein (1972) und Bandura(1979))[6] haben sich bemüht, das Phänomen Angst näher zu bestimmen. Sie dienen als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen, werden jedoch an dieser Stelle nicht weiter diskutiert. Für die nachfolgenden Darstellungen ist es wichtig weitere theoretische Ausgangspunkte festzulegen. Angst wird in der Arbeit nicht als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal (A-trait) untersucht, sondern als kurzfristiger emotionaler Zustand (A-state).[7] Somit ist Angst auch von der Ängstlichkeit abzugrenzen, welche als eine eher überdauernde Eigenschaft des Menschen angesehen wird. Eng mit dem Thema Angst, sind unter anderem auch die Stressbewältigung und der Umgang mit Belastungen verbunden. Die Begriffe Stress und (Über-)Belastung werden deswegen an gegebener Stelle wiederzufinden sein (siehe dazu Rudow (1995), Dick (1999), Schaarschmidt (1999), Krause (2003)). Allgemeine Überlegungen zum Konstrukt der Angst soll die Arbeit nicht liefern, dafür gibt es in der psychologischen Literatur genügend Beiträge (vgl. Katzenstein/ Sitte (1989), Krohne (1975), (1976), (1985), (1996), Levitt (1987), Schwarzer (1987), Lazarus-Mainka/ Siebeneik (2000), Rachmann (2000), etc.).
Die vorliegende Arbeit setzt sich vordergründig mit den Ängsten von Referendaren[8] auseinander. Dabei stützt sich die Arbeit im theoretischen Teil hauptsächlich auf Untersuchungen und Ergebnisse der Lehrerforschung und der empirische Teil wird vornehmlich von der Gruppe der Referendare bestimmt. Weiterhin soll die Arbeit einen Einblick in den bisherigen Forschungsstand geben und einen ergänzenden Beitrag zur Untersuchung von Ängsten bei Lehrern und Referendaren leisten.
Im ersten Kapitel der Arbeit erfolgt eine Einordnung des Themas in den aktuellen Forschungsstand. Dabei wird ein Überblick über die Richtungen aber auch die Defizite der bisherigen Untersuchungen und Beiträge zu diesem Thema geliefert. Im Zuge dessen werden verschiedene Arbeiten kurz vorgestellt und diskutiert. Anschließend werden die der Arbeit zugrunde liegenden Fragestellungen formuliert. Die konkreten Fragen sollen verdeutlichen, welches Ziel die Arbeit anstrebt und was im Einzelnen untersucht wird.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich im Speziellen mit der Lehrer- und Referendarsangst. Dabei soll zu Beginn auf die Bedingungen für die Entstehung der Lehrerangst, nachfolgend auf ihre Formen, sowie Ursachen, Auswirkungen und Bewältigungsmöglichkeiten eingegangen werden. Im Anschluss daran beschäftigt sich die Arbeit mit den diversen Rollenanforderungen und Rollenkonflikten im Lehrerberuf. Danach erfolgt eine Analyse der Anforderungsstrukturen des Lehrerberufs. Der zweite Teil dieses Kapitels setzt sich konkret mit den Ängsten von Referendaren auseinander, wobei hier das Phänomen des Praxisschocks herangezogen werden soll. Auch der Bereich der Lehrerausbildung wird im Zuge der Untersuchung der Referendarsangst diskutiert.
Im dritten Kapitel werden die empirische Untersuchung sowie die einzelnen Phasen der Untersuchungsprozedur vorgestellt. Hierbei wird näher auf das methodische Vorgehen, die Auswahl der Stichprobe und die Untersuchungsprozedur eingegangen. Außerdem werden Datenerhebungsinstrumente, Auswertungs- und Analysemethoden dargestellt und näher erklärt. Im Anschluss daran werden die gewonnenen Daten, sowie angefertigte Auswertung und Analyse des Datenmaterials präsentiert.
Das vierte Kapitel beinhaltet eine Methodendiskussion wobei auf Kriterien der Stichprobe und auf den Prozess der Datengewinnung eingegangen wird. Die kritische Auseinandersetzung mit der angewandten empirischen Methode und eine anschließende Reflexion sind Bestandteil dieses Kapitels.
Das fünfte Kapitel liefert abschließend eine Zusammenfassung der Arbeit und gibt einen Ausblick in mögliche fortzuführende Forschungen. Außerdem wird auf die Konsequenzen der Ergebnisse für die Referendare, sowie für die Lehrerausbildung eingegangen.
Im sechsten und siebten Kapitel befinden sich das Abbildungsverzeichnis und der Anhang. Letzterer wird auf Grund seines Umfangs in einem extra Band zusammengefasst. Dieser beinhaltet die Protokolle, den Interviewleitfaden, die Transkriptionen der Interviews, die Interviewprotokolle sowie Bestandteile der Datenverarbeitung.
Das achte Kapitel beinhaltet das Literaturverzeichnis, in dem alle verwendeten Quellen der Arbeit aufgelistet sind.
1.1 Themenbegründung
Der Anlass das Thema „Ängste von Referendaren im schulischen Kontext“ in meiner Examensarbeit näher zu untersuchen ist zum einen in Gesprächen mit Kommilitonen zu suchen, die Ängste vor der bevorstehenden Referendarzeit geäußert hatten. Zum anderen waren, von befreundeten Referendaren und Lehrern immer wieder Ängste während der beruflichen Tätigkeit erwähnt wurden. Die meisten wiesen auf ganz unterschiedliche Ängste hin, die sie in der Schule und dann auch außerhalb in ihrem Alltag begleiteten. Ein Großteil der Kommilitonen und Referendare sah sich mit seinen Ängsten allein den Schulalltag bewältigen und fühlte sich oft von Lehrerkollegen oder Seminarleitern wenig unterstützt und verstanden. Des Weiteren ist die öffentliche Beschäftigung mit dem Lehrerberuf vermehrt in die Medien gerückt, so dass man unweigerlich damit konfrontiert wird. In den Zeitungen las man vor einigen Jahren Meldungen wie „Horrorjob Lehrer“[9] oder „Krankmacher Schule“[10]. Aber auch im einundzwanzigsten Jahrhundert kann man Schlagzeilen lesen, wie „Klassenkrampf. Warum Lehrer und Schüler versagen“[11], „Horrortrip Schule“[12] oder „Deutsche Lehrer sind reif für die Klinik“[13]. Diese beiden Aspekte und die Tatsache, dass auch ich als Referendar vor einer Klasse stehen werde, haben mich dazu bewegt dieses Thema näher zu erforschen. Weiterhin findet man neben diesen Medienberichten auch immer wieder besorgniserregende Krankheitszahlen oder Statistiken über Lehrer, die vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen, andererseits aber nur wenige empirische Untersuchungen über die Ursachen. Deshalb ist es für mich wichtig, speziell für das Thema „Ängste bei Referendaren“ konkrete Ursachen herauszufinden und zu untersuchen in welchem Zusammenhang diese mit dem System Schule und der universitären Ausbildung stehen könnten.
1.2 Einordnung des Themas in den wissenschaftlichen Forschungsstand
„In der Schule Angst zu haben ist nicht nur Schülersache.“[14] Diese Tatsache, dass auch Lehrer Ängste verspüren, ist erst in den letzten dreißig Jahren verstärkt untersucht worden. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet war Weidenmann (1978), der versuchte, die Ängste des Lehrers auf Grund seiner Tätigkeiten in der Schule zu untersuchen. Dabei fand er heraus, dass die Tätigkeitsbereiche Qualifikation und Selektion nicht mit denen der Integration und dem Aufbauen von Kontakt zu vereinbaren sind. Daraus schloss er, dass die Anforderungsstrukturen, mit denen sich der Lehrer in der Schule identifizieren muss, nicht zueinander passen und somit immer in einem Spannungsverhältnis stehen. Diese Diskrepanz sieht er als eine Hauptursache für Lehrerängste. „Die Emotionalität des Lehrers ist [in den siebziger Jahren] ein Stiefkind der Pädagogischen Psychologie, zumindest im deutschen Sprachraum. Während in den letzten Jahren die Beschäftigung mit der Schülerangst einen Boom in den öffentlichen Medien wie in der Forschung erlebt, führt der ängstliche Lehrer wissenschaftlich ein Schattendasein.“[15] Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist das Thema „Lehrerangst“, „Lehrergesundheit“, „Lehrerbelastung“ schon längst in schulische und pädagogische Forschung integriert. Hier wurde bereits in den fünfziger und sechziger Jahren begonnen nach Phänomenen, Ursachen und Auswirkungen zu forschen (z.B. bei Hicks (1934[16] ), Gabriel (1957), Basowitz (1955)). Jedoch lassen sich die englischsprachigen Arbeiten (wie z.B. auch Bentz (1971), Coates (1974), Delp (1963), Dropkin (1963), Fuller (1969)) kaum auf deutsche Verhältnisse übertragen. Dafür sind das Schulsystem und die Lehrerausbildung in der BRD und zum Beispiel den USA zu verschieden.
Kaum einer hielt es damals in Deutschland für möglich, dass auch Lehrer, die als „Personifikation der Institution Schule“[17] gelten, Ängste haben könnten. Denn ein Erwachsener, der in unserer Gesellschaft „stark“ zu sein hat, darf seine Ängste nicht ohne weiteres in der Öffentlichkeit zeigen. Ein Lehrer, der Ängste zugibt, „muss den Vorwurf befürchten, im Beruf nicht ‚seinen Mann zu stehen’.“[18] Auch Raether (1982) unterstreicht diese Tendenz, indem er in seinem Buch „Das unbekannte Phänomen der Lehrerangst“ sagt, „Es scheint, als ob die Behauptung, Lehrer hätten Ängste, etwas Ehrenrühriges an sich hätte. Lehrer haben in den Augen der Öffentlichkeit, besonders im Hinblick auf die vielfältigen Aufgaben, die ihnen in Erziehung und Unterricht zugemutet werden, einfach stark, tüchtig, erfolgreich, beherrscht, sicher und überlegen zu sein. Wer zugibt, dass er diese Sicherheit nicht hat, disqualifiziert sich sozusagen selber. Er wird unglaubwürdig und gesteht ein, dass er eigentlich gar nicht für seinen Beruf geeignet ist.“[19] Dabei sind Lehrer auch nur Menschen, und Ängste genau wie andere Emotionen gehören zu ihrem Leben und ihrem Beruf, wie in jeder anderen Berufsgruppe. Auch in der Forschung schlug sich diese Tendenz nieder. So argumentiert Weidenmann, dass es „Zur Lehrerangst-Forschung [im deutschen Sprachraum m. W. bis heute keine Publikationen gibt]. Das ist angesichts der Vielzahl von Titeln zu Schülerängsten eine erstaunliche Tatsache“[20], wahrscheinlich auch deshalb, weil sich über Schülerängste leichter reden lässt, da Kinder und Jugendliche ohnehin als „schwach“ gelten.
Einen Boom in der Forschung erlebte in den letzten Jahren jedoch ein anderes Thema als die Lehrerangst, nämlich das des Burn-out im Lehrerberuf. Dieser Begriff, der eher der Medizin und der Psychologie vorbehalten war, wurde jetzt verstärkt mit Belastungen und Überanstrengungen der Lehrer in Verbindung gebracht. Verschiedene Arbeiten (z.B. Barth (1992), Kramis-Aebischer (1995), Knauder (1996)) untersuchten die Belastungen von Lehrern im Schulalltag, deren Krankheitsbilder sowie angebotene Therapiemöglichkeiten für überforderte Lehrer. Begriffe wie Stress, Überbelastung, Ausgebrannt sein wurden hier oft als Synonyme verwendet. Nur wenige Autoren widmeten sich dabei den Ängsten des Lehrers. Die aktuellste Studie dazu lässt sich bei Hagemann (2003) finden, welcher von vermehrt auftretenden Beziehungsängsten als Ursache für Burn-out spricht. Dabei untersucht er auch die Auswirkungen, die bestimmte Ängste auf bereits bestehende äußere und innere Konflikte haben können.
In den siebziger Jahren, in denen auch Weidenmann das Thema Lehrerangst untersuchte, wurde das Bewußtsein für das Vorhandensein von Lehrerängsten durch vereinzelte Beiträge (z.B. Ipfling (1974), Schmidbauer (1977), Brück (1978), Winkel (1979), Weidenmann (1978)) geschärft. Leider stützte sich kaum einer dieser Beiträge auf empirische Untersuchungen.[21] Erst in den achtziger Jahren begannen Wissenschaftler dieses Thema auch empirisch zu erforschen (z.B. Fartacek et al. (1987)). So wurde eine Studie von dem Psychologen und dem Arbeitswissenschaftler Saupe und Möller (1981)[22] auf einem von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veranstalteten Kongress in Berlin vorgestellt. Dabei wurden 405 Lehrer mittels Fragebogen untersucht. Das Fazit hieß: Die Schule macht auch Lehrer krank. In dieser Studie konnte deutlich aufgezeigt werden, worunter viele Pädagogen leiden:
„Unter der psychischen Anspannung die der Rollenkonflikt zwischen dem Unterrichtsbeamten und dem Erzieher erzeugt; unter dem Gefühl, stark überfordert zu sein; unter Versagensängsten den eigenen Ansprüchen gegenüber; unter Schuldgefühlen gegenüber den Schülern; unter körperlicher Erschöpfung und unter Depressionen. (…) Interessant und beunruhigend ist auch die Tatsache, dass vor allem Berufsanfänger unter 30 Jahren stark unter den Belastungen leiden“.[23]
Jüngste Untersuchungen arbeiten fast durchgängig mit empirischen Belegen (z.B. Seidel/ Jehle (1994) und (1998); Klausberger (1997); Katschnig (1998)), die mittlerweile auch Beachtung in der Diskussion um die Lehrerausbildung und in vielen Studien zur Lehrergesundheit und frühzeitigen Pensionierung finden. In den meisten Arbeiten, auch aus den 80er Jahren, lässt sich jedoch feststellen, dass die Ansätze zur Untersuchung der Ursachen von Lehrerängsten eher episodisch angelegt sind.
So beschäftigen sich Jendrowiak und Kreuzer (1980) vor allem mit Widersprüchlichkeiten im Auftrag, Anspruch und der Qualifikation des Lehrers. Weidenmann (1978) begrenzte seine Untersuchungen auf die vier Tätigkeitsbereiche des Lehrers und dessen Interaktionen mit den Schülern, ließ aber Eltern und Kollegen außen vor. Brück (1978) behandelte unbewusste Konflikte des Lehrers im Zusammenhang mit seinen Ängsten. Raether (1982) hingegen bezieht den gesamten Handlungsspielraum des Lehrers mit ein und berücksichtigt sogar außerschulische Ursachen für Lehrerängste. Seidel und Jehle (1998) haben in ihrer Fragebogenuntersuchung von Lehrkräften und Studierenden des Lehramts versucht den vielfältigen Ursachen näher auf den Grund zu gehen und konnten dabei die verschiedensten Angstursachen auf vier Kernursachen reduzieren (vgl. Kap.2.1, S.21). Ipfling (1974) fasste verschiedene Aspekte von Verunsicherungen im Lehrerdasein zusammen (Tagung der Berufswissenschaftlichen Hauptstelle (BHSt) des Bayrischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) 1973).[24] Hierbei wurden Thematiken im Bereich der Rollenkonflikte, der Struktur der Schule, der pädagogischen Theorie versus Praxis und der verstärkten Transparenz des schulischen Geschehens behandelt.
Bei allen genannten Studien ist auffällig, dass hauptsächlich Lehrer mit längerer Berufserfahrung untersucht wurden. Das Thema „Ängste bei Referendaren oder Berufsanfängern“ wurde Mitte der 70er Jahre im deutschsprachigen Raum von wenigen Wissenschaftlern erforscht. In einigen Studien aus den siebziger Jahren (z.B. Aumeister (1976); Müller-Fohrbrodt/ Cloetta (1978), Hinsch (1979)) und in neueren Arbeiten (z.B. Drews (2002)) aber vor allem auch in wissenschaftlichen Zeitschriften (z.B.: Pädagogik (1992), (1998), (2002), Neue Deutsche Schule (2003)) sind die Probleme, Sorgen und Ängste von Referendaren und Berufsanfängern immer wieder ein viel diskutiertes Thema. Dies zeigt, dass man sich der Problematik durchaus bewusst ist, jedoch fehlen immer noch konkrete Maßnahmen zur Angstreduzierung. Womöglich werden sie bei Referendaren und jungen Lehrern eher hingenommen als bei Lehrern, die schon länger im Berufsleben stehen.
Die Arbeitsgruppe Aumeister (1976) hat zum Beispiel einen ausführlichen Erfahrungsbericht von Referendaren, mit dem Zweck der Hilfestellung und Unterstützung für zukünftige Referendare und Studierende des Lehramts zusammengestellt. Darin wurde jedoch relativ einseitig der universitären Ausbildung die Schuld für die aufkommenden Ängste in den ersten Schulwochen und –monaten gegeben. Drews (2002) hingegen bearbeitet das Thema „Lust und Frust junger Lehrer“ aus verschiedenen Perspektiven, aber vor allem aus der Perspektive der Frustration. Das konkrete Phänomen der Angst tangiert sie dabei nur flüchtig. Müller-Fohrbrodt/ Cloetta (1978) untersuchten Ende der siebziger Jahre vor allem die Diskrepanz zwischen Lehrerausbildung und Schulwirklichkeit und prägte dabei den Bergriff des „Praxisschocks“, der auch von späteren Autoren aufgegriffen wurde. Hinsch (1979) untersuchte, ob sich bei Hamburger Referendaren zu Beginn der Lehrertätigkeit, also mit dem Eintritt in das Referendariat eine „Einstellungsrevision“[25] beobachten lässt. Hinzuzufügen wäre noch, dass in der Hamburger Lehrerausbildung damals, anders als traditionell üblich, ein allmählicherer Übergang von der Universität in die Berufspraxis stattfand. Aus diesem Grund wurde auch ein geringerer Einstellungswandel unter den Junglehrern verzeichnet. Stattgefundene Einstellungsänderungen zeichneten sich in einer eher konservativen Richtung ab. Dieser Einstellungswandel war bei den Referendaren die neben dem Lehrerstudium noch ein anderes Fach studiert hatten geringer als bei denen die ausschließlich ein Lehrerstudium absolvierten. Die Längsschnittuntersuchung fand im Rahmen einer Dissertation statt und wurde mittels Fragebogen und Kontrollgruppe durchgeführt. Neben den Erkenntnissen zum Einstellungswandel war es unter anderem auch ein Ziel, Hinweise für eine Veränderung der Lehrerausbildung zu gewinnen.
Der Lehrerberuf ist wie kein anderer Berufsstand häufig Gegenstand des öffentlichen Interesses. Das Thema Angst allgemein und im speziellen „Lehrerangst“ ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema, nicht nur in den Schulen sondern auch im öffentlichen Leben. „Verpönt ist, was einer hat, wenn er es eigentlich nicht haben darf: die Angst des Lehrers vor seinem Schüler. Verpöntes – wenn es dennoch benannt wird – pflegt man abzumildern: man relativiert es und weist auf seine Landläufigkeit hin.“[26] Auch wird dieses Thema kaum unter Lehrern selbst besprochen. Die meisten meinen entweder, sie seien mit der Problematik allein oder bräuchten keine Hilfe. Ein Großteil der Lehrer jedoch weiß einfach nicht, an wen sie sich mit ihren Ängsten wenden können. Diese Tabuisierung ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Gründe warum es in der bisherigen Literatur nur wenige und isolierte empirische Belege gibt und selbst Lehrer über dieses Thema nur aus persönlichen Erfahrungen wissen.
Beitrag dieser Arbeit zu dem Thema Ängste bei Referendaren
Diese Examensarbeit soll an die verschiedenen, schon dargelegten Aspekte anknüpfen und darüber hinaus durch Interviews einen authentischen Einblick in Phänomene, Ursachen, Auswirkungen und Bewältigungsmöglichkeiten von Referendarsängsten geben. Dabei möchte ich nicht behaupten, alle Gesichtspunkte dieses komplexen Themas anzusprechen. Trotzdem soll die Arbeit anhand der Interviews und der darin widergespiegelten persönlichen Erfahrungen der Referendare einen erweiterten Einblick in die Thematik geben. Wie ich bereits weiter oben erwähnt habe, gibt es vereinzelte Arbeiten zu diesem Thema, welche diverse Aspekte aus diesem umfassenden Gebiet betrachten. An manchen Stellen mangelt es an Evaluationen zu Lösungskonzepten bzw. Bewältigungsverfahren für anfängliche Ängste und Probleme in der Phase des Berufseinstiegs. Es werden in verschiedenen Beiträgen zwar Lösungen vorgeschlagen und reichlich Tipps und Hinweise gegeben, jedoch kommt nirgendwo zum Ausdruck welche Verfahren tatsächlich von den betroffenen Referendaren angewandt werden und ob somit diese Hinweise nützlich sind. Diesen Aspekt möchte ich mit meiner Arbeit ergänzen und mittels der Interviews einen Einblick in die angewandten Bewältigungskonzepte von Referendaren geben.
1.3 Fragestellungen
Aus den vorhergehenden Aussagen über den aktuellen Forschungsstand und den eigenen Überlegungen zu diesem Thema leiten sich folgende Fragestellungen für die Untersuchung ab:
1 Theoretische Fragestellungen:
a) Wie wird Angst in der psychologischen Literatur definiert,
b) Welche Erscheinungsformen lassen sich hinsichtlich der Ängste von Lehrern und Referendaren anhand der vorhandenen Literatur feststellen,
c) Welche angstauslösenden Situationen, Ursachen und Umstände, die zu Lehrer- bzw. Referendarsangst führen, werden in der psychologischen und pädagogischen Literatur genannt
d) Welche Angstauswirkungen und Bewältigungsmöglichkeiten werden für Lehrer- bzw. Referendare in der Literatur genannt
e) Welche Rolle spielt die universitäre Ausbildung bei der Angst von Referendaren,
f) Welche Rolle spielt die Institution Schule bei der Angst von Referendaren
2 Empirische Fragestellungen:
a) Welche Phänomene, Situationen und Ursachen, die zu Ängsten bei Referendaren führen, lassen sich durch die von mir durchgeführten Interviews feststellen
e) Wie wirken sich diese Erscheinungsformen auf die interviewten Referendare aus
e) Wie gehen die interviewten Referendare mit ihren Ängsten um und wie versuchen sie diese zu bewältigen
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Bedingungen für die Entstehung von Lehrerangst
Der erste Teil dieses Kapitels wird einen Überblick über die verschiedenen theoretischen Ansätze zur Lehrerangst liefern. Hauptanliegen ist es die unterschiedlichen Ansätze vorzustellen und sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu dem Thema der vorliegenden Arbeit zu bringen. Ergebnisse der Studie von Seidel/ Jehle (1998) sollen vorgestellt und analysiert werden. Weiterhin möchte ich vor allem auf die Arbeiten von Brück (1978), Weidenmann (1978), Hofsommer (1980) und Jendrowiak/ Kreuzer (1980) eingehen, welche einige der ersten Publikationen zu diesem darstellen.
Im zweiten Teil des Kapitels wird auf den Abschnitt der (Über)Belastung im Lehrerberuf sowie kurz auf den Forschungsbereich des Burn-outs im Lehrerberuf eingegangen. Dies halte ich für sinnvoll, da psychische und physische Belastungen in einem sehr engen Zusammenhang mit der Angst von Lehrern und Referendaren stehen. Ziel ist es jedoch nicht, einen ausführlichen Bericht über Lehrerbelastung bzw. das Phänomen des Burn-outs im Lehrerberuf zu geben. Dies würde im Umfang und Inhalt die Möglichkeiten dieser Arbeit überschreiten. Ich betrachte es jedoch als wichtig, diese im Zusammenhang mit dem Thema Angst zu nennen und ihre Wechselbeziehung zur Lehrer- und Referendarangst zu erläutern.
In den folgenden Unterkapiteln werden die verschiedenen Formen von Lehrerängsten im Speziellen (Kap.2.1.2), sowie Ursachen und Gründe für deren Auftreten (Kap. 2.1.3) und die Auswirkungen und Bewältigungsstrategien (Kap.2.1.4) vorgestellt. Dabei sollen auch jeweils Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Ängsten von Referendaren herausgestellt werden.
Brück (1978) spricht von einer „defizitären Persönlichkeit“ im Zusammenhang mit den Ursachen von Lehrerängsten. Er führt Lehrerängste auf einen Konflikt zwischen dem Erwachsensein und der Kindlichkeit zurück. Dabei geht er davon aus, dass viele Erwachsene und eben auch Lehrer, Probleme in ihrer eigenen Kindheit zum einen nicht bewältigt haben und zum anderen diese mittlerweile im Erwachsenenalter nicht mehr verstehen. Dennoch müssen sie sich aber gerade in der Institution Schule mit Kindern und deren Freuden und Sorgen auseinandersetzen und sich in sie hineinversetzen. Brück (1978) sieht das Problem darin, dass jemand, der mit seiner eigenen Kindheit nicht zurechtkomme, sich auch nicht mit der anderer identifizieren könne. Deshalb ist es für ihn enorm wichtig, dass sich gerade Lehrer mit ihrer eigenen Person und ihrer Kindheit beschäftigen. Weiterhin meint er, dass Angst immer ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst, zur eigenen Geschichte bedeute. Dies wirke sich dann wiederum auf das Verhältnis zu Mitmenschen aus.[27] Brück (1978) sieht die Probleme für Lehrerängste nur in der Person selbst und verschließt sich in seinem psychoanalytischen Zugang vollkommen anderen Ansätzen bzw. Ursachen. Er erkennt zwar auch die Problematik zwischen der Institution Schule und deren Anforderungen an den Lehrer, jedoch versteift er sich meines Erachtens zu sehr auf eine negative und nicht bewältigte Kindheit – „Lehrer-Sein: Zugleich ein Kampf gegen die eigene verleugnete Kindheit“[28]. Dies kann in einzelnen Fällen durchaus zutreffen, jedoch muss dies nicht die einzige Ursache sein.
Weidenmann (1978) und Hofsommer (1980) hingegen sehen das Problem eher in den widersprüchlichen Anforderungssituationen, die in der Lehrerarbeit entstehen. Hofsommer (1980) ergänzt dies noch um den Aspekt der Widersprüchlichkeiten in der Person selbst. Weidenmann (1978) definiert Angst als subjektives Erleben, genauer gesagt als Erleben von Anforderungssituationen und den eigenen Kompetenzen. Er verfolgt weiterhin die Auffassung, dass Lehrerängste nicht durch Persönlichkeitsmerkmale entstehen, sondern ihre Ursachen in den Situationen bzw. den vorgegebenen Anforderungsstrukturen und deren kognitiver Bewertung liegen. „Das Angstpotential der Tätigkeit des Lehrers ist in der Anforderungsstruktur selbst angelegt, entsteht also nicht durch Merkmale der handelnden Individuen….“[29] Das heißt, eine Person erlebt Angst, wenn sie ihre individuellen Fähigkeiten mit den objektiven Konsequenzen und Merkmalen der Tätigkeit vergleicht. Wenn sich dabei Ist- und Sollwert für die Person gravierend unterscheiden, nämlich dass der Istwert dem Sollwert nicht gerecht werden kann, dann liegt eine hohe Angstwahrscheinlichkeit vor. Offensichtlich ist, dass hier keine Verallgemeinerung der Angstursachen vorgenommen werden kann da jedes Individuum unterschiedlich bewertet. Weidenmann (1978) unterscheidet sich jedoch dahingehend von den oben genannten Autoren, dass er die Persönlichkeit mit ihren Eigenschaften und Erfahrungen unberücksichtigt lässt. Für ihn ist nur deren kognitive Bewertung der Fähigkeiten ausschlaggebend für die Entstehung von Ängsten, aber nicht deren Fähigkeiten und Dispositionen an sich. Allerdings kann man jedoch die kognitive Ebene nicht von der emotionalen Ebene bzw. von den Dispositionen eines Menschen trennen, da sie in einem sich gegenseitig bedingenden Gefüge wirken. Weidenmann (1978) sieht Bedrohung, Hilflosigkeit und Ungewissheit als Hauptbestandteile des Angstpotentials eines Menschen, mit denen er sich bewusst auseinandersetzen muss. Dabei unterscheidet er vier Tätigkeitsbereiche die der Lehrer in der Schule erfüllen muss: die Qualifikation, die Selektion, die Integration und den Kontakt herstellen.[30] Da diese nicht miteinander vereinbar sind, kommt es immer wieder zu Konflikten in der Person selbst. Welche Situationen im Konkreten in den genannten Tätigkeitsbreichen Angst auslösen können, soll im übernächsten Kapitel 2.1.3 näher erläutert werden.
Hofsommer (1980) sieht den Lehrer in einer Führungsrolle, der in der Schule die Machtposition verkörpert und sich deswegen auch keine Angst zugestehen bzw. leisten kann. In einem Punkt stimmt er jedoch mit Brück (1978) überein, dass „ich [der Lehrer] mit meinen Schülern nur zurechtkomme, wenn ich auch mich selbst zu begreifen und meine eigene Lebensproblematik zu bearbeiten gewillt bin“[31]. Hofsommer (1980) unterstreicht also auch die Bedeutung mit der eigenen Person bzw. mit seiner Vergangenheit im Einklang zu sein und ihr positiv gegenüber zu stehen, da ansonsten erhebliche Probleme im Umgang mit anderen Menschen auftreten können. Hofsommer (1980) verbindet insbesondere die Bewährungsangst mit dem Problem verschiedenen Anforderungssituationen nicht gerecht zu werden. Diese Bewährungsangst führt er vor allem auf ein unzureichendes Selbstwertgefühl bzw. Selbstvertrauen zurück. Menschen, die ständig zu viel von sich fordern und deswegen häufiger Misserfolge erleben als weniger ehrgeizige Menschen, entwickeln darum auch eher eine Misserfolgsantizipation. Sie rechnen persönlich weniger mit Erfolgen als mit Misserfolgen und vermeiden, teilweise unbewusst, durch zu hohe Ziele Erfolge zu erfahren. Das bedeutet, dass vor allem sehr ehrgeizige Menschen mit einem hohen Anspruchsniveau an sich selbst, aber auch an andere Menschen, verstärkt unter Ängsten, nämlich der Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein, leiden. Kann sich ein Mensch in neuen oder schwierigen Situationen mit Erfolg bewähren, verstärkt das sein positives Selbstbild und sein Selbstvertrauen. Hat er jedoch schon in der Kindheit und Schulzeit viele Misserfolge in seinem eigenen Handeln, sei es in Leistungssituationen oder im sozialen Umfeld, erfahren müssen und kann auf seine Fähigkeiten nicht vertrauen, so kann sich dies durch seinen ganzen Lebenslauf ziehen. An dieser Stelle kommt dann wieder die Thematik der Auseinandersetzung mit der eigenen Person zum Tragen, denn wie allgemein bekannt, kann ich andere Menschen nicht weiter bringen als ich selbst gekommen bin. Hinzu kommt nun, dass ein Lehrer verschiedene Anforderungssituationen (Elterngespräche, Stundenvorbereitung, Unterrichten in schwierigen Klassen, Bewertungen durch Dritte) ganz unterschiedlich auffasst und interpretiert. Angst bei verschiedenen Aufgaben und Bewährungssituationen zu erleben ist also maßgeblich von jedem Einzelnen abhängig. Jedes Individuum erlebt an ihn gestellte Anforderungen als negativ und belastend oder als Herausforderung und Chance. All dies ist wiederum abhängig von früheren Erfahrungen, also von der eigenen Lebensgeschichte.[32] Deshalb ist es wichtig sich in sozialen Berufen, nicht nur im Lehrerberuf, ausgiebiger mit der eigenen Person auseinander zu setzen und seine Stärken und Schwächen zu erforschen. Einen Beitrag dazu sollte auch die Ausbildung der Lehramtsstudenten leisten, welche später in Kapitel 2.3 näher besprochen werden soll.
Jedrowiak und Kreuzer (1980) beziehen in ihre Angstforschung auch den Aspekt der widersprüchlichen schulischen Anforderungen ein. Unter anderem sehen sie aber auch die Problematik der zu hohen eigenen Ansprüche und der erfahrenen Qualifikation als beeinflussendes Merkmal für Angst. Auf der einen Seite stehen die Schüler aber auch die Gesellschaft mit ihren Aufträgen und Ansprüchen an den Lehrer. Als einen gegebenen Konflikt betrachten Jendrowiak/Kreuzer (1980) auch die Widersprüchlichkeiten, die in den gestellten Aufgaben und Ansprüchen liegen. Dadurch entsteht für den Lehrer ein Konflikt, den er mit seinen Kollegen teilt, der aber je nach Personentyp unterschiedlich interpretiert wird. Auf den Einfluss der Persönlichkeiten auf das Angsterleben werde ich im Folgenden noch näher eingehen (siehe Kapitel 2.1.3). Das größte Problem liegt darin, dass die Unvereinbarkeit der Aufgaben und Ansprüche bei ungenügender Reflexion seitens des Lehrers dazu führen kann, dass er diesen Konflikt auf seine Person schiebt und sich selbst als Ursache dafür sieht.[33] Daraus kann leicht ein Teufelskreis entstehen, der dazu führt, dass die ständig erlebten Widersprüchlichkeiten und Spannungen mit der eigenen Person in Zusammenhang gebracht werden und somit ständig am eigenen Selbstwertgefühl und der eigenen Kompetenz nagen. Wird man sich aber der vorhandenen schulischen Diskrepanzen bewusst und setzt sich mit diesen näher auseinander, erkennt man womöglich leichter welche Probleme man lösen kann, weil sie im eigenen Handlungsspielraum liegen, und welche nicht. Weiterhin sind für Jendrowiak/Kreuzer (1980) eine ungenügende Qualifikation[34] und die Leistungsbereitschaft sowie die Leistungsbeanspruchung eines Lehrers ausschlaggebend für die Entstehung von Ängsten. In diesem Zusammenhang tragen auch die Leistungsdeterminanten, das heißt die Lehr- und Lernbedingungen in einer Schule zur Leistungsbereitschaft bei. Einen Überblick darüber liefert die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Die Entstehung von Angst im Spannungsfeld von Ansprüchen, Aufträgen, Qualifikationen und Leistungen[35]
Seidel/Jehle führten (1998) eine Studie zu „Ursachen berufsbezogener Ängste von Lehrerinnen und Lehrern im Urteil von Lehramtsstudierenden. Ein Vergleich mit den Urteilen von Lehrkräften.“ durch. In ihrer Arbeit wollten sie die „kausalen Verbindungen“[36] zwischen den Ursachen und den entstandenen Ängsten aufzeigen. Bereits 1994[37] versuchten sie mittels einer Fragebogenuntersuchung (an Lehrkräften) herauszufinden, welche Ursachen zu Lehrerängsten führen. Die Ergebnisse der 1994er Studie versuchen sie nun mit der neuen Untersuchung, anhand der Aussagen von Lehramtsstudierenden[38], zu vergleichen. Grundlage für ihre Forschungen bildet das „kognitive, transaktionale Stress- und Angstmodell von Lazarus und Folkmann (1984)“[39]. Jenes besagt, dass Ängste durch das subjektive Bewerten angstauslösender Situationen und der eigenen Fähigkeiten diese zu meistern ausgelöst werden (vgl. auch Weidenmann (1978)). Auch sie stießen wie die oben genannten Autoren auf unterschiedliche Faktoren, die Angst hervorrufen können. In ihrer 1994er Studie konnten sie zwar keine eindeutigen Ursachen festlegen, jedoch ließen sich die Aussagen der Lehrer auf vier Kernursachen reduzieren:
a) „‘Mangelnde Begabung für den Beruf der Lehrerin/ des Lehrers’,
b) ‘Verrechtlichung und Bürokratisierung der Schule’,
c) ‘Gravierende Erlebnisse im Schulunterricht’,
d) ‘Fragwürdige Leitbilder der Gesellschaft (Geld, Leistung, Erfolg)’“[40]
In den Aussagen der Studierenden war auffällig, dass jene Ursachen („ungünstige Arbeitsbedingungen, zunehmende Überlastung von elterlichen Erziehungsaufgaben an die Schule, Tendenz der zu großen und unübersichtlichen Schulen“[41] ) die höchste Gewichtung bekamen, welche außerhalb der Person lagen und sie in ihrem Studium eigentlich noch nicht tangierten. Gleich darauf folgten dann Ursachennennungen (wie „wenig Praxisvorbereitung während des Hochschulstudiums und unzureichende erzieherische Ausbildung an der Hochschule“[42] ), welche eher mit den damaligen Situationen der Studierenden korrelierten. Insgesamt wäre also zu sagen, dass Studierende die Ursachen eher in den Randbedingungen des schulischen Alltags, in Erziehungsproblemen und in der Ausbildung für diese Aufgaben sehen. Es wurden zwar mehrere Zusammenhänge in der Ursachenzuschreibung zwischen Studierenden und Lehrkräften gefunden, dennoch tendieren die Lehrer eher dazu, Ereignisse im Unterrichtsgeschehen und die mangelnde Begabung für den Lehrerberuf verantwortlich zu machen. Fazit dieser Ergebnisse ist, dass der Erfahrungshintergrund der Befragten von entscheidender Bedeutung ist. Dies zeigt auch, dass Studierende kaum schulische Erfahrungen besitzen und einschätzen können. Wurden in den beiden Studien von Seidel/Jehle (1994, 1998) jeweils Studenten ohne Berufserfahrung und Lehrkräfte untersucht, so fehlt hier noch ein Einblick in den Bereich der Junglehrer bzw. Referendare. Diese bilden eine so genannte Brücke zwischen den beiden Personengruppen.
Grundlegend kann man zu diesem einleitenden Teil sagen, dass es verschiedene Ansätze zur Erklärung von Lehrerangst gibt. Trotzdem lassen sich einige gemeinsame Aspekte feststellen. Die meisten o.g. Autoren sind sich darüber einig, dass der kognitive Ansatz als zentrales Kriterium für das Auslösen von Ängsten betrachtet werden kann. Jedes Individuum nimmt verschiedene Situationen unterschiedlich wahr und bewertet diese basierend auf seiner bisherigen Lebensgeschichte. Dies ist ein wichtiger Aspekt bei der Untersuchung des Phänomens Angst. Weiterhin benennen die oben genannten Autoren verschiedene weitere Ursachen, die sie als relevant für die Entstehung von Lehrerangst sehen. Hier werden zum Beispiel die Diskrepanzen im Schulsystem und in der eigenen Persönlichkeit genannt. Jendrowiak/Kreuzer (1980) fügen noch den Aspekt der mangelnden Qualifikation hinzu, der wie auch in jeder anderen universitär ausgebildeten Berufsgruppe zu erheblichen Problemen im beruflichen Alltag führen kann. Somit ergeben sich diverse interne und externe Faktoren, von denen Ängste im Lehreralltag abhängen.
Belastungen und Überlastungen spielen bei der Untersuchung von Lehrer- und Referendarsängsten eine große Rolle. Oft ergeben sich aus (Über)Belastungen bzw. aus der Ausreizung der Belastbarkeit einer Person Ängste, deren Ursachen meist diffus und für den Einzelnen schwer erkennbar sind. Obwohl der Lehrerstand die größte akademische Berufsgruppe bildet, und das Thema der Lehrerbelastung von großem Interesse sein sollte gibt es in der Psychologie bisher relativ wenige Beiträge (vgl. Schaarschmidt (1999)). Ein vermehrtes wissenschaftliches Interesse wurde vor allem in den letzten 20 Jahren sichtbar (vgl. dazu: Gudjons (1993), Rudow (1994), Kramis-Aebischer (1995), Ulich (1996), Dick (1999), Bastian (2002), Kretschmann (2000), Krause (2003), Dauber/ Vollstadt (2004)). „Keine Berufsgruppe legt sich so oft beim Psychologen auf die Couch. Keine Beamtenart wechselt so früh in den Vorruhestand. 60 Prozent der Klienten einer Depressionssprechstunde an der Freien Universität Berlin, so die schockierende Meldung, sind Lehrer.“[43]. Obwohl der Lehrerberuf oft belächelt wird, zählt er zu den physisch und psychisch anstrengendsten Berufen. Lehrer gehören laut Strittmatter (1986) zur „belastetsten und gesundheitlich gefährdetsten Berufskategorie“[44]. Lehrer werden zunehmend mit neuen (Erziehungs)Aufgaben konfrontiert, die Rahmenbedingungen verbessern sich nicht gravieren und oft fühlen sie sich in ihren vielfältigen (neuen) Rollen überfordert (vgl. Kap. 2.1.5). Anzunehmen wäre, dass Referendare, bei denen zwar bestimmte verwaltungstechnische Aufgaben entfallen, mit den restlichen Aufgaben und Bedingungen noch mehr Schwierigkeiten haben als berufserfahrene Lehrer. Wahrscheinlich weichen einige Belastungsfaktoren zu Beginn der Lehrertätigkeit[45] von denen der erfahrenen Lehrer ab, jedoch sind sie auch stärker mit den neuen Gegebenheiten der Schule konfrontiert. Sogar Referendare und Junglehrer geben an, sich überfordert zu fühlen und dem Druck nicht mehr Stand halten zu können. Denn oft beginnt das Verdrängen der „Überlastungserfahrung bereits im Referendariat und zieht sich dann durch ein ganzes Berufsleben“[46]. Hier sollte die Lehrerbelastungsforschung nicht erst bei den schon in Pension gegangenen Lehrern ansetzen, sondern sich bereits um die Anfänge von Belastungen und deren Prävention bei jungen Lehrern kümmern (vgl. hierzu Schaarschmidt (1999)). Dass aber nicht nur die äußeren Bedingungen zu Überlastungen führen können, zeigt Schaarschmidt (1999) in seinem Versuch bestimmte Personengruppen mit ähnlichen Persönlichkeiten und Eigenschaften zu Typengruppen zusammenzufassen. In dieser Studie zur Lehrerbelastung spielt der Lehrer selbst, mit seinen Einstellungen, seinen Ansprüchen an den Beruf und sein Leben eine primäre Rolle. Schaarschmidt (1999) spricht in seiner AVEM Studie[47] nicht pauschal von einer Risikogruppe der Lehrer aber weist darauf hin, dass der Lehrerberuf zu der Berufsgruppe der helfenden Berufe[48] zählt, und diese eine erhöhte psychosoziale Beanspruchung aufweisen. Mit Hilfe des AVEM Verfahrens konnte Schaarschmidt (1999) auf der Grundlage von 11 als relevant ausgewiesenen Dimensionen vier Muster beruflichen Bewältigungsverhaltens unterscheiden.[49] Interessant ist, dass er dabei vier verschiedene Muster bzw. Risikogruppen herausfiltern konnte und diese einen jeweiligen Personentyp widerspiegeln. Im Folgenden möchte ich kurz diese vier Kategorien vorstellen.
Muster G) Diese Personen haben eine gesundheitsförderliches Verhältnis zu ihrer Arbeit und weisen ein hohes Engagement und eine hohe Verausgabungsbereitschaft auf. Die letzten beiden Werte sind jedoch nicht auf der höchsten Stufe einzuordnen. Außerdem weisen sie eine hohe Widerstandsfähigkeit und ein angemessenes Bewältigungsverhalten gegenüber Belastungen auf. Sie erfahren außerdem eine hohe soziale Unterstützung und erleben Erfolgserlebnisse sehr emotional und intrinsisch bezogen. Diese Personengruppe weist außerdem eine allgemein hohe Lebenszufriedenheit aus.
Muster S) Für diese Personengruppe hat die Arbeit eine eher untergeordnete Rolle, der berufliche Ehrgeiz und die Arbeitsmotivation sind somit auch wenig ausgeprägt. Es liegt kaum eine Bereitschaft vor sich für die Arbeit zu verausgaben. Diese Personen haben eine starke Distanzierungsfähigkeit und wollen sich in ihrem Job eher schonen. Trotzdem weisen sie ein positives Lebensgefühl und eine hohe Lebenszufriedenheit auf. Sie haben eine hohe Ausprägung an innerer Ruhe und Ausgeglichenheit und finden meist außerhalb der Arbeit ihre persönliche Zufriedenheit.
Risikomuster A) Für diese Personengruppe hat die Arbeit einen sehr hohen Stellenwert in ihrem Leben. Sie streben nach Perfektion, weisen ein überhöhtes Engagement und Verausgabungsbereitschaft auf. Sie besitzen eine niedrige Distanzierungsfähigkeit und können sich deswegen auch außerhalb der Arbeitszeit gedanklich eher selten von Problemen und Sorgen der Arbeit trennen. Außerdem weisen sie folgende Merkmale auf: verminderte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, geringe Ausprägung in innerer Ruhe und Ausgeglichenheit, hohe Resignationstendenz, geringe Werte in der Lebenszufriedenheit, der hohen Anstrengungsbereitschaft folgt eher selten eine positive emotionale Entsprechung bzw. Anerkennung.
Risikomuster B) Diese Personengruppe weist ähnlich dem Muster S ein geringes Arbeitsengagement und Bedeutsamkeit der Arbeit auf. Trotz der geringen persönlichen Bedeutung der Arbeit, zeigen sie eine hohe Resignationstendenz und eingeschränkte Distanzierungsfähigkeit. Sie besitzen allgemein eine geringe innere Ruhe und eine geringe Problembewältigungsfähigkeit. Außerdem sind sie mit ihrem Leben eher unzufrieden und haben ein niedriges Wohlbefinden. Durch die schnelle Resignationsbereitschaft, sind die Motivation und die positiven Emotionen stark eingeschränkt. Dadurch sind sie auch weniger wiederstandsfähig gegenüber auftretenden Problemen.[50]
Freudenberger (1974) und Maslach (1982) zählen die Personen des Risikomusters B zum Kern des Burn-out Syndroms[51].[52] Sie erfahren in ihrer beruflichen Laufbahn die stärkste körperliche und psychische Beeinträchtigung und scheiden oft frühzeitig aus dem Berufsleben aus. Dies ist überraschend, da eher Personengruppen mit einem hohen beruflichen Engagement zu Burn-out neigen (vgl. Haagemann (2003), Barth (1992), Schaarschmidt (1999)). Durch diese Muster konnte erkannt werden, dass Lehrer zu einem hohen Prozentsatz der Risikogruppe A und B zuzuordnen sind. Pflegepersonal dagegen eher dem Muster G. Auch geschlechtliche Unterschiede ließen sich mittels dieser Untersuchung feststellen. In diesem Zusammenhang sind besonders Frauen von den Risikogruppen betroffen, da sie eine zusätzliche Belastung durch die Familie und die Versorgung des Haushalts verspüren. Im Altersvergleich konnte Schaarschmidt (1999) keine größere Differenzierung feststellen. Jedoch wies bereits die erste Altersgruppe (bis 30 Jahre) einen hohen Anteil von Risikomustern auf. Dabei verwies er auf die Notwendigkeit schon „mit Berufeintritt, ja schon während des Studiums, der Gesundheitsförderung große Beachtung zu schenken.“[53] Im weiteren Verlauf der Arbeit, wenn eine Auswertung der Interviews vorgenommen wird, möchte ich noch einmal auf die Ergebnisse dieser Studie zurückkommen. Interessant wäre eine Einordnung der befragten Referendare in diese Persönlichkeitsmuster (vgl. Kapitel 3.4.2).
Der Begriff der Belastung wird oft mit Phänomenen wie Stress, Unwohlsein und Überforderung assoziiert. Gerade im Schulalltag trifft man oft auf Begriffe wie
‚Überlastung’, oder ‚Überforderung’. Rudow (1994) unterscheidet vier Belastungsfaktoren im Lehrerberuf. Dazu gehören zum einen die Arbeitsaufgaben und schulorganisatorischen Bedingungen, die arbeitshygienischen Bedingungen, die sozialen Arbeitsbedingungen und die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen.[54] Im Weiteren möchte ich nicht detailliert auf diese Bereiche eingehen, jedoch darauf aufmerksam machen, dass diese Faktoren jeweils außerhalb der Person selbst liegen. Diese Faktoren sind Rahmenbedingungen (bzw. objektive Belastungen), die nicht direkt beeinflussbar sind und mit denen sich jeder Lehrer auseinander setzen muss. Der individuelle Umgang damit spiegelt demnach wiederum die persönlichen Bewältigungskompetenzen wider (siehe Schaarschmidts (1999) Typisierungen). Dass sich eine Überbelastung verbunden mit den daraus resultierenden Ängsten auch auf die Gesundheit und somit auf die Qualität der Arbeit auswirken kann, zeigen nicht nur die vielen Krankheitsausfälle sondern auch die vorzeitigen Frühpensionierungen von Lehrern. Auf weitere Auswirkungen und den oft mangelnden Gesundheitszustand werde ich in Kapitel 2.1.4 genauer eingehen.
2.1.2 Formen der Lehrerangst
Im Folgenden möchte ich einen Überblick über die verschiedenen Systematiken zu den Lehrerangstformen geben. Alle vier Autoren, die ich zu diesem Aspekt heranziehen möchte (Ebert (1979), Weidenmann (1978), Winkel (1979), Raether (1982)), betrachten das Phänomen Lehrerangst unter verschiedenen Gesichtspunkten und nehmen daher auch unterschiedliche Kategorisierungen vor.
Ebert (1979) unterscheidet zwischen Realangst und neurotischer Angst.[55] Wobei für die Arbeit die erste Angstkategorie von Bedeutung ist. Die Realangst unterteilt Ebert (1979) in bestimmte Unterkategorien, wobei er immer von spezifischen externen oder internen Situationen ausgeht. Für eine bessere Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit mit Weidenmann (1978), Winkel (1979) und Raether (1982) habe ich in Anlehnung an Winkel (1979) versucht, den Angstkategorien von Ebert (1979) einen konkreten Angstbegriff zuzuordnen. Hinzufügen möchte ich noch, dass diese subjektive Zuordnung keine absolute Gültigkeit hat, da wahrscheinlich ergänzende bzw. auch andere Angstformen zugeordnet werden können.
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Abb.2: Realängste nach Ebert (1979) mit den zugeordneten Angstformen
Weidenmann (1978) versuchte anhand der vier Tätigkeitsbereiche des Lehrers eine Systematik der Angstformen aufzustellen:
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Abb.3: Übersicht über die vier Tätigkeitsbereiche durch Weidenmann (1978)[56]
Auch bei Weidenmanns (1978) Übersicht fehlen konkrete Termini, die direkt die Angstformen bezeichnen würden. Gleichfalls möchte ich auch hier versuchen diesen Bereichen Angstbegriffe zuzuordnen. Wiederum soll dies in Anlehnung an Winkel (1979) geschehen.
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Abb.4: Weidenmanns (1978) Angstsystematik mit den zugeordneten Angstformen
Winkel (1979) befasste sich speziell mit den Ängsten von Lehrern und unterscheidet neun Angstformen[57]:
1) Die Versagensangst: Angst, den Stoff nicht genügend zu beherrschen, Fehler zu machen, mit Erziehungsschwierigkeiten überfordert zu sein, etc.
2) Die Konfliktangst: Angst, sich wehren zu wollen, aber sich ducken zu müssen oder die „Fragwürdigkeit der Zensurengebung“ für erwiesen zu halten, jedoch gezwungen zu sein, wider besseren Wissens Noten erteilen zu müssen.
3) Die Herrschaftsangst: Angst vor der Macht Vorgesetzter, einflussreicher Eltern, der Schul(aufsichts)hierarchie mit all ihren oft verborgenen Unterdrückungsmechanismen, vor „tyrannischen“ Schülern etc.
4) Die unbewusste Angst: Angst vor der eigenen Emotionalität und Triebhaftigkeit, also z.B. vor verdrängten aggressiven oder sexuellen Impulsen, vor zärtlichen Sympathien gegenüber bestimmten Schülern und den sie umgebenden Tabus.
5) Die Existenzangst: Angst, keine Anstellung oder Weiterbeschäftigung zu finden oder auch wegen bestimmter politisch-pädagogischer Überzeugungen als „Radikaler“ diffamiert zu werden.
6) Die Trennungsangst: Angst, von Kollegen, Verbündeten, der Wissenschaft etc. über kurz oder lang im Stich gelassen zu werden, allein und von sonstigen Hilfen (auch emotional-familiärer Art) abgeschnitten zu sein.
7) Die Personenangst: Angst vor ganz bestimmten Personen, z.B. vor einem Schüler, einem Kollegen, dem Rektor oder Schulrat, wobei reale Bedrohungen erfahren werden, aber auch übertragene bzw. projizierte innere Ängste, die lediglich an bestimmten „reizvollen“ Personen festgemacht werden.
8) Die Strafangst: Angst vor Sympathieverlust, Sticheleien, Ungerechtigkeiten, Schikanen, Repressalien, schlechter Beurteilung etc., gegen die sich zu wehren selbstschädigend ist.
9) Die neurotische Angst: Angst vor der Angst, die auf einen zukommt und oft phobische Zustände bzw. zwanghafte, depressive oder auch konversionsspezifische (psychosomatische) Symptome hervorruft.
Die wohl detaillierteste Systematik lässt sich bei Raether (1982) finden. Er unterscheidet die Lehrerangstformen nach den Personengruppen, mit denen es der Lehrer im beruflichen Alltag zu tun hat:
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Abb.5: Lehrerangstformen nach Raether (1982)[58]
Obwohl sich bei Raether (1982) manche Angstformen wiederholen, bietet er doch eine Systematik an, die gut verständlich und übersichtlich ist. Die reichliche Anzahl an Angstformen macht diese Aufteilung nützlich, um in weiteren Überlegungen gezielter analysieren zu können.
[...]
[1] Brück 1980, S.15
[2] Klußmann 2002, S.308
[3] Christliche Internet Dienst GmbH: Online im Internet: URL: www.bibel-online.de 2002 cid [Stand 05.12.2005]
[4] siehe dazu: Artikel im Kölner Stadt Anzeiger vom 28./29. Juni 2003: „Angstgesellschaft“. In diesem Artikel beschreibt Ismene Poulakos worin die Gründe für vermehrt aufkommende Ängste im neuen Jahrtausend liegen. Zum Beispiel in der allgegenwärtigen Gefahr vor Kriegen und Terroranschlägen, aber auch in der erhöhten Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Perspektivlosigkeit der Zukunft. Sie betont, dass der Gesellschaft Kontinuität und soziale Sicherheit fehlen.
[5] Hackford und Schwenkmezger 1985, S. 19, zitiert aus Sörensen 1993 S. 3
[6] vgl. Krohne 1976, S.11
[7] vgl. Sörensen 1993
[8] Auf Geschlechtsspezifische Bezeichnungen wird in dieser Arbeit verzichtet.
[9] Spiegel 24/1993
[10] Rheinischer Merkur 42/1993, zitiert aus Dick, Rolf van 1999,S.20
[11] Spiegel 46/2003
[12] Spiegel 46/2003
[13] taz Nr.6927/2002
[14] Katschnig 2002, S.161
[15] Weidenmann 1978, S.11
[16] Hicks fand 1934 in einer Studie in den USA heraus, dass von 600 untersuchten Lehrern etwas 30% überaus nervös waren. Davon hatten 11% einen Nervenzusammenbruch. Zitiert aus Weidenmann 1978, S.39
[17] vgl. Weidenmann 1978, S.11
[18] Ebert 1979, S.161
[19] Raether 1982, S.14
[20] Weidenmann 1978, S.11
[21] vgl. Schneider 1996, S.32
[22] Saupe, R./ Möller, H. (Hrsg.) (1981): Psychomentale Belastungen im Lehrerberuf. Ergebnisse einer Studie in Berlin-West. GEW Berlin, zitiert aus Raether 1982, S.16
[23] Saupe, R./ Möller H. 1981, zitiert aus Raether 1982, S.16
[24] BHSt des BLLV am 12. und 13. Januar 1973 in der Gesamthochschule Eichstätt
[25] Hinsch 1979, S.2
[26] Brück 1978, S.9
[27] vgl. Brück 1980, S.9-12
[28] Brück 1980, S.8
[29] Weidenmann 1978, S.27
[30] vgl. Weidenmann 1978, S.82
[31] Hofsommer 1980, S.15
[32] vgl. Hofsommer 1980, S.15-17
[33] vgl. Jendrowiak/Kreuzer 1980, S.114
[34] auf die Lehrrausbildung und -qualifikation wird näher in Kapitel 2.3 eingegangen
[35] Jendrowiak/Kreuzer 1980, S.131
[36] vgl. Seidel/Jehle 1998, S.29
[37] siehe auch Jehle/Lebkücher/Seidel: Ursachen berufsbezogener Ängste von Lehrerinnen und Lehrern aus Lehrersicht. In: Zeitschrift für Erziehungs- und Sozialwissenschaftlicher Forschung, 11/1994, S.141-164
[38] Lehramtsstudierende beurteilen zukünftige Ängste, welche sie noch nicht aus eigener Erfahrung heraus kennen, aber in ihrer eigenen Schulzeit als Schüler bei ihren Lehrern erlebt haben. Sie sprechen also aus einer indirekten Erfahrung. In ihrer bisherigen Ausbildung, die meisten Befragten befanden sich noch im Grundstudium, erhielten sie Informationen über Tätigkeiten und Aufgaben in der Schule. Daher können von den Studenten oft nur erwartungsbezogene Aussagen getroffen werden. vgl. Seidel/Jehle 1998, S.31
[39] Seidel/Jehle 1998, S.30
[40] Seidel/Jehle 1998, S.31
[41] vgl. Seidel/Jehle 1998, S.35
[42] Seidel/Jehle 1998, S.35
[43] Christian Füller: Deutsche Lehrer sind reif für die Klinik. taz Nr.6927/2002 (11.12.2002), S.14
[44] Strittmatter 1986, S.7-14, zitiert aus Kramis-Aebischer 1995, S.97
[45] hierzu zähle ich auch schon das Referendariat
[46] Bastian 2002, S.3
[47] Die AVEM Studie ist eine Studie zu Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern. Die Untersuchung fand zwischen 1995 und 1999 statt. 3176 LehrerInnen aus Deutschland, Österreich und Polen sowie 752 deutsche und österreichische Lehramtsstudierende wurden in die Untersuchung einbezogen.
[48] Siehe dazu auch Cherniss (1999) Untersuchung der folgenden Berufsgruppen: Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Juristen und Lehrern, die er den helfenden und beratenden Berufen zuordnet.
[49] Schaarschmidt 1999, S.244
[50] Schaarschmidt 1999, S.248-250
[51] Der Begriff des Burn-out wurde in den 70er und 80er Jahren, erst in Amerika später in Europa, vor allem durch die steigende Anzahl der Krankheitsfälle in den helfenden Berufsgruppen geprägt.
[52] vgl. Schaarschmidt 1999, S.250
[53] Schaarschmidt 1999, S.265
[54] vgl. Rudow 1994, S.59-72
[55] vgl. Ebert 1979, S.162-175
[56] vgl. Weidenmann 1978, S.82
[57] Winkel 1979, S.63-64
[58] vgl. Raether 1982, S.29
- Arbeit zitieren
- Annett Oswald (Autor:in), 2006, Ängste von Referendaren im schulischen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/54796