Inwieweit ist die Weiterbildung zum/zur geprüften Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen zeitgemäß ausgestaltet, um den aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt gerecht zu werden und den beruflichen Aufstieg zu befördern?
Über die Bedeutung der beruflichen Weiterbildung besteht aktuell national als auch international auf wissenschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene ein breiter Konsens. Lebenslanges Lernen gilt als zentrale Voraussetzung, um den individuellen beruflichen Werdegang im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft aktiv gestalten zu können. Durch ökonomische, soziale und technologische Entwicklungstendenzen, auch Megatrends genannt, wie technologische Neuerungen, die Digitalisierung, Globalisierung aber auch demografische Veränderungen, welche zu einer Umgestaltung der Beschäftigungsstruktur führen, ergibt sich ein steigender Qualifikationsbedarf und damit einhergehend eine erhöhte Notwendigkeit der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit seitens der Arbeitnehmer/-innen. So ist es nicht verwunderlich, dass mit einer Gesamtbeteiligungsquote von 50 Prozent im Jahr 2016 jede/-r zweite Arbeitnehmer/-in an einer Weiterbildung teilgenommen hat.
Diese Entwicklungstendenzen und die durch die Digitalisierung beschleunigte Vernetzung der Arbeitsbereiche setzt viele Branchen unter einen großen Veränderungsdruck. Im Besonderen für die Versicherungswirtschaft gehen Studien von einer massiven Veränderung der Beschäftigungsstruktur bis hin zum Ende des klassischen Geschäftsmodells aus. So entwickelte sich bereits 2013 mit Unterstützung zahlreicher Verbände der deutschen Versicherungsbranche die Brancheninitiative "gut beraten - Weiterbildung der Versicherungsvermittler in Deutschland". Deren Ziel ist jedoch, Weiterbildungen zu Kompetenzen in den Schwerpunktbereichen der Kundenberatung und -betreuung zu befördern. Für die Anpassung an veränderte Arbeitsmarktstrukturen sowie den beruflichen Aufstieg bedarf es jedoch weiterer Kompetenzen. Denn durch diese Veränderungen werden an Arbeitnehmer/-innen deutlich erhöhte Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforderungen gestellt und ein sehr hohes Maß an selbstgesteuertem Handeln, kommunikativen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Selbstorganisation abverlangt. Kompetenzen beziehen sich dabei nicht bloß auf Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, sondern auf deren verantwortliche und sachgerechte Bedienung in entsprechenden, nicht selten komplexen Situationen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau und Methodik der Arbeit
2. Entwicklungen des Arbeitsmarktes und daraus folgende Kompetenzanforderungen
2.1 Veränderung des Arbeitsmarktes und der Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmer/-innen
2.2 Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche
3. Kompetenzanforderungen für den beruflichen Aufstieg zur Führungskraft
4. Die Weiterbildung geprüfte/-r Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen
4.1 Weiterbildung - eine kurze Definition
4.2 Die Weiterbildung geprüfte/-r Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen
4.2.1 Organisation und Voraussetzungen der Weiterbildung
4.2.2 Didaktisch-methodische Grundlagen und Inhalte der Weiterbildung
5. Beförderung notwendiger Kompetenzen durch die Weiterbildung geprüfte/-r Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen
5.1 Beförderung der für die Anpassung an veränderte Arbeitsmarktstrukturen notwendigen Kompetenzen
5.2 Beförderung der für den Aufstieg zur Führungskraft notwendigen Kompetenzen
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Über die Bedeutung der beruflichen Weiterbildung besteht aktuell national als auch international auf wissenschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene ein breiter Konsens, da lebenslanges Lernen als zentrale Voraussetzung gilt, um den individuellen beruflichen Werdegang im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft aktiv gestalten zu können (vgl. Esser 2018, S. 3; Münk 2006, S. 547 f.; Walter 2009, S. 22). Durch ökonomische, soziale und technologische Entwicklungstendenzen, auch Megatrends genannt, wie technologische Neuerungen, die Digitalisierung, Globalisierung aber auch demografische Veränderungen, welche zu einer Umgestaltung der Beschäftigungsstruktur führen, ergibt sich ein steigender Qualifikationsbedarf und damit einhergehend eine erhöhte Notwendigkeit der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit seitens der Arbeitnehmer/-innen (vgl. Euler & Severing 2019, S. 8 f.; OECD 2019; Seyda, Meinhard & Placke 2018, S. 107). So ist es nicht verwunderlich, dass mit einer Gesamtbeteiligungsquote von 50 Prozent im Jahr 2016 jede/-r zweite Arbeitnehmer/-in an einer Weiterbildung teilgenommen hat (vgl. Bilger & Strauß 2017, S. 39). Diese Entwicklungstendenzen und die durch die Digitalisierung beschleunigte Vernetzung der Arbeitsbereiche setzt viele Branchen unter einen großen Veränderungsdruck. Im Besonderen für die Versicherungswirtschaft gehen Studien von einer massiven Veränderung der Beschäftigungsstruktur bis hin zum Ende des klassischen Geschäftsmodells aus (vgl. BWV & f-bb 2017, S. 5; McKinsey & Company 2016). So entwickelte sich bereits 2013 mit Unterstützung zahlreicher Verbände der deutschen Versicherungsbranche die Brancheninitiative gut beraten – Weiterbildung der Versicherungsvermittler in Deutschland. Deren Ziel ist jedoch, Weiterbildungen zu Kompetenzen in den Schwerpunktbereichen der Kundenberatung und -betreuung zu befördern (vgl. BWV 2018; Weiterbildung der Versicherungsvermittler in Deutschland 2013, S. 5). Für die Anpassung an veränderte Arbeitsmarktstrukturen sowie den beruflichen Aufstieg bedarf es jedoch weiterer Kompetenzen. Denn durch diese Veränderungen werden an Arbeitnehmer/-innen „deutlich erhöhte Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforderungen“ gestellt und „ein sehr hohes Maß an selbstgesteuertem Handeln, kommunikativen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Selbstorganisation abverlangt“ (Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2012, S. 51). Kompetenzen beziehen sich dabei nicht bloß auf Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, sondern auf deren verantwortliche und sachgerechte Bedienung in entsprechenden, nicht selten komplexen Situationen (vgl. Erpenbeck & Heyse 1996, S. 31 ff.). Sie werden vorliegend nach Weinert (2014, S, 27 f.) als
„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren, kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“
verstanden und als kontextabhängig begriffen. Nach dem BWV und dem f-bb (2017, S. 16 f.) wird gerade für Beschäftigte der Versicherungsbranche der Fokus zukünftig weniger auf Wissens- oder Routinearbeit, sondern stärker auf umfassenden Handlungs- und Problemlösekompetenzen liegen. Zudem wird von Führungskräften unter anderem Offenheit für Innovationen, eine hohe Affinität für Zukunftstechnologien und Risikobereitschaft für Veränderungen sowie Kompetenzen zur zielgerichteten Kommunikation erwartet werden.
Für Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche ist die Weiterbildung zur/zum geprüfte/-r Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen (nachfolgend FVF) eine Möglichkeit der Weiterbildung. Diese meist zweijährige, berufsbegleitende Weiterbildung bildet nach dem BWV (o. J.) „ein solides Fundament für (…) [den] beruflichen Erfolg, bietet individuelle Wahlmöglichkeiten und eröffnet beste Perspektiven für (…) [die] Karriere“. Ziel derer ist somit nicht nur die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer/-innen an veränderte Arbeitsmarktstrukturen, sondern ebenfalls der berufliche Aufstieg. Ob diese Weiterbildung dazu geeignet ist, den Herausforderungen des sich verändernden Arbeitsmarktes gerecht zu werden und den beruflichen Aufstieg der Arbeitnehmer/-innen zu befördern, soll daher in der vorliegenden Arbeit untersucht werden.
1.2 Aufbau und Methodik der Arbeit
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden die aktuellen, den Arbeitsmarkt betreffenden Entwicklungstendenzen betrachtet. Dabei wird ein Fokus auf die im Besonderen für die Versicherungsbranche bedeutsamen Entwicklungen, wie beispielsweise die Digitalisierung, gelegt. Ferner wird dargelegt, welche Auswirkungen und Anforderungen sich daraus für die Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche zukünftig ergeben und welche Kompetenzen sie für die Gestaltung ihres Berufes benötigen werden. Im dritten Kapitel wird ein Blick darauf geworfen, wie nach aktuellen Erkenntnissen der berufliche Aufstieg gelingen kann und welcher Kompetenzen, wie beispielsweise für eine gelingende Personalführung, es dazu bedarf. Anschließend wird im vierten Kapitel ein kurzer Überblick über berufliche Weiterbildung im Allgemeinen gegeben. Darüber hinaus werden die Organisation, die didaktisch-methodischen Grundlagen und die Inhalte der Weiterbildung FVF aufgezeigt. Dieses erfolgt anhand der Weiterbildung, welche durch das Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e. V. durchgeführt wird. Es wird nachfolgend in Kapitel 5 überprüft, inwieweit diese Inhalte den in Kapitel zwei geschilderten, veränderten Anforderungen an die Arbeitnehmer/-innen und in Kapitel drei erörterten Bedingungen für beruflichen Aufstieg gerecht werden. Im sechsten und letzten Kapitel wird ein Resümee vorgenommen und ein Ausblick gegeben, wobei ferner betrachtet wird, wie eine Weiterbildung in der Versicherungsbranche ggf. zeitgemäßer gestaltet werden könnte, um so aktuellen Entwicklungstendenzen gerecht zu werden.
2. Entwicklungen des Arbeitsmarktes und daraus folgende Kompetenzanforderungen
2.1 Veränderung des Arbeitsmarktes und der Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmer/-innen
Um darlegen zu können, inwieweit die Weiterbildung FVF den Arbeitnehmer/-innen die Möglichkeit eröffnet aktuellen Veränderungen des Arbeitsmarktes erfolgreich zu begegnen, liegt es nahe, zunächst die aktuellen Entwicklungstendenzen, demografischer Wandel, Globalisierung und Digitalisierung, zu erläutern und die sich daraus ergebenen Veränderungen am Arbeitsmarkt sowie veränderte Kompetenz- und Qualifikationsansprüche an die Arbeitnehmer/-innen zu beleuchten, wobei der Fokus auf dem gewandelten Anspruchsniveau liegt.
Aufgrund aktueller Entwicklungen und Megatrends, wie der Globalisierung, der Digitalisierung und dem demografischen Wandel, steht die Gesellschaft vor tiefgreifenden Veränderungen: Gerade die Nutzung des Internets und digitaler Technologien sowie die damit voranschreitende Digitalisierung der Arbeits- und Lebensbereiche hat einen umfassenden Einfluss auf die Ausgestaltung und Transformation von Wirtschaft und Arbeitswelt (vgl. Hämmerle, Pokorni & Berthold 2018, S. 5). Um Arbeitnehmer/-innen in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen, sollte die Zukunft der Bildung – und damit auch die berufliche (Weiter-)Bildung nach der OECD (2019, S. 8) – im Kontext dieser Megatrends betrachtet werden.
Einer dieser Megatrends ist der demografische Wandel, welcher die Bevölkerungsentwicklung und ihre Veränderungen, bzgl. Altersstruktur, Entwicklung der Geburtenzahl und der Sterbefälle, die Anteile von In- und Ausländer sowie die Zu- und Fortzüge, bezeichnet (vgl. bpb 2016a). Die Folgen dieses Wandels sind bereits spürbar, denn ungeachtet einer recht stabilen Entwicklung der Bevölkerungszahl, bedingt durch die Nettozuwanderung in den vergangenen Jahren, gibt es deutlich mehr ältere Menschen, welches durch eine erhöhte Lebenserwartung der Neugeborenen und zugleich dauerhaft niedrige Geburtenrate begründet ist (vgl. BMAS 2017, S. 29; Demografie Portal des Bundes und der Länder 2018). Dies führt nach Löhrer et al. (2018, S. 75) neben der Alterung der Belegschaft und dem Rückgang qualifizierter Bewerber/-innen für Ausbildungsplätze zu einem wachsenden Fachkräftemangel. Zudem wird durch die wachsende, nationale und internationale Mobilität, die damit einhergehende Einwanderung nach Deutschland und die Beschäftigung von Arbeitnehmer/-innen mit Migrationshintergrund – welche durch aktuelle politische Rahmenbedingungen, wie der Flüchtlingspolitik, zunehmen wird – die Integration von Arbeitnehmern/-innen in den Arbeitsmarkt und in Betriebe für die kommenden Jahre eine zentrale Herausforderung sein. Ferner ist generell von einer steigenden Heterogenität der Beschäftigungsstruktur hinsichtlich sozio-demografischer Faktoren auszugehen (vgl. BMAS 2017, S. 30; Löhrer et al. 2018, S. 75). Durch die genannten Aspekte des demografischen Wandels ergibt sich in Anlehnung an Buck (2002) für Unternehmen und deren Mitarbeiter-/innen u. A. die Notwendigkeit einer ständigen Aktualisierung der Wissensbasis durch lebenslanges Lernen, die Vermeidung einseitiger Spezialisierungen, die Beförderung des Transfers von Erfahrungswissen der Arbeitnehmer/-innen, die gezielte Einbeziehung älterer Mitarbeiter/-innen in Innovationsprozesse sowie die Schaffung heterogener, integrativer Altersstrukturen und alternsgerechte Arbeitsgestaltung.
Ein weiterer die Arbeitswelt verändernder Trend ist die Globalisierung, welche die Entstehung weltweiter Märkte für Waren, Dienstleistungen und Kapital sowie damit verbundene internationale Verflechtungen der Volkswirtschaften bezeichnet. Diese wird im Besonderen durch neue Technologien des Kommunikations-, Informations- und Transportwesens vorangetrieben und ermöglicht es Unternehmen ihre Produktion, Produkte und Dienstleistungen weltweit zu koordinieren und anzubieten (vgl. bpb 2016b). Die damit einhergehende Ausdehnung von Handelsverflechtungen, wachsende grenzüberschreitende Mobilität und Internationalisierung von Unternehmen wirken sich ebenfalls auf den Arbeitsmarkt aus. Wechselnde Marktbedingungen und volatilere Nachfrage drängen Unternehmen dazu, mit erhöhter interner Flexibilisierung (Arbeitszeitenregelungen) und externer Flexibilisierung (Leiharbeit, Werkverträge) zu reagieren, wodurch die Anforderungen an zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität der Arbeitnehmer/-innen deutlich steigt (vgl. BMAS 2017, S. 26, S. 74). Um über Ländergrenzen hinweg kommunizieren und erfolgreich agieren zu können, müssen Arbeitnehmer-/innen ferner zunehmend über Fremdsprachkenntnisse sowie Kenntnisse über Rechtsnormen und soziale Regeln der Interaktion der jeweiligen Länder verfügen (vgl. Gerhards, Hans & Carlson 2014, S. 7; Hall 2012). Für die wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit der Arbeitnehmer/-innen ist die Arbeitsplatzsicherheit ein wichtiger Faktor. Im Zuge der Globalisierung wurden jedoch Arbeitsplätze – u. A. aufgrund von Kostenvorteilen – in verschiedene Teile der Welt outgesourct und durch die Automatisierung übernehmen Maschinen zunehmend Aufgaben, die zuvor von Menschen durchgeführt wurden. Hierdurch nimmt die Zahl der Arbeitsplätze in der Wissensgesellschaft zu, wohingegen Arbeitsplätze mit manuellen Tätigkeiten zurückgehen und sich kontinuierlich vom Produktionsbereich in den Dienstleistungsbereich verlagern (vgl. BMAS 2015, S. 28; OECD 2019, S. 63; Statista 2019).
Diese Entwicklung wird durch einen weiteren Trend, die Digitalisierung, ebenfalls vorangetrieben. Der Begriff der Digitalisierung ist dabei mehrdeutig und kann auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden. So bezeichnet er einerseits die Umwandlung, Darstellung und Durchführung von Information von einer anlogen in eine digitale Speicherform sowie die digitale Modifikation von Geräten, Fahrzeugen und Instrumenten. Andererseits bezeichnet es die Einführung digitaler Technologien in Unternehmen und wird als Treiber der digitalen Transformation – auch digitale Revolution genannt – verstanden (vgl. Bendel 2018; Hess 2019). Vorliegend werden die Auswirkungen der letzteren Bezeichnung, Einführung digitaler Technologien in Unternehmen, betrachtet. Die Vernetzung von IT- und Geschäftsprozessen ermöglicht neue Anwendungs- und Absatzmöglichkeiten in Unternehmen, sowohl im Produktionsbereich, wie selbstgesteuerte Anlagen und Smart Factories1, als auch im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich, in denen Software, Algorithmen und Cloud Computing Systeme2 eine Rolle spielen. (vgl. ZEW 2016, S. 3). Der in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriff Industrie 4.0 bezieht sich dabei auf den Einsatz neuer Technologien im Produktionsbereich und verweist auf die Einschätzung, dass aktuell eine vierte industrielle Revolution durch die Vernetzung der virtuellen mit der physischen Welt stattfindet. Der Begriff Wirtschaft 4.0 hingegen umfasst, dass auch der Dienstleistungssektor durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien einem Wandel unterliegt (vgl. Hirsch-Kreinsen 2014, S. 421; Wolter et al. 2016a, S. 9). Insgesamt führt der Einsatz neuer Technologien in Unternehmen zu einer „veränderten Arbeitswelt, in der Maschinen und Softwarealgorithmen eine immer stärkere Rolle spielen“ und die als Arbeitswelt 4.0 bezeichnet wird (ZEW 2016, S. 3). Die Digitalisierung führt folglich im besonderen Maße zu einer Beschleunigung des Strukturwandels der Arbeitswelt: Bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen verliert das Produzierende Gewerbe an Bedeutung, während IT-Berufe (Information und Kommunikation) sowie lehrende Berufe – diese im Speziellen aufgrund der zentralen Rolle der (Weiter-)Bildung durch veränderte Kompetenzanforderungen – daran gewinnen (vgl. Wolter et al. 2016a, S. 62). Dieser Strukturwandel verändert auch die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen an die Arbeitnehmer/-innen, da Tätigkeiten zukünftig weniger körperlich anstrengend, dafür jedoch vielfältiger, komplexer und geistig anspruchsvoller werden und eine (wahrgenommene) größere Entscheidungsfreiheit und Notwendigkeit zur Weiterbildung mit sich bringen (vgl. Arnold et al. 2016, S. 5; BMAS 2016a, S. 11 f.; Wolter et al. 2016b, S. 101). So zeigt gleichermaßen die Studie des ZWE (2016, S. 27 ff.), dass sich die Anforderungen an die Arbeitnehmer/-innen in Bereichen des Prozessknowhows, interdisziplinärer Arbeitsweise und überfachlicher Fähigkeiten, wie soziale Kompetenzen im Kundenmanagement und Kreativität, erhöhen und ein kontinuierliches Erlernen neuer Fähigkeiten weiterhin an Bedeutung gewinnt. Mit dieser Entwicklung geht jedoch eine zunehmend hohe mentale Belastung einher. Zwei Drittel der Arbeitnehmer/-innen über alle Ausbildungsniveaus hinweg geben nach Wolter et al. (2016b, S. 102) an, dass die Digitalisierung zu einer Verdichtung der Arbeit geführt hat und sowohl die Anzahl der zu erledigenden Aufgaben als auch die Menge der zu verarbeitenden Informationen (durch moderne Kommunikationsmittel) gestiegen ist. Hierdurch fühlen sich 40 Prozent der Arbeitnehmer/-innen, welche Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen, schwerlich in der Lage die Menge an Informationen bewältigen zu können, wobei diese Einschätzung mit dem Grad des Bildungsabschlusses zu nimmt (vgl. Wolter et al. 2016b, S. 102). So ist es wenig überraschend, dass 78 Prozent der Beschäftigten aufgrund des technologischen Wandels eine Notwendigkeit sehen, die eigenen Fähigkeiten ständig weiter zu entwickeln und dies betrifft nicht nur höherqualifizierte, sondern auch zwei Drittel der niedrigqualifizierten Arbeiternehmer/-innen (vgl. BMAS 2016b, S. 14).
Zusammenfassend zeigt sich, dass der Arbeitsmarkt einem strukturellen Wandel unterliegt, welcher erhöhte Kompetenzanforderungen für Arbeitnehmer/-innen mit sich bringt. Um untersuchen zu können, inwieweit die Weiterbildung FVF dazu geeignet ist, den notwendigen Kompetenzerwerb für Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche zu befördern, ist es sinnvoll die zu befördernden Kompetenzen, neben den bereits geschilderten, zu spezifizieren.
2.2 Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche
Durch anhaltende Niedrigzinsen und ausbleibende Reformen expandiert die Versicherungswirtschaft in Deutschland heute schon langsamer als die Gesamtwirtschaft (vgl. Wyman 2016, S. 8). Der demografische Wandel nimmt in der Versicherungsbranche, neben der Alterung der Belegschaft, dem abnehmenden Bewerberpotenzial für eine Versicherungsausbildung, durch erhöhte Anforderungen steigende Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeiter/-innen sowie durch Attraktivitätsnachteile der Branche erschwerte Mitarbeitergewinnung und -bindung (vgl. Barann & Dick 2015, S. 372 f.), maßgeblichen Einfluss auf die Beratungs- und Betreuungsformen (für zunehmend ältere Kunden) und die Entwicklung von neuen Renten-, Pflege- und Assistance-Produkten. Daneben hat im besonderen Maße die Digitalisierung erhebliche quantitative und qualitative Auswirkungen auf das Personal (vgl. Lohse & Will 2019, S. 6). So sorgen ein durch die Digitalisierung verändertes Kundenverhalten und verschärfte regulatorische Vorgaben zur Vertriebsvergütung dafür, dass bis 2025 prognostiziert rund 100.000 der traditionellen Vermittler/-innen und Makler/-innen aus dem Markt ausscheiden werden: Die Anzahl der Vermittler/-innen ist bereits von 255.525 (2011) auf 199.421 (2019) gesunken (vgl. DIHK 2019; Wyman 2016, S. 4). Für betreuungs- und beratungsaffine Kunden/-innen wird die/der Vermittler/-in vor Ort ein wichtiger Ansprechpartner bleiben, fungiert dabei jedoch als Spezialist/-in oder Vertrauenspartner/-in, wodurch jedoch ein erhöhtes Fachwissen und soziale Kompetenzen von Nöten sind (vgl. Altuntas & Uhl 2016, S. 58; Wyman 2016, S. 25). Denn die Interaktion mit Kunden/-innen erfolgt zunehmend über digitale Kommunikationswege, wie Internetseiten und Apps, wodurch die Anzahl der (digitalen) Kontaktpunkte zwischen Vermittler/-innen und Kunden/-innen sowie die Bedeutung des Internets für Versicherungsunternehmen im gesamten Vertriebsprozess zunimmt und Arbeitsprozesse in den Unternehmen einen tiefgreifenden Wandel erleben (vgl. Altuntas & Uhl 2016, S. 24; AGV & BWV 2017, S. 6). Daraus folgend werden von Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche verstärkt „Kompetenzen im Umgang mit dem digitalen Kunden“ gefordert (Institut der Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen 2015, S. 13). Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche müssen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld (Service, Vertrieb oder Innendienst), somit zunehmend kunden- und serviceorientiert handeln, weshalb ebenfalls das BWV und das f-bb (2011, S. 9 f.) die Bedeutung der
- Verkaufskompetenz (systematische und ganzheitliche Analyse der Kundensituation und -bedürfnisse, bedarfsorientierte Beratung und argumentative Gesprächsführung),
- der Servicekompetenz (Aufbau und die Pflege von Kundenbeziehungen, Bereitstellung effizienter Lösungen für die Kunden/-innen),
- der Produktkompetenz (spartenübergreifendes Produktwissen, Überblick über Versicherungsprodukte anderer Anbieter),
- der Technikkompetenz (multimediale Kommunikation mit Kunden/-innen und Kollegen/-innen, sicherer Umgang mit modernen Informations- und Kommunikationsmedien sowie das Beherrschen verschiedener IT-Oberflächen und Expertensysteme bei der Abwicklung von Geschäftsprozessen)
- der Unternehmerischen Kompetenz (Fähigkeit zum vernetzten Denken, Verständnis über den Zusammenhang betrieblicher Abläufe und dem eigenen Handeln im Unternehmen sowie die Fähigkeit zu selbstgesteuertem Lernen)
hervorhebt. Ähnlich schlussfolgert das Institut der Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen (2015, S. 52), dass im Rahmen einer bedeutsam werdenden kundenorientierteren Unternehmenskultur die Fähigkeit der Arbeitnehmer/-innen, die Beziehung zwischen Kunden/-innen und Unternehmen zu verstehen und kundenorientiert handeln zu können, sowie – insbesondere im persönlichen Vertrieb – das Einfühlungsvermögen zunehmend eine zentrale Rolle spielen werden. So ist es wenig überraschend, dass sich nach eigenen Angaben alle Teilnehmer/-innen der Weiterbildungsumfrage der Versicherungswirtschaft (AGV & BWV 2017, S. 4 f., S.7) in der betrieblichen Weiterbildung engagieren, um mithilfe dessen die Qualifikation der Mitarbeiter/-innen an veränderte Arbeitsorganisationen und Anforderungen des digitalen Wandels anzupassen, während in der Gesamtwirtschaft dies nur zu 85,3 Prozent der Fall ist. Als weitere Motive der betrieblichen Weiterbildung nannten die befragten Unternehmen zudem die Fachkräftesicherung, die Steigerung der Produktivität, die Förderung von überfachlichen Kompetenzen, Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter/-innen sowie die Steigerung der Unternehmensattraktivität und gaben zu mehr als drei Viertel an, dass der Weiterbildungsbedarf gestiegen ist, welches in Bezug zur Höhe des Digitalisierungsgrades des Unternehmens stünde (vgl. AGV & BWV 2017, S. 5 ff.).
Es lässt sich daher zusammenfassen, dass durch veränderte Arbeitsmarktstrukturen und Anforderungen (insbesondere durch die Digitalisierung) der Tätigkeitsfokus der Arbeitnehmer/-innen der Versicherungsbranche zukünftig weniger auf der Wissens- und Routinearbeit liegen wird, sondern stärker umfassende Handlung- und Problemlösekompetenzen, ein hohes Abstraktionsniveau und Hintergrundwissen, spezifische Fachkompetenzen und kontinuierliches Lernen, digitale Kompetenzen und Multi-Channel-Fähigkeiten, sowie erweiterte Sprachkenntnisse und im besonderen Maße soziale und kommunikative Kompetenzen den Arbeitnehmer/-innen abverlangt werden. Ferner empfindet der Großteil sowohl der Arbeitnehmer/-innen (branchenübergreifend) als auch der Arbeitgeber/-innen der Versicherungsbranche, aufgrund der komplexer und geistig anspruchsvoller werdenden Tätigkeiten, die Notwendigkeit einer Weiterbildung. Dies spiegelt sich auch in den überdurchschnittlich hohen Ausgaben der Versicherungswirtschaft für Weiterbildung, welche zweieinhalbfach höher als in der Gesamtwirtschaft und knapp doppelt so hoch wie bei unternehmensnahen Dienstleistern ist (vgl. AGV & BWV 2017, S. 5).
Die genannte empfundene Notwendigkeit einer Weiterbildung, um den wachsenden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden, ist jedoch nur eines von vielen Motiven sich als Arbeitnehmer/-in weiterzubilden. Neben Weiterbildungen im betrieblichen Kontext, die unter Anderem der Erweiterung der Qualifikation einzelner Arbeitnehmer/-innen, zur Fachkräftesicherung, Produktivitätssteigerung, Attraktivitätssteigerung des Unternehmens und zur Förderung überfachlicher Kompetenzen dienen, spielen im außerbetrieblichen Kontext Motive der individuellen beruflichen Entwicklung, wie Karriereplanung und Verbesserung der Aufstiegschancen, angestrebte berufliche Neuorientierung oder beruflicher Wiedereinstieg nach Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, eine wichtig Rolle (vgl. Kuper, Christ & Schrader 2017, S. 74; Seyda & Placke 2017, S. 16). Jedoch werden auch im außerbetrieblichen Kontext die Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit und Anpassung an neue Tätigkeitsfelder sowie die Arbeitsplatzsicherheit von vielen Weiterbildungsteilnehmer/-innen als sehr wichtig eingestuft (vgl. Bender et al. 2008, S. 27 f.). Um überprüfen zu können, ob die Weiterbildung FVF, neben der Anpassung an veränderte Arbeitsmarktanforderungen, den beruflichen Aufstieg, exemplarisch zur Führungskraft3, begünstigt, ist es zunächst unabdingbar, aufzuzeigen welcher Kompetenzen und Fähigkeiten es hierzu bedarf.
3. Kompetenzanforderungen für den beruflichen Aufstieg zur Führungskraft
In der Praxis werden Führungskräften verschiedene Rollen übertragen, deren Inhalte, Merkmale und Funktionen oft nicht klar definiert sind und ebenso erklären Tätigkeitsbeschreibungen häufig nur vage die Führungsrolle und die von der Führungskraft zu übernehmenden Aufgaben (vgl. Hetzer 2017). Ebenso beschreibt Steiger (2013, S. 56 f.) die Führungsrolle als „komplexes Resultat der Begegnung von Organisation und Führungskraft“, deren Ergebnis ein mehr oder minder ausdrückliches und bewusstes Set von Rollenerwartungen an die Führungskraft ist. Diese Rollenerwartungen4 sind bspw. die
- des Führers, dem die Motivation und Anleitung der Mitarbeiter/-innen, die Stellenbesetzung und Personalentwicklung (Personalmanagement) unterliegt
- des Ressourcenzuteilers, welcher Entscheidungen über die Vergabe von Ressourcen an Abteilungen oder Personen trifft
- des Koordinators, welcher interner und externer Kontakte aufbaut und pflegt
- sowie die des Krisenmanagers, der unerwartete Krisen und Störungen des betrieblichen Ablaufs handhabt (vgl. Wiswede 1995, S. 831).
[...]
1 Produktionsstätte, in der sich Fertigungsanlagen, Logistiksysteme und andere Produktionssysteme weitgehend ohne menschliches Zutun selbst organisieren und steuern (vgl. Arntz et al. 2016, S. 2).
2 Ausführung von Programmen, die nicht auf lokalen Computer installiert sind, sondern aus der Ferne auf anderen Rechnern (z. B. via Internet) aufgerufen werden (vgl. Arntz et al. 2016, S. 2).
3 Da die Tätigkeitsfelder und Aufstiegschancen in der Versicherungsbranche sowie die dafür notwendigen Qualifikationen zu heterogen sind, als dass sie vorliegend umfassend abgebildet werden könnten, wird exemplarisch der berufliche Aufstieg zur Führungskraft betrachtet.
4 Bezeichnungen der Rollen sind in der Ursprungsliteratur nicht gegendert und werden so übernommen.