In Kunst, Mode, Architektur, Film und Fotografie findet man Pflanzen als Verweis auf Natürliches, Schönes, Vergängliches oder Ursprüngliches. Das romantische Verständnis der Pflanze oder Blume als Zeichen für etwas, das es zu erhalten, bewahren und zu transformieren gilt, festigt den Dualismus Natur–Kultur, dessen Pole in den Denkmustern der neueren Forschung gar nicht mehr eindeutig voneinander trennbar sind.
Im Vordergrund dieser Arbeit stehen die Plastiken der amerikanischen Künstlerin Beverly Penn, die in ihren Werken verschiedene historische und kulturelle Bezüge herstellt, indem sie real existierende Pflanzen 1:1 in Bronze gießt und in unterschiedlichen Konstellationen als Wandgebilde präsentiert. Die Darreichungsform von Pflanzen in den Werken Penns legt indexikalische Bezüge zu traditionellen Formen von Kunst und Kunsthandwerk als auch zu Sphären außerhalb der Kunst- und Pflanzenwelt offen. Ihnen gemein ist die Überhöhung der verwendeten Pflanzen und die damit einhergehende positivistische, idealisierte Vorstellung von Natur und von Pflanzen als ihr visueller Platzhalter. Ihr Umgang mit der einzelnen Pflanze als individuelle Form steht im Verhältnis zur Stellvertreterfunktion, die diese sodann in einem transformierten Zustand und in neuer Kontextualisierung einnimmt. Gleich bleibt ihr Herstellungsprozess, in jeder der hier vorgestellten Serien spielt Penn jedoch auf andere Aspekte kultureller Praxis an.
Naheliegend ist auch deshalb die Auseinandersetzung mit Karl Blossfeldts Pflanzenfotografien. In einem Spannungsfeld zwischen funktionaler Verwendung für das Kunsthandwerk und als ästhetische Entsprechung für das, was als „Urformen der Kunst“ eine romantische Vorstellung von Natur als Ursprung alles Schöpferischen widerspiegeln soll, sind Blossfeldts Arbeiten unter die Lupe zu nehmen. Sein Umgang mit der einzelnen Pflanze und ihrem Werdegang vom Individuum zum Typ durch die Art der Gestaltung dient als Ausgangspunkt für die Untersuchungen zu den künstlerischen Strategien sowohl Blossfeldts als auch Penns.
I NHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 KARL BLOSSFELDT UND DIE „URFORMEN DER KUNST“
2.1 Von Urformen und Urpflanzen
3 BEVERLY PENNS PFLANZEN ZWISCHEN DEKORUM UND DENKMAL
3.1 Historische Bezüge zu Kunst und Kunsthandwerk
3.2 Ordnung und Neuanordnungen
3.3 Natur als Ideal
4 FAZIT: PFLANZEN ALS SEMIOTISCHE ZEICHEN
LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSNACHWEISE
ABBILDUNGEN
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1 Karl Blossfeldt: Dornige Gänsedistel
Abb. 2 Karl Blossfeldt: Ahorn
Abb. 3 a) unbekannte Schülerin: Pokal b) Karl Blossfeldt o. Louis Heitsch: Glockenblume
Abb. 4 Karl Blossfeldt: Arbeitscollage Farne
Abb. 5 Titelblatt von Karl Blossfeldt, Urformen der Kunst
Abb. 6 Karl Blossfeldt: Springkraut
Abb. 7 Karl Blossfeldt: Nieswurz, Christrose
Abb. 8 Beverly Penn: Bulbine
Abb. 9 Beverly Penn: Damascene
Abb. 10 Beverly Penn: Jacquard
Abb. 11 Beverly Penn: Window Box
Abb. 12 Beverly Penn: Eigth Months Time. Snow Hawthorne
Abb. 13 Beverly Penn: Two Weeks Time. Wild Onion
Abb. 14 Beverly Penn: Phylum
1 EINLEITUNG
„The impulse to arrange the wild variety of the natural world to fit in intellectual symmetry is a fundamental human urge. “ Beverly Penn im Audioguide zur Ausstellung „Heavy Metal - Women to Watch 2018“, National Museum of Women in the Arts (Washington).
In Kunst, Mode, Architektur, Film und Fotografie findet man Pflanzen als Verweis auf Natürliches, Schönes, Vergängliches oder Ursprüngliches. Das romantische Verständnis der Pflanze oder Blume als Zeichen für etwas, das es zu erhalten, bewahren und zu transformieren gilt, festigt den Dualismus Natur-Kultur, dessen Pole in den Denkmustern der neueren Forschung gar nicht mehr eindeutig voneinander trennbar sind.
Im Vordergrund dieser Arbeit stehen die Plastiken der amerikanischen Künstlerin Beverly Penn, die in ihren Werken verschiedene historische und kulturelle Bezüge herstellt, indem sie real existierende Pflanzen 1:1 in Bronze gießt und in unterschiedlichen Konstellationen als Wandgebilde präsentiert. Die Darreichungsform von Pflanzen in den Werken Penns legt indexikalische Bezüge zu traditionellen Formen von Kunst und Kunsthandwerk als auch zu Sphären außerhalb der Kunst- und Pflanzenwelt offen. Ihnen gemein ist die Überhöhung der verwendeten Pflanzen und die damit einhergehende positivistische, idealisierte Vorstellung von Natur und von Pflanzen als ihr visueller Platzhalter. Ihr Umgang mit der einzelnen Pflanze als individuelle Form steht im Verhältnis zur Stellvertreterfunktion, die diese sodann in einem transformierten Zustand und in neuer Kontextualisierung einnimmt. Gleich bleibt ihr Herstellungsprozess, in jeder der hier vorgestellten Serien spielt Penn jedoch auf andere Aspekte kultureller Praxis an, die im Folgenden noch ausführlicher behandelt werden.
Naheliegend ist auch deshalb die Auseinandersetzung mit Karl Blossfeldts Pflanzenfotografien. In einem Spannungsfeld zwischen funktionaler Verwendung für das Kunsthandwerk und als ästhetische Entsprechung für das, was als „Urformen der Kunst“ eine romantische Vorstellung von Natur als Ursprung alles Schöpferischen widerspiegeln soll, sind Blossfeldts Arbeiten unter die Lupe zu nehmen. Sein Umgang mit der einzelnen Pflanze und ihrem Werdegang vom Individuum zum Typ durch die Künstlerische Strategien der Semiotisierung von Pflanzen bei Karl Blossfeldt und Beverly Penn Art der Gestaltung dient als Ausgangspunkt für die Untersuchungen zu den künstlerischen Strategien sowohl Blossfeldts als auch Penns.
Mit einem kurzen Blick zurück auf Werke von Karl Blossfeldt soll nun zunächst beleuchtet werden, wie die schon in einem anderen, modernen Medium Pflanzen als ideales Motiv verwendet wurden, um Ideen von Ursprünglichkeit visuell auszudrücken. Es folgt die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Serien, in denen Beverly Penn die Pflanze zum semiotischen Zeichen werden lässt und eine genauere Betrachtung des romantischen Versprechens von „Ursprünglichkeit“ durch Natur in Werken moderner und zeitgenössischer Kunst, wie es Monika Wagner herausstellt.
Die Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt werden bis heute immer wieder ausgestellt und neu kontextualisiert: Mal im historischen Zusammenhang als eine der Positionen der Fotografie der Neuen Sachlichkeit oder zur Frage nach Serialität und Individualisierung (wie im Museum Ludwig für „Doing the Document“ in Gegenüberstellung zu den Arbeiten von Albert Renger-Patzsch oder Bernd und Hilla Becher) oder auch als Ausgangspunkt für konzeptuelle Fotografie der Gegenwart und Vergangenheit (wie in der Ausstellung „No Two Alike“, wo sie während der Cincinnati-FotoFocus-Biennale 2018 neben Thomas Ruff und Francis Bruguière gezeigt wurde). In Köln wird gerade Blossfeldts Werk in „Poesie der Pflanze - Photographien von Karl Blossfeldt und Jim Dine“ von der SK Stiftung Kultur explizit unter der Prämisse der Pflanzendarstellung gezeigt und zuvor beleuchtete das Kunstgewerbemuseum Berlin in „Form Follows Flower“ seine Fotografien und Güsse in deren ursprünglichen Verwendung als Formenrepertoire für die Lehrsammlung der hiesigen Kunstgewerbeschule. Die anhaltende Popularität seiner Pflanzenbilder ist jedoch kaum verwunderlich. Sie sind ästhetisch ansprechend und bis zu einem gewissen Grad minimalistisch reduziert. Sie stellen die einzelnen Motive als individuell heraus, ohne ihnen ihre eindeutige Zuordnung als Pflanze zu entziehen. Die starken Ausschnitte der Bilder, ihre hohen Kontraste (bedingt durch die S/W-Fotografie vor hellem Hinter- bzw. Untergrund) und die dadurch entstehende Zeichenhaftigkeit des Motivs sind dafür verantwortlich.
Ohne nun auf die zahlreichen Verweise und Untersuchungsansätze eingehen zu können, die sich bei der Beschäftigung mit dem Œvre Blossfeldts eröffnen, seien hier zwei Aspekte hervorgehoben, die im Kontext dieser Arbeit wichtig sind.
2.1 Von Urformen und Urpflanzen
Karl Blossfeldts Interesse an Pflanzen rührt aus seiner Tätigkeit für Moritz Meurer (1839-1916) her, der zwischen 1868 und 1883 am Berliner Kunstgewerbemuseum lehrte und das Pflanzenstudium als essentiellen Teil der Ausbildung dort etablierte. Blossfeldt fertigte unzählige Fotografien, sowie Herbarkästen und Bronzeabgüsse für Meurer an, die dieser als Lehrmittel einsetzte (s. Abb. 1-3b). In seiner Gestaltungslehre sollten die Gesetze natürlicher Formgebung erörtert werden und für die Kunstgewerbeschüler*innen zur Basis ihrer eigenen Arbeiten werden. Meurer ging weiter als die Vorlagenwerke von Karl Krumbholz, Owen Jones oder Charles Auguste Künstlerische Strategien der Semiotisierung von Pflanzen bei Karl Blossfeldt und Beverly Penn Racinet.1 Für seine Form- und Lehrtheorie stützte sich Meurer auf Schriften Gottfried Sempers, in denen die Annahme erneuert wurde, dass jegliche künstlerische t 2 Hervorbringung von der Natur abhing2 und publizierte sie in mehreren Lehrbüchern. Besonders hervorzuheben ist hier sein didaktisches Werk „Pflanzenformen“ von 1895, für das Blossfeldt ebenfalls Abbildungen beisteuerte (s. Abb. 1).
Eigentlich war Blossfeldt an die Berliner Kunstgewerbeschule gekommen, um Modelleur zu werden und trat in dieser Funktion auch in ein Projekt Meurers ein. Formale Unterschiede zwischen den beiden Medien Skulptur und Fotografie ergeben sich teilweise aus den technischen Gegebenheiten, die zu deren Erstellung nötig sind. Durch die Linien betonende S/W-Fotografie treten die Bildgegenstände stärker durch ihre Zeichenhaftigkeit hervor; dies ist dem Verlust der Farbe zuzurechnen, dementsprechend könnte man sie als Übersetzung von Farbe in Form bzw. Linie sehen, die beim Wechseln von Skulptur in das Medium der Fotografie nötig wird.
In seinen Fotografien gelang es Blossfeldt die Inszenierungsabsicht seiner Werke in verschiedenen Szenarien zu präsentieren und festzuhalten. Das Medium ist als Erweiterung seiner skulpturalen Arbeit zu verstehen. Die Fotografien ersetzen die plastischen Arbeiten nicht, sie reichern sie an: Es sind nicht bloß Fotos von Pflanzen - sie haben selbst skulpturale Qualitäten. Bald schon sollte er jedoch ebenfalls Kurse leiten und für diese unzählige Fotografien anfertigen, die er auf großen Bögen den Schüler*innen als Anschauungsmaterial zur Verfügung stellte. Diese Arbeitscollagen bestanden aus mehreren Abbildungen der gleichen Pflanze, verschiedenartig belichtet und immer in bis zu 30-facher Vergrößerung der Motive. Die skulpturalen Qualitäten der Blätter, Stängel und Knospen treten so besonders hervor und lassen ein genaues Studieren ihrer Formen zu (s. Abb. 4).
Besondere Beachtung sollte man auch der Publikation als Fotobuch schenken, in der Blossfeldts Fotografien in Form eines aus zeitgenössischer Sicht hochaktuellen Mediums Verbreitung fanden. Als er bereits 60 Jahre alt war und sich im Kunstgewerbemuseum niemand mehr mit dem Naturstudium nach Meurers oder 3 Blossfeldts Art beschäftigen wollte,3 ließ der Galerist Karl Nierendorf die „Urformen der Kunst“ als Fotobuch publizieren (s. Abb. 5-7). Obwohl es sich von den populären, an „die Masse“ gerichteten Fotobücher wie „Die Welt der Pflanzen“ (1924), „Blühende Welt“ (1929) oder „Formen des Lebens. Botanische Lichtstudien“ (1931) mit ähnlichen Motiven klar durch Preis, Größe und ein aufwendigeres, traditionelles Druckverfahren (Lithographie) abgrenzte, wurde das Buch zum Kassenschlager.4 Zwei Jahre zuvor, im Jahr 1926 stellte Nierendorf Blossfeldts Fotografien in seiner Berliner Galerie aus. In „Exoten, Kakteen und Janthur“ stellte er sie in den Kontext nicht-westlicher Skulpturen aus Neu-Guinea und Afrika - und stellte sie in den Dienst des Primitivismus der Moderne.5 Im Fotobuch dagegen, wird die exotische Wirkung der Fotografien zum visuellen Gestaltungsmittel, um die übergeordnete, reine Formsprache zu zeigen, aus der alle künstlerische Produktion schöpft: die sogenannten Urformen.6
Nierendorfs ursprünglicher Titel für die Publikation lautete „Architektonische Naturformen“7, doch mit der Umbenennung in „Urformen der Kunst“ ist die Allusion an das Prinzip der „Urform“ von Gottfried Semper8 - nach Meurers didaktischen Leitlinien - erneut visuell anschaulich geworden. Im Gegensatz zu Meurers Ansatz jedoch, gab es in diesem Fotobuch keine „genealogical search for origins“9. Stattdessen haben wir es mit einem Druckwerk zu tun, das zwar an Goethes Suche nach der „Urpflanze“ anspielt,10 jedoch in seiner Darstellungsweise keine Rückschlüsse darauf zulässt, welche der abgebildeten Pflanzen diese nun sei und in welchem Verhältnis sie zu den anderen steht. Die einzelnen Abbildungen lassen eine egalitäre Haltung gegenüber den jeweiligen Pflanzen vermuten, die sich klar von politisch und ideologisch hoch suggestiven Pflanzenfotografien in Paul Wolffs „Formen des Lebens“ (1931/32) oder Paul Dobes „Wilde Blumen der deutschen Flora“ (1931) abhebt.11
Künstlerische Strategien der Semiotisierung von Pflanzen bei Karl Blossfeldt und Beverly Penn Pepper Stetler fasst es pointiert zusammen: „Urformen der Kunst is not really a book 12 about flowers, but a book about form.”12 Die Pflanzen in der Publikation dienen dem Studium formaler Gesetzmäßigkeiten, die sich unabhängig von Hierarchien zeigen, sondern als Grundprinzip bei jeder schöpferischen Handlung unterschwellig die Form bestimmen. Damit bilden sie eine Synthese zwischen der Besonderheit der einzelnen Pflanze und ihrer Funktion als Musterbeispiel für die gesamte Art, gar als universelles Gestaltungsprinzip.
3 BEVERLY PENNS PFLANZEN ZWISCHEN DEKORUM UND DENKMAL
In den Bronzegüssen der amerikanischen Künstlerin Beverly Penn (*1955) werden einzelne Pflanzen nicht nur reproduziert, - wie in den Bronzeabgüssen, die Blossfeldt neben seinen Fotografien für die Lehrsammlung herstellte - sondern dienen als Material zur Herstellung der Metallplastiken selbst. Im von ihr so genannten „Lost-Plant Process“ im Gegensatz zum Wachsausschmelzverfahren (engl. „Lost-Wax Process“), wird die Positivform bzw. Grünform der zu gießenden Plastiken nicht durch das zuvor modellierte Wachsmodell vorgegeben, sondern durch gefundene Pflanzen selbst. Dieser Prozess führt zur Zerstörung der Pflanzen, die jedoch in Form des Gusses wieder Form annehmen. Penn ordnet die einzelnen gegossenen Elemente zu größeren Arrangements an, die als Strukturen und Gebilde an der Wand positioniert werden. Dabei stellt sie in ihren unterschiedlichen Serien verschiedene Dinge heraus: Während die Pflanzen in „Weeds“ in einer dekorativen Anordnung als geometrisch eingegrenzte All-Over Struktur angeordnet sind, bildet sie die einzelnen Komponenten in „UPC“, „Timeline“ und „Hybrid“ zum Teil zu zwitterhaften Mischlingen oder nach bestimmten Gesichtspunkten geordneten Formationen oder Sammlungen aus.
3.1 Historische Bezüge zu Kunst und Kunsthandwerk
Penns Pflanzen sind nicht beliebig. Ihre „Weeds“ Serie befasst sich beispielsweise mit dem titelgebenden Unkraut, das sie auch für die anderen Serien als Material nutzt. Aus ihrem direkten Umfeld in Austin (Texas) entnimmt die Künstlerin die Pflanzen; oft handelt es sich dabei um solche, die Straßen und Wege säumen. Die gegossenen Exemplare setzt sie in dekorativen Arrangements zusammen, um sie als Gebilde an die Wand zu bringen. Bulbine, eine Pflanzengattung, die als invasiv gilt, wird in einem artifiziellen Arrangement in der gleichnamigen Wandplastik von Penn durch unzählige Stiele, Blätter und Knospen repräsentiert (s. Abb. 8). Penns „Bulbine“ sieht aus, als würden zwölf Exemplare mitsamt Wurzelwerk in Metall geformt und in eine minimalistische Komposition gebracht worden sein, in dem die Wurzeln sich zu einem nach unten stehenden Dreieck verdichten, aus dem zwölf Stängel in einer Reihe vertikal nach oben ragen. Tatsächlich handelt es sich aber um an der sich daraus bildenden optischen „Horizontlinie“ verbundene, gleichartige Pflanzen. Das, was man für Wurzeln hält, sind Stängel und Knospen. Der Eindruck einer Pflanze, die sich durch ihr extensives Wurzelwerk im Boden verankert und somit zum Albtraum aller Gärtner wird, löst sich bei genauerem Hinsehen in Luft auf.
Beverly Penn spielt hier auf klassische Kunstgattungen an, in der Pflanzen traditionell eine Rolle spielen, Stillleben und Landschaftsbilder:
„In Bulbine Penn configures metal castings of several bulbine plants, seemingly connected to their roots, and places them side by side, thus referencing the genre of still life, which is traditionally associated with painting [...] The edge that demarcates above ground from below, the plant from its roots, creates a horizon line. Thus, Penn's carefully arranged objects transform from still life to landscape and back again, exploring 13 visual perception at the utmost.”13
In anderen Arbeiten aus derselben Serie geht Penn auf weitere, bekannte Erscheinungsformen von Pflanzen in der Kunst ein. Neben den in der Komposition wiederkehrenden Verweisen auf Stillleben und Landschaftsbild, sind es vor allem Muster und botanische Zeichnungen, mit denen Penns Arbeiten im visuellen Gedächtnis der Betrachter*innen miteinander verknüpft werden. Der Rückgriff auf tafelbildhafte, austarierte Linienkonstrukte erinnert an Musterzeichnungen oder -bücher aus dem Bereich der angewandten Künste. Arbeiten wie „Damascene“ oder „Jacquard“ (Abb. 9 und 10) weisen zudem noch weitere Bedeutungsebenen auf, die ebenfalls dem Kunsthandwerk nahe stehen: Die Titel der Kunstwerke sind Techniken entlehnt, die für die Herstellung dekorativer Möbel und Stoffe eine Rolle spielen. So ist das Tauschieren eine Handwerkskunst, die das Einlegen von kostbaren Metallen in weniger hochwertige bezeichnet und im Englischen als „damascene“ übersetzt wird; Jacquard Stoffe hingegen sind aus der technischen Entwicklung eines Webstuhls mit Künstlerische Strategien der Semiotisierung von Pflanzen bei Karl Blossfeldt und Beverly Penn Lochkartensteuerung entstanden und ermöglichten ab dem 19. Jahrhundert die halbautomatische Fertigung großer Stoffbahnen mit komplizierten Mustern. „Passement“ und „Window Box“ (Abb. 11) aus der „Hybrid“ Serie spielen, so Kate Bonansinga, explizit auf viktorianisches Formenrepertoire an und beziehen sich zudem auch noch auf die bürgerlichen Interieurs dieser Zeit:
„The heavily decorated interiors of that time are based on plant motifs, such as leaves and flowers, and in Passement and Window Box, Penn nods to these historical attempts to portray nature in constructed environments, and bring the outside in.”14
Diese Verschränkung scheint als direkter Verweis zu fungieren, der die Haltung der Menschen zur Natur aufzeigt: Seit jeher versucht der Mensch, die Natur zu imitieren, zurückzuholen und/oder zu bewahren, wenngleich er sie zur selben Zeit formt, nach seinen Wünschen überarbeitet und/oder zerstört.
Unter Zuhilfenahme weiterer, nicht-pflanzlicher Komponenten in den anderen Serien, gelingt es Beverly Penn, die in „Weeds“ werk-immanent nur subtil oder nur in den Titeln enthaltenen Verweise auf „architecture, idealized places and past lives“15 sowie menschgemachte Ordnungssysteme oder normative Zuschreibungen pointiert zur Geltung zu bringen.
3.2 Ordnung und Neuanordnungen
„Timeline“ rekurriert auf wissenschaftliche Praktiken und deren visuelle Darstellungsformen wie Skalen oder Diagramme. Systematisch in einen an Reagenzgläser oder Thermometer erinnernden, Glasbehälter eingefasst und vertikal an die Wand gehängt, bilden die verschiedenen Pflanzen in dieser Serie den Lebenslauf jeweils einer Pflanzenart ab. Während „Eight Months Time: Snowcap Hawthorne“ durch 19 Pflanzengüsse den achtmonatigen Wechsel von Spross zur Blüte des Buschgewächs Schneekrönchen nachzeichnet, ist es der zweiwochenlange Zyklus für das Amaryllisgewächs in „Two Weeks Time: Wild Onion“ durch 23 verschiedene Güsse dargestellt (Abb. 12 und 13). In Wirklichkeit handelt es sich bei den Glasstangen um sogenannte Wafer-Halter, ein Instrument aus der Fertigung von elektronischen Bauteilen. Penn kommentiert diese Materialwahl wie folgt: “By pairing accoutrements from digital technology with the bronze plant replicas, another layer unfolds to me in the drama of nature as a force to be reckoned with.”16
Der „objektive“ Blick der Wissenschaft auf die Pflanzen wird hier simuliert, stößt wie dieser jedoch auch an seine Grenzen: Die tatsächliche Lebensrealität der Pflanzenarten, die Penn abbildet, ist zyklisch. Zumindest, wenn man die Pflanzenart als Ganzes betrachtet und auf die saisonalen Veränderungen in einem wiederkehrenden Wechsel der Jahrezeiten blickt. In einer linearen Anordnung mit Anfang und Ende und in ihrer Serienbetitelung als „Timeline“ widerspricht die Darstellungsform hier also den Kenntnissen der Wissenschaft. Andererseits sind Penns „Timelines“ in gewisser Art näher an der Realität der Pflanzen und der Umwelt: Für die Herstellung eines Objektes muss jeweils eine Pflanze im jeweilig abgebildeten Lebensstadium durch den „Lost- Plant-Process“ zerstört werden und durch die Auswirkungen des Klimawandels werden pflanzliche Lebensspannen verändert. Wenn sie Glück hat, durchläuft die einzelne Pflanze einmal den in der „Timeline“ beschriebenen Lebenslauf und durchläuft diesen möglicherweise, je nach Art, mehrfach. Durch Eingreifen äußerer Faktoren, die vor allem durch den Menschen hervorgerufen werden (Technik, Klimawandel, Umweltzerstörung) ist ein tatsächlicher Zyklus in dieser Weise jedoch ungewiss.
Anders verhält es sich mit den Arbeiten aus der „UPC“ Serie. Hier sind Hierarchien ablesbar und werden durch ein filigranes, linienhaftes Rohrsystem wie eine Genealogie abgebildet. Die einzelnen Pflanzen werden sodann als voneinander abhängig gelesen; ihre formalen Ähnlichkeiten und Unterschiede treten durch die jeweilige Anordnung hervor oder zurück. Man erhält den Eindruck, einzelnen Pflanzenfamilien auf die Spur zu kommen, Bestäubungen nachzuvollziehen, Verwandtschaftsverhältnisse wie in einem Stammbuch nachverfolgen zu können. Vor allem in Arbeiten wie „Phylum“ (Abb. 14). Ob es tatsächlich artverwandte Pflanzen sind, die Penn in dieser Weise arrangiert, bleibt jedoch offen. Die Anordnung der Pflanzen und ihre formalästhetische Ähnlichkeit innerhalb der einzelnen Arbeiten legen dies jedoch nahe. In jedem Fall wird hier ein Aspekt menschlicher Systematisierung der Natur offengelegt, ohne die tatsächliche, biologische Verwandtschaft nach bekannten Standards abzubilden.
[...]
1 Thümmler, Sabine: Historisch oder natürlich? Vorlagenwerke für einen neuen Stil, in: Thümmler, Sabine, und Angela Lammert, Form follows Flower. Moritz Meurer, Karl Blossfeldt & Co. Berlin: Deutscher Kunst Verlag, 2017. S. 17-37.
2 Nikolai, Angela: Natur bildet. Moritz Meurers angewandtes Pflanzenstudium und seine Lehrsammlung, in: Thümmler/Lammert, Form Follows Flower, S. 37-77, hier S. 41.
3 Stetler, Pepper: Stop Reading! Look! Modern Vision and the Weimar Photographic Book. Michigan: University of Michigan Press, 2015. S. 107.
4 Ebd., S. 103.
5 Ebd., S. 107.
6 Ebd.
7 Lammert, Angela: Bildung und Bildlichkeit von Notation. Von der frühen Wissenschaftsfotografie zu den Künsten des 20. Jahrhunderts, S. 116.
8 Meyer Stump, Ulrike in: Wilde, Ann und Jürgen, Karl Blossfeldt. Arbeitscollagen, München: Schirmer/Mosel, S. 15.
9 Stetler: Stop Reading! Look!, S. 120.
10 Ebd., S. 108.
11 Ebd., S. 105.
12 Ebd.
13 Bonansinga, Kate: Beverly Penn. Weeds, in: Kat. Ausst. „Beverly Penn: Weeds”, El Paso: Stanlee and Gerald Rubin Center for Visual Arts, 2005, S. 10-24, hier S. 16 f.
14 Ebd., S. 10. Interessanterweise findet sich im Online-Wörterbuch leo.org für „molding“ auch die „Urform“ als Übersetzung (im technischen Bereich).
15 Boninsinga, S. 13
16 Beverly Penn im Audioguide zur Ausstellung „Heavy Metal - Women to Watch 2018“, National Museum of Women in the Arts (Washington), unter: https://nmwa.org/sites/default/files/shared/heavy metal transcripts.pdf (23.02.19)