In Anbetracht der Tatsache, dass das Kabarett dazu dient, das soziale Geschehen, sowie die Gesellschaft zu kritisieren, wird im Folgenden erörtert, inwiefern sich das neue Weiblichkeitsbild der 1920er Jahre in Margo Lions Chanson „Die Linie der Mode“ und in ihrer Darstellung der „Grotesken Neuen Frau“ widerspiegelt.
Handelt es sich hierbei lediglich um eine Selbstinszenierung und Image-Konstruktion der Diseuse im politischen und sozialkritischen Kontext? Oder um einen neuen Zeitgeist, welchen Lion einfängt und durch die Unterhaltungskunst des Kabaretts darstellt? Die Analyse der Performance beruht auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1978, in der Lion den Chansontext in ihrer allgemeinen Darstellungsform performt. Nach der Beschreibung und Einordnung des neuen Weiblichkeitstypus in den historischen, wie auch gesellschaftlichen Kontext werden diese Fragen anschließend in Bezug auf Margot Lions Rolle innerhalb des Kabaretts, sowie ihren Bühnen–Personae und Chanson-Performances von „Die Linie der Mode“ untersucht.
Eine der bedeutsamsten Berliner Kabarettistinnen der Goldenen 1920er Jahre war die Diseuse und Chanteuse Margo Lion. Lion besang mit ihrem Chanson ,,Die Linie der Mode“ einen zentralen Anknüpfungspunkt des neuen Weiblichkeitsbildes innerhalb der 1920er Jahre und lieferte damit einen wichtigen Beitrag zur Berliner Unterhaltungskultur. Durch diesen noch im Diskurs stehenden, neuen Weiblichkeitstyp der Weimarer Republik, verkörperte Lion das für die Bühne erschaffene Image der „Grotesken Neuen Frau“ und nutzte dieses als essentiellen Bestandteil für ihre Chanson-Performances.
„Die zehnte Muse ist jene Dame [...], der das Patronat über das Kabarett anvertraut wurde. Sie trägt nicht den langen Peplos ihrer ersteren Schwestern [...], so muß man sich die zehnte Muse mit einem kniefreien Röckchen vorstellen, geschminkt, mit viel Rouge auf den Lippen, gezupften Augenbrauen, hübsch, sehr hübsch, jedenfalls von äußerst gewinnender Keckheit, um nicht zu sagen Keßheit, ein Luderchen, die den ernstesten Leuten den Kopf verdreht und der vieles verziehen wird, weil sie aber aller Verwegenheit so viel Scharm hat.“
Diese Charakterisierung über das Kabarett lässt keinen Zweifel offen, die zehnte Muse und Patronin des Kabaretts hat sich, laut Edmund Nick, das Aussehen und das Verhalten, der „neuen Frau“ der 20er Jahre geborgt. Sie besitzt Intelligenz, ist zeitaktuell, greift politische Themen auf und konstruiert diese mittels Performance vollkommen neu.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Kabarett als ein politischer Spiegel
3. Die Neue Frau
4. Das Chanson „Die Linie der Mode".
5. Margot Lions Bühnen-Personae
6. Schlussbetrachtung
Anhang 1: Abb.1
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Eine der bedeutsamsten Berliner Kabarettistinnen der Goldenen 1920er Jahre war die Diseuse und Chanteuse Margo Lion. Lion besang mit ihrem Chanson ,,Die Linie der Mode" einen zentralen Anknüpfungspunkt des neuen Weiblichkeitsbildes innerhalb der 1920er Jahre und lieferte damit einen wichtigen Beitrag zur Berliner Unterhaltungskultur. Durch diesen noch im Diskurs stehenden, neuen Weiblichkeitstyp der Weimarer Republik, verkörperte Lion das für die Bühne erschaffene Image der „Grotesken Neuen Frau"1 und nutzte dieses als essentiellen Bestandteil für ihre Chanson-Performances.
„Die zehnte Muse ist jene Dame [...], der das Patronat über das Kabarett anvertraut wurde. Sie trägt nicht den langen Peplos ihrer ersteren Schwestern [...], so muß man sich die zehnte Muse mit einem kniefreien Röckchen vorstellen, geschminkt, mit viel Rouge auf den Lippen, gezupften Augenbrauen, hübsch, sehr hübsch, jedenfalls von äußerst gewinnender Keckheit, um nicht zu sagen Keßheit, ein Luderchen, die den ernstesten Leuten den Kopf verdreht und der vieles verziehen wird, weil sie aber aller Verwegenheit so viel Scharm hat. "2
Diese Charakterisierung über das Kabarett lässt keinen Zweifel offen, die zehnte Muse und Patronin des Kabaretts hat sich, laut Edmund Nick, das Aussehen und das Verhalten, der „neuen Frau" der 20er Jahre geborgt. Sie besitzt Intelligenz, ist zeitaktuell, greift politische Themen auf und konstruiert diese mittels Performance vollkommen neu.3
In Anbetracht der Tatsache, dass das Kabarett dazu dient, das soziale Geschehen, sowie die Gesellschaft zu kritisieren, wird im Folgenden erörtert, inwiefern sich das neue Weiblichkeitsbild der 1920er Jahre in Margo Lions Chanson „Die Linie der Mode" und in ihrer Darstellung der „Grotesken Neuen Frau"4 widerspiegelt.
Handelt es sich hierbei lediglich um eine Selbstinszenierung und Image-Konstruktion der Diseuse im politischen und sozialkritischen Kontext? Oder um einen neuen Zeitgeist, welchen Lion einfängt und durch die Unterhaltungskunst des Kabaretts darstellt?
Die Analyse der Performance beruht auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1978, in der Lion den Chansontext in ihrer allgemeinen Darstellungsform performt.5 Nach der Beschreibung und Einordnung des neuen Weiblichkeitstypus in den historischen, wie auch gesellschaftlichen Kontext werden diese Fragen anschließend in Bezug auf Margot Lions Rolle innerhalb des Kabaretts, sowie ihren Bühnen-Personae und Chanson-Performances von „Die Linie der Mode" untersucht.
2. Kabarett als ein politischer Spiegel
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Zensur auf Theater- und Kabarettprogramme aus dem Kaiserreich aufgehoben und die Kabarettisten konnten nun auf die aktuellen politischen Entwicklungen und die soziale Situation der Menschen eingehen.6 Das politische Kabarett stellt wiederum nicht nur eine Gesellschaft und ihre Strukturen kritisch dar, es fungiert vielmehr als eine pädagogische Institution, welche gewissermaßen von Bildung und Verständnis seines Publikums lebte und abhängig ist. Dabei dient es in erster Linie nicht nur als ein Kommunikationsmittel des agierenden Kabarettisten, sondern vielmehr als ein Spiegel, der die Mängel am politischen Bewusstsein aufzeigen soll.7
In den 1920er Jahren blüht das deutsche Kabarett erstmals auf.8 Häufige Stilelemente sind dabei die Satire und Parodie, die durch einen Sketch zur Geltung gebracht werden sollen, sowie Sarkasmus und Ironie, von denen auch Lion innerhalb ihrer Chanson-Performance „Die Linie der Mode" Gebrauch macht.9 Auch die Verbindung des Schauspiels mit seinen epischen, wie dramatischen Elementen, Lyrik und Musik brachte sehr unterschiedliche Facetten im Kabaretts hervor.10
In diesem Zusammenhang beschrieb Friedrich Hollaender das Kabarett sogar als „[d]as »fröhliche Kind einer [zehnten] Muse, [das] [...]in losen Liebschaften mit dem Theater[...] [und] dem Varieté, hinter der politischen Tribüne gezeugt [wurde]".11
Auch in der Unterhaltungskultur und spieziell im Berliner Kabarett spiegelte sich die Frauenbewegung und somit der Emanzipationsprozess der Frauen, in diesem Fall durch Margo Lion, wider.
„Mit ihren öffentlichen und medialen Persönlichkeitskonstruktionen [...] [reagierte Margot Lion] auf den Weiblichkeitsdiskurs sowie auf Anforderungen der Unterhaltungskultur und [...] [prägte] Bereiche durch ihr Handeln innerhalb der Chanson- Performance."12
Jede Diseuse der 20er Jahre, so auch Lion, musste, um in der Kunst, Kultur und Unterhaltungsmetropole Berlin bestehen zu können, ein eigenes und aussagekräfiges Image entwickeln. Dieses diente sowohl zur Vermarktung, als auch der Vorstellung wie eine Diseuse und eine moderne Frau im Allgemeinen zu sein haben.13
3. Die Neue Frau
Die Frauen der 1920er Jahre waren gezeichnet von einer Zeit mit vielen Höhen und Tiefen. An diesen lässt sich leicht betrachten, welchen Umbrüchen und Wandel die Generation des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war. Schon während des Ersten Weltkrieges änderte sich die zuvor sehr traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau. Da die Männer während des Ersten Weltkrieges an der Front kämpften, waren die Frauen auf sich gestellt und lernten, sich aus der Not heraus zu emanzipieren.14
Auch der gesellschaftliche Modernisierungsprozess, der einen bedeutenden Anteil an der Veränderung des Rollenverständnisses einnahm, spielte hierbei eine bedeutsame Rolle.15
Des Weiteren eröffnete sich im sozialen Leben, zumindest einigen der jungen und ungebundenen Frauen, durch eine Veränderung der Moralvorstellungen und ein neues weibliches Selbstverständnis, ganz neue Möglichkeiten der Lebensplanung.16 Es entstand ein neues Frauenbild: Der neue Weiblichkeitstyp war geboren.
Dieser neue „Typus Frau"17 stand jedoch in einem starken politischen Diskurs. Trotz der ersten Welle innerhalb der Frauenrechtsbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, welcher die Gleichberechtigung von Frauen im Staat und in der Gesellschaft thematisiert, standen die Frauen zunächst immer noch im Schatten ihrer Männer und waren demnach in ihrer Lebensund Denkweise stark eingeschränkt.18
„Wir sind gewohnt, die Frau nicht als Persönlichkeit mit individuellen Eigenschaften und Mängeln, mit Berücksichtigung ihrer psychologischen Erlebnisse zu bewerten, sondern als Zugabe zum Manne."19
Dieser Emanzipationsprozess der Frauen gestaltete sich langwierig, denn obwohl der Frau ein passives Wahlrecht zustand und Männer wie auch Frauen vor dem Gesetz durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 gleich waren20, bestand keine Chancengleicheit innerhalb der Gesellschaft, sowie auf dem Arbeits- oder Bildungsmarkt.21 Frauen hatten zwar ein Recht auf Bildung an Hochschulen oder Universitäten und ebenso auf Arbeit, wurden aber nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft angesehen. Denn trotz eines Abschlusses, Bildung und guter Leistungen durften sie nur mindere Tätigkeiten verrichten, für die sie auch schlechter bezahlt und beschränkt eingestellt wurden.22
4. Das Chanson ,,Die Linie der Mode"
Nicht nur das Selbstbewusstsein der „neuen Frauen" änderte sich, sondern auch ihr Aussehen. Sie befanden sich in einer „Art Taumel der Selbsterfahrung."23 Dies spiegelte sich in Form einer neuen alltagstauglichen und zeitgemäßen Mode wider.24
Die Frau vollzog damit einen kompletten Typwechsel und löste sich letztendlich auch von dem beengenden, sie in der Bewegung einschränkenden, sowie ihren Körper äußerst stark deformierenden Korsett.25 Damit „[befreiten sich die Frauen] aus den Fesseln althergebrachter Moral und Lebensführung [...]."26
Des Weiteren war die Kleidung der damaligen Mode nun durch den technischen Fortschritt der Textilindustrie für alle erschwinglich. Mit der Massenproduktion wurden die Konfektionsgrößen eingeführt, die Warenhäuser öffneten ihrer Pforten und bald war die Kleidung von der Stange auch im Handel und für jedermann erhältlich. Eine Mode für alle entstand.27
Auch die Nähmaschienen fanden einen festen Platz im Haushalt der Frauen. Schnittmuster im Handel erhältlich oder auch in Zeitschriften beigelegt, dienten dazu, die Mode-Trends der Saison ganz einfach, von Zuhause aus, nachschneidern zu können.28
Die Frauenkleidung der 1920er Jahre war einem neuartigen Schönheits- und Formideal unterworfen. Einfache, grade Schnitte förderte die Mode der modernen, neuen Frau zu Tage. Sport- und Arbeitskleidung wurde neu entwickelt und zeitgenössisch angepasst. Die Röcke und Ärmel wurden kürzer, denn die Frauen durften nun ihre Arme und Beine zeigen.29 Auch die Haare, nach männlichem Vorbild, wurden kurz getragen - Es entstand der Bubikopf. Weibliche Rundungen waren nun nicht mehr das Schönheitsideal. Frauen legten nun Wert auf eine sportliche Figur, keine Oberweite, sowie eine zierliche und schmale Hüfte.30
Margo Lions mondäne, morbide, sogar schwindsüchtig wirkende Gestalt, ohne weibliche Rundungen, entspricht somit dem neuen Schönheitsideal der „neuen Frau" und stellt dies extrem dar. Ihre Auftritte an der „Wilden Bühne" in Berlin verschafften der DeutschFranzösin dann schlussendlich, mit ihrer Chanson-Performance von ,,Die Linie der Mode ", den Durchbruch in der Berliner Kabarett Szene.31
[...]
1 Danielczyk, Sandra: „Diseusen in der Weimarer Republik, Imagekonstruktionen im Kabarett am Beispiel von Margo Lion und Blandine Ebinger“: Bielefeld, transcript Verlag. Hrsg. Winifried Pape und Mechthild von Schoenbeck, 2017, S. 67.
2 Nick, Edmund: ,,Musik im Kabarett". In: Musica. Zweimonatsschrift für alle Gebiete des Musiklebens 1, Nr. 2. 1947. S.10.
3 Danielczyk: S. 16.
4 Vgl. ebd. S. 67.
5 rbb Rundfunk Berlin - Brandenburg: You Tube: Lion, Margo: ,,Die neuste Linie der Mode": Theatertage 1978.
6 Hofmann, Gerhard: ,,Das politische Kabarett als geschichtliche Quelle". Haag + Herchen Verlag Frankfurt/Main 50 : Frankfurt am Main, 1976. S.9.
7 Schäffner, Lothar: „Das Kabarett, der Spiegel des politischen Geschehens, Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Christian - Albrechts - Universität zu Kiel": Kiel, den 10. November 1969, S. 19.
8 Vgl. ebd. S. 19.
9 Danielczyk, Sandra. S. 95.
10 Schäffner, Lothar. S. 5.
11 Otto, Rainer: „Rösler Walter: Kabarettgeschichte, Abriß des deutschsprachigen Kabaretts." Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, DDR - Berlin. Berlin, 1977, S.9.
12 Danielczyk, Sandra: S. 33.
13 Vgl. Ebd. S. 31.
14 Von Soden, Kristine: „Neue Frauen. Die zwanziger Jahre." Hrsg. v. Maruta Schmidt. Berlin (West): Elefanten Press, 1988. S. 32.
15 Vgl. ebd. S.19.
16 Von Soden, Kristine: S. 6.
17 Vgl. ebd. S. 78.
18 Von Soden: S. 50.
19 Vgl. ebd. S. 6.
20 Vgl. ebd. S. 50.
21 Vgl. ebd. S.21.
22 Vgl. ebd. S 21.
23 Vgl. ebd. S.152.
24 Vgl. ebd. S. 16.
25 Vgl. ebd. S.19.
26 Vgl. ebd . S.19.
27 Vgl. Bde. S.19.
28 Vgl. Bde. S.19
29 Pavetic, Brigitte: „Goldene Zwanziger, Lebenshunger frivoler Frauen." Spiegel-Online: 24.04. 2001.
30 Hartl, Iris: „Rauchen, Sporteln und Monokeln" Stern-Online: 12.02.2008.
31 Abb. 1: Margot Lion singt das Couplet ,,Die Linie der Mode" aus dem Archiv der Akademie der Künst in Berlin. Siehe S. 12 dieser Ausarbeitung, im Anhang.