Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Kurzgeschichten "Nachts schlafen die Ratten doch" von Wolfgang Borchert (1947) und "Glück haben" von Elisabeth Langgässer (1946). Aus den Kurzgeschichten soll ein didaktisches Konzept für den Literaturunterricht entstehen.
Dazu werden sie zunächst fachwissenschaftlich und im Anschluss fachdidaktisch untersucht. Im Laufe der fachwissenschaftlichen Betrachtung, soll auf Grundlage von Sekundärliteratur zu den Werken eine Interpretation vollzogen werden. Die dabei leitenden Aspekte bilden der Entstehungshintergrund, die sprachliche Gestaltung, der Aufbau sowie die Wirkung der Kurzgeschichten. Wesentliche Aufgabe dieses Teils ist es, dass die Werke inhaltlich und interpretatorisch verständlich werden. Auf dieser Basis wird eine folgende fachdidaktische Untersuchung der Kurzgeschichten möglich.
Hierbei soll zunächst die Auswahl der vorliegenden Exemplare erläutert werden, sodass ihre didaktische Eignung erkennbar wird. Auf Grundlage dessen, kann dann eine Jahrgangsstufe ausgewählt werden, die sich für ein didaktisches Vorhaben anbietet. Bei dieser Auswahl sowie der weiteren Ausarbeitung des didaktischen Konzepts, in dem eine exemplarische Unterrichtsreihe und eine Einzelstunde zum Thema dargestellt werden, wird entlang des Kernlehrplans von Nordrhein-Westfalen gearbeitet und methodische Entscheidungen mithilfe von didaktischer Fachliteratur begründet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Fachwissenschaftlicher Teil
2.1 Interpretation der KurzgeschichteNachts schlafen die Ratten doch
2.2 Interpretation der KurzgeschichteGlück haben
3 Fachdidaktischer Teil
3.1 Die Auswahl der Kurzgeschichten und ihre didaktische Eignung
3.2 Das didaktische Konzept
3.2.1 Exemplarische Unterrichtsreihe: Kurzgeschichten der Nachkriegszeit
3.2.1 Exemplarische Einzelstunde: Einstieg in die Thematik
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: TabellarischerVerlaufsplanderUnterrichtsreihe
Tab. 2: Tabellarischer Verlaufsplan der Einzelstunde
Anhang
1 Kopie:Nachts schlafen die Ratten doch(Wolfgang Borchert, 2003)
2 Kopie:Glückhaben(Elisabeth Langgässer, 2003)
3 OHP-Folie: Bildervon Kriegskindem
1 Einleitung
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit den KurzgeschichtenNachts schlafen die Ratten dochvon Wolfgang Borchert (1947) undGlück habenvon Elisabeth Langgässer (1946). Aus den Kurzgeschichten soll ein didaktisches Konzept für den Literaturunterricht entstehen.
Dazu werden sie zunächst fachwissenschaftlich und im Anschluss fachdidaktisch untersucht. Im Laufe der fachwissenschaftlichen Betrachtung, soll auf Grundlage von Sekundärliteratur zu den Werken eine Interpretation vollzogen werden. Die dabei leitenden Aspekte bilden der Entstehungshintergrund, die sprachliche Gestaltung, der Aufbau sowie die Wirkung der Kurzgeschichten. Wesentliche Aufgabe dieses Teils ist es, dass die Werke inhaltlich und interpretatorisch verständlich werden. Auf dieser Basis wird eine folgende fachdidaktische Untersuchung der Kurzgeschichten möglich.
Hierbei soll zunächst die Auswahl der vorliegenden Exemplare erläutert werden, sodass ihre didaktische Eignung erkennbar wird. Auf Grundlage dessen, kann dann eine Jahrgangsstufe ausgewählt werden, die sich für ein didaktisches Vorhaben anbietet. Bei dieser Auswahl, sowie der weiteren Ausarbeitung des didaktischen Konzepts, in dem eine exemplarische Unterrichtsreihe und eine Einzelstunde zum Thema dargestellt werden, wird entlang des Kemlehrplans von Nordrhein-Westfalen gearbeitet und methodische Entscheidungen mit Hilfe von didaktischer Fachliteratur begründet. Besonderheiten, die sich im Laufe der Ausarbeitung ergeben, werden in einem abschließenden Fazit zusammengefasst.
Um eine Übersicht zu den Kurzgeschichten zu erhalten, befasst sich das folgende Kapitel nun zunächst mit der fachwissenschaftlichen Betrachtung der Werke.
2 Fachwissenschaftlicher Teil
Der fachwissenschaftliche Teil befasst sich mit den Interpretationen der Kurzgeschichten und ist gemäß der geschilderten Intention dieses Kapitels reduziert worden. Neben den Kemthesen, sollen aus der Bearbeitung vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kurzgeschichten deutlich werden, auf welche, neben ihren literarischen Merkmalen, im darauf folgenden Kapitel nochmals Bezug genommen wird.
2.1 Interpretation der Kurzgeschichte Nachts schlafen die Ratten doch
Jahre 1947, im SammelbandAn diesem Dienstag. Neunzehn Geschichten,von Wolfgang Borchert veröffentlicht (vgl. Winter 2004, S. 46). Wie nahezu alle Werke dieser Sammlung, thematisiert sie die Zerstörung des Individuums durch die Folgen des Krieges, fokussiert dabeijedoch nur die Opfer und lässt den geschichtlichen Hintergrund außen vor (vgl. ebd.).
Das hier beschriebene Opfer ist ein neunjähriger Junge namens Jürgen. Nach einem Luftangriff bewacht er den Leichnam seines Bruders vor Ratten, als er in die Konversation mit einem alten Mann tritt. Dieser erzählt dem Jungen von seinen neunundzwanzig Kaninchen und überzeugt ihn schließlich, mit Hilfe dieser davon, dass er nachts nicht über seinen Bruder wachen müsse, da die Ratten nachts schlafen. Eine Kopie der Neuauflage dieser Kurzgeschichte findet sich im Anhang (vgl. Anhang 1).
Über den „Ausgangszustand“ (Casuri 1996, S. 155 ff.), sowie „Folge-/ bzw. Endzustand“ (ebd.) werden im Laufe der Kurzgeschichte nur wenige Informationen geliefert (vgl. Winter 2004, S. 47). Sie reichen jedoch dazu aus, das geschilderte Geschehen bzw. nach Casuri (1996, S. 155 ff.) den „Übergangszustand“ verstehen zu können. Besonders sprachliche Mittel führen hier dazu, die Atmosphäre zu verdeutlichen und einen Stimmungswechsel wahmehmen zu können (vgl. Große 1995, S. 52). Personifikationen, wie die einer „vereinsamten Mauer“ (Borchert 2003, S. 30), eines blaurot gähnenden Fensters (vgl. ebd.) oder einer Schuttwüste, die „döst“ (ebd.), erzeugen eingangs eine müde und leblose Stimmung und lassen auf eine vergleichbare Seelenlandschaft deuten (vgl. Große 1995, S. 52). Unterstützt wird dieses „apokalyptische Bild“ (ebd.) durch eine „expressive Farbgebung“ (Winter 2004, S. 47). Diese und auch die Wortwahl, verändern sich jedoch im Laufe der Kurzgeschichte (vgl. ebd., S. 47 ff.). Die „blaurote [...] Abendsonne“ (Borchert 2003, S. 30) wird nun als „rot“ (ebd., S. 34) beschrieben und das Kaninchenfutter bringt grüne, leicht grau gefärbte Farbakzente mit sich (vgl. ebd.). Es kann darauf geschlossen werden, dass den Jungen nun eine „vorsichtige Hoffnung“ (Winter 2004, S. 48) erfüllt und, dass seine zunächst „matte“ (ebd.) Gefühlslage nun von „Lebendigkeit“ (ebd.) überdeckt wird. Diese Wirkung wird außerdem durch eine Reihe von belebenden Beschreibungen, wie die des aufgeregt schwenkenden Korbes (vgl. Borchert 2003, S. 34) unterstützt.
In Bezug auf die beschriebene, stilistische Entwicklung, kann gedeutet werden, dass Jürgen sich im Laufe der Konversation mit dem alten Mann für das Lebendige, also die Kaninchen, statt seinen toten Bruder entscheidet (vgl. Winter 2004, S. 54). Er handelt somit wieder kindgemäß (vgl. ebd., S. 53), während er zu Beginn „in selbstgewählter Isolation und unkindlicher Selbstständigkeit“ (ebd., S. 54) lebt. Es ist die Feinfühligkeit und das Geschick des alten Mannes (vgl. ebd., S. 53), dass Jürgen nicht um seine Kindheit gebracht wird (vgl. ebd.), sondern mit Hilfe von „Zuversicht, Geborgenheit [und] Güte“ (ebd.) wieder Kind sein darf. Die Kurzgeschichte verdeutlicht, dass Menschlichkeit bzw. Humanität das Chaos der damaligen Zeit begrenzen kann (vgl. Große 1995, S. 54).
Innerhalb der Schilderung dieser Geschehnisse können außerdem Parallelen mit der Biografie des Autors erkannt werden (vgl. Winter 2004, S. 48 ff.). Wolfgang Borchert war neben seiner Arbeit als Schriftsteller, ein ausgebildeter Schauspieler und litt viele Jahre an einer schweren Krankheit (vgl. Große 1995, S. 20 ff.). Seine Kurzgeschichten und so auch das WerkNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947), haben deshalb den Charakter eines Schauspiels und die darin auftretenden Figuren können häufig als Spiegel seiner Selbst interpretiert werden (vgl. Winter 2004, S. 48 ff.). So gelingt es dem Mann in der Kurzgeschichte den Jungen durch schauspielerisches Talent zu überzeugen (vgl. ebd., S. 48) und die Entscheidung für das Leben, die der Junge darauf trifft, deutet auf den „eigenen Wunsch nach Zukunft“ (ebd., S. 50) hin.
Die KurzgeschichteNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947) stellt mit Hilfe einfacher sprachlicher Mittel das Leben der Opfer des Krieges dar und vermittelt sowohl die äußeren Zustände, wie auch die Gefühlswelt des Einzelnen. Es handelt sich somit um die Darstellung der Wirklichkeit. Inwiefern die weitere, ausgewählte Kurzgeschichte hinsichtlich dieser Thematik interpretiert werden kann, ergibt sich aus dem folgenden Kapitel.
2.2 Interpretation der Kurzgeschichte Glück haben
Die KurzgeschichteGlück habenist 1946 von Elisabeth Langgässer verfasst wurden und thematisiert die nervliche und geistige Verwirrung der Menschen, als Folge des Krieges und des NS-Regimes (vgl. Bellmann 2004, S. 52 f.).
In der Kurzgeschichte wird von dem Besuch eines Sanatoriums erzählt, in dem die Erzählerin einen Bekannten abholen möchte. Während sie auf diesen wartet, lauscht sie dem Selbstgespräch einer älteren Dame. Diese erzählt von den wesentlichen und traumatischen Ereignisses ihres Lebens im und nach dem Krieg, die sie schließlich in die Anstalt bringen. Als sie zum Ende des Gesprächs einen psychischen Ausbruch erleidet und von der Wärterin beruhigt werden muss, schlagen die ältere Dame, die Erzählerin und ihr Bekannter auf diese ein. Dies hat zur Folge, dass die Erzählerin für mehrere Wochen auch zur Patientin der Klinik wird. Weitere Details der Kurzgeschichte, können der Neuauflage im Anhang entnommen werden (vgl. Anhang 2).
Der umrissene Inhalt der Kurzgeschichte lässt sich in eine Rahmen- und Binnenerzählung einteilen (vgl. ebd., S. 53 f.). Zum Einen wird die Geschichte der Besucherin erzählt und zum Anderen die Lebensgeschichte der Patientin. Die Glieder der Kurzgeschichte werden jedoch nicht nur inhaltlich deutlich, sondern auch durch den Einsatz von zwei „IchErzählerinnen“ (ebd., S. 53) und die jeweils unterschiedliche Gestaltung der Erzählzeit (vgl. ebd., S. 53 ff.). Während die Besucherin als „erzählendes Ich“ (ebd., S. 54) zunächst „zeitdeckend erzählt“ (ebd.), wird die Binnenerzählung durch ein „erlebendes Ich“ (ebd.), wie der Abschluss der Rahmenerzählung zeitraffend und aus einem zeitlichen Abstand wiedergegeben (vgl. ebd.). Durch die Art und Weise dieser erzählerischen Gestaltung, identifiziert sich der Leser zu Beginn der Erzählung mit der Besucherin der Anstalt (vgl. Durzak 2002, S. 372) und nimmt diese als selbstkontrollierte Persönlichkeit wahr (vgl. ebd., S. 369). Da sie im Endeffekt das Schicksal der Patientin als „stellvertretend für sich selbst akzeptiert“ (ebd., S. 371), gelingt es somit, dem Leser ein erhöhtes Maß an Verständnis für die psychisch kranke Frau zu vermitteln (vgl. ebd., S. 372).
Innerhalb der Binnenerzählung wird das Leben der Patientin als eine „ständige Katastrophenannäherung“ (ebd., S. 370) geschildert. Sie nennt sich zunächst selbst ein „Glückskind“ (Langgässer 2003, S. 37) und beschreibt die drauf folgenden Schicksalsmomente, das heißt den Tod und den Abstieg der Familie, als eine Aneinanderreihung von Glück bezüglich unwichtiger Tatsachen, wie dem Fund eines Koffers (vgl. ebd., S. 40) und Unglück bezüglich wichtiger Tatsachen, wie dem Tod ihrer Tochter (vgl. ebd.). Diese Art der Schilderung als „groteske [...] Glück im Unglück [Kette]“ (Durzak 2002, S. 370), lässt darauf schließen, dass die Patientin die Geschehnisse aus „psychischen Selbsterhaltungstrieb“ (Bellmann 2004, S. 56) beschönigt (vgl. ebd.) und das Schicksal, anstelle der politischen Umstände als Begründung des persönlichen Niedergangs sieht (vgl. Durzak 2002, S.370). Elisabeth Langgässer skizziert somit „Beschönigung, Abwehr und Realitätsverlust“ (Bellmann 2004, S.60) als Umgang mit traumatischen Erlebnissen des Krieges (vgl. ebd.) und unterstützt dies mit einer unterbetonten Sprache, die einen unbeteiligten Anschein bewirkt (vgl. Kuipers 1970, S. 140). Des Weiteren nutzt sie dieses Verdrängungssyndrom der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft (vgl. Giordano 1987) als inhaltliches Mittel zur Verknüpfüng der Rahmen- und Binnenerzählung (vgl. Bellmann 2004, S. 58), denn auch die Besucherin der Klinik aus der Rahmenerzählung, beschönigt ihre Situation, indem sie unter anderem das Sanatorium als ein „Paradies“ beschreibt (Langgässer 2003, S. 35).
Die KurzgeschichteGlück haben(Langgässer, 1946) fokussiert somit zwei „[traumatisierte] Erzählerinnen“ (Bellmann 2004, S. 60), die mit den Erlebnissen des Krieges exemplarisch umgehen (vgl. ebd., S. 59). Da die Individualgeschichte der Patientin eng mit der Realgeschichte verknüpft ist (vgl. ebd., S. 59) und auch eigene Erfahrungen der Autorin zur Erzählung beitragen (vgl. ebd., S. 55), vermittelt die Kurzgeschichte dem Leser besonders authentisch das Klima der Zeit. Im Gegensatz zur vorherig analysierten Kurzgeschichte, werden hier außerdem politische Dimensionen fokussiert.
Inwiefern die literarischen Eigenheiten der Werke für ein didaktisches Konzept förderlich sind und darin umgesetzt werden können, zeigen die folgenden Kapitel.
3 Fachdidaktischer Teil
Der fachdidaktische Teil dieser Arbeit fuhrt auf Grundlage der vorangegangenen Kapitel zu der Ausarbeitung eines didaktischen Konzepts. Da die Kurzgeschichten bereits vorgestellt worden, kann ihre Auswahl nun erläutert und hinsichtlich der didaktischen Eignung begründet werden.
3.1 Die Auswahl der Kurzgeschichten und ihre didaktische Eignung
„Lemfortschritt und Lesemotivation dürften sich am besten mit Texten fördern lassen, an denen sich einerseits literarische Aspekte exemplarisch verdeutlichen lassen, die andererseits aber auch - aufgrund einer zeitgenössischen oder jugendspezifischen Thematik und eines angemessenen Schwierigkeitsgrades - bei Schülern Interesse wecken sowie eine produktive Neugier oder Irritation erzeugen können“ (Pfäfflin 2010, S. 26).
Dies bedeutet für die vorliegenden Kurzgeschichten, dass sie auf eine motivierende und interessefördemde Weise, literarische und inhaltliche Merkmale der Kurzgeschichte vermitteln und somit fachliche und allgemeine Kompetenzen der Schüler fördern müssen. Im Folgenden werden zunächst für diese Kompetenzen förderliche Potenziale der vorliegenden Exemplare verdeutlicht. Daran anschließend werden dann Eigenschaften der Gattung und Ausgestaltung dargestellt, die besonders positiv für die Motivation, das Interesse und das Behalten bezüglich der Inhalte sind.
Beide Werke haben trotz ihrer Kürze, durch ihre inhaltliche „Verdichtung“ (Große 1995, S. 35) eine intensive Wirkung auf den Leser. Dies bedeutet, dass sie als typische Exemplare ihrer Gattung beschrieben und sprachliche Gestaltungsweisen durch sie verdeutlicht werden können. Besonders durch die Kurzgeschichte Borcherts, kann demonstriert werden, was die Gattung der Kurzgeschichte ausmacht (vgl. ebd., S. 41). Aber auch das vorliegende Werk Langgässers beinhaltet gattungsspezifische Merkmale. So beginnen beispielsweise beide Kurzgeschichten mit einer rätselhaften Überschrift, die im Laufe der Handlung aufgelöst wird und beinhalten Formmittel, wie die ausschnittsweise Darstellung der Wirklichkeit oder die Offenheit von Anfang und Schluss, um ihre Aussagen zu intensivieren (vgl. ebd., S. 36). Da die gattungsspezifischen Merkmale sich nur teilweise überschneiden und vielmehr ergänzen, ist eine Kombination der vorliegenden Exemplare zur nahezu vollständigen Vermittlung der gattungsspezifischen Merkmale der Kurzgeschichte sinnvoll. Neben dieser Vermittlung kann der suggestive Charakter der Kurzgeschichte (vgl. ebd., S. 36), der auch in den vorliegenden Exemplaren enthalten ist, außerdem zur Übung der Interpretationskompetenz genutzt werden. Der Leser muss hier die „Komplexität erkennbar [...] machen und die durch Aussparung entstandenen Leerstellen“ (ebd.) füllen. Bezüglich der Vermittlung fachlicher Kompetenzen, gelten die KurzgeschichtenNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947) undGlück haben(Langgässer, 1946) also als didaktisch geeignet und vor allem ihre gegenseitige Ergänzung begründet die Auswahl der Werke für den Literaturunterricht.
Weitere dahingehende Kriterien finden sich außerdem in ihrem Vermittlungspotenzial bezüglich allgemeiner Kompetenzen. Beispielsweise tragen das entstehende Mitgefühl mit Jürgen, aus der KurzgeschichteNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947) oder die Identifikation und aufkommende Empathie mit den Erzählerinnen der GeschichteGlück haben(Langgässer, 1946), zu einer verbesserten Identitätsentwicklung der Schüler bei (vgl. Pfäfflin 2010, S. 44 ff.). Des Weiteren spiegeln die Kurzgeschichten der Nachkriegszeit „das mentale und materielle Klima dieser Zeitphase“ (Durzak 2002, S. 363) wieder und können somit beiläufig den historischen Zusammenhang vermitteln (vgl. Pfäfflin 2010, S. 27 f.). Die hier vorliegenden Exemplare haben dabei ein besonderes „zeitdiagnostisches Potenzial“ (ebd., S. 27). Der Umgang mit der Vergangenheit und der Thematik des Krieges, seiner Folgen und Verarbeitungsmöglichkeiten, kann für die Gegenwart lehrreich sein, wenn zum Beispiel auf aktuelle Entwicklungen, wie die der neuzugewanderten Kriegsflüchtlinge, Bezug genommen wird. Auch hier ist es sinnvoll, die vorliegenden Kurzgeschichten miteinander zu verknüpfen. Die angesprochene Thematik wird in den Exemplaren, die nur kurz nacheinander entstanden, in unterschiedlicher Weise fokussiert (vgl. Kap. 2) und kann in Kombination miteinander, zu einem besseren Verständnis und reflektierterem Umgang mit dem Thema führen. So schildert die KurzgeschichteNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947) das Leben und die Erlebnisse im Krieg und die KurzgeschichteGlück haben(Langgässer, 1946) die Verarbeitung dessen, die somit einsichtiger wird. Die politischen Dimensionen der Kurzgeschichte Langgässers (vgl. Kap. 2.2) führen hier außerdem zu einer differenzierten Betrachtungsweise der Thematik und vermitteln konkrete Zeitumstände.
Über dieses Potenzial der literarischen Eigenschaften der Kurzgeschichten hinaus, tragen außerdem weitere Aspekte zur ihrer didaktischen Eignung bei. Dabei lassen sich vor allem der angemessene Schwierigkeitsgrad und die jugendspezifische Zugangsweise nennen. Ein Text muss erzählperspektivisch fesseln, aber auch eine interpretatorische Herausforderung bieten (vgl. Pfäfflin 2010, S. 24). Aus den vorangegangenen Interpretationen wird deutlich, dass sowohl die Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert, als auch das Werk Elizabeth Langgässers, dieses Kriterium erfüllen können. Die KurzgeschichteNachts schlafen die Ratten doch(Borchert, 1947) ist überschaubar, gut lesbar und verständlich, aber führt auf Grund der sprachlichen Gestaltung zunächst zu offenen Fragen beim Leser, diejedoch leicht beantwortet werden können und somit dazu anreizen, selbstständig eine Lösung zu finden (vgl. Große 1995, S. 93 f.). Dieser Reiz hat eine motivierende Wirkung, weshalb sich das Werk besonders für den Einstieg in die Gattung und Thematik eignet. Da die KurzgeschichteGlück haben(Langgässer, 1946) stärker mit dem historischen Hintergrund in Verbindung steht (vgl. Kap. 2.2) und somit anspruchsvoller zu deuten ist, kann sie im Unterricht, ähnlich wie auf thematischer Ebene, als Weiterführung der Kurzgeschichte Borcherts dienen.
[...]