Vorliegender Text behandelt ausführlich die Anfänge des französischen Films (1895-1914) mit Schwerpunkt auf den Persönlichkeiten und deren Erfindungen, die dieses Genre am meisten geprägt haben.
Entsprechend ist der Text in drei große Abschnitte gegliedert:
- Die Gebrüder Lumière und die Anfänge des Films,
- Georges Méliès und die Entstehung der Filmkunst und
- Charles Pathé und die Industrialisierung des Films.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Die Gebrüder Lumière und die Anfänge des Films
1.1 Die ersten Versuche
1.2 Die Lumièreeschen Filme
1.3 Der Film wird zur Attraktion
2. Georges Méliès und die Entstehung der Filmkunst
2.1 Méliès’ Montagetechniken
2.2 Die Firma Star-Film
3. Charles Pathé und die Industrialisierung des Films
3.1 Die Firma Pathé Frères und Ferdinand Zecca
3.2 Das Verleihsystem
3.3 Der Film d’Art
Ausblick
Literatur- und Quellenverzeichnis
Vorwort
Die jüngste und modernste Kunstform, die sogenannte ‚Siebte Kunst’, welche Elemente aus der Literatur, dem Theater, der Bildenden Kunst, der Musik und letztlich der Photographie in sich vereint, ist wohl zweifellos die Filmkunst.
Schon lange vor der ersten Filmvorführung im Jahre 1895 träumten viele Künstler von einer idealen Kunst, einer Verschmelzung aller Künste zu einer Art ‚Überkunst’. Um so verwunderlicher ist die Tatsache, dass gerade Künstler und Intellektuelle den Film lange Zeit als kunstloses Populärmedium verpönten. Auch waren es keinesfalls Kunstschaffende, die darauf bedacht waren, die Photographie weiterzuentwickeln und Bild- und Tonaufnahmegeräte zu konstruieren, sondern Wissenschaftler und Techniker. Es gab im 19. Jahrhundert unzählige Menschen auf dem ganzen Erdball, die den Anspruch erhoben, den Film erfunden zu haben, doch letztendlich ist er unstreitig ein Produkt aus vielen verschiedenen Erfindungen, die über einen langen Zeitraum hinweg entstanden waren und seither stets verbessert worden waren.[1]
Wer schließlich der entscheidende Kopf bzw. die entscheidenden Köpfe bei der Entstehung des Films war bzw. waren, darüber sind sich die Experten selbst heute noch nicht einig. Die meisten tendieren zu der Ansicht, dass dies die Gebrüder Lumière waren, die 1895 mit ihrem Cinématographe Lumière zum ersten Mal eine öffentliche Kinovorstellung gaben, einige hingegen halten den Amerikaner Thomas Alpha Edison für den wahren Erfinder des Films, auch wenn sein „Kino“ nicht mehr als ein Guckkasten war, wieder andere stellen die oben genannten auf eine Stufe mit dem Engländer William Friese-Greene und den deutschen Brüdern Max und Emil Skladanowsky.[2]
Doch wie auch immer man es halten mag, für die Franzosen steht fest: Ihre Kinematographie begann mit den Brüdern Lumière. Zu diesen kommen zwei weitere Männer, welche die Entwicklung des Französischen Films vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges entscheidend prägten: Der Zauberkünstler Georges Méliès und der Unternehmer Charles Pathé.
Entsprechend diesen einflussreichen Persönlichkeiten habe ich auch meine Arbeit in drei große Abschnitte gegliedert: Die Gebrüder Lumière und die Anfänge des Films, Georges Méliès und die Entstehung der Filmkunst und Charles Pathé und die Industrialisierung des Films.
1. Die Gebrüder Lumière und die Anfänge des Films
1.1 Die ersten Versuche
Bevor sich die Brüder Louis und Auguste Lumière der Filmproduktion widmeten, stellten sie Photozubehör in ihrer Firma Société Lumière her. Nachdem der Amerikaner Thomas Alpha Edison sein Kinetoscop e, ein Guckkastenkino, gebaut hatte, war vor allem Louis Lumière – die treibende Kraft der beiden Brüder – von diesem Apparat fasziniert und widmete sich seiner Verbesserung und Weiterentwicklung. Dabei galt es hauptsächlich, das Problem der kleinen Bilder, die nur von jeweils einem Zuschauer beobachtet werden konnten, zu lösen und die Filme über ein Projektionsgerät auf eine Leinwand zu werfen und sie so einem größeren Publikum zugänglich zu machen.[3]
Es gelang ihm bald, seine Idee zu verwirklichen und die Brüder Lumière stellten am 22.03.1895 ihr Cinétoscope de projection der Société d’Encouragement à l’Industrie Nationale in Paris vor. Die anwesenden Fachleute waren tief beeindruckt von dem neuen Apparat, bemängelten aber dennoch, dass das Bild zu verwackelt sei.[4]
Also machten sich die Lumières daran, ihre Erfindung, die sie nun Cinématographe Lumière nannten, so weit zu verbessern, dass sie öffentlich vorgeführt werden konnte. Am 28. Dezember 1895 war es dann soweit: Die ersten Filme wurden gegen Eintrittsgeld im Salon des Grand Café in Paris gezeigt. Dies kennzeichnet den Beginn des Kinos.[5]
1.2 Die Lumièreeschen Filme
Das Programm dieser ersten Vorführung bestand, wie es auch in den folgenden Jahren üblich war, aus mehren kleinen, bis zu 50 Sekunden dauernden Filmen. Dies war die damals längstmögliche Dauer, dann war der Filmstreifen abgedreht. Alle Filme wurden in einer einzigen Einstellung abgelichtet, die mit einer unbeweglichen Kamera aufgenommen wurde. Man nennt diese Form des Films auch ‚Aktualität’.[6]
Der erste Film, der an jenem Abend im Grand Café gezeigt wurde, war La sortie des Usines Lumière à Lyon-Montplaisir (Arbeiter verlassen die Fabrik). Die Lumières hatten hierzu die Kamera vor dem Ausgang ihrer eigenen Fabrik aufgestellt und filmten die herausströmenden Menschen, darunter auch eine Frau mit Baby, ein junger Mann mit einem Fahrrad und am Ende eine Pferdekutsche. Tatsächlich wurden drei verschiedene Versionen dieses Films gefunden. Scheinbar haben die Brüder Lumière die Szene mehrmals hintereinander aufgenommen und anschließend diejenige ausgewählt, welche das Lebensgefühl der Arbeiter, die ihrem Feierabend entgegeneilen, am besten wiedergibt.[7]
Ein weiterer Film, der an diesem Abend Premiere hatte, war L’Arrivée d’un train à La Ciotat (Die Ankunft des Zuges in La Ciotat). Diesmal platzierten die beiden Brüder den Cinématographe so auf dem Bahnsteig, dass die linke Hälfte des Bildes – vom Publikum aus betrachtet – das Gleis und die rechte Hälfte den Bahnsteig zeigte. Der Zug, der anfangs wie auf einer Photographie unbeweglich im Hintergrund stand, begann plötzlich sich auf die Kamera bzw. auf das Publikum zu zu bewegen, so dass einige Zuschauer fürchteten überfahren zu werden. Nachdem der Zug zum Stillstand gekommen war, sah man Fahrgäste hastig ein- und aussteigen, darunter auch die Frauen und Kinder der Gebrüder Lumière.[8]
Neben den genannten Filmen folgten noch weitere aus dem Alltag und solche, die bei den Lumières zu Hause aufgenommen worden waren. Doch der letzte Film L’Arroseur arrosé (Der begossene Gärtner) fiel aus der Reihe: Er zeigt einen Gärtner, der – im Garten der Lumières – mit einem Schlauch die Pflanzen bewässert. Von hinten nähert sich ein Junge und stellt sich auf den Gartenschlauch, so dass die Wasserzufuhr unterbrochen wird. Als der Gärtner verwundert den Schlauch untersucht, lässt der Junge das Wasser weiterlaufen und der Gärtner wird nassgespritzt. Er bemerkt den Jungen und verfolgt ihn durch den Garten, um ihn zu verprügeln. Erstaunlich an diesem Film ist, dass diesmal nicht einfach irgendein Gärtner bei seiner Arbeit gefilmt worden war, sondern eine lustige Szene extra für die Kamera inszeniert wurde. Damit war bereits in der Anfangszeit des Kinos der Spielfilm geboren.[9]
1.3 Der Film wird zur Attraktion
Im Publikum befanden sich hauptsächlich Jahrmarkts- und Varietébesitzer, welche sofort begeistert waren von der „lebenden Photographie“, auch wenn nur ganz alltägliche Szenen gezeigt worden waren. Denn nicht der Inhalt, sondern der Novitätscharakter dieser Erfindung war die eigentliche Sensation. Die Unternehmer, welche schon vor sich sahen, wie die neue Attraktion viele Gäste anziehen würde, wollten den Cinématographe sofort kaufen. Doch die Lumières entschieden sich, ihr Patent zu behalten und lediglich Konzessionen dafür zu vergeben. Zu ihrem Glück: Denn bereits sechs Monate später wurden ihre Filme weltweit bekannt und sie selber steinreich.[10]
Doch die Lumières beließen es nicht bei diesen paar Filmen und auch nicht beim bloßen Aufnehmen von einfachen Straßeszenen. Bald hatten sie durch das Filmgeschäft genug Geld verdient, um über 100 sogenannte ‚Operateure’ einzustellen, die sie mit einem Exemplar des Cinématographe um die Welt schickten,[11] damit diese besondere Anlässe aufzeichneten, so z.B. Le Couronnement du Tsar Nicolas II (Die Krönung Nikolaus’ II.), bei welchem sogar die Polizei einschritt, die das Filmen (das in Russland für schreckliche Zauberei gehalten wurde) verbot und die Kameraleute des Landes verwies. So waren die ersten Reportagen entstanden.[12]
[...]
[1] Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films. 1895-1928. München 1975, S. 11-15
[2] Roberta Pearson: Das frühe Kino In: Geoffrey Nowell-Smith <Hrsg.>: Geschichte des internationalen Films. Weimar 1998, 13-25, S. 14
[3] Martina Müller <Reg.>: Cinématographe Lumière. Kino vor 100 Jahren. WDR 1995
[4] Friedrich Zglinicki: Der Weg des Films. Die Geschichte der Kinematographie und ihrer Vorläufer. Berlin 1956, S. 215
[5] ebd., S. 217
[6] Pearson: Das frühe Kino, S. 17
[7] Müller
[8] ebd.
[9] ebd.
[10] ebd.
[11] ebd.
[12] Martin Loiperdinger <Reg.> / Harald Pulch <Reg.>: Cinématographe Lumière. SDR 1990