Ist die Befürchtung des Souveränitätsverlustes zutreffend? Ist Deutschland noch ein souveräner Staat? Und/oder würde die Einführung einer Europäischen Armee tatsächlich die Aufgabe der (letzten) nationalstaatlichen Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten bedeuten? Diesen Fragen soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden.
Für die Beantwortung der Eingangsfrage ergeben sich daher die folgenden Fragen: Gibt es die nationalstaatliche Souveränität noch? Ist Deutschland ein souveräner Staat? Würde die Einführung einer Europäischen Armee die Abgabe der letzten nationalstaatlichen Souveränität bedeuten?
Die Gliederung zur Bearbeitung dieser Fragen wird wie folgt aussehen: Zu Beginn soll die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs erläutert und eine Definition herausgebildet werden. Im Anschluss wird im dritten Kapitel die Souveränität Deutschlands betrachtet. Nach einem kurzen historischen Überblick wird zur aktuellen Situation übergangen und erläutert, wie die Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten aufgeteilt sind.
Sodass im weiteren Verlauf der Arbeit der Frage nachgegangen werden kann, ob es sich tatsächlich um die Aufgabe der letzten nationalstaatlichen Souveränität handeln würde. Ein letztes Unterkapitel wird sich mit der gegebenenfalls entstehenden Europäischen Souveränität befassen.
Somit ist schließlich im vierten Kapitel noch das Konzept einer Europäischen Armee zu be-trachten: Einleitend wird erläutert, vor welchen Herausforderungen die Europäische Union aktuell steht und welche Probleme mit einer Europäischen Armee gelöst werden sollen. Im zweiten Teil des Kapitels wird sich der Ausgestaltung einer Europäischen Armee gewidmet.
Nachdem die inhaltliche Grundlage erarbeitet wurde, widmet sich das fünfte Kapitel der Analyse den drei anfangs aufgestellten Fragen. Im sechsten Kapitel wird mit einem Fazit und Ausblick geschlossen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Souveränität
2.1. Entwicklung
2.1.1. Historische Entwicklung
2.1.2. Heute
2.2. Definition
3. Souveränität Deutschlands und der EU
3.1. Souveränität der Bundesrepublik Deutschland
3.1.1. Grundgesetz
3.1.2. Pariser Verträge
3.1.3. NATO-Mitgliedschaft
3.1.4. Zwei-plus-Vier Vertrag
3.2. Aufgabenverteilung zwischen Deutschland und der Europäischen Union
3.2.1. Ganz oder weitgehend alleinige Zuständigkeit der EU
3.2.2. Geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedsstaaten
3.2.3. Alleinige Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten
3.3. Was bedeutet die Souveränitätsübertragung für die EU?
4. Europäische Armee
4.1. Warum?
4.1.1. Neue Bedrohungen
4.1.2. Ineffiziente Strukturen
4.1.3. Stimmen in der Politik
4.2. Wie?
5. Analyse
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Europa und somit die Sicherheitspolitik der Europäischen Union stehen vor neuen Herausforderungen. Beispiele hierfür sind in der Migration, dem Klimawandel und dem Terrorismus zu finden. Hinzu kommt der Protektionismus der Trump-Regierung in den USA, die nunmehr zu weniger Sicherheitsleistungen für Europa bereit sind (vgl. Rudischhauser/Mayer 2018, S. 113 f.). Diese Faktoren sorgen für einen Handlungsdruck auf europäischer Seite bezüglich der Außen- und Sicherheitspolitik (vgl. Dembinski/Peters 2018, S. 6). Als mögliche Lösung für diese Entwicklungen wird unter anderem die Einführung einer Europäischen Armee genannt, unter anderem durch den Bundespräsidenten – aber auch durch andere namhafte Vertreter der deutschen Politik (vgl. Deutscher Bundestag 2019a, S. 1). Allerdings gibt es auch einige Kritiker dieser Überlegung. Sie sehen in Polizei und Militär den letzten Hort ihrer nationalstaatlichen Souveränität und fürchten daher mit der Einführung einer Europäischen Armee, diese zu verlieren (vgl. ebd., S. 2).
Die Frage der gebliebenen Souveränität wird jedoch auch unabhängig vom Thema der Europäischen Armee gestellt; da infolge der zahlreichen Kompetenzübertragungen von nationalstaatlicher Ebene auf die der Europäischen Union bereits angenommen wird, dass die Souveränität der Bundesrepublik tangiert wird – bis hin zur Frage, ob Deutschland überhaupt noch ein souveräner Staat ist (vgl. Voigt 2018, S. 617).
Vor der Frage nach Deutschlands Souveränität ergibt sich außerdem die Frage, ob das Konzept der nationalstaatlichen Souveränität in der heutigen Zeit überhaupt noch aktuell ist. Denn der Souveränitätsbegriff hat eine lange Entwicklung durchlaufen – und wird von einigen Seiten als nicht mehr zeitgemäß aufgefasst (vgl. Salzborn/Voigt 2010, S. 14).
Doch ist die Befürchtung des Souveränitätsverlustes zutreffend? Ist Deutschland noch ein souveräner Staat? Und/oder würde die Einführung einer Europäischen Armee tatsächlich die Aufgabe der (letzten) nationalstaatlichen Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten bedeuten? Diesen Fragen soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden. Für die Beantwortung der Eingangsfrage ergeben sich daher die folgenden Fragen:
1. Gibt es die nationalstaatliche Souveränität noch?
2. Ist Deutschland ein souveräner Staat?
3. Würde die Einführung einer Europäischen Armee die Abgabe der letzten nationalstaatlichen Souveränität bedeuten? “
Die Gliederung zur Bearbeitung dieser Fragen wird wie folgt aussehen: Zu Beginn soll die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs erläutert und eine Definition herausgebildet werden.
Im Anschluss wird im dritten Kapitel die Souveränität Deutschlands betrachtet. Nach einem kurzen historischen Überblick wird zur aktuellen Situation übergangen und erläutert, wie die Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten aufgeteilt sind. Sodass im weiteren Verlauf der Arbeit der Frage nachgegangen werden kann, ob es sich tatsächlich um die Aufgabe der letzten nationalstaatlichen Souveränität handeln würde. Ein letztes Unterkapitel wird sich mit der gegebenenfalls entstehenden Europäischen Souveränität befassen.
Somit ist schließlich im vierten Kapitel noch das Konzept einer Europäischen Armee zu betrachten: Einleitend wird erläutert, vor welchen Herausforderungen die Europäische Union aktuell steht und welche Probleme mit einer Europäischen Armee gelöst werden sollen. Im zweiten Teil des Kapitels wird sich der Ausgestaltung einer Europäischen Armee gewidmet.
Nachdem die inhaltliche Grundlage erarbeitet wurde, widmet sich das fünfte Kapitel der Analyse den drei anfangs aufgestellten Fragen.
Im sechsten Kapitel wird mit einem Fazit und Ausblick geschlossen.
2. Souveränität
In diesem Kapitel soll zunächst ein Blick auf die Entstehung und Entwicklung der Souveränität geworfen und anschließend eine Definition für die vorliegende Arbeit herausgebildet werden.
2.1. Entwicklung
Der Begriff der Souveränität hat im Laufe der vergangenen Jahrhunderte einige Entwicklungen erfahren. Es handelt sich um keinen unveränderlichen Begriff des Staatsrechts, sondern eher um eine politische Anschauung, die sich mit veränderten Konstellationen immer wieder gewandelt hat (vgl. Münkler/Straßenberger 2016, S. 125). Diese Bedeutungsänderungen setzten schon im traditional-vormodernen Denken ein und verschoben sich im Zuge des Umbruchs zur Moderne immer mehr, da sich auch das Denken über die dazugehörige Politik radikal änderte (vgl. Voruba 2012, S. 37 + 62). Auf diese historische Entwicklung wird im Folgenden näher eingegangen.
2.1.1. Historische Entwicklung
Der Begriff der Souveränität tauchte im Hoch- bzw. Spätmittelalter zum ersten Mal im Rahmen von Kämpfen zwischen geistlichen und weltlichen Mächten auf. Doch vermehrt kam er schließlich ab dem 16. und 17. Jahrhundert auf. Dort avancierte die Souveränität infolge der Reformation und der resultierenden Konfessionskriege zur „zentralen politischen Idee der frühen Neuzeit“ (vgl. Roth 2010, S. 23). Ihre klassische Begründung fand die Souveränität zu dieser Zeit bei Jean Bodin (1576). Bodin sah in der Souveränität das Fundament des Staates und Gemeinwesens. Ihm zufolge ist die souveräne Gewalt sowohl unteilbar als auch zeitlich unbegrenzt. Daraus schlussfolgert er, dass sie gänzlich beim Volk oder Fürsten liegen muss. Dieser ist demnach ausschließlich Gott Rechenschaft schuldig (vgl. ebd., S. 36). Eine Teilung der Gewalten würde den Verlust der Souveränität bedeuten. Der Souverän verfügt somit über die oberste Gewalt. Er ist an keinerlei Gesetze gebunden und verfügt über die uneingeschränkte Gesetzgebungskompetenz. Hierbei bedarf es keiner weiteren Zustimmung, ganz gleich von welcher Ebene (vgl. Roth 2010, S. 36 / Münkler/Straßenberger 2016, S. 131).
Über die Zeit veränderte sich die Bedeutung des Souveränitätsbegriffs. Dieser beschrieb nunmehr das Machtmonopol eines Staates auf einem fest umgrenzten Territorium auf dem dieser keine übergeordnete Entscheidungs- und Befehlsinstanz akzeptiert. Zudem wurde die Souveränität nun in zwei Teilen betrachtet: Die äußere Souveränität bezieht sich auf die Abwehr äußerer Ansprüche, von Kirche und Reich, sowie auf das Regeln der Beziehungen zu anderen Staaten – in Krieg und Frieden. Die innere Souveränität steht für die Abwehr von Ansprüchen seitens des Adels, der Stände und der Städte und die Sicherung des innerstaatlichen Friedens (vgl. Seidelmann 2007, S. 503 / Roth 2010, S. 23).
Im Zuge der Entstehung der modernen westlichen Staaten entwickelte sich der Souveränitätsbegriff erneut fort: Die innere Souveränität wurde fortan als Volkssouveränität verstanden, die äußere als völkerrechtliche Souveränität (vgl. Salzborn/Voigt 2010, S. 14). Außerdem stammt aus dieser Zeit (1922/1934) der vielzitierte Satz Carl Schmitts, der die Souveränität folgendermaßen definierte: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ (Denninger 2000, S. 1124). Carl Schmitt definierte die Souveränität weniger als ein Monopol über Zwang und Herrschaft – sondern über das Entscheidungsmonopol (vgl. ebd.). Die Souveränität bezog sich nun weniger auf den Machthaber (den Souverän) als vielmehr auf den Staat als Gebilde.
2.1.2. Heute
Im 21. Jahrhundert wird das Ideal der nationalstaatlichen Souveränität sowohl hinsichtlich der innerstaatlichen, als auch der äußeren, völkerrechtlichen Souveränität vielfach in Frage gestellt (vgl. Salzborn/Voigt 2010, S. 13 + 18).
Als Ursache für diese Entwicklung wird allgemein die politische und ökonomische Globalisierung gesehen (vgl. ebd., S. 13). Nach Seidelmann geht es hierbei insbesondere um die immer stärker zunehmenden Interdependenzen im militärischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich und das Auftreten von internationalen Organisationen, Konzernen und Verbänden. Es wird daher vielmehr die politische „Realität“ im Rahmen von Handlungsspielräumen, Abhängigkeiten und Verflechtungen im Allgemeinen betrachtet (vgl. Seidelmann 2007, S. 504).
Daraus folgt, dass der Souveränitätsbegriff in den internationalen Beziehungen kaum mehr Verwendung findet. Vielmehr steht die Verwendung des Begriffs der Souveränität unter dem Vorwurf, ein rückständiges nationalstaatliches Modell zu verfolgen, das nicht imstande ist, die heutigen Probleme adäquat zu lösen. Staaten sind nach Seidelmann demnach heute nicht mehr „souverän“, sondern Teil eines Systems einer Global Governance (vgl. ebd.). Einige verweisen hierbei auch auf den Begriff des „Postsouveränen“ (vgl. Münkler/Straßenberger 2016, S. 124). Auf der Ebene der Vereinten Nationen, bzw. des Völkerrechts, setzte sich der Begriff der „begrenzten Souveränität“ durch, der eine zuvor unzulässige Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten erlaubt (beispielsweise im Falle von Menschenrechtsvergehen oder einer Gefahr für den Weltfrieden) (vgl. Seidelmann 2007, S. 504). Wiederum andere gehen davon aus, dass die Ansprüche, die im Begriff der Souveränität enthalten sind, noch immer „das normative Raster der politischen Ordnung darstellen“ (Münkler/Straßenberger 2016, S. 124).
Vor diesem Hintergrund hat sich nochmals eine neue Definitionsweise der Souveränität ergeben, welche die klassischen Souveränitätsmerkmale der inneren und äußeren Souveränität mit den neuen Entwicklungen verbindet. Demnach können souveräne Staaten frei und unabhängig auf ihrem Staatsgebiet entscheiden (innere Souveränität). Dies inkludiert das Rechtssystem, die gesellschaftliche Ordnung und das Regierungssystem. Die äußere Souveränität fällt hierbei unter das Völkerrecht, das die Unabhängigkeit und Gleichheit aller Staaten festsetzt. Hinzu kommt der Punkt der Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organisationen. Diese Übertragung wird nunmehr als Teil der nationalstaatlichen Souveränität gesehen (vgl. Zandonella 2007, S. 80). Wichtig ist dabei die bei den einzelnen Staaten verbleibende Kompetenzkompetenz. Diese beschreibt das Recht auf Zuweisung und Entzug von Zuständigkeiten gegenüber anderen Institutionen und damit die Souveränität in der Entscheidung der Machtabgabe (vgl. Münkler/Straßenberger 2016, S. 123).
2.2. Definition
Unabhängig von Wandel und eventueller Auflösung der Souveränität, soll an dieser Stelle der Kern dessen, was genau unter Souveränität zu verstehen ist, wie folgt definiert werden:
- Die Souveränität ist der konstituierende Herrschaftsanspruch eines Staates nach innen (innere Souveränität) und nach außen (äußere Souveränität) – auch als doppelter Souveränitätsbegriff bezeichnet.
- Die innere Souveränität stellt den alleinigen Herrschaftsanspruch eines Staates dar, auf seinem territorialen Hoheitsgebiet freie und unabhängige Entscheidungen treffen zu können. Die Souveränität liegt bei der Nation und damit beim Volk.
- Die äußere Souveränität umfasst die freie Willensbildung im Umgang mit anderen Staaten, beispielsweise über den Beitritt oder das Verlassen von Bündnissen, letztendlich aber auch über die Frage von Krieg und Frieden.
- Souverän ist nur, wer allein und letztverbindlich grundlegende Entscheidungen trifft und somit über das Recht der Letztentscheidung verfügt.
- Souveräne Staaten können auch Kompetenzen abtreten, verfügen aber selbst über die Kompetenzkompetenz womit sie das Recht auf Zuweisung und Entzug von Zuständigkeiten behalten.
3. Souveränität Deutschlands und der EU
In diesem Kapitel wird es um die Souveränität Deutschlands und der EU gehen. Zunächst erfolgt eine historische Betrachtung der Wiederherstellung der vollen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Im Anschluss wird die aktuelle Aufgabenverteilung zwischen Deutschland und der Europäischen Union betrachtet und abschließend wird die Frage nach einer Europäischen Souveränität in Folge des Kompetenztransfers von der mitgliedsstaatlichen Ebene auf die europäische Ebene gestellt.
3.1. Souveränität der Bundesrepublik Deutschland
Im Folgenden wird die Wiederherstellung der nationalstaatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg erläutert.
3.1.1. Grundgesetz
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs galt das Konzept staatlicher Souveränität als „Popanz“: Ein großer Teil der Abgeordneten, die ab 1948 über das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland berieten, konnten mit dem Konzept der Souveränität nichts Sinnvolles mehr in Verbindung bringen (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 42).
Am 25. Mai 1949 wurde schließlich durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland eine neue vorläufige Staatlichkeit hergestellt – bestehend aus den drei Besatzungszonen der Westalliierten. Durch die Vorbehaltsrechte der Alliierten wurde die Souveränität der Bundesrepublik auf ein Minimum reduziert (vgl. Voigt 2018, S. 618 / Voigt 2010, S. 132). Das Wort „Souveränität“ kommt im Grundgesetz gar nicht vor (vgl. Denninger 2000, S. 1123).
Die neue Verfassung stand ganz hinter dem Grundsatz, dass Deutschlands Zukunft ausschließlich ‚in Europa‘ gefunden werden könne (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 42). Dementsprechend steht bereits in der Präambel des Grundgesetzes das Ziel der Bundesrepublik „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Somit kann die europäische Integration bereits ganz von Beginn an als Staatszielbestimmung gelten, während die vollständige nationalstaatliche Souveränität nicht zu diesen Grundzielen gehörte (vgl. ebd. / Rudzio 2015, S. 30). Verankert wurde dies auch im Artikel 24 Absatz 1 des Grundgesetzes. Hierin wird der (westdeutsche) Bund dazu ermächtigt, Hoheitsrechte auf übernationale Organisationen zu übertragen, was also die Ausübung ‚fremder Hoheitsgewalt‘ im eigenen Staat erlaubte (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 43 f.).
3.1.2. Pariser Verträge
Im Jahr 1955 kam es zu einem wichtigen Meilenstein in der Wiedererlangung zumindest teilweiser Souveränität der Bundesrepublik. Am 23. Oktober 1954 wurden die Pariser Verträge unterzeichnet, die am 5. Mai 1955 in Kraft traten. Durch sie wurden das Besatzungsstatut und die Hohe Kommission der Alliierten aufgelöst (vgl. Schwarz 2005, S. 10 ff.). Von hier an besaß die Bundesrepublik Deutschland weitgehende Autonomie über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, jedoch mit einigen Einschränkungen, darunter beispielsweise die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen (vgl. Küsters 2005, S. 3 / Gray 2005, S. 17). Außerdem erlaubte die junge Bundesrepublik die Stationierung ausländischer Truppen auf ihrem Hoheitsgebiet (vgl. Schwarz 2005, S. 13).
Adenauer verkündete daraufhin in einer Hörfunksendung, Deutschland sei jetzt ein freier und unabhängiger Staat, der seine Souveränität und Freiheit wiedergewonnen habe. Und auch jede weitere Bundesregierung hielt an dieser Auffassung fest (vgl. Küsters 2005, S. 3f. / Gray 2005, S. 17). Doch zutreffend war dies allenfalls für die politische Souveränität, da die Bundesrepublik seit den Pariser Verträgen im Rahmen des westlichen Bündnisses auf Augenhöhe agieren konnte (vgl. Küsters 2005, S. 4).
Doch insgesamt bedeuteten die Pariser Verträge keine vollständige Wiederherstellung der Souveränität der Bundesrepublik (vgl. Schwarz 2005, S. 12 f. / Küsters 2005, S. 4). Da sie sich weiterhin nur als ein Teilstaat Deutschlands definierte und keine abschließende Regelung mit den vier Siegermächten existierte (vgl. Gray 2006, S. 17 / Küsters 2005, S. 3).
3.1.3. NATO-Mitgliedschaft
Parallel zum Ende der formalen Besatzung der Bundesrepublik wurde im Rahmen der Pariser Verträge auch die Grundlage für (West-)Deutschlands NATO-Beitritt geschaffen, wo man als gleichberechtigter Partner aufgenommen wurde. Deutschland hat im Rahmen des Grundgesetztes die Bundeswehr als Parlamentsarmee geschaffen, die nur auf Geheiß des Bundestages agieren darf. Durch die NATO ist diese Hoheitsgewalt jedoch freiwillig eingeschränkt worden, da Deutschland im Verteidigungsfall an die Seite der NATO-Partner treten muss und die NATO-Mitgliedschaft viele militärische Manöver unmöglich macht. Hierbei gibt es eine Diskrepanz über das vom Grundgesetz festgelegte Recht des Bundestages und der Verpflichtungen durch die NATO. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Sache jedoch klargestellt, dass das Grundgesetzt die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Deutschen Bundestag anvertraut habe und dieser keinesfalls übergangen werden dürfe (vgl. Voigt 2010, S. 127 f. / Gray 2005, S. 17).
3.1.4. Zwei-plus-Vier Vertrag
Wenige Monate nach dem Fall der Mauer kam es im Februar 1990 zu den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen. Zur Unterzeichnung aller sechs beteiligten Staaten kam es schließlich am 12. September 1990 in Moskau (vgl. Küsters 2005, S. 7ff.). In Kraft treten konnte der Vertrag jedoch erst, nachdem alle Beteiligten ihn ratifiziert hatten (was bis März 1991 andauerte) (vgl. Bundesregierung o. J., o. S.).
Allerdings erhielt Deutschland bereits vor Inkrafttreten des Vertrages seine volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten, durch die vorzeitig unterzeichnete Erklärung vom 1. Oktober 1990, in welcher die Vorbehaltsrechte der Alliierten suspendiert wurden (vgl. ebd. / Küsters 2005, S. 9).
3.2. Aufgabenverteilung zwischen Deutschland und der Europäischen Union
Die EU befindet sich seit ihrer Gründung in einem kontinuierlichen Europäisierungsprozess (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 187). Im Rahmen dieses Prozesses werden immer mehr Themenfelder an die EU übertragen. Daher gibt es aktuell geteilte und ausschließliche Zuständigkeiten auf beiden Seiten (vgl. Wessels/Wolters 2018, S. 678).
Im folgenden Kapitel wird diese Aufgabenverteilung zwischen Deutschland und der Europäischen Union betrachtet. Zunächst wird aufgezeigt, welche Politikfelder in ganz oder weitgehend alleiniger Zuständigkeit der Europäischen Union liegen. Anschließend werden die Politikbereiche vorgestellt, die in geteilter Zuständigkeit angeordnet sind und abschließend folgt ein Kapitel zu den Bereichen, die in alleiniger Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten liegen.
3.2.1. Ganz oder weitgehend alleinige Zuständigkeit der EU
Die Agrar- und Wettbewerbspolitik gehören bereits seit den Römischen Verträgen 1957 zu den europäisierten Politikbereichen. Zusammen mit der Währungspolitik (für die Euro-Länder) handelt es sich bei diesen drei Bereichen um solche, in denen der Prozess der Europäisierung fast vollständig abgeschlossen ist (vgl. Sturm 2017, S. 73 / Sturm/Pehle 2012, S. 187). Außerdem besteht für die Politikfelder der Zollunion, die gemeinsame Handelspolitik und die Erhaltung der Meeresschätze eine „ausschließliche Zuständigkeit“ der Europäischen Union (vgl. Rudzio 2015, S. 32). Darüber hinaus wird die Regional- und Strukturpolitik zum Großteil von der europäischen Ebene aus geregelt und sowohl Erstellung als auch Durchführung von Programmen für Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt obliegen ebenfalls der EU (vgl. Sturm 2017, S. 75 / Rudzio 2015, S. 32). Die alleinige Tätigkeit der Mitgliedsstaaten ist in diesen Bereichen ausgeschlossen (vgl. Europäisches Parlament o. J., o. S.).
3.2.2. Geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedsstaaten
Eine geteilte Zuständigkeit zwischen Europäischer Union und ihren Mitgliedsstaaten gilt für die Politikbereiche der Umwelt, der Landwirtschaft und Fischerei, des Verkehrs und transeuropäischer Netze, des Verbraucherschutzes, der wirtschaftlich-sozialen Zusammenarbeit, der Entwicklungspolitik und für Binnenmarkt-Angelegenheiten. Außerdem fallen in die geteilte Zuständigkeit Aspekte der Sozialpolitik oder der gemeinsamen Grundsicherung (vgl. Europäisches Parlament o. J., o. S. / Rudzio 2015, S. 32.).
Darüber hinaus gibt es noch Bereiche, die sich auf dem Weg zu weiterer Europäisierung befinden. Hierzu gehören die Justiz- und die Innenpolitik. Die zentrale Bedeutung für die nationale Souveränität – aktuell sehr deutlich am Beispiel der Asylpolitik festzustellen – erschwert die europäische Lösungsfindung immens (vgl. Sturm 2017, S. 75).
Einige Politikbereiche, so beispielsweise die Wirtschafts-, Verkehrs- oder Beschäftigungspolitik, werden primär durch die Mitgliedsstaaten betraut, es findet aber ein reger Austausch unter diesen statt. Die EU hat hier eine koordinierende Rolle und die Möglichkeit, Leitlinien oder Mindeststandards zu definieren (vgl. ebd. / Europäisches Parlament o. J., o. S.).
3.2.3. Alleinige Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten
Einige wenige Themen bleiben weiterhin in alleiniger Zuständigkeit der EU Mitgliedsstaaten. Hierunter fällt vor allem die Außen- und somit auch die Verteidigungspolitik (vgl. Rudischhauser/Mayer 2018, S. 126). In diesen Bereichen ist eine Abstimmung der Staaten nicht vorgesehen, findet bilateral aber oft Anwendung (vgl. Europäisches Parlament o. J., o. S.).
Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Lissabon-Urteil festgestellt, dass die Europäisierung nach aktueller Lage nicht so weit gehen darf, dass die deutsche Souveränität infrage gestellt wird. Solange es sich bei der Union um eine Vertragsunion souveräner Staaten handelt, muss den Mitgliedsstaaten ausreichend Gestaltungsspielraum bleiben. Hierzu gehört unter anderem das zivile und militärische Gewaltmonopol (vgl. Sturm 2017, S. 63ff).
3.3. Was bedeutet die Souveränitätsübertragung für die EU?
Anhand obiger Auflistung der Politikfelder lässt sich klar erkennen, dass fast alle Bereiche des Politischen (Institutionen, Willensbildung und Politikfelder) von starken Europäisierungstendenzen durchzogen sind. Die Funktionalität dieser europäisierten Politikbereiche ist jedoch noch nicht so weit entwickelt wie es bei einem „Staat Europa“ zu erwarten wäre (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 347).
Juncker zufolge erwächst eine europäische Souveränität – die die nationale jedoch nicht ersetzen soll bzw. kann (vgl. Juncker 2018, S. 5). Diese Limitation geht am stärksten daraus hervor, dass die EU keinerlei Kompetenzkompetenz besitzt. Die Mitgliedsstaaten können selbst entscheiden, welche Politikfelder an die europäische Ebene abgegeben werden (vgl. Rudzio 2015, S. 32 / Voruba 2012, S. 59). Außerdem besitzt die EU keine Struktur in den Staaten, um ihre Entscheidungen zu implementieren (vgl. Rudzio 2015, S. 32).
Die EU stellt also eine Bündelung nationaler Souveränitäten dar, ohne selbst eine neue Souveränität darzustellen, da wesentliche Elemente bei den Staaten angesiedelt bleiben (vgl. Münkler/Straßenberger 2016, S. 125).
Als was kann die Europäische Union also eingeordnet werden? Hierüber gibt es verschiedene Meinungen: Laut Bundesverfassungsgericht stellt die Europäische Union einen „Staatenverbund“ oder eine „Vertragsunion souveräner Staaten“ dar (vgl. Wessels/Wolters 2018, S. 679). Die demokratische Legitimation verbleibt bei den Mitgliedsstaaten, die die „Herren der Verträge“ bleiben (vgl. Rudzio 2015, S. 411). Zeitgleich stellt die EU seit dem Vertrag von Lissabon eine eigene Rechtspersönlichkeit dar und übersteigt daher dieses reine Staatenbündnis – jedoch ohne einem eigenen Bundesstaat zu entsprechen (vgl. Wessels/Wolters 2018, S. 679 / Rudzio 2015, S. 411). Laut Rudzio herrscht eine „Multi-Level-Governance“ (Rudzio 2015, S. 411), was die eingangs beschriebene Überholung des Souveränitätsbegriffs begründet (vgl. Sturm/Pehle 2012, S. 43).
4. Europäische Armee
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Konzept einer „Europäischen Armee“. Erstens wird die Frage beantwortet, welche Gründe es für die aktuelle Befürwortung dieses Konzeptes gibt. Zweitens soll die Frage beantwortet werden, wie eine solche EU-Armee ausgestaltet sein soll.
4.1. Warum?
Zuerst sollen die Gründe genannt werden, die die stärkere Thematisierung und Befürwortung der Gründung einer Europäischen Union bewirken.
Diesbezüglich lässt sich erst einmal darauf verweisen, dass es sich keineswegs um eine neue Idee handelt. Denn die Idee einer Europäischen Armee stammt bereits aus den 1950er Jahren. Damals entstand das Konzept der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, was eine teilweise Vereinigung der nationalen Streitkräfte unter einer europäischen Führung vorsah. Auch wenn diese Pläne damals nicht zur Umsetzung kamen, wurden sie doch immer wieder diskutiert (vgl. Varwick 2013, o. S.). So wurde die Europäische Armee aktuell durch den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker wieder ins Gespräch gebracht – durch ein Interview in der Welt am Sonntag im Jahr 2015 (vgl. Rudischhauser/Mayer 2018, S. 126). Doch woran liegt es, dass die Europäische Armee wieder aktuell ist?
4.1.1. Neue Bedrohungen
Der erste Grund hierfür sind neue Bedrohungen: Es herrschen vielfältige und vielschichtige Krisenszenarien vor, durch die die Europäische Union herausgefordert wird (vgl. Rudischhauser/Mayer 2018, S. 114 / Müller-Brandeck-Bocquet 2017, S. 377). Dazu gehören unter anderem die Migration, der Klimawandel, der (islamistische) Terrorismus – sowie dazugehörige Folgeprobleme (vgl. Rudischhauser/Mayer 2018, S. 114 / Deutscher Bundestag 2019a, S. 1).
Darüber hinaus stellt das aggressivere außenpolitische Auftreten Russlands seit der Annexion der Krim eine potenzielle Bedrohung für den Frieden in Europa dar und auch die Türkei wird zunehmend zu einem Risikofaktor (vgl. Dembinski/Peters 2018, S. 6 / Rudischhauser/Mayer 2018, S. 113).
Im Kontext neuer Bedrohungen ist auch auf die USA unter Donald Trump zu verweisen, die ihren Fokus zunehmend nach innen richten und ihr Engagement als europäische Schutzmacht infrage stellen (vgl. Dembinski/Peters 2018, S. 6 / Rudischhauser/Mayer 2018, S. 113).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Umfeld der Europäischen Union unbeständiger und gefährlicher wird, wodurch ihre Außen- und Sicherheitspolitik mehr Aufmerksamkeit benötigt (vgl. Dembinski/Peters 2018, o. S. / Müller-Brandeck-Bocquet 2017, S. 377 / Rudischhauser/Mayer 2018, S. 114).
4.1.2. Ineffiziente Strukturen
Dies führt zum zweiten Grund für eine Europäische Armee: Es herrscht eine erhebliche Ineffizienz vor – bezogen auf verschiedenste Aspekte:
Erstens besteht, trotz vieler Bemühungen in der Vergangenheit, eine starke Fragmentierung der Rüstungsmärkte und der Rüstungspolitik. Es werden durchschnittlich 80 Prozent der Rüstungsaufträge nur an die eigene Nation vergeben (vgl. Dembinski/Peters 2018, S. 18 / Rudischhauser/Mayer 2018, S. 118).
Zweitens sind die Rüstungsbestände der europäischen Länder seit Ende des Kalten Krieges zu klein geworden, veraltet, oder (und dies trifft auf mehr als ein Drittel der Waffensysteme zu) nicht einsatzfähig, da notwendige Wartungsaufträge nicht erfüllt werden können (vgl. Ischinger 2018, S. 259 / Dembinski/Peters 2018, S. 5).
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