Schlüsselqualifikationen sind solche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, über die jeder Mensch in unserer modernen Gesellschaft am Ende seiner Schulzeit verfügen sollte, um in seiner gegenwärtigen und künftigen Lebenswelt dauerhaft und erfolgreich bestehen zu können. Sie gelten als unabdingbares Muss zur Lebensbewältigung im privaten, gesellschaftlichen und beruflichen Bereich.
Gerade im Beschäftigungssystem lässt sich das sehr gut erkennen: Suchen Unternehmen nach neuen Mitarbeitern, so enthalten die Anforderungsprofile an die Bewerber ganz unabhängig von der Art und Funktion des Arbeitsplatzes neben der Forderung nach fachspezifischen Qualifikationen auch einen deutlichen Hinweis auf ein bestimmtes Potenzial an Schlüsselqualifikationen. Diese Basiskompetenzen sind fixer Bestandteil der Einstellungsvoraussetzungen. Vielmehr noch: bei gleichen fachlichen Voraussetzungen entscheidet oftmals die Ausprägung der Schlüsselqualifikation über die Bewerberauswahl. Viele Unternehmer klagen allerdings über die mangelnde Ausstattung ihrer Mitarbeiter mit Schlüsselqualifikationen. Besonders bei Auszubildenden bzw. Schulabgängern, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, sei dies festzustellen. Im Oktober 2005 kritisierte H.-E. SCHLEYER, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, in einer Stellungnahme über die bisherigen Ergebnisse des von der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und verschiedenen Wirtschaftsverbänden initiierten Ausbildungspaktes „die mangelnde Ausbildungsreife vieler Jugendlicher“ (Financial Times Deutschland: 12.10.2005): rund 100.000 junge Leute verließen jährlich die Schule ohne Abschluss, weitere 100.000 verfügen nur in geringem Maße über Schlüsselqualifikationen (vgl. ebd.). Internationale Schulvergleichsstudien wie PISA (Program for International Student Assessment) oder TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) bestätigen diesen Trend. Deutschen Schülern fehlt es u. a. an Lesekompetenz, an Kreativität sowie an Problemlöse- und Transferfähigkeit (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001: 11ff.; Pisa-Konsortium Deutschland 2005: 5ff.). [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Förderung von Schlüsselqualifikationen in der bayerischen Realschule...
1.1 Qualifizierung durch Schlüsselqualifikationen
1.1.1 Die Qualifikationsfunktion der Schule
1.1.2 Die Notwendigkeit der Förderung von Schlüsselqualifikationen
1.2 Das Konzept der Schlüsselqualifikationen
1.2.1 Ursprüngliche Konzepte
1.2.2 Aktuelles Verständnis von Schlüsselqualifikationen
1.3 Schlüsselqualifikationen im Bildungs- und Erziehungsauftrag der bayerischen Realschule
2. Handlungsorientierung in den Wirtschaftsfächern der Realschule durch
2.1 Das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts
2.1.1 Begriffsbestimmung
2.1.2 Merkmale
2.1.3 Handlungsorientiertes Lernen als schlüsselqualifikatorisch wirksames Lernen
2.2 Simulationen im ökonomischen Unterricht
2.2.1 Ökonomischer Unterricht und Handlungsorientierung
2.2.2 Simulative Unterrichtsverfahren
2.2.3 Fallstudie, Rollenspiel und Planspiel im Vergleich
3. Grundlagen der Fallstudiendidaktik
3.1 Das Wesen der Fallstudie
3.1.1 Intentionen
3.1.2 Varianten
3.2 Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung der Fallstudie im Unterricht
3.2.1 Hochschuldidaktischer Ursprung
3.2.2 Fallstudien in allgemeinbildenden Schulen
3.3 Der entscheidungstheoretische Hintergrund der Fallmethode
3.3.1 Der Prozess der Entscheidungsfindung
3.3.2 Konsequenzen für den Unterricht
4. Fallstudien in der Unterrichtspraxis
4.1 Die Konstruktion von Fällen
4.1.1 Das Spannungsfeld der Fallkonstruktion
4.1.2 Die sprachliche und grafische Gestaltung von Fällen
4.2 Die Artikulation der Fallstudie
4.2.1 Konfrontation
4.2.2 Information
4.2.3 Exploration
4.2.4 Resolution
4.2.5 Disputation
4.2.6 Kollation
4.3 Kritische Analyse
4.3.1 Ausgewählte Probleme auf Lehrer- und Schülerseite
4.3.2 Kritik am Konzept der Fallstudie
4.3.3 Ist die Fallstudie eine Simulation?
5. Unterrichtsbeispiel: Standortwahl
5.1 Didaktische Analyse
5.1.1 Einbettung des Themas
5.1.2 Lernziele
5.2 Methodische Analyse
5.2.1 Methodischer Weg
5.2.2 Möglicher Ausstieg, Reservestoff und Übungsmöglichkeiten
5.3 Unterrichtsverlauf
5.4 Evaluation
5.5 Unterrichtsmaterialien
6. Unterrichtsbeispiel: Geldanlage
6.1 Didaktische Analyse
6.1.1 Einbettung des Themas
6.1.2 Lernziele
6.2 Methodische Analyse
6.2.1 Methodischer Weg
6.2.2 Möglicher Ausstieg, Reservestoff und Übungsmöglichkeiten
6.3 Unterrichtsverlauf
6.4 Evaluation
6.5 Unterrichtsmaterialien
7.Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Erklärung nach LPO I § 30 Abs. 6
Abbildungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Unterrichtsmaterialien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Schlüsselqualifikationen sind solche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, über die jeder Mensch in unserer modernen Gesellschaft am Ende seiner Schulzeit verfügen sollte, um in seiner gegenwärtigen und künftigen Lebenswelt dauerhaft und erfolgreich be-stehen zu können. Sie gelten als unabdingbares Muss zur Lebensbewältigung im privaten, gesellschaftlichen und beruflichen Bereich.
Gerade im Beschäftigungssystem lässt sich das sehr gut erkennen: Suchen Unternehmen nach neuen Mitarbeitern, so enthalten die Anforderungsprofile an die Bewerber ganz unabhängig von der Art und Funktion des Arbeitsplatzes neben der Forderung nach fachspezifischen Qualifikationen auch einen deutlichen Hinweis auf ein bestimmtes Potenzial an Schlüssel-qualifikationen. Diese Basiskompetenzen sind fixer Bestandteil der Einstellungsvoraus-setzungen. Vielmehr noch: bei gleichen fachlichen Voraussetzungen entscheidet oftmals die Ausprägung der Schlüsselqualifikation über die Bewerberauswahl.
Viele Unternehmer klagen allerdings über die mangelnde Ausstattung ihrer Mitarbeiter mit Schlüsselqualifikationen. Besonders bei Auszubildenden bzw. Schulabgängern, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, sei dies festzustellen. Im Oktober 2005 kritisierte H.-E. Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, in einer Stellungnahme über die bisherigen Ergebnisse des von der ehemaligen rot-grünen Bundes-regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und verschiedenen Wirtschaftsverbänden initiierten Ausbildungspaktes „die mangelnde Ausbildungsreife vieler Jugendlicher“ (Financial Times Deutschland: 12.10.2005): rund 100.000 junge Leute verließen jährlich die Schule ohne Abschluss, weitere 100.000 verfügen nur in geringem Maße über Schlüssel-qualifikationen (vgl. ebd.). Internationale Schulvergleichsstudien wie PISA (Program for International Student Assessment) oder TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) bestätigen diesen Trend. Deutschen Schülern fehlt es u. a. an Lesekompetenz, an Kreativität sowie an Problemlöse- und Transferfähigkeit (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001: 11ff.; Pisa-Konsortium Deutschland 2005: 5ff.).
Dieses Defizit muss Konsequenzen für den Unterricht an unseren Schulen haben. Die bay-erische Realschule, die in ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung und zugleich auf eine breite berufsvorbereitende Bildung ihrer Schüler legt, muss sich damit befassen, wie dem Nachwuchs nicht nur wissenschafts-orientiertes Fach- und Faktenwissen zu vermitteln ist, sondern wie auch fachübergreifende, übergeordnete Schlüsselqualifikationen gefördert werden können.
Eine Abkehr vom traditionellen Unterrichtsverständnis ist nötig! Unterricht muss stattdessen einen Bezug zum realen Leben ermöglichen, Schüleraktivität integrieren und sich an den Bedürfnissen und Interessen der Lernenden orientieren. Handlungsorientierter Unterricht kann hier eine Erfolg versprechende Alternative sein. Durch seine methodische Umsetzung er-werben die Schüler nicht nur isoliert stehendes, theoretisch-abstraktes Fachwissen; Wissenserwerb findet durch ganzheitliche Methoden auf der Grundlage konkreter Lebenssituationen statt und spricht den ganzen Schüler mit Kopf, Herz und Hand an. Handlungsorientierter Unterricht bietet optimale Voraussetzungen, das Potenzial an Schlüsselqualifikationen bei den Schülern weiter auszubilden und so die Basis für umfassende Handlungskompetenz zu legen.
In den wirtschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfächern lässt sich handlungsorientierter Unterricht insbesondere durch Simulationen verwirklichen, denn sie zielen „weniger auf eine Vermittlung wissenschaftlicher Lehrinhalte als auf die Ausbildung von praktischen Handlungskompetenzen“ (Sensik 1994: 212) ab. Durch die Nachahmung der ökonomischen Realität werden die Schüler zu lebensnahen Handlungen aktiviert, so dass nicht der Wissenserwerb an sich, sondern die Wissensanwendung in schlüsselqualifikatorisch wirksamen Lernsituationen im Vordergrund steht.
Die Fallstudie ist eine dieser Simulationen. Sie konfrontiert die Schüler mit einer konfliktträchtigen oder problematischen Situation der realen Ökonomie. In Kleingruppen entwickeln die Schüler verschiedene Alternativen, die zur Lösung dieses Problems beitragen könnten. Schließlich entscheiden sich die Schüler auf der Basis sachlich-rationaler Kriterien für einen dieser Lösungsansätze. Abschließend erfolgt ein Vergleich der Schülerentscheidung mit der real getroffenen Entscheidung.
Diese Arbeit möchte explizit die Fallstudie als methodische Großform zur Förderung von Schlüsselqualifikationen in den Wirtschaftsfächern der bayerischen Realschule vorstellen. Dabei werden in sieben Kapiteln Theorie und Praxis dieses Themas betrachtet.
Die Kapitel 1 bis 4 besprechen die theoretischen Aspekte:
Kapitel 1 setzt sich aus schulpädagogischer Sicht mit der Förderung von Schlüsselqualifi-kationen auseinander. Eingangs wird diese als ein Element der Qualifikationsfunktion der Schule bestimmt und deren Notwendigkeit begründet. Anschließend wird das Konzept der Schlüsselqualifikationen dargestellt. Das erste Kapitel schließt mit einem Blick auf die Manifestation der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im Bildungs- und Erziehungsauftrag der bayerischen Realschule.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Frage, wie durch Simulationen das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts in den Wirtschaftsfächern der Realschule umgesetzt werden kann. Hierzu ist es erforderlich, diese Unterrichtskonzeption zu charakterisieren und zu begründen, warum sie schlüsselqualifikatorisch wirksam ist. Nach der Erklärung der wesentlichen Eigenschaften und Funktionen von Simulationen werden die drei klassischen Simulationsverfahren Fallstudie, Rollen- und Planspiel kurz hinsichtlich ihrer didaktischen Funktion miteinander verglichen und gegeneinander abgegrenzt. Bei allen Darstellungen wird Bezug auf deren Verankerung im Lehrplan für die sechsstufige Realschule genommen.
Die theoretischen Grundlagen zur Fallstudiendidaktik erörtert Kapitel 3. Zunächst werden das Wesen der Fallstudie und ihre methodischen Variationen beschrieben. Es folgt ein histo-rischer Rückblick, der die Entwicklung der Fallstudie von einer hochschuldidaktischen Methode zu Beginn der 20. Jahrhunderts bis zu ihrer heutigen Bedeutung im Unterricht skizziert. Die Entscheidungstheorie liefert den theoretischen Hintergrund zur Fallmethode. Wichtige Aspekte dieser Theorie werden am Ende des dritten Kapitels erklärt.
Kapitel 4 befasst sich mit der unterrichtlichen Umsetzung von Fallstudien. Zum einen wird erläutert, nach welchen Gesichtspunkten Fallstudien für den Einsatz im Unterricht zu konstruieren sind; zum anderen wird der Lernprozess in der Fallstudie bzw. deren idealtypische Artikulation unter Berücksichtigung der Schlüsselqualifikationen, die in den einzelnen Unterrichtsphasen gefördert werden können, dargestellt. Abschließend erfolgt eine kritische Betrachtung der Fallstudie. Diskutiert werden ausgewählte Probleme und die Frage, ob die Fallstudie tatsächlich eine simulative Unterrichtsmethode ist.
Kapitel 5 und 6 stellen zwei Fallstudien vor, die der Verfasser im Juni und Juli 2005 im Rahmen der Abfassung dieser Arbeit an der Staatlichen Realschule Herzogenaurach als Unterrichtsversuche durchgeführt hat. Den Schülern der Klassen 7b und 9b (Schuljahr 2004/05) sowie der Schulleitung Frau M. Schöttner und den Fachlehrkräften Frau R. Silberschneider und Herrn N. Bär sei an dieser Stelle gedankt, dass sie es ermöglichten, die beiden Fallstudien in der schulischen Praxis zu testen.
Kapitel 5 beinhaltet den Unterrichtsentwurf für die Fallstudie „Standortwahl“ aus dem Fach Rechnungswesen/Betriebswirtschaftslehre für die 7. Jahrgangsstufe in der Wahlpflichtfächergruppe II, Kapitel 6 die Fallstudie „Geldanlage“ aus dem Fach Wirtschaft & Recht für die 9. Jahrgangsstufe aller Wahlpflichtfächergruppen. Neben der didaktischen und methodischen Analyse enthalten beide Unterrichtsskizzen eine kurze Evaluation der Unterrichtsversuche; alle eingesetzten Arbeitsmaterialien sind beigefügt.
Kapitel 7 schließt die Arbeit mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ab und hinterfragt kritisch, inwieweit die Fallstudie wirkliches Entscheidungsverhalten von Individuen widerspiegelt.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde im Text mit Ausnahme von zitierten Quellen auf geschlechtsspezifische Bezeichnungen wie „Schüler“ und „Schülerinnen“ bzw. „Lehrer“ und „Lehrerinnen“ verzichtet. Es wird ausschließlich die männliche Schreibweise verwendet, was keineswegs diskriminierend zu verstehen ist. Ist von der Realschule oder dem Lehrplan die Rede, so beziehen sich die getroffenen Aussagen grundsätzlich auf die bayerische Realschule bzw. den Lehrplan für die sechsstufige Realschule in Bayern.
1. Die Förderung von Schlüsselqualifikationen in der bayerischen Realschule
Schlüsselqualifikationen sind – wie bereits in der Einleitung erwähnt – erforderlich, um sich in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft den wechselnden Anforderungen im Berufs- und Privatleben anzupassen und auf diese Weise das Leben erfolgreich bewältigen zu können.
Setzt man sich mit der Förderung von Schlüsselqualifikationen im ökonomischen Unterricht der Realschule durch die Fallmethode auseinander, so ist es wichtig, die schulpädagogischen Hintergründe und Zusammenhänge der Diskussion um Schlüsselqualifikationen zu kennen. Daher werden in diesem ersten Kapitel folgende Leitfragen beantwortet:
1. Wie lässt sich die Vermittlung und Förderung von Schlüsselqualifikationen unter die Qualifikationsfunktion der Schule subsumieren und warum ist eine Ausstattung des Nachwuchses mit Schlüsselqualifikationen notwendig?
2. Wie hat sich das Konzept der Schlüsselqualifikationen entwickelt und was ist heute darunter zu verstehen?
3. Wie manifestiert sich die Förderung von Schlüsselqualifikationen im Bildungs- und Erziehungsauftrag der bayerischen Realschule?
1.1 Qualifizierung durch Schlüsselqualifikationen
1.1.1 Die Qualifikationsfunktion der Schule
Die Institution Schule ist „ein Subsystem der Gesellschaft mit pädagogischem Auftrag“ (Wiater 2002: 106). Als staatliche Organisation erbringt sie in Abhängigkeit von der Gesellschaft für diese offizielle Leistungen. Die Schule hat somit gesamtgesellschaftliche Funk-tionen zu erfüllen. Diese Funktionen lassen sich für die bayerische Realschule aus der Ver-fassung des Freistaates Bayern, dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), der Realschulordnung (RSO) und dem Lehrplan für die sechsstufige Realschule in Bayern ableiten. Auch die Erwartungen und Vorstellungen, die vom Wirtschaftssystem als Abnehmer der Schüler sowie von Lehrern, Eltern und Schülern an und über die Schule gestellt werden, fließen in die Bestimmung der schulischen Grundfunktionen ein (vgl. ebd.).
In der schulpädagogischen Fachliteratur finden sich verschiedene Ansätze, die gesell-schaftlichen Funktionen von Schule zu typisieren. Exemplarisch wird an dieser Stelle der Ansatz von H. Gudjons aus dessen struktur-funktionaler Schultheorie vorgestellt. Abb. 1 zeigt ihn im Überblick.
H. Gudjons unterscheidet in Anlehnung an H. Fend und W. Klafki vier gesellschaftliche Grundfunktionen:
- Durch die Funktion der Kulturüberlieferung wird die entstandene abendländisch-europäische Kultur an die nachkommende Generation tradiert. Ebenso soll jede Gene-ration die Chance haben, durch eine Weiterentwicklung der gewordenen Kultur ihre eigene kulturelle Identität aufbauen zu können (vgl. Gudjons 2001: 305).
- Im Rahmen der Integrations- und Legitimationsfunktion werden die Schüler in die geltenden Werte und Normen der Gesellschaft, in der sie leben, eingeführt. Sie sollen diese annehmen und mit dem Ziel einer zunehmenden Humanisierung der Gesellschaft positiv weiterentwickeln. Durch Unterricht auf der Basis des offiziellen Lehrplans, aber auch durch den sog. „heimlichen Lehrplan“ werden diese sozialen Vorgaben legitimiert (vgl. a. a. O.: 304).
- Aufgabe der Selektions- und Allokationsfunktion ist es, die Schüler aufgrund unter-schiedlich hoher Qualifikationsniveaus, die durch das dreigliederige Schulsystem mit Grund- und Hauptschule, Realschule und Gymnasium geschaffen werden, auszusortieren und sie dadurch verschiedenen Hierarchiestufen des Beschäftigungssystems zuzuweisen (vgl. Gudjons 2001: 304).
- Herausragendste Funktion ist die Qualifikationsfunktion. Sie soll den Schülern all jene Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die sie benötigen, um später „im Beschäftigungssystem ´brauchbar´“ (ebd.) zu sein und „am gesellschaftlichen Leben teilhaben“ (ebd.) zu können. Die Schule leistet dabei sowohl einen Beitrag zur Vermittlung von funktionalen Qualifikationen wie der Beherrschung der Kulturtechniken oder wissenschaftsorientierter Kenntnisse, als auch zum Aufbau extrafunktionaler Qualifikationen, d. h. von Arbeits-tugenden wie Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit, Genauigkeit u. ä. (vgl. ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Die gesellschaftlichen Funktionen der Schule
Quelle: eigene Darstellung nach Gudjons 2001: 305
Die Grundfunktionen der Schule sind interdependent. Beispielsweise ist eine entsprechende Selektion und spätere Allokation nur möglich, wenn die Kinder und Jugendlichen ausreichend qualifiziert wurden. Oder: nur wer vollständig in die Wert- und Normvorgaben der Gesellschaft integriert ist und diese kritisch beurteilen kann, wird sie als Gegenstand der Kultur weitertradieren oder -entwickeln können.
Der Augsburger Schulpädagoge W. Wiater sieht in der Qualifikationsfunktion „die Funktion der Schule, Kindern und Jugendlichen die Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen zu vermitteln, die sie für weitere Lernprozesse, für den späteren Eintritt in den Arbeitsprozess und die allgemeine Lebensbewältigung benötigen“ (Wiater 2002: 110). Das kann nicht ausschließlich durch die Vermittlung von isoliert stehenden fachwissenschaftlichen Kenntnissen geschehen. Im Gegenteil, die Schüler benötigen ein fächerübergreifendes, interdisziplinäres und vor allem „lebenspraktisch verknüpfbares System von flexibel nutzbaren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen und metakognitiven Kompetenzen“ (ebd.). Nur so kann – ergänzt durch Handlungs- und Wertorientierungen – gewährleistet werden, dass „Wissen nicht nur Schulwissen bleibt“ (ebd.), sondern auch für das Leben jenseits der Schule bedeutsam ist.
Einen Menschen zu qualifizieren heißt demnach nicht nur, ihn mit Bildungsinhalten aus-zustatten. Qualifiziert ist derjenige, der über „ein Insgesamt an Verhaltensdispositionen“ (Beck 1993: 12) verfügt und so auf die veränderlichen Anforderung seiner Lebenswelt positiv reagieren kann. Um diese Dispositionen zu erlangen, schließt die Qualifikationsfunktion der Schule auch die Ausstattung des Nachwuchses mit Schlüsselqualifikationen wie z. B. Lern-bereitschaft, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Informationsverarbeitung, Flexibilität und Kreativität ein. Diese Kernkompetenzen haben essentiellen Wert und ermöglichen unabhängig von der konkreten Begebenheit den Zugang zu weiteren Qualifikationen (vgl. Wiater 2002: 111).
1.1.2 Die Notwendigkeit der Förderung von Schlüsselqualifikationen
In Gesellschaft und Wirtschaft vollzogen und vollziehen sich vielschichtige und immer schneller fortschreitende Veränderungsprozesse. Kinder und Jugendliche sehen sich diesen Tendenzen gegenüber ausgeliefert: sie fühlen sich in ihrer gegenwärtigen Situation „entfremdet, ohnmächtig und überflüssig“ (Gudjons 1989: 16) und „im Blick auf ihre Zukunft [...] ratlos und hilflos“ (ebd.). Die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen soll diesen Effekten entgegenwirken. Schlüsselqualifikationen geben dem Nachwuchs in Gegenwart und Zukunft Halt, um sich in ihrer bewegten und undurchsichtigen Welt zurecht zu finden und eine eigene Identität aufbauen zu können.
Auf der einen Seite wird diese defizitäre, unbefriedigende Lage der nachwachsenden Gene-ration durch soziale Veränderungen, die sich unmittelbar auf ihre Kindheit und Jugend auswirken, bedingt. Waren in der Vergangenheit Kinder und Jugendliche fest in das soziale Netz der Familie eingebunden, so leben und leiden sie heute oftmals unter brüchigen Fami-lienstrukturen. Das klassische Familienbild scheint nicht mehr zu existieren. Immer mehr Einzel- und Scheidungskinder, Patchworkfamilien oder alleinerziehende Elternteile finden sich in unserer Familienlandschaft und bringen ganz offensichtlich Spannungen mit sich. Die straff und planmäßig „durchorganisierte“ Freizeit, Leistungsdruck und die massive Ein-bindung des Nachwuchses in die Konsum- und Medienwelt wirken verstärkend. Kinder und Jugendliche werden dadurch frühzeitig in die Rolle von Erwachsenen gedrängt und haben deshalb kaum Gelegenheit für eine individuell-eigenständige Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Wollenweber 1994: 105f.). Mitunter kommt es zum „Verlust an überlieferten Normen und Werten, an sozialen Orientierungen, an Möglichkeiten der primären Erfahrungen und Eigen-tätigkeit“ (a. a. O. 1994: 108). Die Vermittlung dieser Aspekte war ursprünglich Aufgabe der Familie, doch sie ist dazu nicht mehr in der Lage. Die Schule muss hier eingreifen. Durch eine rein kognitive Wissensvermittlung ist dies aber nicht zu erreichen (vgl. a. a. O.: 106).
Ebenso sollen die jungen Menschen erfahren, wie sie in unsere demokratisch-pluralistisch geprägte Gesellschaft eingebunden sind, wie sie verantwortlich in ihr handeln und positiv daran teilhaben können. Um dieses Ziel zu erfüllen, muss der Nachwuchs sein eigenes Verhalten in Bezug auf die geltenden Werte und Normen kritisch reflektieren und werten lernen. Metakognitive Kompetenzen sowie personale und soziale Schlüsselqualifikationen sind hierfür notwendig. Nur dann kann dem gemeinschaftlichen „Neben- und Miteinander ein Anhalt gemeinsamer Orientierung geboten“ (Wollenweber 1994: 112) und Konflikte vermieden werden.
Auf der anderen Seite machen es Umgestaltungsprozesse in der Berufs- und Arbeitswelt erforderlich, am Ende der Schulzeit über Schlüsselqualifikationen zu verfügen. In den letzten vierzig Jahren vollzog sich v. a. im Bereich der industriellen Produktion ein Strukturwandel weg von einer strengen Arbeitsteilung hin zu einem ganzheitlichen Arbeitsverständnis. Für einen Arbeitsplatz qualifiziert gilt „nicht mehr derjenige, der eine Auftragsarbeit zur vollen Zufriedenheit ausführt, sondern als qualifiziert gilt jener, der diese Arbeit auch zusätzlich selbst zu planen und abschließend zu kontrollieren in der Lage ist“ (Wollenweber 1994: 110). Der Abbau von Hierarchiestufen und die Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf niedrige Hierarchieebenen verlangen von den Arbeitnehmern nicht mehr nur Fachkenntnisse. Sie brauchen Sozialkompetenzen, um mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, und Methodenkompetenzen, um alle Arbeitsschritte eigenständig planen und vollenden zu können. Der Einzug des Computers als Arbeitsmittel für jedermann, zunehmend kompliziertere Technologien sowie der enorme Wissenszuwachs bzw. die ständige Revision des Wissens-bestandes setzen Schlüsselqualifikationen voraus, um mit diesen Veränderungen Schritt halten zu können (vgl. Stangel-Meseke 1994: 89). Das Wirtschaftssystem tritt daher mit dem Anspruch an die Schule heran, bei den Schülern eine derartige Qualifikationsgrundlage für die Berufsausbildung und -ausübung zu schaffen. Doch wie zu sehen ist, kann eine ausschließlich fachliche Berufsvorbereitung heute nicht mehr als ausreichend erachtet werden.
Für Dezember 2005 meldete die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg mehr als 4,6 Mil-lionen Arbeitslose in Deutschland; 120.000 davon sind Jugendliche unter dem 20. Lebensjahr (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2005: 32). Die Zahl der Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz beläuft sich im selben Monat auf ca. 17.500 (vgl. a. a. O.: 16). Bei dieser dramatischen Lage am deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist nicht mehr davon auszugehen, dass jeder Schulabgänger seinen Wunschberuf erlernen kann. Jugendliche sind deshalb in einer solchen Weise auf ihre Erwerbstätigkeit vorzubereiten, dass sie sich jederzeit auf alle erdenklichen Ausbildungs- und Berufsalternativen einstellen können und deren Anforderungsprofil entsprechen. Das ist nur durch den Erwerb von Schlüsselqualifikationen möglich. Die Tatsache, dass immer weniger Menschen bis zum Ende ihrer Erwerbstätigkeit den selben Beruf ausüben, bekräftigt die Forderung nach Schlüsselqualifikationen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Biographie eines Menschen nicht mehr streng linear vom Schulbesuch über die erste und einzige Ausbildung bis zum Ende der Erwerbstätigkeit verläuft. Stattdessen prägen Umbrüche und Unsicherheiten unser Leben. Schule muss darauf vorbereiten! „Eine Institution, deren Selbstdefinition davon lebt, Menschen auf die Zukunft vorzubereiten, gerät in ein Legitimierungsvakuum und eine tiefe Sinnkrise, wenn sich herausstellt, da[ss] die Zukunft selber unsicher geworden ist“ (Gudjons 1989: 17). Die Umbrüche und Unsicherheiten können durch die Schule nicht verhindert oder beseitigt werden; aber die Schule kann den Nachwuchs durch die Förderung von Schlüsselqualifikationen befähigen, ihnen ohne Angst und Frustration gegenüberzutreten. Was überhaupt unter dem bereits häufig verwendeten Schlüsselqualifikationsbegriff zu verstehen ist, wird im nächsten Teilkapitel erklärt.
1.2 Das Konzept der Schlüsselqualifikationen
1.2.1 Ursprüngliche Konzepte
Obwohl der Begriff der Schlüsselqualifikationen in den letzten dreißig Jahren immer wieder enorme Popularität in der bildungstheoretischen bzw. didaktischen Diskussion erlangte und nach wie vor auf vielfältigste Weise diskutiert wird, entstammt der Terminus nicht dieser wissenschaftlichen Fachrichtung.
Stattdessen wurde der Begriff der Schlüsselqualifikationen erstmals 1974 von D. Mertens, dem damaligen Leiter des Nürnberger Institutes für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung (IAB), verwendet. Er bezeichnete damit erwünschte Fähigkeiten von Arbeitnehmern, flexibel und mobil auf neue Anforderungen in der Berufswelt reagieren und bereits erworbene Berufs-qualifikationen erhalten zu können (vgl. Aurin 1994: 53). Grund für die Forderung zur Aus-bildung solcher Basiskompetenzen war die These, „da[ss] die Zerfallzeit von Bildungs-inhalten positiv mit ihrer Praxisnähe und negativ mit ihrem Abstraktionsniveau korreliert“ (Stangel-Meseke 1994: 88), d. h. dass Qualifikationen mit zunehmendem Grad der Arbeitsplatzbezogenheit schneller veraltern als übergeordnete, arbeitsferne Qualifikationen. Durch die Vermittlung von arbeitsfernen oder gar arbeitsfremden Qualifikationen, eben den Schlüsselqualifikationen, sollte es Arbeitnehmern fortan möglich sein, sich immer wieder von Neuem auf wechselnde Anforderungen im Beruf problemlos einstellen zu können (vgl. ebd.).
D. Mertens unterscheidet in seinem Schlüsselqualifikationskonzept zwischen Breiten-elementen, Basisqualifikationen, Horizontalqualifikationen und Vintage-Faktoren:
- Breitenelemente sind Wissenspotenziale bzw. fachlich-praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten, „die als Anforderungsprofile am Arbeitsplatz über breite Tätigkeitsbereiche hinweg in Erscheinung treten und immer wieder verfügbar sein müssen“ (Graichen 2002: 58), z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen und eine breite Allgemeinbildung.
- Unter Basisqualifikationen versteht D. Mertens „Qualifikationen mit berufsfeldüber-greifendem Charakter“ (a. a. O.: 59), „allgemeine und fachliche Fähigkeiten, Kompe-tenzen sozialer Art und Arbeitstugenden, die zur Bewältigung von Aufgaben“ (ebd.) unverzichtbar sind. Dazu zählen beispielsweise logisches, kritisches oder strukturierendes Denken, kooperative Verhaltensweisen und Kreativität.
- Bei den Horizontalqualifikationen geht es um die „Informiertheit über Informationen“ (Graichen 2002: 60). Hierzu gehören zum einen Kompetenzen der Informations-beschaffung, -verarbeitung und -bewertung, zum anderen aber auch Grundkenntnisse in Fremdsprachen und die Beherrschung der jeweiligen Fachterminologie.
- Vintage-Faktoren sind solche Bildungsinhalte, durch die sich interpersonelle und intergenerative Unterschiede von Beschäftigten, relativieren lassen (vgl. Stangel-Meseke 1994: 88).
Die praktische Umsetzung dieses Konzepts scheiterte. Die Schlüsselqualifikationen wurden ohne Bezug zum Produktionsprozess vermittelt und nicht an die realen Anforderungen der Berufspraxis adaptiert. Insbesondere der Transfer von der Vermittlung auf konkrete Arbeits-situationen misslang. Zudem waren die Kompetenzen, die Schlüsselqualifikationen sein sollten, nur sehr vage bestimmt (vgl. ebd.). Dementsprechend wurde D. Mertens arbeitsmarkt-politisches Konzept bald verworfen.
Zwischen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre hielt das Konzept der Schlüssel-qualifikationen in abgewandelter Form Einzug in den Bereich der betrieblichen Aus- und Weiterbildung. Lag deren Schwerpunkt bis dahin auf der Vermittlung von fachlichen Fertigkeiten, so sollte sich dieser von nun am Aufbau von Basiskompetenzen orientieren. Dies war infolge der in Kapitel 1.1.2 dargestellten Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt wichtig geworden. Schlüsselqualifikationen sollten entweder durch die Anreicherung eines Arbeitsplatzes mit Lernmöglichkeiten (z. B. projektartige Gestaltung von Lehrwerkstätten, Übungs- und Juniorfirmen) oder durch die Anreicherung des Lernplatzes mit Arbeits-möglichkeiten (z. B. Lernen an realen Arbeitsaufgaben, aufgaben- und arbeitsplatzbezogene Ausbildung, aktive Lehr- und Lernmethoden in der Ausbildung) vermittelt werden. Ziel war eine Reform bestehender Ausbildungskonzepte. Wegen Umsetzungsschwierigkeiten im dualen System der Berufsausbildung zwischen betrieblicher Ausbildungsstätte und Berufsschule scheiterte auch dieses Konzept (vgl. a. a. O.: 91f.).
1.2.2 Aktuelles Verständnis von Schlüsselqualifikationen
Erst Mitte der 1980er Jahre wurde der Terminus Schlüsselqualifikationen ein pädagogischer und damit schulischer Begriff. Unter Schlüsselqualifikationen versteht man heute „Qualifi-kationen allgemeiner Handlungsfähigkeit und Merkmale mündigen Verhaltens“ (Wiater 2002: 110). Sie sind altersbeständige, übergeordnete und funktionsübergreifende, vielfältig und universell anwendbare Qualifikationen zur Bewältigung künftiger Aufgaben (vgl. Aurin 1994: 55f.; Wollenweber 1994: 114). Über Schlüsselqualifikationen zu verfügen heißt „mehr als nur Fachkompetenz zu besitzen“ (Beck 1993: 22). Jedermann verfügt über Schlüsselqualifikationen. Entscheidend ist aber nicht deren Quantität, entscheidend ist die Qualität ihrer Ausprägung, mit der Individuen auf die Probleme und Aufgaben ihrer Lebenswelt reagieren (vgl. Calchera & Weber 1990: 8).
Welche Qualifikationen Schlüsselqualifikationen sind, ist nicht exakt festzulegen. H. Beck zählte bei einem Vergleich verschiedener Publikationen zum Thema zwischen zwölf und drei-hundert Eigenschaften, die auf den Bereich dieser Basiskompetenzen entfallen (vgl. Beck 1993: 13). Eine solche Vielfalt erlaubt keine allgemeingültige Definition des Schlüsselqualifi-kationsbegriffs, da unterschiedliche Autoren auch unterschiedliche Aspekte betonen (vgl. Graichen 2002: 32).
Alle Definitionsansätze verweisen jedoch auf aktuelle Entwicklungstendenzen von er-wünschten Qualifikationen bei der Erwerbstätigkeit sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten, die trotz der rasanten Veränderungen in allen Lebensbereichen nicht an Wert verlieren, sondern dauerhaft bestehen bleiben (vgl. a. a. O.: 125). Etabliert hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion auch die Unterscheidung zwischen materialen, formalen und personalen Schlüsselqualifikationen:
- Materiale Kenntnisse und Fähigkeiten haben jenes Wissen zum Inhalt, das man benötigt, um die theoretischen Hintergründe und Zusammenhänge von Lebenssituationen zu er-fassen und zu verstehen. Es geht hier um eine breite Allgemeinbildung und um technische, ökonomische und soziale Grundkenntnisse, die sich über Fachwissenschaften definieren lassen. Materiale Schlüsselqualifikationen repräsentieren das Fachliche eines Menschen. In ihrem Gesamt führen sie zu Fachkompetenz (vgl. Wollenweber 1994: 114f.). Nach H. Gudjons entsprechen sie den funktionalen Qualifikationen.
- Die formale Komponente der Schlüsselqualifikationen umfasst Denkstrategien, Arbeitstechniken und methodische Fähigkeiten, die es einem Individuum ermöglichen, sich selbst Wissen anzueignen und dieses nutzbar zu machen. Dazu gehören u. a. Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, Problemlösekompetenz oder Kreativität. Die formalen Schlüsselqualifikationen repräsentieren das Selbstständige eines Menschen und haben Methodenkompetenz zum Ziel (vgl. Wollenweber 1994: 119f.).
- Zu den personalen und sozialen Verhaltensweisen zählen Verhaltensweisen mit indivi-dueller, zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Relevanz. Sie repräsentieren das Menschliche und umfassen Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Kooperationsvermögen, Empathie, aber auch diejenigen Arbeitstugenden, die H. Gudjons unter den extra-funktionalen Qualifikationen zusammenfasst (vgl. a. a. O.: 122f.).
Abb. 2 zeigt die heute als besonders wichtig erachteten Schlüsselqualifikationen in dieser Dreigliederung. Die einzelnen Teilbereiche sind in der Praxis nicht strikt zu trennen, sie überschneiden sich und stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander (vgl. Calchera & Weber 1990: 6).
Mehrmals trat in den bisherigen Ausführungen der Begriff der Kompetenz auf. Darunter versteht man ein Konstrukt aus Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, eine Gruppe von Schlüsselqualifikationen bzw. Qualifikationspotenzialen, die es einem Individuum er-möglichen, mit unbekannten Problemen fertig zu werden (vgl. Beck 1993: 20; a. a. O.: 45). Kompetenzen wurden in konkreten Handlungssituationen erprobt und haben sich dort bewährt (vgl. a. a. O.: 45). Handlungskompetenz ist die Summe aus Fach-, Methoden-, Personal- und Sozialkompetenz (vgl. Tepass 1996: 11) und definiert als die „Fähigkeit und Bereitschaft [...] sach- und fachgerecht, persönlich durchdacht und in gesellschaftlicher Verantwortung handeln zu können“ (Bitz 1994: 19). Durch Unterricht, der Schlüsselqualifikationen ver-mittelt und fördert, soll die Handlungskompetenz der Schüler optimiert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Die wichtigsten Schlüsselqualifikationen im Überblick
Quelle: eigene Darstellung nach Kaiser 1992: 68,
ergänzt durch Beck 1993: 13 und Wollenweber 1994: 115
1.3 Schlüsselqualifikationen im Bildungs- und Erziehungsauftrag der bayerischen Realschule
Die Schule hat mit der Qualifikationsfunktion von der Gesellschaft den Auftrag erhalten, dem Nachwuchs die Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen zu vermitteln, die er benötigt, um eigenständig und dauerhaft bestehen zu können. Wie in Kapitel 1.1.1 zu sehen war, umfasst dieser Auftrag auch die Vermittlung und Förderung von Schlüsselqualifi-kationen. Demzufolge hat auch der Bildungs- und Erziehungsauftrag der bayerischen Realschule, der sich im BayEUG und im Lehrplan für die Realschule manifestiert, darauf zu verweisen. BayEUG Art. 1 Abs. 1 besagt:
„Die Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter bilden. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt. Die Schülerinnen und Schüler sind im Geist der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.“
Bayerische Schulen – und damit auch die bayerische Realschule – bemühen sich um die Persönlichkeitsentwicklung des Nachwuchses. Der Lehrplan präzisiert dies: Die Realschule „gibt den Schülern Zeit und die erforderliche Kontinuität für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit auf dem Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden“ (STMUK 2001: 13). Sie bietet „Grundlagen, Anregungen und Orientierungshilfen“ (ebd.) auf dem Weg zur Mündigkeit und vermittelt Kenntnisse und Fertigkeiten, die „zu einer verantwortungsbewussten Lebensgestaltung im persönlichen Umfeld sowie im familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Bereich notwendig sind“ (ebd.).
Neben der Förderung der Individualität werden die Schüler aber auch befähigt, einen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse und des sozialen Zusammenlebens zu leisten, Verantwortung für ihre Umwelt zu übernehmen und ihren Aufgaben in anderen gesellschaft-lichen Subsystemen nachzukommen (vgl. Wollenweber 1997: 85). Die Realschule verfolgt damit nicht nur individuelle Ziele, sondern auch gesamtgesellschaftliche Interessen.
Diesbezüglich hebt BayEUG Art. 8 Abs. 1 explizit die Berufsqualifizierung von Realschülern hervor; Aspekte einer zweckfreien Persönlichkeitsbildung werden indes nahezu vollständig vernachlässigt:
„Die Realschule vermittelt eine breite allgemeine und berufsvorbereitende Bildung. Die Realschule ist gekennzeichnet durch ein in sich geschlossenes Bildungsangebot, das auch berufsorientierte Fächer einschließt. Sie legt damit den Grund für eine Berufsausbildung und eine spätere qualifizierte Tätigkeit in einem weiten Bereich von Berufen mit vielfältigen theoretischen und praktischen Anforderungen. Sie schafft die schulischen Voraussetzungen für den Übertritt in weitere Bildungswege bis zur Hochschulreife.“
Mit ihrem Mittleren Bildungsabschluss legt die Realschule zwar „fundierte und umfassende Grundlagen für berufliche und weitere schulische Bildungsgänge“ (STMUK 2001: 19), sie darf sich aber keinesfalls nur „als Zulieferbetrieb für den Arbeitsmarkt“ (Kaiser 1992: 64) verstehen. Denn „im Mittelpunkt jeder Erziehung mu[ss] die Persönlichkeitsbildung stehen, die sich an der Würde des Menschen orientiert, der autonom im Sinne der Selbstbestimmung frei entscheiden und handeln kann“ (ebd.).
Die Realschule liegt insofern mit ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen, die die Gesellschaft und insbesondere das Wirtschaftssystem an den Nachwuchs stellen, und den Ansprüchen einer zweckfreien Persönlichkeitsbildung nach humanistischen Ideen (vgl. Wollenweber 1997: 85). Beidem muss die Realschule gerecht werden! Sie hat die Schüler durch ihren Unterricht sowohl zu deren Integration in die Gesellschaft und Arbeitswelt als auch zu einer bestmöglichen Persönlichkeitsbildung zu verhelfen. Nur dann kann gewährleistet werden, dass die nachwachsende Generation die Aufgaben, vor die sie gestellt wird, meistern kann.
Die Realschule versteht sich in ihrem Schulprofil als Schule, die „eine umfassende Vor-bereitung [der Schüler] auf künftige Anforderungen“ (STMUK 2001: 13) durch eine „inten-sive und gleichzeitig flexible Gestaltung von Unterricht und Schulleben, vor allem auch im Hinblick auf die Förderung grundlegender Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen für das Berufsleben“ (a. a. O.: 14) verwirklicht. Neben Kenntnissen und Fähigkeiten in den fach-wissenschaftlich orientierten Unterrichtsfächern erwerben die Schüler „grundlegende Ein-stellungen und Haltungen, die es ihnen ermöglichen, sich auf neue Situationen“ (a. a. O.: 15) in allen Lebensbereichen einzustellen: u. a. Ausdauer, Eigeninitiative, Entscheidungs-fähigkeit, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Konzentrationsvermögen, Teamfähigkeit, das Lernen lernen, vernetztes Denken, Verantwortung, ethisches Handeln und Urteilen, Mitverantwortung und -gestaltung in der Demokratie, Selbstständigkeit (vgl. STMUK 2001: 15ff.). In den Fachprofilen werden diese Forderungen durch entsprechende Lerninhalte und Lernmethoden konkretisiert.
Im Lehrplan sind folglich die Basiskompetenzen verankert, die nach Kapitel 1.2.2 zu den Schlüsselqualifikationen zählen. Die Diskussion um deren Vermittlung ist keine bloße wissenschaftstheoretische Diskussion. Die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen ist ein Baustein des Lehrplans der bayerischen Realschule und deshalb Gegenstand der tagtäglichen Arbeit von Lehrern und Schülern im Unterricht. Doch welche Art von „Entwicklungshilfe“ (Calchera & Weber 1990: 5) ist nötig bzw. wie muss Unterricht gestaltet sein, damit die Lernenden Schlüsselqualifikationen trainieren und zu Handlungskompetenz gelangen?
Unterricht hat Lernsituationen zu schaffen, „die dem Schüler eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität“ (Kaiser 1992: 64) und einen „Brückenschlag zu der Welt [...], in der er sich bewähren mu[ss]“ (ebd.), ermöglichen. Unterricht muss lebensnah und schüler-gerecht sein (vgl. STMUK 2001: 19). Die einzusetzenden Methoden haben die Lerninhalte unter Anwendungs- oder Problembezug zu vermitteln, in den Aktions- und Sozialformen zu variieren und die Unterrichtsprinzipien der Schüleraktivität, Anschaulichkeit und Methodenvielfalt hervorzuheben. Dies geht mit einer veränderten Lehrer- und Schülerrolle einher (vgl. Wollenweber 1994: 99). Nur wenn Unterricht so gestaltet wird, kann sich bei den Schülern das Potenzial an Schlüsselqualifikationen bestmöglich entfalten.
Schlüsselqualifikationen lassen sich allerdings nicht isoliert lehren und lernen, sondern nur gemeinsam mit greifbaren Inhalten fördern. Gebunden an die Person, die sich im Lernprozess befindet, müssen sie in ganzheitliche Bildungsprozesse eingebettet sein oder in konkreten Handlungssituationen erworben werden (vgl. Graichen 2002: 127; Kaiser 1992: 63). Diese Bedingungen verweisen auf das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts, das ideale Voraussetzungen für die Förderung von Schlüsselqualifikationen bietet. Dieses Konzept und dessen Umsetzung in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern der Realschule wird im nächsten Kapitel vorgestellt.
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Handlungsorientierter Unterricht ist seit Anfang der 1980er Jahre zu einer „Art katego-rische[m] Imperativ der Pädagogik“ (Albers 1995: 1) für ein Unterrichtskonzept geworden, das einen Gegenpol zum traditionellen Frontalunterricht bildet. H. Meyer, Professor für Schulpädagogik in Oldenburg, und sein Kollege W. Jank sprechen von einem „geradezu inflationäre[n] Gebrauch“ (Meyer & Jank 1994: 353) der Begriffe rund um die Handlungsorientierung von Unterricht, die mittlerweile „zum Standardrepertoire unserer modernen Lernkultur“ (Schiller 1998a: 32) gehört.
Handlungsorientierung lässt sich durch eine große Bandbreite von Unterrichtsmethoden und methodischen Großformen in der Unterrichtspraxis verwirklichen: vom Lernzirkel, über Freiarbeit und Wochenarbeitsplan bis hin zum Projekt, der Hochform des handlungsorientierten Unterrichts (vgl. Gudjons 1989: 76). In den Wirtschaftsfächern der Realschule, Wirtschaft & Recht und Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen, eignen sich in besonderem Maße die Simulationsverfahren Rollenspiel, Planspiel und Fallstudie zur Gestaltung handlungs-orientierten Unterrichts. Mit grundlegenden Aspekten der Handlungsorientierung und ihrer Umsetzung durch Simulationen setzt sich dieses Kapitel auseinander. Es gilt zu klären:
1. Was ist unter dem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts zu verstehen und warum ist handlungsorientiertes Lernen schlüsselqualifikatorisch wirksam?
2. Wie wird Handlungsorientierung durch Simulationsverfahren in den Wirtschaftsfächern realisiert?
2.1 Das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts
2.1.1 Begriffsbestimmung
Das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts ist ein eigenständiges Unterrichtskonzept. Unterrichtskonzepte sind „Gesamtorientierungen methodischen Handelns, in denen explizit ausgewiesene oder implizit vorausgesetzte Unterrichtsprinzipien, allgemein- und fach-didaktische Theorieelemente und Annahmen über die organisatorisch-institutionellen Rahmenbedingungen und Rollenerwartungen an Lehrer und Schüler integriert werden“ (Meyer 1987: 208). Sie haben „werbenden, fordernden, programmatischen Charakter“ (ebd.), basieren auf normativen Entscheidungen und geben Empfehlungen für einen besseren und sinn-volleren, weil an den Bedürfnissen der Schüler orientierten Unterricht (vgl. Glöckel 1990: 312; Gonschorek & Schneider 2000: 170). Abb. 3 gibt einen Überblick über verschiedene Unterrichtskonzeptionen, ihre grundlegenden Unterrichtsprinzipien und Möglichkeiten ihrer didaktischen Umsetzung.
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Abb. 3: Überblick über verschiedene Unterrichtskonzeptionen (mittlere Reihe),
ihre grundlegenden didaktischen Prinzipien (obere Reihe) und
Möglichkeiten ihrer methodischen Umsetzung (untere Reihe)
Quelle: Meyer 1987: 209
Wie die meisten Unterrichtskonzepte beruht auch der handlungsorientierte Unterricht auf reformpädagogischen Ideen. Seine Wurzeln liegen in der Arbeitsschulbewegung H. Gaudigs (1869-1923), der Selbstständigkeit durch Selbsttätigkeit forderte, und dessen Konkurrenten G. Kerschensteiners (1854-1932), der auf die Abkehr von der Buchschule hin zu einer Arbeitsschule drang (vgl. Meyer 1987: 212). Großen Einfluss hatte Anfang der 1980er Jahre die kognitive Handlungstheorie von H. Aebli und J. Piaget, die auf der Annahme beruht, Denken gehe aus dem Handeln hervor (vgl. Gudjons 1989: 42). Festzuhalten bleibt, dass das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts nicht wie die Einführung zu diesem Kapitel Glauben schenken mag, ein neuartiges, innovatives Unterrichtskonzept ist, sondern dass dessen ursprüngliche Ideen bereits rund einhundert Jahre alt sind.
Handlungsorientierter Unterricht richtet sich gegen den traditionellen, lehrerzentrierten Frontalunterricht, der durch „Papier- und Bleistift-Verfahren und das Ausführen von An-weisungen“ (Kahsnitz 1995: 54) geprägt ist. Frontalunterricht sei zu kopflastig, nur auf Wissensvermittlung ausgerichtet und ließe die Schüler im Lernprozess zu passiven Rezipienten werden. Die Lernenden würden mit ihrem gesamten Vermögen an intellektuellen und kre-ativen Fähigkeiten nicht ernst genommen, ihre Bedürfnisse nach Selbsttätigkeit und Eigen-verantwortung im Unterricht würden fast uneingeschränkt ausgeklammert. Zudem verhelfe der Frontalunterricht den Schülern nicht zu den so notwendigen Schlüsselqualifikationen, da das Wissen in erster Linie orientiert an einer wissenschaftlichen Systematik ohne Ver-knüpfung zur Realität präsentiert wird und für die Schüler keinen fachübergreifenden, interdisziplinären Sinn ergibt (vgl. Schade 1997: 27).
Aufgrund dieser Defizite wird mit dem handlungsorientierten Unterricht ein Konzept propagiert, dass den Schüler mit seinen Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens rückt. Durch die Verbindung von Tun und Denken folgt es dem Prinzip „learning by doing“ J. Deweys (1859-1952), dem Begründer der Projektmethode (vgl. Schiller 2001: 171). Dies kommt auch im Realschullehrplan zum Ausdruck: Lernen soll durch „Handlungsorientierung und Lebensnähe“ (STMUK 2001: 19), selbstständig und eigenverantwortlich in sozialen Beziehungen und durch unmittelbare Erfahrungen geschehen. Bei der Vermittlung theoretischer Kenntnisse ist der Bezug zur Lebenswirklichkeit her-zustellen; die Schüler sind an der Unterrichtsgestaltung zu beteiligen (vgl. ebd.).
Nach H. Meyer & W. Jank ist handlungsorientierter Unterricht „ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer/der Lehrerin und den SchülerInnen vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so da[ss] Kopf- und Handarbeit der SchülerInnen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können“ (Meyer & Jank 1994: 354). Die allgemein- und fachdidaktische Literatur kennt viele Definitionen von dem, was unter handlungsorientiertem Unterricht zu verstehen ist. Allein H. Beck führt neunzehn davon in seinem Buch „Handlungsorientierung des Unterrichts“ auf (vgl. Beck 1996: 17ff.). Begriffliche Eindeutigkeit kann hier nicht vermutet werden. Überhaupt handelt es sich bei diesem Konzept um eine offene Unterrichtsform, die sich zwar nicht exakt definieren, aber durch ihre je spezifischen Merkmale charakteri-sieren lässt (vgl. Gudjons 1989: 58).
2.1.2 Merkmale
Stellvertretend für alle Konzeptdarstellungen soll der handlungsorientierte Unterricht im Folgenden mit seinen Merkmale nach H. Meyer & W. Jank charakterisiert werden. Alle Merkmale sind anderen Unterrichtskonzepten entlehnt. Doch nur durch ihre Verknüpfung und ihr stets gemeinsames Auftreten wird Unterricht zu handlungsorientiertem Unterricht (vgl. Kahsnitz 1995: 55). Abb. 4 stellt diese Merkmale zusammenfassend dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts
Quelle: eigene Darstellung nach Meyer & Jank 1994: 354ff.
Die Charakteristika sind im Einzelnen:
- Ganzheitlichkeit: Unterricht soll inhaltlich, methodisch und personal ganzheitlich gestaltet sein, es „soll der ganze Schüler angesprochen werden“ (Beck 1996: 35). Inhaltliche Ganzheitlichkeit erreicht man, indem ein Unterrichtsgegenstand nicht etwa auf Basis einer wissenschaftlichen Systematik, sondern mittels eines Problems oder einer Frage-stellung aus der Lebenswirklichkeit heraus erarbeitet wird. Der Aspekt der methodischen Ganzheitlichkeit verlangt nach ganzheitlichen Unterrichtsmethoden, nach Aktions- und Sozialformen, die nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz der Schüler ansprechen. Durch eine nicht nur kognitive, sondern ebenso emotionale und motorische Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand lässt sich personale Ganzheitlichkeit ver-wirklichen (vgl. Kahsnitz 1995: 63; Meyer & Jank 1994: 355).
- Schüleraktivität: Die Schüler sollen unter Anleitung des Lehrers in einem hohen Maße selbsttätig sein, denn Selbsttätigkeit ist – es sei nochmals an H. Gaudig erinnert –Voraussetzung für Selbstständigkeit. Lernerfahrungen und Kompetenzen können so im unmittelbaren Umgang mit den Lerninhalten erworben werden, wobei die Schülerschaft in jeder Unterrichtsphase weit mehr als im traditionellen Unterricht kommunikativ und interaktiv tätig ist (vgl. Beck 1996: 36).
- Herstellung von Handlungsprodukten: Handlungsorientierter Unterricht liefert fassbare Ergebnisse und keine isoliert nebeneinanderstehenden Zusammenfassungen in fach-wissenschaftlicher Manier. Diese materiellen und geistigen Ergebnisse des Unterrichts können Wandzeitungen oder Ausstellungen, Modelle, Experimente u. ä., aber auch sog. Inszenierungen wie Rollenspiel, Theater, Musik oder Tanz sein. Die Handlungsprodukte werden grundsätzlich veröffentlicht. Sie haben für die Schüler motivierenden Charakter und auch nach ihrer Fertigstellung im Gegensatz zu den Hefteinträgen oder Arbeits-blättern des Frontalunterrichts noch einen hohen Gebrauchswert (vgl. ebd.; Kahsnitz 1995: 59f.).
- Orientierung an den Schülerinteressen: „Schülerorientierung heißt Berücksichtigung der Individualität und Anerkennung der Personalität des Schülers in allen Bereichen des Unterrichts“ (Schröder 2000: 208), d. h. Unterricht ist auf die personalen, sozialen und fachlichen Interessen der Schüler auszurichten. Die Lernenden haben dann die Mög-lichkeit, ihre Interessen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen, weiterzuentwickeln oder neue Interessen zu entdecken (vgl. Beck 1996: 36; Meyer & Jank 1994: 413f.).
- Beteiligung der Schüler bei Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts: Dieses Merkmal schließt direkt an die Schülerorientierung an, da auch bei der Planung und Durchführung hinsichtlich der Auswahl von Inhalten, Zielen, Methoden und Medien und bei der abschließenden Beurteilung von Lernprozessen die Schülermeinungen zu berücksichtigen sind. Nicht immer kann der Unterricht ausnahmslos nach den Vorstellungen der Schüler gestaltet werden. Dann hat der Lehrer den Lernenden gegenüber zu be-gründen, warum bestimmte Ziele erreicht, Inhalte im Unterricht behandelt und Methoden eingesetzt werden müssen (vgl. Beck 1996: 36; Meyer & Jank 1994: 358).
- Innere und äußere Öffnung der Schule: Unter innerer Öffnung der Schule wird ein Auf-einanderzugehen von Lehrern und Schülern verstanden, bei dem individuelle Lernwege gefördert, fächerübergreifender Unterricht ausgeweitet und das Schulleben fortentwickelt wird. Äußere Öffnung von Schule meint, dass die Schule Schule verlässt und Unterricht an außerschulischen Lernorten stattfindet. Dies kann durch Erkundungen oder Exkur-sionen, aber auch durch Personen, z. B. Experten, die „von außen“ in die Schule kommen, geschehen. Durch die Öffnung der Schule wird der Unterricht zusehends mit der Realität verknüpft (vgl. ebd.).
- Ausgewogenes Verhältnis von Kopf- und Handarbeit: Dieses Merkmal erinnert an J. H. Pestalozzis (1746-1827) berühmten Ausspruch über das Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Im traditionellen Unterricht herrsche ein „grobes Mi[ss]verhältnis“ (Meyer & Jank 1994: 358) von Hand- und Kopfarbeit. Die Kopfarbeit mit kognitiver Bildung und geistigen Handlungen überwiegt. Handarbeit, also materiale Handlungen, kommen zu kurz. Sie werden durch außerunterrichtliche Aktivitäten wie Schwätzen, Spielen, Raufen oder Schlafen kompensiert (vgl. Meyer & Jank: 1994: 338). Zwischen Kopf- und Handarbeit müsse aber eine „dynamische Wechselwirkung“ (Beck 1996: 36) herrschen. Nur dann könne Unterricht auf die Realität vorbereiten (vgl. Meyer & Jank 1994: 358).
Nicht jede Form handlungsorientiert gestalteten Unterrichts kann allen genannten Merkmalen im gleichen Ausmaß entsprechen. Daher hat dieses Konzept „zum Teil utopische Züge“ (Meyer & Jank 1994: 355). Es ist nicht das Nonplusultra der Didaktik. Die Auflistung zeigt allerdings, in welche Richtung bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Unterricht gedacht werden muss, um sich dem Ideal dieses Konzepts anzunähern. Lehrgangs-mäßiger Unterricht ist trotzdem unentbehrlich. Er gewährleistet die Vermittlung grund-legenden Wissens sowie Anleitungen zur selbstständigen Aneignung von Kompetenzen (vgl. Meyer 1987: 215f.).
2.1.3 Handlungsorientiertes Lernen als schlüsselqualifikatorisch wirksames Lernen
Um zu klären, warum das Lernen im handlungsorientierten Unterricht zur Förderung von Schlüsselqualifikationen beiträgt, ist zunächst der Handlungsbegriff näher zu untersuchen.
Eine Handlung ist eine besondere Form des Verhaltens. Während letzteres im Behaviorismus alle bewussten und unbewussten, willkürlichen oder unwillkürlichen objektiv beobachtbaren Reaktionsweisen und Zustandsänderungen von lebenden Organismen, z. B. Körperbe-wegungen und -haltungen, Emotionen, Reflexe, sprachliche Äußerungen u. ä. umfasst, ist eine Handlung ein spezifisches Verhalten, bei der Maßnahmen und Hilfsmittel bewusst eingesetzt werden, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen (vgl. Gudjons 1989: 41). Der Reflex der Speichelproduktion beim Geruch oder Anblick einer wohlschmeckenden Mahlzeit ist dem Verhalten zuzuordnen. Der Vollzug der Nahrungsaufnahme ist jedoch eine bewusst durchgeführte Handlung mit dem Ziel, den Hunger zu stillen.
Die moderne Psychologie umschreibt Handlungen wie folgt:
- Handlungen sind zielgerichtete Tätigkeiten, bei denen ein Individuum durch Adaption (Anpassung des Menschen an seine Umwelt) oder Assimilation (Veränderung der Umwelt) in für sich bedeutenden Situationen einen befriedigenden Zustand erreichen will.
- Handlungen sind proaktive und zugleich reaktive Auseinandersetzungen mit einer Situation. Dabei bewertet die handelnde Person die Situation vor der Handlung nach ihrer Dringlichkeit und den Erfolgschancen und nach der Handlung anhand ihrer Konse-quenzen.
- Handlungen sind Auseinandersetzungen der personalen Ganzheit mit einer Situation, d. h. physische und psychische Aspekte wirken zusammen (vgl. ebd.; Knapp 1976: 158).
Ein solcher Handlungsbegriff ist vom spontanen, emotionsgeleiteten und -geladenen, un-reflektierten Handeln abzugrenzen.
Dementsprechend meint Handeln im handlungsorientierten Unterricht ein planvolles, ratio-nales und reflektiertes Handeln (vgl. Albers 1995: 5). Es wird „durch Denken, Wollen und Fühlen gesteuert und setzt Wissen und Können voraus“ (ebd.). Wissen in Form von Kennt-nissen und Können als kognitive, emotionale und motorische Fähigkeiten stehen dabei in wechselseitiger Abhängigkeit. Eine handelnde Person kann beide Elemente beim direkten Vollzug der Handlung erwerben. Aus Gründen der Rationalität und Effektivität ist dies dauerhaft nur wenig sinnvoll. Weit vorteilhafter ist es, wenn ein Handelnder bereits vor der eigentlichen Handlung über das entsprechende Wissen und Können hierfür verfügt und dieses nicht erst aufwendig und umständlich mit dem Handlungsvollzug erlernen muss (vgl. Albers 1995: 5).
Letzterem kann das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts Rechnung tragen. Handlungsorientiert gestalteter Unterricht stattet die Schüler durch seine Ganzheitlichkeit, durch die Betonung der Schüleraktivität, durch ihre Beteiligung von der Planung bis zur Aus-wertung, durch das ausgewogene Verhältnis von Kopf- und Handarbeit und durch die Her-stellung von Handlungsprodukten „gewissermaßen prophylaktisch“ (ebd.) mit einem Pool an Wissen und Können aus. Dort erworbenes Wissen und Können ist dann – sofern es nicht nur einmal, sondern kontinuierlich gefördert wird – auf verschiedenste ähnliche Situationen transferierbar: es wird auf Vorrat gelernt (vgl. Gudjons 1989: 45).
„Handlungsorientiertes Lernen hat also Handlungswissen und Handlungsfähigkeiten bereit-zustellen bzw. das Individuum in die Lage zu versetzen, sich benötigtes Wissen und benötigte Fähigkeiten anzueignen“ (Albers 1996: 7). Es erfüllt durch seine vielseitigen Gestaltungsmöglichkeiten „das Prinzip des Lernens für die Zukunft“ (Gudjons 1989: 45) und ist „eine grundlegende Voraussetzung, da[ss] die Schüler nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch Schlüsselqualifikationen erwerben können“ (Beck 1996: 14). Personale, soziale und methodische Kompetenzen ergänzen fachliche Kompetenzen und tragen so zur Stärkung von Handlungskompetenz bei. Handlungsorientierter Unterricht fördert also universell anwend-bare Kompetenzen für alle gegenwärtige und zukünftige Lebenssituationen der Schüler, handlungsorientierter Unterricht fördert Schlüsselqualifikationen.
2.2 Simulationen im ökonomischen Unterricht
2.2.1 Ökonomischer Unterricht und Handlungsorientierung
Befürworter des handlungsorientierten Unterrichts sehen in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern der Realschule „eine zu starke fachwissenschaftliche Orientierung bzw. eine zu starke Ausrichtung an dem didaktischen Prinzip der Wissenschaftsbezogenheit der Inhalte“ (Speth 2004: 491). Die ökonomische Realität werde fast ausnahmslos auf geistiger Ebene durch Begriffe, Theorien und Modelle repräsentiert, so dass sie nur gefiltert im Unterricht behandelt und von den Schülern aufgenommen wird. Dies sei realitätsfremd, praxisfern und motivationshemmend (vgl. Sensik 1994: 211). Was fehle, ist eine Verknüpfung von Theorie und Praxis, von Hand- und Kopfarbeit und von Arbeiten und Lernen. Stattdessen dominiere der Frontalunterricht (vgl. ebd.). Insbesondere in Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen scheinen die Inhalte keine Handlungsorientierung zuzulassen (vgl. Schiller 1998a: 35). Diese Mängel sind zu beheben.
Gemäß den Fachprofilen für die Wirtschaftsfächer im Lehrplan der Realschule kann die Handlungskompetenz der Schüler nur mit dem Einsatz von schüler- und handlungs-orientierten Unterrichtsformen gestärkt werden, die Praxiskontakte und -bezüge bieten. Da die Schüler bereits jetzt und fortlaufend ihres ganzen Lebens Teilnehmer am Wirtschaftsgeschehen sind und bleiben werden, habe sie der ökonomische Unterricht auf ihre unterschiedlichen Rollen als Wirtschaftssubjekte – als Konsument oder möglicher Produzent, Arbeitnehmer oder möglicher Arbeitgeber – vorzubereiten. Unterricht muss die Wahrnehmung dieser Rollen schärfen und Verständnis für die komplexen Prozesse und Strukturen der Ökonomie schaffen (vgl. STMUK 2001: 72).
Die Lernenden sollen durch ökonomischen Unterricht theoretisches Wissen in der Praxis anwenden können und Fähigkeiten entwickeln, die für wirtschaftliches Handeln im Alltag relevant sind (vgl. Ewig 1990: 14). Das Fach Wirtschaft & Recht, das in allen Wahlpflichtfächergruppen der Realschule angeboten wird, verhilft den Schülern dazu, sich „sachlich fundiert mit wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen auseinander zu setzen und sich fachlich begründet zu äußern. [Die Schüler] lernen auf wirtschaftlichem Gebiet verantwortungsvoll zu urteilen und zu handeln und auf der Grundlage rechtlicher Kenntnisse ihre Rolle als Staatsbürger und Verbraucher bewusst wahrzunehmen“ (STMUK 2001: 72). Das Fach Betriebswirtschafts-lehre/Rechnungswesen in der Wahlpflichtfächergruppe II bereit die Schüler auf „kritisches Verhalten als Hersteller und Verbraucher“ (STMUK 2001: 76) vor. Sie sollen lernen „wirtschaftlich eigenverantwortlich zu handeln und rechnerisch nachprüfbare Aussagen über das Wirtschaften überzeugend zu begründen oder zu widerlegen“ (ebd.). Schließlich fördert der Unterricht in beiden Fächern das Verantwortungsbewusstsein für das Zusammenleben in unserer Demokratie im Rahmen der allgemeinen staatsbürgerlichen Erziehung (vgl. a. a. O.: 72; a. a. O.: 76).
Um diese Ziele handlungsorientiert zu realisieren, ist „die Inhalts-, Methoden- und Medienwahl so zu treffen, da[ss] ökonomische Bildung einen Beitrag zur Autonomie und Selbst-bestimmung leistet“ (Kaiser 1992: 72). Unerlässlich ist ein Methodenarrangement, „das darauf ausgerichtet ist, die Schüler zu befähigen, sich selbstständig Wissen anzueignen, Probleme zu lösen, neue Situationen zu bewältigen, aktiv ihre Arbeitsumwelt mitzugestalten und lebenslang lernfähig und lernbereit zu bleiben“ (ebd.). „Methodenpluralismus und Pluralität der Lernorte“ (a. a. O.: 73) sind bei der handlungsorientierten Unterrichtsgestaltung unbedingt zu beachten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Formen des handlungsorientierten Unterrichts
Quelle: eigene Darstellung nach Schiller 2001: 174
Der Bayreuther Wirtschaftspädagoge G. Schiller unterscheidet – wie Abb. 5 zeigt – drei methodische Gruppen, mit denen sich handlungsorientiert unterrichten lässt: Simulationen, offener Unterricht und weitere Lernarrangements. Letztere sind Lehr-Lern-Formen, die den Schülern das Lernen erleichtern und nicht den beiden anderen Gruppen zugeordnet werden können (vgl. Schiller 2001: 173). Nachfolgend wird das Augenmerk ausschließlich auf die Simulationen Fallstudie, Rollen- und Planspiel gerichtet. Da diese drei Unterrichtsmethoden schon sehr lange Zeit zu Unterrichtszwecken eingesetzt werden und sich als Lehr-Lern-Formen bewährt haben, fasst man sie zur Gruppe der klassischen Simulationen zusammen (vgl. Ewig 1991: 130; Koeder 1984: 14; Räuchle & Reiner 1989: 27ff.; Schiller 2001: 173). Ihnen kommt „im Wirtschaftslehre-Unterricht eine wichtige Funktion“ (Speth 2004: 379) zu. Der offene Unterricht und die Lehr-Lern-Arrangements sowie Projekt, Szenario und Zukunftswerkstatt werden nicht weiter besprochen. In der allgemein- und fachdidaktischen Literatur findet sich zu diesen Methoden jedoch umfangreiches Material.
2.2.2 Simulative Unterrichtsverfahren
Simulative Unterrichtsverfahren bzw. Simulationen sind den methodischen Großformen zuzuordnen. Dies sind „historisch gewachsene, institutionell und auch im Alltagsbewusstsein von Lehrern, Schülern und Eltern mehr oder weniger fest verankerte typische Lehr-/Lernwege mit unterschiedlichen Zielsetzungen und erkennbaren methodischen Gestaltungselementen“ (Meyer 1987: 143f.). Methodische Großformen kombinieren verschiedene methodische Grundelemente wie Aktionsformen (darstellend, erarbeitend, entdecken-lassend), Sozial-formen (Frontalunterricht, Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit), Unterrichtsverfahren (erklärend-deduktiv, ganzheitlich-interpretierend, dialektisch) und Medien (Bücher, Arbeitsblätter, Hefte, Tafelbild, usw.) miteinander, bilden aber eigenständige Einheiten mit je eigener Dynamik, Systematik und Zielsetzung. Sie dienen in erster Linie durch ihren praktischen Anwendungsbezug der Förderung von Schlüsselqualifikationen und nicht dem Wissens-erwerb (vgl. Speth 2004: 379).
Simulationen sind in den Wirtschaftsfächern eine denkbare Antwort auf die Nachteile tra-ditioneller Unterrichtsmethoden und mangelnden Praxisbezugs (vgl. Sensik 1994: 211). Definiert als „Aktivitäten, die durch Nachahmung der Realität in einem Modell Schülern Er-fahrungen des Wirtschaftslebens vermitteln wollen“ (Ewig 1990: 113), holen Simulationen als aktive Lehr-Lern-Formen die Lernenden aus der passiv-rezeptiven Haltung des Frontal-unterrichts heraus und regen sie zu Eigenaktivität, Selbsttätigkeit und praxisorientiertem Lernen an. Simulationen wollen komplexe ökonomische Situationen möglichst vollständig im Unterricht nachbilden (vgl. Portele 1977: 12) und so eine weitestgehende Annäherung an die ökonomische Realität bewirken. Sie nehmen „in Bezug auf die Realitätsnähe eine Mittelstellung zwischen den didaktischen Medien und der Betriebserkundung bzw. dem Betriebspraktikum“ (Schiller 1996: 35), die den Schülern zumindest einmalig oder kurzfristig Gelegenheit zur Begegnung mit der Realität geben, ein.
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- Arbeit zitieren
- Oliver Burkert (Autor:in), 2006, Schlüsselqualifikationen fördern. Methode: Fallstudien in den Wirtschaftsfächern der bayerischen Realschule., München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/53082