Diese Arbeit erörtert die aktuelle Lage der digitalen Kommunikation zwischen Ärzten und anderen Stakeholdern des Gesundheitssystems in Deutschland und bietet eine mögliche Lösung zur Verbesserung der digitalen Kommunikation zwischen Ärzten und Pharmaindustrie.
Die Digitalisierung ist auch in Deutschland angekommen und bietet in vielen Branchen einen breiten Nutzen. Doch nicht alle Wirtschaftsbranchen sind mit gleicher Intensität in die digitale Transformation eingestiegen, denn in verschiedenen Bereichen ist die Geschwindigkeit der Digitalisierung in Abhängigkeit vom aktuellen und allgemeinen Status Quo der Digitalisierung und dem Aufkommen neuer Wettbewerber.
Auch dies erklärt in gewisser Weise die erst jetzt ankommende Welle der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen. Diese Welle ist zwar sehr deutlich zu beobachten, trotzdem gilt Deutschland europaweit als Nachzügler bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Auch in der Kommunikation zwischen Pharmaindustrie und Ärzten ist eine mangelnde Digitalisierung deutlich zu erkennen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Digitalisierung allgemein - Definition/Historie
2.1. Digitalisierung in Gesundheitswesen Deutschland - Ist Zustand
2.2. Digitalisierung in Gesundheitswesen Ausland - Ist Zustand
2.3. Zwischenfazit
3. Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und Pharmaindustrie - Ist Zustand
4. Digitalisierung der Kommunikation zwischen Ärzteschaft und Pharmaindustrie allgemein
4.1. Die Stärke des „Sowohl als auch“
4.1.1. Kategorie „Live“
4.1.2. Kategorie „Persönliche digitale Kommunikation“
4.1.3. Kategorie „Nicht-persönliche digitale Kommunikation“
4.2. Voraussetzungen für digitale Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und Ärzten
4.2.1. Rechtliche Voraussetzungen für digitale Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und Ä rzte n
4.2.2. Voraussetzung - „Die Sinnhaftigkeit der digitalen Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und niedergelassenen Ärzten“
4.2.3. Voraussetzung - „Interesse an der digitalen Kommunikation von Seiten der niedergelassenen Ärzte“
4.2.4. Voraussetzung - Interesse des Arztes an dem besprochenem Produkt und Indikation für eine erfolgreiche digitale Kommunikation
4.2.5. Voraussetzung - technische Ausrüstung für einfache digitale Kommunikation
4.3. Vorteile & Nachteile der digitalen Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und niedergelassenen Ärzten
4.4. Digitalisierung und digitale Kommunikation in den Apotheken
4.4.1. Digitale Kommunikation zwischen Apotheke und Patient
4.4.2. Digitale Kommunikation zwischen Apotheke und Arzt
4.4.3. Digitale Kommunikation zwischen Apotheke und Pharmaindustrie
5. Optimale digitale Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und Pharmaindustrie leicht gemacht - konkreter Change Management Prozess
5.1. Emotionale Reaktionen in Change Management Prozessen
5.2. Änderung der Kommunikation zwischen Pharmareferent und niedergelassenen Ärzten nach Krügers Fünf Phasen Modell
5.2.1. Initialisierung
5.2.2. Konzipierung
5.2.3. Mobilisierung
5.2.4. Umsetzung
5.2.5. Verstetigung
6. „IFABS Benchmarking - Praxisanalyse"
6.1. „Benchmarking - Praxisanalyse" - einfache Umsetzung
6.2. Erfahrungen mit der „Benchmarking - Praxisanalyse"
7. Fazit
Quellenverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungen
Anhang: Umfrage
1. Einleitung
Im konkurrenzreichen Pharmamarkt werden die klinischen Fortschritte immer geringer. Dadurch wird die Differenzierung über Produkte immer schwieriger, die Kosten steigen und die Unternehmen geraten bei der Preisgestaltung zunehmend unter Druck, da die vermeintliche Innovation durch die Behörden nicht mehr entsprechend honoriert wird. Neue Regulierungen erschweren die klassische Marktbearbeitung durch den Außendienst und das Marketing. Der Arzt sieht vielfach keinen Mehrwert im Termin mit dem Pharmaberater oder MSL, sondern lediglich eine Verschwendung seiner Zeit, denn es werden ihm ja nur „wohlbekannte Themen verkauft“. Folglich sinkt das Vertrauen und der direkte Zugang zum Kunden wird immer beschränkter, was die Industrie beim Marketing und Verkauf, aber auch im Medical, vor neue Herausforderungen stellt.1
In der Pharmabranche hat der Ansatz, den Mitarbeiter im Außendienst (Pharmaberater oder MSL) als reinen Informationsüberbringer einzusetzen eigentlich schon lange ausgedient. Die zunehmende Zugangsbeschränkung zum Kunden bestätigt dies immer mehr. Es geht vielmehr darum, den richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Inhalt über den von ihm gewünschten Kanal zu erreichen. Heute, in Zeiten der Digitalisierung bietet es sich natürlich an, digitales Medium gezielt regelmäßig zu nutzen. Für den Außendienstmitarbeiter bedeutet dies eine Veränderung hin zum Field-Based-Project-Manager, der durch die Digitalisierung eine zusätzliche Möglichkeit erhält, seinen Besuchen mehr Relevanz und Qualität zu verleihen.
Leider ist aber aktuell zu sehen, dass vor allem die niedergelassenen Ärzte allgemein sehr skeptisch der Digitalisierung gegenüber stehen und lediglich bereit sind nur das nötigste für die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu machen2, wie z.B. aktuell das Anschließen an die Telematik-Infrastruktur. Diese muss bis Ende Juni 2019 stattfinden sonst droht den Ärzten rückwirkend zum 01.Januar 2019 ein Regress von einem Prozent ihres Honorars3. Internet dient den Ärzten lediglich als Informationsquelle, weniger aber als Kommunikationsmedium.
Natürlich sind hier an der Stelle berechtigte Sicherheitsbedenken zum Datenschutz. Deutschland braucht ein praxistaugliches Modell für die sichere Übertragung und Speicherung der Daten. Dennoch lässt sich in den Überlegungen davon ausgehen, dass dieser wunde Punkt tatsächlich in den Griff zu bekommen ist, denn andere Länder sind in diesem Bereich seit Jahren schon viel weiter4 und es funktioniert sehr sicher und erfolgreich. Deshalb wird sich diese Arbeit dem Thema Datenschutz nicht ausführlich widmen.
Die Abneigung zur Digitalisierung seitens der niedergelassenen Ärzte hängt also vermutlich teilweise mit mangelnder Aufklärung über die enormen Vorteile der neuen Kommunikationsart zusammen. Gleichzeitig lässt sich erahnen, dass die Ärzte und Krankenhäuser an Digitalisierung in manchen Bereichen gar nicht interessiert sind wegen zu viel Transparenz, die nicht immer erwünscht ist. Die niedergelassenen Ärzte sehen aktuell also nur wenige Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen allgemein. Auch die Vorteile5 bei der Digitalisierung in der Kommunikation mit Patienten, Kollegen, Apothekern aber auch der Pharmaindustrie sind für sie nicht ganz einleuchtend im Vergleich zu dem zeitlichen und finanziellen Aufwand, den die Ärzte am Anfang investieren müssten. Außerdem vermuten sie, dass das Management des Umsetzens ziemlich anspruchsvoll ist. Für die Ärzte selbst bzw. ganze Arztpraxen scheint die Umwandlung unübersichtlich und in Zeiten der ständig überfüllten Wartezimmer aktuell als nicht so wichtig.
2. Digitalisierung allgemein - Definition/Historie
Zuerst sollte hier definiert werden was unter Digitalisierung zu verstehen ist. Es gibt eine Vielzahl von Definitionen die sich jedoch oft deutlich unterscheiden. Grob gesagt beschreibt die Digitalisierung die Umwandlung analoger Werte oder Daten in ein digital nutzbares Format.6
An diese Stelle ist es mit Sicherheit wichtig nochmal ins Detail zu gehen und den Begriff „Digital“ genauer zu beschreiben denn, was heißt es überhaupt die Daten digital zu nutzen? „Digital“ leitet sich vom lateinischen Wort "digitus" ab, was übersetzt „Finger“ heißt.
In der Technik bedeutet „digital“ allerdings, dass etwas mit einer begrenzten Zahl von Ziffern dargestellt ist, in der Praxis ist das heute das weit verbreitete Binärsystem. Die Daten werden dadurch in die Form von Bits und Bytes umgewandelt und werden so blitzschnell von A nach B geschickt. Die Basis für diesen Datenaustausch ist ein schnelles, leistungsfähiges Internet. Zur Verarbeitung werden Computer und Server benötigt, als Ausgangs- sowie auch Empfangsmedium kommt häufig zusätzlich auch ein Smartphone oder Tablet zum Einsatz.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „digital“ als Abgrenzung zu analoger Technik verwendet z.B. analoges Radio vs. digitales Radio. Unter dem Schlagwort „digital“ werden oft auch einfach nur neue Technologien zusammengefasst, wie Smartphones, Computer, das Internet, etc. und darüber hinaus unter dem Begriff „Digitalisierung“ dessen Integration und Nutzung in Berufs- und Privatleben.
Der Begriff „Digitalisierung“ kann auch als digitale Wende beziehungsweise als dritte Revolution verstanden werden.7 Dabei handelt es sich nicht um eine Technologie. Es geht dabei nicht um Hard- oder Software, Cloud, KI, Breitband oder die IT-gestützte Automatisierung von Prozessen. Nein, es geht um das Zeitalter Digitalisierung, indem wir uns alle gleichermaßen befinden. Es betrifft also jeden von uns, unseren Umgang unter- und miteinander. Es geht um unsere Umwelt, und um unser alltägliches Leben. Diese digitale Revolution, die wir gerade durchmachen, dürfte durchaus vergleichbar mit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert sein da sie enorme Veränderungen und Erleichterungen in allen Bereichen des Lebens mit sich bringt. Die meisten Dinge, die früher analog erfolgten, wurden mittlerweile schon digitalisiert oder es wird gerade mit Hochdruck daran gearbeitet, sie zu digitalisieren wie zum Beispiel:
- E-Mail anstatt des klassischen Briefes.
- Digitale Kommunikation bedeutet Kommunikation mit Hilfe digitaler Medien wie SMS, WhatsApp Nachrichten, Videokonferenz, Skype usw.
- Onlinebanking also Bankgeschäfte über das Internet.
- E-Commerce also 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche einkaufen zu können.
- Navigationssysteme die uns metergenau ans Ziel führen ohne den Weg mit einer Karte suchen zu müssen.
- Elektronische Buchhaltung zum Aufträge schreiben, Rechnungen aussenden, Zahlungseingänge verfolgen.
- Streaming ermöglicht bequem neueste Filme von zuhause anzusehen und Musik ganz legal über das Internet zu hören.
- Digitale Fitness-App misst unseren Puls, zählt von uns verbrauchte Kalorien sowie auch Schritte die wir am Tag gelaufen sind.
- Sprachassistenten wie Siri und Alexa, die uns unzählige Fragen beantworten können, wenn wir das wollen.
Dies ist nur eine Auswahl von den meist benutzten Erfindungen der Digitalen Revolution. Diese sogenannte Industrie 4.0 beinhaltet wiederum viele kleine Revolutionen und Evolutionen. Dazu gehören unter anderem: Cloud Computing, Big Data, Smart Home, Connected Car, Smart City, 3D-Drucker, KI (Künstliche Intelligenz), Blockchain, Kryptowährungen, Virtual Reality usw. Die Digitalisierung ist in vollem Gange. Sie betrifft uns alle und sorgt für einen tiefgreifenden Wandel in jedem Lebensbereich. Die digitale Transformation eröffnet dabei große Chancen für mehr Lebensqualität, revolutionäre Geschäftsmodelle, effizienteres Wirtschaften aber auch enorme Fortschritte in Gesundheitswesen.
2.1. Digitalisierung in Gesundheitswesen Deutschland - Ist Zustand
Digitalisierung ist längst nicht mehr nur in technischen und mechanischen Branchen, sondern auch im Gesundheitswesen angekommen und die Prozesse entwickeln sich weiter. Viele Kliniken und Arztpraxen haben sich bereits entschieden den Weg der Digitalisierung zu gehen und sind auf ein komplett computergesteuertes System umgestiegen. Sie nutzen täglich viele Vorteile der Digitalisierung wie zum Beispiel:
- Zeitersparnis, da der Schreib- und Sortieraufwand wegfällt.
- Automatisierung verschiedener Prozesse, beispielweise das Einlesen von Ultraschalloder Röntgenbildern und das zuordnen zum entsprechenden Patienten.
- Möglichkeit neue Technologien zu nutzen, beispielweise die Überwachung der Symptome per App und die dazugehörige Auswertung.
- Schnellere und einfache Kommunikation zwischen Ärzten und Angestellten, so dass sich Zeitersparnis und auch verbesserte Abläufe ergeben.
Diese genannten Vorteile spiegeln sich dann in der allgemeinen Zufriedenheit und das nicht nur bei den Mitarbeitern sondern vor allem auch bei den Patienten, die im Notfall sogar besser und schneller versorgt werden können. Hier verdient es noch die Telemedizin zu erwähnen die definitiv viel Potential bietet zum Beispiel in der Nachsorge, wenn dies auch noch ausbaufähig ist. Von Online-Terminbuchung über Chat-Sprechstunden bis hin zu Gesundheits - Checkups über App, die Möglichkeiten sind vielfältig, das Interesse da, wenn auch manchmal nur mäßig, an der Umsetzung mangelt es allerdings bisher noch.
Warum ist es so? Warum verweigern sich manche doch noch so vehement der Digitalisierung? Vielleicht weil nicht wirklich klar ist, was der Sinn und Zweck der Digitalisierung ist. Es ist kaum zu glauben aber teilweise sind immer noch Arztpraxen und Krankenhäuser zu finden, die heute noch die Patientenkarten händisch ausfüllen.
Für Patienten hat sich in diese Richtung bis jetzt sogar kaum was geändert oder sogar verbessert, auch wenn sich doch immer mehr Ärzte bereitstellen zum Beispiel Online - Sprechstunden anzubieten. Lediglich die Termin Vereinbarung online oder Rezeptanforderung bei Dauermedikation findet langsam Nutzer und wird sich somit mit Sicherheit bald wirklich etablieren. Dabei gibt es viele gute Beispiele im Ausland die eine optimale Nutzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen zeigen.
2.2. Digitalisierung in Gesundheitswesen Ausland - Ist Zustand
Während Deutschland noch Informationen auf Papier austauscht, Arztbriefe immer noch postalisch versendet werden und die Politik an den Grundlagen der digitalen Vernetzung arbeitet, gehen andere Länder schon die nächsten Schritte. Ein Internationaler Vergleich der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass das deutsche Gesundheitswesen bei der digitalen Gesundheit vielen anderen Ländern hinterher hinkt. Die Stiftung hat dabei analysiert wie aktiv die Gesundheitspolitik in den Ländern bei der Digitalisierung handelt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Digital-Health-Index von 17 untersuchten Ländern (eigene Darstellung) nach Bertelsmann Stiftung8
Es wird bewertet welche Strategien es gibt, welche sind erfolgreich, welche technischen Technologien sind vorhanden und welche werden in Praxis tatsächlich genutzt. Aus der Analyse ist auch nochmal deutlich zu erkennen wie bedeutend zum Beispiel die elektronischen Patientenakten sind die gefährliche Arzneimittel - Wechselwirkung verhindern können. Der ausgewertete Digital-Health-Index zeigt im internationalen Vergleich an, wie stark ein Land auf digitale Technologien setzt, wie in Abbildung 1 zu sehen ist.
Aus diesem Digital-Health-Index lässt sich ablesen, in welchen Ländern gute Voraussetzungen für erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen sind, inklusive des Zugangs und der Fähigkeiten der Bevölkerung betreffend digitalen Information - und Kommunikationstechnologien. Eine 2014 durchgeführte Umfrage der EU-Kommission zur digitalen Gesundheitskompetenz8 ergab ein ähnliches Bild.
Zudem hat sich gezeigt, dass eine zentralisierte und staatlich finanzierte Struktur eher vorteilhaft auf eine frühe Implementierung von Digitalisierung im Gesundheitswesen wirkt. Beispiele für diesen Typ sind die skandinavische Länder Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland. Dezentrale Strukturen scheinen die Schaffung übergreifender Standards und eine rasche Umsetzung eher zu verzögern. Beispiele für diesen Typ sind Länder wie Deutschland und Frankreich. Ebenso stehen sektorale Trennungen im Gesundheitssystem auf „ambulant“ und „stationär“ der einfachen Umsetzung der Digitalisierung tendenziell entgegen.9
2.3. Zwischenfazit
Es ist also mehr als deutlich wo Deutschland in Sache „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ steht und die Politik muss in Zukunft entschlossener handeln als in der Vergangenheit. Es kann nicht sein, dass sämtliche Akteure des Gesundheitssystems das Vorhaben gegenseitig blockieren da jeder einzelner Teilnehmer des Systems anderes Interesse an der Entwicklung der Digitalisierung hat, oder auch nicht10. Am Ende ist es vor allem der Patient, der diese Ignoranz ausbaden muss und der Staat der auf die enorme Einsparungen, die nach gut durchgeführter Digitalisierung zu erwarten sind, verzichten muss. Diese sind aktuell laut einer Studie von McKinsey & Company für Deutschland auf 34 Mrd. Euro jährlich berechnet11.
Dazu ist es auch wichtig zu erwähnen, dass man bei der Umwandlung auch mehr die Nutzer, also Patienten und Ärzte, einbeziehen sollte, denn der digitale Wandel braucht eine breite Akzeptanz und entsprechend angepasste Aufklärung. Hier mangelt es noch massiv. Bei den Patienten ist die Situation dramatisch denn 81% der Bürger fühlen sich bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht ausreichend informiert, wissen nicht, was sie von der Digitalisierung zu erwarten haben oder wo Wissenslücken bestehen. Dabei sind 60% der Patienten bereit sich zu informieren und wünschen sich eine umfassende Aufklärung durch Ärzte, Krankenkassen oder Politik.12 Naturgemäß etablieren sich technische Neuerungen am ehesten dort rascher, wo ihre Vorteile am deutlichsten zur erkennen sind. Somit ist es nicht verwunderlich, dass in den Ländern in denen Wegstrecke n zum Arzt teils sehr weit sind wie zum Beispiel in Kanada oder Schweden, deutlich früher auf die Möglichkeiten neuer Technologien zurückgegriffen wurde.
Bei den Ärzten spiegelt sich aktuell immer noch stark die allgemein unbefriedigende Situation bei der Entwicklung der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Ärzte mit der latenten Skepsis die Digitalisierung selbst nicht aktiv vorantreiben wollen13, dies eher als Störfaktor empfinden. Zumindest an manchen Bereichen der Digitalisierung, wie zum Beispiel die regelmäßige Digitale Kommunikation mit Patienten, Kollegen, Apothekern oder auch der Pharmaindustrie haben die Ärzte nur wenig Interesse, wie es eine kleine Umfrage am Ende dieser Arbeit belegt.
Dabei gibt es mehrere Untersuchungen und Studien die deutlich zeigen wie effizient, vorteilhaft und gleichzeitig einfach die digitale Kommunikation für alle Beteiligten sein kann. In weiterem Verlauf der Arbeit wird verstärkt auf die Kommunikation (analog & digital) zwischen Ärzteschaft und Pharmaindustrie näher eingegangen.
3. Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und Pharmaindustrie - Ist Zustand
Ärzteschaft und Pharmazeutische Unternehmen stehen durch Vertreterbesuche in regelmäßigem Kontakt. Der Außendienst ist nach wie vor die Informationsquelle Nr.1 für die niedergelassenen Ärzte. Rund 20 Millionen Mal pro Jahr sprechen ca. 15 000 gut geschulte Männer und Frauen im Auftrag ihrer Firmen persönlich bei Ärztinnen und Ärzten vor14. Das Gespräch mit dem Außendienstmitarbeiter sei die wichtigste Informationsquelle für Ärzte zu Produkten von Pharmaunternehmen - noch vor den Fortbildungsveranstaltungen, Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Informationsmaterial, das der Pharmareferent in der Arztpraxis zur Verfügung stellt.15 Von 743 Ärztinnen und Ärzten bezeichneten 63% Gespräche mit Pharmareferenten als wertvoll, 47% sehen keine Alternative zum Pharmaaußendienst. Vertreterbesuche von pharmazeutischen Unternehmen und Versuche, das Verordnungsverhalten positiv zu beeinflussen, gehören zum Alltag in der Arztpraxis. Nach dem Verhaltenskodex, dem sich die Mitglieder des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ (FSA) unterwerfen, ist es unzulässig, Ärzten für die Verordnung oder Anwendung eines Arzneimittels jeglichen Vorteil zu gewähren. Die Marketing Aktivitäten der Pharm. Industrie sind außerdem streng durch das Arzneimittelgesetz (AMG) und Heilmittelwerbegesetz (HWG) reguliert. Der Besuch des Pharmareferenten beim Arzt ist also eine der wenigen Möglichkeiten für das Präparat einer Firma überhaupt zu „werben“.
Der Pharmareferent kann als ein gern gesehene Besucher, informierter Gesprächspartner oder aber auch lästiger Vertreter und skrupelloser Verkäufer gesehen werden. Doch die Pharmazeutische Firmen fühlen sich bei neuen Präparaten geradezu verpflichtet, die Ärzte ausreichend über das Präparat und die optimale Therapie zu informieren bzw. auch zu diskutieren. Trotzdem werden Pharmaberaterinnen und -berater höchst unterschiedlich beurteilt. Ihre Kritiker würden sie am liebsten abschaffen. Andere freuen sich über fachliche Informationen, Gespräche auf Augenhöhe, Präparatemuster oder auch Fortbildungen.
Ein Gespräch zwischen Arzt und Pharmareferent dauert meistens 5 bis 10 Minuten, je nachdem ob es sich bei dem Gespräch um ein neues, innovatives Produkt handelt oder um ein lange bewährtes Präparat das nicht mehr so gesprächsintensiv ist. Manchmal reicht die Zeit höchstens für ein kurzes „...Hallo" an der Theke, Generische Medikamente (Nachahmer Produkte) müssen überwiegend gar nicht mehr besprochen werden, da die Substanzen seit Jahrzenten als Standard Medikamente verordnet werden. Es ist aber auch nicht selten, dass ein Besuch bei Neueinführung eines Medikamentes durchaus eine halbe bis eine Stunde dauern kann. Geschätzt vierzig Prozent der Ärzte sind Termin - Ärzte, bei dem Rest führen die Pharmavertreter sogenannte Kaltbesuche aus, die ohne eine vorherige Zeitabsprache stattfinden.
Die eben beschriebene Kombination von Besuchslänge, verschiedenen Intensitäten der Gespräche, unterschiedlichen Ansprüchen der Ärzte und nicht zuletzt auch unterschiedliche Praxis Abläufe und Gewohnheiten führen oft zu zeitlichen Kollisionen, die für beide Seiten unangenehm und frustrierend sind. Diese führen dann dazu, dass die Gespräche entweder sehr chaotisch und unkonzentriert durchgeführt werden, so dass das Gespräch zum großen Teil lediglich auf den leicht bekömmlichen Small Talk begrenzt wird, oder sie müssen sogar gänzlich abgesagt werden. Über das Medikament wird kaum gesprochen, auch wenn dabei schon neue digitale Technologien in Form von Tablets (iPad) zum Einsatz kommen. Die Therapie selbst wird dann oft gar nicht mehr besprochen.16 Dies ist natürlich nicht im Sinn des besuchten Arztes und schon gar nicht vom Pharmavertreter, der extra für das Gespräch oft sehr lange Wege auf sich nimmt, zumal er oft noch Wartezeit vor dem Gespräch einplanen muss.
Laut mehreren Studien zur „Betreuungsqualität des Pharma-Außendienstes aus der Perspektive niedergelassener Ärzte" geht heraus, dass die Ärzte auch verschiedene andere Anforderungen und Wünsche an die Pharmavertreter haben, die sich oft mit den gegebenen Voraussetzungen nicht (oder nicht immer) erfüllen lassen. So wünschen sich die Ärzte zum Beispiel interessante Präsentationen, gleichzeitig erwarten sie aber, dass der Referent schnellstens auf den Punkt kommt, damit der Arzt „weiter machen kann".17 Die oft hektischen Situationen, die heutzutage in den überfüllten Praxen herrschen, lassen leider nicht zu die Arztbesuche auf dem nötigen Niveau durchzuführen. Der aktuelle Ärztemangel verschlimmert die Situation natürlich nochmal spürbar.
Weitere Art der Kommunikation ist ein Telefongespräch, das aber immer (oder fast immer) mit einem Zwischenglied verbunden ist und zwar mit eine Arzthelferin oder anderer medizinischer Angestellten. Diese ist entweder vom Arzt beauftragt den Pharmareferent anzurufen, um ihn dann mit dem Arzt zu verbinden oder ist sie diejenige, die am Apparat ist, wenn ein Pharmavertreter von sich aus den Arzt sprechen möchte. Schon bereits beim Lesen hier ist es jedem klar, dass dieser Weg sehr zeitaufwändig und logistisch ziemlich anspruchsvoll ist. Denn es ist zu erwarten, dass keiner von den tatsächlichen Gesprächspartnern im gleichen Moment für ein Gespräch spontan Zeit hat. Nicht selten sind diese Gespräche durchaus sehr wichtig, wenn es zum Beispiel um eine unerwünschte Arzneimittelwirkung geht oder eventuell um Lieferschwierigkeiten eines Präparates. Hier wäre eine E-Mail vom Arzt an das Smartphone des Pharmavertreters oder umgekehrt definitiv eine bessere Kommunikationsmöglichkeit, die beidseitig mehr Komfort und Zufriedenheit bieten würde.
Die nächste Möglichkeit mit den selektierten Ärzten zu kommunizieren ist mit der Organisation von Qualitätszirkeln und anderen Veranstaltungen, vor allem für Meinungsbildner und andere engagierte Ärzte, verbunden. Diese hochqualifizierten Veranstaltungen werden meistens bei der Einführung von neuen Präparaten durchgeführt, um die wichtigen Informationen im Kreise der erfahrensten Mediziner zu diskutieren. Veranstaltungen dieser Art sind bei den Ärzten sehr beliebt und hoch angesehen. Entsprechend gesprächs- und kontaktfreudig sind die Teilnehmer dabei, da das Ganze in Ruhe, ohne zeitliche Begrenzung und Hektik stattfindet. Außerdem bekommen die Ärzte für die Teilnahme an der Veranstaltung hoch begehrte Fortbildungs-Punkte der Ärztekammer, die sie in bestimmtem Zeitraum sammeln müssen um sich erneut „Zertifizieren“ zu lassen. Gespräche bei Symposien und Kongressen lassen sich im Wesentlichen nicht beeinflussen, maximal kann im Voraus eine Verabredung geplant werden mit gezielten Themen des Gesprächs. Dies geschieht aber äußerst selten.
Es ist also mehr als deutlich, dass die beschriebenen Kommunikationsmöglichkeiten im niedergelassenen Bereich, bis auf den Qualitätszirkel, aktuell ziemlich unbefriedigend und nicht mehr zeitgemäß sind und lässt erahnen, dass die Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und der Pharmaindustrie in Zukunft anders aussehen muss.
4. Digitalisierung der Kommunikation zwischen Ärzteschaft und Pharmaindustrie allgemein
Im Klinischen Bereich ist die Kommunikation über verschiedene digitale Medien bereits besser etabliert. Immer mehr Pharmaunternehmen reagieren dort auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe und kommunizieren direkt mit ihren Kunden über neue Kanäle, und daneben auch traditionell über Fax, Telefon und Print, denn die Digitalisierung alleine macht kein Unternehmen erfolgreicher, die Mischung mit den bestehenden kommerziellen Modellen, sogenannte Orchestrierung der verschiedenen Kanäle (Multichanel), macht den Unterschied, hier zählt das „Sowohl als auch“ nicht das „Entweder oder“ !
Orchestrated Customer Engagement (OCE) ist die konsequente Weiterentwicklung von Multichanel-Marketing (MCM). Der strategische Ansatz liegt darin, die Nutzung von verschiedenen Kanälen für die Kommunikation mit Ärzten bzw. Kunden allgemein, in die gleichberechtige Zusammenarbeit von Marketing, Vertrieb und IT zu legen. Information an die Ärzte könnte dann tatsächlich kanal- und abteilungsübergreifend, orchestriert und individualisiert zur Verfügung gestellt werden.
4.1. Die Stärke des „Sowohl als auch“
Es haben sich in Kliniken und auch ersten Pilotprojekten im niedergelassenen Sektor drei Schlüsselkategorien von Kommunikationswegen bewährt. Die ausgewerteten Daten zu diesen Kommunikationsversuchen zeigen sehr positive Ergebnisse, die auch für die Kommunikation mit Ärzten im niedergelassenen Bereich zuversichtliche Stimmung erlauben.
4.1.1. Kategorie „Live“
Das Gespräch zwischen Arzt und Pharmareferent von Angesicht zu Angesicht. Diese Form von Kommunikation ist natürlich ideal, wenn sie optimal abläuft. Dies erfordert gute Planung von beiden Seiten, eine hohe Empathie, persönliche Identifizierung und Einvernehmen, zusätzlich hohe Sozial- und Kommunikationskompetenz des Pharmavertreters. Hierzu gehören nicht nur die klassischen persönlichen Besuche in der Praxis sondern auch „virtuelle“ Besprechungen, wie zum Beispiel Telekonferenzen per Skype oder Online-Plattformen, die sehr gute Feedbacks von beteiligten Ärzten bekommen haben, wie es die Abbildung 2 darstellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Befragung von 101 Fach- und Allgemeinärzte (eigene Darstellung)19
Zu dieser Kategorie gehören aber auch die klassischen Telefongespräche mit selektierten Ärzten. Diese erweisen sich sogar als effizienter als manche face to face Gespräche in Bezug auf Produkt-, Indikation- und Konkurrenzthemen, wie die Abbildung 3 zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Vergleich von Themenverteilung bei einem Telefongespräch versus face to face Gespräch19 20
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1 Vgl.: Thill, Klaus-Dieter; 2015
2 Vgl.: Gmeiner, Andreas; 2016
3 Vgl.: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206064/Digitalisierung-Hausaufgaben-erledigen
4 Vgl.: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/e-rezept-bis-2022-unter-dach-und-fach/
5 Vgl.: Smith, Alexandra; 2018
6 https://www.wissensdialoge.de/digitalisierung-was-ist-das-ueberhaupt/
7 Wolf/Strohschen; 2018; S.57
8 Vgl.: Bertelsmann Stiftung; 2018
9 Vgl.: Europäische Komission; 2014
10 Vgl.: Riedler, K.; 2016
11 Vgl.:https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2019/2019- bericht-einfuehrung-der-elektronischen-gesundheitskarte-und-der-telematikinfrastruktur
12 Vgl.: McKinsey&Company; 2018
13 Vgl.: https://www.hcm-magazin.de/was-wird-von-einem-digitalen-gesundheitswesen- erwartet/150/10737/381441?xing_share=news, 07.12.2018
14 Vgl.: Mihn, A.; 2019
15 Vgl.: Lieb/Brandtönies; 2010
16 Vgl.: Korzilius/Rieser; 2007
17 Vgl.: Murray, L.; 2018
18 Vgl.: Klaus/Brandtönies; 2010
19 Vgl.: Murray, L.; 2018
20 Vgl.: Murray, L.; 2018