Die vorliegende Arbeit möchte darstellen, welche Beanspruchungen der Fachkräfte auftreten können und welche Möglichkeiten der Arbeitgeber in der vollstationären Jugendhilfe hat, um die Arbeitsbedingungen zu verändern beziehungsweise um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die psychischen Erkrankungen bei ihren Arbeitnehmern vorbeugen.
Hierbei wende ich die hauptsächlich die Methoden der Literaturauswertung bzw. die Sekundärauswertung vorhandener Daten an. Im Folgenden werde ich intensiver auf die eventuell auftretenden Belastungen bzw. Beanspruchungen der Fachkräfte im beruflichen Alltag in der vollstationären Jugendhilfe eingehen und hierbei die Rahmenbedingungen der Arbeit und die möglichen Auslöser eben dieser Belastungen betrachten. Weiterhin befasse ich mich mit eventuell vorhandenen Schwachstellen bei den Arbeitsbedingungen in der vollstationären Jugendhilfe, und stelle Praxiskonzepte zur Gesundheitsförderung bzw. zur Prävention vor.
Ziel der Arbeit ist es, Maßnahmen zur Verbesserung der Qualitätsstandards zu finden, herauszuarbeiten und vorzustellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Spezifische Belastungsauslöser in der vollstationären Jugendhilfe
2.1. Betreuungsintensive Klienten und deren Familien
2.2. Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen in vollstationären Jugendhilfeeinrichtungen
3. Mögliche Erkrankungen der Fachkräfte
3.1. Burnout
3.2. Sekundärtraumatisierung
4. Praxiskonzepte und Prävention
4.1. Verbesserung Personalstruktur durch eine angemessene Dienstplanung
4.2. Professionelle Fortbildung als Qualitätsmerkmal
4.3. Kollegialer Austausch
4.4. Organisierte Sportangebote oder meditative Impulse
4.5. Supervision und Fallcoaching als Maßnahme der Psychohygiene
4.6. Kooperation mit anderen Helfersystemen
5. Fazit
Literaturund Quellenangaben
1. Einleitung
Durch meine fünfjährige Tätigkeit als Nachtbereitschaft im vollstationären Bereich, beim Theresien Kinderund Jugendhilfezentrum in Offenbach, einem größeren hessischen Jugendhilfeträger, wurde mir bewusst, wie herausfordernd die Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen sein kann, die nach §§27, 34, 35a und 41 SGBVIII vollstationär untergebracht sind.
In Teamsitzungen, die durch die Gruppenleiterin gestaltet und die Abteilungsleitung begleitet werden, wurde mir bewusst, wie die Mitarbeiter*innen, die im Tagdienst eingesetzt sind, unter zum Teil belastenden und auch schwierigen Arbeitsbedingungen tätig werden.
Die folgende Fragestellung möchte ich am Beispiel der vollstationären Jugendhilfe bearbeiten, da ich der Meinung bin, dass gerade Fachkräfte in diesem Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit vielfältigen Belastungen ausgesetzt sein können.
„Wie können die Arbeitsbedingungen durch Jugendhilfeträger verändert werden, um psychischen Beanspruchungen bei ihren Beschäftigten vorzubeugen?“
Es interessierte mich, ob die Belastung der Kolleg*innen im Bereich der vollstationären Jugendhilfe nur meiner subjektiven Wahrnehmung entspricht oder ob sie mit den zum Teil schwierigen Arbeitsbedingungen zusammenhängt. Das Thema Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit wurde durch mich auch deshalb gewählt, weil es sich meiner Meinung nach um ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema handelt. So wird beispielsweise durch eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes vom 07.06.2018 aufgezeigt, dass im Jahr 2016 in Deutschland insgesamt 95.582 Kinder und Jugendliche in einer Jugendhilfeeinrichtung vollstationär untergebracht waren [vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) 2018, S. 13.].
Allein die gewährten Hilfen nach §34 SGBVIII sind bereits in den Jahren 2013 bis 2015 stetig angestiegen. Dies wird anhand einer Statistik aus der Veröffentlichung „Kommentierte Daten der Kinder& Jugendhilfe belegt. Hier sind die auswärtigen Unterbringungen nach §§27, 35a und 41 SGBVIII noch nicht berücksichtigt worden. Das zeigt mir, dass die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen als Hilfe zur Erziehung in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat.
Die hohen und stetig steigenden Fallzahlen lassen vermuten, dass die Belastungen für die Fachkräfte in einer Einrichtung der vollstationären Jugendhilfe in der Zukunft weiter wachsen könnten.
Aufgrund der dadurch möglichen hohen Beanspruchungen und eventuell daraus resultierenden Belastungen, können psychische Überlastungen entstehen, deren Folge auch Erkrankungen der Sozialarbeiter*innen sein können.
Nicht nur die Beschäftigten sind durch Selbstfürsorge gefordert, etwas an dieser Situation zu verändern, sondern auch ihre Arbeitgeber. Diese müssen durch Veränderungen der äußeren Bedingungen oder Maßnahmen zur Gesundheitsförderung beitragen, um die Belastungen der Fachkräfte zu reduzieren [vgl.§§617 bis 619 BGB].
Während der Lektüre des Buches Scherwath, Friedrich "Soziale und pädagogische Arbeit bei Traumatisierung", im Rahmen einer anderen Studienveranstaltung, wurde mein Interesse an diesem Thema geweckt. Besonders das Kapitel 3, "Stabilisierung und Selbstfürsorge im Helfersystem als Schutz vor Sekundärer Traumatisierung" hat mich beeinflusst, dieses Thema näher zu betrachten und Antworten auf die oben aufgeführte Frage zu suchen.
Nachdem die Frage formuliert war, informierte ich mich zu dem Thema und recherchierte hierzu. Auch wenn es nicht als wissenschaftliche Erhebung gelten kann und soll, befragte ich Kolleg*innen, Abteilungsleiter*innen und die Heimleitung des Jugendhilfeträgers, bei dem ich beschäftigt bin. In diesem Zusammenhang konnte ich Informationen und interessante Ideen, die hier zum Teil bereits in der Umsetzung sind, zusammentragen.
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich darstellen, welche Beanspruchungen der Fachkräfte auftreten können, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber in der vollstationären Jugendhilfe hat, um die Arbeitsbedingungen zu verändern bzw. um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die psychischen Erkrankungen bei ihren Arbeitnehmern vorbeugen.
Hierbei wende ich die hauptsächlich die Methoden der Literaturauswertung bzw. die Sekundärauswertung vorhandener Daten an .
Im Folgenden werde ich intensiver auf die eventuell auftretenden Belastungen bzw. Beanspruchungen der Fachkräfte im beruflichen Alltag in der vollstationären Jugendhilfe eingehen und hierbei die Rahmenbedingungen der Arbeit und die möglichen Auslöser eben dieser Belastungen betrachten. Weiterhin befasse ich mich mit eventuell vorhandenen Schwachstellen bei den Arbeitsbedingungen in der vollstationären Jugendhilfe, und stelle Praxiskonzepte zur Gesundheitsförderung bzw. zur Prävention vor.
Ziel der Arbeit ist es, Maßnahmen zur Verbesserung der Qualitätsstandards zu finden, herauszuarbeiten und vorzustellen.
2. Spezifische Belastungsauslöser in der vollstationären Jugendhilfe
In der Europäischen Norm EN ISO 10075-1 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“ werden die Begriffe Psychische Belastung und Psychische Beanspruchung definiert.
Laut Ausführungen der AOK sind frei nach EN ISO 10075-1:
„Psychische Belastung:Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.
Psychische Beanspruchung:Die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der
psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.“ [Vgl. AOK-Business]
Es beunruhigt mich, dass ich in meiner fünfjährigen Tätigkeit in der vollstationären Jugendhilfe Kontakt zu Kollegen*innen oder auch zu Fachkräften aus naheliegenden Bereichen, wie zum Beispiel der Kinderund Jugendpsychiatrie, habe, die erschöpft und angespannt wirken. Ich bin der Meinung, dass nur gesunde und leistungsfähige Mitarbeiter*innen den zum Teil hohen Ansprüchen ihrer Klient*innen und deren Familien gerecht werden können. Die Kinderschutzzentren haben im Winter 2010 für eine empirische Untersuchung 1303 Fachkräfte aus den verschiedensten Bereichen der Jugendhilfe befragt [vgl. Müller 2011, S. 3].
In dieser Untersuchung wurde herausgearbeitet ,,dass sich 80% der Befragten in ihrem beruflichen Alltag weder übernoch unterfordert fühlen“, was aber nicht damit gleichzusetzen ist, dass diese Fachkräfte keinen Belastungen in ihrem Arbeitsalltag ausgesetzt sind [vgl. Müller 2011, S. 5].
Durch meine Tätigkeit als Nachtbereitschaft bin ich zwar im Team integriert, jedoch nur bedingt in Krisen involviert. Des Weiteren stehe ich noch am Anfang meiner Ausbildung und Berufstätigkeit in der vollstationären Jugendhilfe. Daher stelle ich mir hierzu die folgenden Fragen.
Wieso erschöpfen fähige, engagierte und motivierte Kollegen an den an sie gestellten Anforderungen? Welche Gründe gibt es hierfür?
2.1. Betreuungsintensive Klienten und deren Familien
In der vollstationären Jugendhilfe werden Kinder und Jugendliche in Heimen bzw. Wohngruppen nach §§27, 34, 35a und 41 SGBVIII untergebracht. Anhand von Auswertungen des Forschungsverbundes der TU in Dortmund und dem Deutschen Jugendinstitut sind die Gründe, die zu einer Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen führen, vielschichtig und breit gefächert. Hier handelt es sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, über fehlende Erziehungskompetenzen verfügen oder Defizite bei der Versorgung der jungen Menschen aufweisen [vgl. Forschungsverbund CJI/TU Dortmund 2016, S. 8]. Die auswärtige Unterbringung der Kinder und Jugendlichen kann sowohl vorübergehend, als auch dauerhaft der Fall sein.
Häufig haben diese Klienten zusätzliche Probleme wie Ängste, Depressionen oder Aggressionen. Oft leiden sie auch an Entwicklungsund/oder Lernstörungen. Vermehrt liegen auch bestätigte Hochbegabungen, auch in der Form der hochbegabten Minderleister, vor. Einige dieser Klienten haben bereits eine diagnostizierte seelische oder psychische Erkrankung, wie z.B. Autismus, ADHS, posttraumatische Belastungsstörung etc.. Häufig handelt es sich um Kombinationen der verschiedenen Auffälligkeiten. Hinzu kommen Merkmale der Familie der Klien*innen mit weiteren komplexen Problemstellungen. Hier möchte ich auf die bereits o.g. Erkrankungen verweisen und auf zum Teil gravierende Fälle von Kindeswohlgefährdung [vgl. Müller 2011, S. 7].
Ein weiterer Punkt, den ich erwähnen möchte ist die zum Teil fehlende Kooperation der Klient*innen oder deren Eltern. Hier spielt meiner Meinung nach die geringe gesellschaftliche Anerkennung ( „Jugendamt als Kinderklauer“ [Poulsen 2013]) eine entscheidende Rolle.
Diese vielfältigen und unterschiedlichen Voraussetzungen machen den Arbeitsalltag in der vollstationären Jugendhilfe für die Sozialarbeiter*innen immer wieder erneut zu einer Herausforderung.
2.2. Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen in vollstationären Jugendhilfeeinrichtungen
In Einrichtungen der Jugendhilfe besteht eine wesentliche Aufgabe darin, das zur Verfügung stehende Personal optimal und unter Beachtung der Kosten einzusetzen. Es entsteht in diesem Zusammenhang ein Spannungsfeld zwischen Kosteneinschränkung, den individuellen Wünschen der Mitarbeiter und den vorgegebenen oder selbst gesteckten Qualitätszielen. Bei der Gestaltung der Arbeitszeiten kann es zu Kollisionen des gesellschaftlichen Auftrags der Jugendhilfeeinrichtung, den individuellen Bedürfnissen der Fachkräfte bzw. dem arbeitsrechtlichen Aspekt kommen.
So findet zum Beispiel das Bezugsbetreuersystem häufig Anwendung, da die Beziehungsarbeit in der vollstationären Jugendhilfe ein wichtiger Aspekt ist. In der Einrichtung, in der ich tätig bin, ist Beziehungsarbeit sogar eine wichtige Voraussetzung.
„Das TKJHZ ist eine Jugendhilfeeinrichtung, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Erziehungsarbeit als Beziehungsarbeit verstehen und leben.“ [Eckrich 2018]
Ein*e Bezugsbetreuer*in ist für die alltäglichen Dinge, die bei Kindern und Jugendlichen in vollstationären Jugendhilfeeinrichtungen ebenfalls anfallen, wie z.B. schulische Belange, Gesundheitsfürsorge, Freizeitgestaltung sowie die Elternarbeit, zuständig. Personelle Engpässe zum Beispiel durch Krankheit, Urlaub oder einen zu niedrigen Personalschlüssel stehen hierzu jedoch oft in einem Konflikt. Die dadurch entstehende Arbeitsüberlastung der Fachkräfte führt einerseits zu einer persönlichen Unzufriedenheit und andererseits zur erhöhten Belastungen, aus denen sich Krankheiten entwickeln können. Es entsteht so Zeitdruck bzw. Zeitmangel, wodurch eine ausgewogene Beziehungsarbeit zwischen den Betreuer*innen und den Klient*innen nicht immer bzw. nur unter schweren Bedingungen möglich ist. Dieser Aspekt wird durch einen immer höher werdenden bürokratischen Aufwand verstärkt. So ist es meiner Meinung nach für die Fachkräfte „unbefriedigend“, wenn sich ihre Hauptaufgabe auf das „Verwalten“ der Klient*innen beschränkt und nicht auf das gemeinsame „Gestalten“ der Maßnahme.
Natürlich ist es wichtig administrative Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Dokumentieren, Berichte schreiben und die Teilnahme an Hilfeplangesprächen, auszuführen. Der menschliche Aspekt und die Interaktionen mit den Jugendlichen sollte aber im Vordergrund stehen, um dem Schutzauftrag nach §8 SGBVIII gerecht zu werden. Meist ist dies jedoch nur durch Mehrarbeit möglich. Die oft täglich wechselnden Arbeitszeiten, die Schichtarbeit und die anfallende Mehrarbeit wirken sich häufig nicht positiv auf die Gesundheit der Fachkräfte aus. Ich möchte hier ein Beispiele aus der Praxis anführen. Hat die Fachkraft laut Dienst-plan Frühdienst und ihr/sein Bezugskind hat einen wichtigen Facharzttermin, der nur auf den späten Nachmittag terminiert werden kann, gibt es hier zwei Möglichkeiten. Entweder der/die Bezugsbetreuer*in nimmt den Termin mit dem Jugendlichen wahr (das wird in der Praxis auch meist der Fall sein, da eine Vertrauensbeziehung besteht) oder aber ein*e andere*r Betreuer*in nimmt den Termin wahr.
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