Folgende Hausarbeit widmet sich einem von Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Dramen, welchem in der Forschungsliteratur in Relation zu seinen anderen Werken weniger Beachtung zuteilwurde. Die Rede ist vom "Pandämonium Germanikum". Hierbei handelt es sich um ein Werk, welches viele zeitgenössische Literaten Lenz‘ als Figuren auftreten lässt.
In der Art und Weise wie sie auftreten, ihren Sprechakten und den Kommentaren und Bewertungen anderer Figuren werden im Laufe des Werks Wertungen vorgenommen, welche aufgrund des realen Äquivalents der Figuren poetologische Aussagen über die Literatur und Schriftsteller treffen. Eben diese so verarbeitete Poetologie fungiert auch als Fragestellung dieser Arbeit, es gilt aufzuzeigen, welche poetologischen Topoi im "Pandämonium Germanikum" verarbeitet werden und welche Literaturbewertungen des Autors sich so rekonstruieren lassen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Wichtige Voranmerkungen
2.1 Die Poetologie, eine Arbeitsdefinition
2.2 Handlung und dramatis personae
2.3 Zur formalen Gestaltung des Werks
2.4 Gattungs- und Genreverortung
3. Poetologische Topoi
3.1 Topos I: Die Genieästhetik des Sturm und Drang
3.2 Die Genieästhetik im Pandämonium Germanikum
3.3 Topos II: Emanzipation vom französischen Klassizismus
3.4 Travestie als poetologisches Verfahren
3.5 Der geistesgeschichtliche Diskurs als poetologische Grundlage
4. Resümee
5. Literatur- und Quellenverzeichnis
5.1 Primärtexte
5.2 Sekundärliteratur
1. Einleitung
Folgende Hausarbeit widmet sich einem von Jakob Michael Reinhold Lenz‘ Dramen, welchem in der Forschungsliteratur in Relation zu seinen anderen Werken weniger Beachtung zuteilwurde. Die Rede ist vom Pandämonium Germanikum. Hierbei handelt es sich um ein Werk, welches viele zeitgenössische Literaten Lenz‘ als Figuren auftreten lässt. In der Art und Weise wie sie auftreten, ihren Sprechakten und den Kommentaren und Bewertungen anderer Figuren werden im Laufe des Werks Wertungen vorgenommen, welche aufgrund des realen Äquivalents der Figuren poetologische Aussagen über die Literatur und Schriftsteller treffen. Eben diese so verarbeitete Poetologie fungiert auch als Fragestellung dieser Arbeit, es gilt aufzuzeigen, welche poetologischen Topoi im Pandämonium Germanikum verarbeitet werden und welche Literaturbewertungen des Autors sich so rekonstruieren lassen.
Um diese Frage möglichst zufriedenstellend beantworten zu können, geht vorliegende Arbeit zu Beginn teleologisch vor. Dementsprechend werden zunächst wichtige Grundcharakteristika des Werks erläutert. So gibt es zunächst einen kurzen Abriss der Handlung sowie eine Charakterisierung der dramatis personae. Daraufhin werden wichtige Formelemente beschrieben und eine Gattungs- und Genreverortung durchgeführt. Es besteht die Möglichkeit, dass sich bereits durch die Analyse dieser Aspekte poetologische Topoi abzeichnen, welche in der darauffolgenden Textanalyse detaillierter diskutiert und mit zeitgenössischen, theoretischen Texten in Zusammenhang gesetzt werden können. Wichtig hierfür ist der Umstand, dass im Rahmen einer Hausarbeit leider keine erschöpfende Analyse vorgenommen werden kann, stattdessen wird exemplarisch gearbeitet und sich auf die aussagekräftigsten Textstellen beschränkt. Dem Vorangestellt wird jedoch im nun folgenden Abschnitt zunächst der Terminus der Poetologie erläutert, da er das Analysekriterium dieser Arbeit darstellt.
2 Wichtige Voranmerkungen
2.1 Die Poetologie, eine Arbeitsdefinition
Eine trennscharfe Bestimmung der Poetologie gestaltet sich als nicht ganz einfach, da der Begriff der Poetologie bzw. Poetik eine lange Bedeutungsgeschichte hinter sich hat, wie bereits an den beiden oft synonym verwendet Termini zu erkennen ist. Für diese Arbeit soll einfachheitshalber die, auch von Werner Jung für sein Lehrbuch Poetik verwendete, gut gelungene Definition des Metzler Literatur Lexikon herangezogen werden. Diese bietet sich besonders an, da sie die historischen Aspekte und die verworrene Begriffsgeschichte erst sekundär betrachtet und stattdessen die Systematik bzw. die Anwendung des Terminus in den Vordergrund stellt. Dies ist für diese Arbeit die praktikablere Variante, da im Folgenden keine Begriffsgeschichte entwickelt werden soll, sondern die Poetologie als systematisches Analysekriterium Verwendung finden soll. Unter Poetologie ist zunächst einmal obergeordnet eine „Dichtungstheorie“ zu verstehen, welche sich weiter ausdifferenzieren lässt. Zunächst in den Zweig einer „normativen praktischen Anweisung“1. Dementsprechend stellt die Poetologie zunächst eine Richtschnur dar, an welcher sich ein Literat orientieren kann, um angemessene Werke zu verfassen. Dass sich der Konsens darüber was denn angemessene Literatur ist, in Hinblick auf Gattung, Zeit, Milieu, Kultur, Subkultur oder Nation dabei als höchst different gestalten könnte, liegt auf der Hand. Jedoch liegt in eben diesem Umstand der zweite Aspekt der Poetologie begründet, die „Dichtungskritik“.2 Im Zuge der Dichtungskritik werden Literaturbewertungen vorgenommen, positiver wie negativer Natur, welche die entsprechenden Werke an den jeweiligen Kriterien, welcher poetologischer Einfärbung sie auch sein mögen, bewertet. Dementsprechend gilt es im Zuge dieser Arbeit herauszukristallisieren, welche Kriterien für angemessene Literatur im Pandämonium Germanikum konstatiert werden und welche Werke bzw. Literaten positive oder negative Bewertungen erfahren.
2.2 Handlung und dramatis personae
Unbedingter Hinweis auf Differenzierung zwischen Figur und realer Person.
Die eigentliche Handlung des Werks soll aufgrund ihres fragmentierten Charakters nur kurz behandelt werden. Der erste Akt beschreibt den Weg der Figuren Lenz und Goethe ein steiles Gebirge hinauf, auf dessen Spitze der Tempel des Ruhms gelegen ist. Dieser stellt den Raum der Handlung des zweiten Akts dar. Im Tempel des Ruhms sind eine Vielzahl verschiedener Figuren beheimatet, welche allesamt Dichter, Literaten, Philosophen oder anderweitig am Kunst- und Kulturbetrieb involvierte Personen darstellen, von denen das Gros ein real existierendes Äquivalent besitzen. So seien exemplarisch aus den siebenundzwanzig namhaften dramatis personae Lafontaine, Rabelais, Scarron, Rousseau,3 Goethe oder auch Lenz4 selbst genannt. All diese Figuren geraten im Laufe des zweiten Akts miteinander in Dialog. Dieser Diskurs dürfte somit den Ausgangspunkt für die im Pandämonium
Germanikum entfaltete Poetologie bilden. Der dritte Akt ist äußerst kurz gestaltet und hat hauptsächlich die Funktion eines kurzen Epilogs inne.
2.3 Zur formalen Gestaltung des Werks
Das Pandämonium Germanikum setzt sich aus drei Akten zusammen. Der erste Akt umfasst vier, der zweite Akt ganze sechs und der dritte Akt lediglich eine Szene. In Bezug auf die logische Verflechtung der einzelnen Handlungselemente der Szenen ist anzumerken, dass sich der Handlungsverlauf als recht inkonsistent herausstellt. Dieser Eindruck wird durch die teils fragmentiert wirkenden Szenen noch verstärkt. So bemerkt auch Stefan Hermes: „[...] die Reihenfolge der oft sehr kurzen Szenen erscheint partiell austauschbar.“5 Bereits diese fragmentierte Gestaltung des Werks lässt Rückschlüsse über die Poetologie zu. So erscheint es für ein Werk, welches vordergründig die Vermittlung von poetologischen Aussagen anstrebt, durchaus förderlich, wenn es sich keiner unbedingten Handlungslogik unterwerfen muss und stattdessen dem gezielten Einsatz von poetologischen Aussagen den Vortritt gewähren kann.
Ein weiteres bemerkenswertes Formelement des Pandämonium Germanikum stellt die polyglotte Verwendung verschiedener Sprachen dar. So wird neben Deutsch vor allem Französisch verwendet.6 Weiterhin lassen sich auch vereinzelte englische,7 griechische8 und lateinische Phrasen auffinden. Diese Präsenz verschiedener Sprachen lässt darauf schließen, dass literarische Multilingualität einen zentralen Topos der Poetologie darstellen wird. Bereits im Titel des Dramas wird dieser Topos nicht nur impliziert, sondern auch direkt ausgearbeitet. Denn der griechische Begriff Pandämonium ist mit dem deutschen Umlaut -ä- und nicht mit dem griechischen -ae- versehen. Weiterhin ist das lateinische Germanikum nicht mit dem für das Lateinische typische -c-, sondern mit einem, dem deutschen Schriftbild eher entsprechenden, -k- geschrieben.9 Es sind also bereits im Titel Sprachhybridisierungstendenzen zu erkennen, denen wahrscheinlich im weiteren Text eine zentrale poetologische Bedeutung beigemessen wird. Das letzte in diesem Abschnitt beleuchtete Element stellt ein von Lenz stammendes Gedicht dar, welches sich als Paratext noch vor der ersten Szene des Stücks befindet und die Funktion eines Vorworts innehat. Dieses kurze Gedicht mit acht Versen entspricht durch seine exponierte Position dem fragmentarischen Charakter des Gesamtwerks und - wichtiger noch - lässt bereits eine weitere poetologische Stoßrichtung des Dramas erahnen. Bereits die Überschrift „Difficile est satyram non scribere.“10 stellt ein Zitat des römischen Satirikers Juvenals aus dem 1. und 2. Jh. dar, wodurch im Vorfeld auf den satirischen Charakter des Pandämonium Germanikum verweisen wird. Des Weiteren lässt das Gedicht erahnen, welche Personen die Zielgruppe der satirischen Darstellung sein werden:
„Der deutschen Wändekritzler Heer,
Unzählbar wie der Sand am Meer,
Ist meiner Seel beim Lichen besehn Nicht einmal wert, am Prager zu stehn.“11
Es wird also bereits vorab kein Hehl daraus gemacht, dass im Zuge der Satire deutsche „Wändekritzler“, vermutlich ein pejorativer Begriff für deutsche Literaten, im Fokus der Travestie stehen sollen.
2.4 Gattungs- und Genreverortung
Die durch ein Formelement vermittelte Bezeichnung als Satire, stellt natürlicherweise auch den ersten Anhaltspunkt für eine genauere Gattungs- und Genreverortung dar, welchen es nun auf mögliche poetologische Gehalte zu prüfen gilt. So birgt das Genre der Satire nach Peter Petro, der alle gängigen Definitionsversuche in seiner Arbeit Modern Satire miteinander abgleicht, zwei essentielle Aspekte, welche er unter den Begriffen „criticism“12 und „humor“13 subsummiert. Diese beiden Termini fächert er jedoch noch weiter auf. So finden sich auf der kritischen Seite Prädikate wie „censure“, „attack“ sowie „vituperatio“ und auf der humoristischen Seite „wit“, „black“ und „gallows humor“.14 Diese verschiedenen Spielarten von Kritik und Humor ermöglichen einer Satire ein breites Repertoire von Instrumenten, mit denen auf heterodiegetische Umstände und Entitäten rekurriert werden kann. Dadurch bietet sich dieses Genre exzellent für poetologische Aussagen an, welche besonders für negative
Bewertungen geeignet erscheinen. Die Bezeichnung als Satire kann allerdings noch weiter zugespitzt werden. So erscheint die von Stefan Hermes getroffene Bezeichnung als „Traumsatire“15 in Anbetracht des fragmentierten Charakters als durchaus angebracht. Diese Bezeichnung wird durch den letzten Vers des Dramas noch weiter sanktioniert: „LENZ (aus dem Traum erwachend, noch ganz erhitzt). Soll ich dem kommenden rufen?“16 Dieser autorreflexive Auftritt der Figur Lenz versetzt die zuvor stattgefundene Handlung, durch die Auflösung der Handlungseigenen Kohärenz in eine Schwebe und relativiert die zuvor abgewickelte Satire. Dieser Kunstgriff besitzt das Potential, den Autoren in einem durch seine Satire losgetretenen Schriftstreit in eine weniger angreifbare Position zu bewegen. Dies stellt erneut eine funktionell äußerst praktikable Methode für eine offensiv angelegte Satire dar. Dieser eigene Auftritt Lenz‘ und die bereits in Abschnitt 2.2 Handlung und dramatis personae festgestellte, hohe Dichte an Figuren, die einer literarischen Beschäftigung nachgehen, ermöglichen noch eine weitere Typologisierung des Pandämonium Germanikum. Bei dieser Typologisierung handelt es sich um die von Uwe Japp getroffene Zuordnung zu den Künstlerdramen,17 die sich durch einen hohen Anteil an Figuren auszeichnen, welche realen Künstlern nachempfunden sind oder ihnen konkret entsprechen.
Doch auch diese Verortung lässt sich noch weiter spezifizieren. Da es sich beim Gros der im Pandämonium Germanikum auftretenden dramatis personae um Dichter aus dem 18 Jh. handelt, erscheint die explizite Beschreibung als Dichterdrama legitim.18 Dieses Genre zeichnet sich neben den Figuren per se auch durch das so ermöglichte bemerkenswerte Potential für autorreflexive Aussagen aus.19 Japp bezeichnet die hypothetische Umsetzung dieses Potentials gar als „[...] ein Beispiel auf die Spitze getriebener Autorreflexivität [..,].“20 Im Falle des Pandämonium Germanikums beschränkt sich diese Reflexivität allerdings nicht nur auf den eigentlichen Autor des Werks selbst, sondern auch auf die weiteren Dichter und Literaten, welche als Figuren im Werk auftreten. Im Falle des Pandämonium Germanikum scheint dieses Verfahren durch das Auftreten einer beeindruckenden Auswahl von Dichtern und Literaten verschiedener Nationalitäten und Jahrhunderten vollends ausgereizt worden zu sein.
[...]
1 Jung, Werner (2007): Poetik. Stuttgart u.a.: Wilhelm Fink. S. 9.
2 Ebd.
3 Vgl. Lenz, J. M. R. (1992): Pandämonium Germanikum. Eine Skizze. In: Voit, Friedrich (Hrsg.): Jakob Michael Reinhold Lenz. Werke. Stuttgart: Reclam. S. 237-261. S. 246f.
4 Vgl. Ebd. S. 260.
5 Hermes, Stefan (2014): „[D]er Deutsche wird [...] immer Deutscher bleiben, und der Franzose Franzos". Das anthropologische ,Wissen' von den europäischen ,Nationalcharakteren' bei Jakob Michael Reinhold Lenz. In: Hermes, Stefan / Kaufmann, Sebastian (Hrsg.): Der ganze Mensch - die ganze Menschheit. Völkerkundliche Anthropologie, Literatur und Ästhetik um 1800. Berlin u.a.: de Gruyter. S. 101-124. S. 115.
6 Vgl. Lenz, J. M. R.: Pandämonium Germanikum. S. 247ff.
7 Vgl. ebd. S. 255.
8 Vgl. ebd. S. 248.
9 Vgl. Hermes, S.: „[D]er Deutsche wird [...] immer Deutscher bleiben, und der Franzose Franzos". S. 122.
10 Lenz, J. M. R.: Pandämonium Germanikum. S. 237.
11 Ebd.
12 Petro, Peter (1982): Modern Satire. Four Studies. Berlin u.a.: de Gruyter. S. 8
13 Ebd.
14 Vgl. ebd.
15 Hermes, S.: „[D]er Deutsche wird [...] immer Deutscher bleiben, und der Franzose Franzos". S. 121.
16 Vgl. Lenz, J. M. R.: Pandämonium Germanikum. S. 261.
17 Vgl. Japp, Uwe (2004): Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin u.a.: de Gruyter. S. 5.
18 Vgl. ebd.
19 Vgl. ebd. S. 8.
20 Ebd. S. 8.