Der Unterrichtsentwurf beinhaltet sechs Unterrichtsstunden zum Thema "Wie werde ich frei?". In der vorliegenden Arbeit habe ich mich auf theologisch-kritische Art und Weise mit Luthers These zu Solus Christus beschäftigt. Dabei ist Luthers Rechtfertigungslehre und deren Konsequenz für die mittelalterlichen Frömmigkeitpaxis und die Heilvorstellungen des Mittelalters zum Zuge gekommen.
500 Jahre Reformation in Deutschland – das Lutherjahr 2017 war in allen Schulen in aller Munde. Doch was wissen Schülerinnen und Schüler (SuS) über Luther und die Reformation? Das von mir gewählte Thema soll den SuS Zugang zur Lebensfrage 4 des Rahmenlehrplans ermöglichen, also den Fragen nach Orientierung und Wegweisung. Die Beschäftigung mit dem Ablassstreit und der Rechtfertigungslehre führt zunächst zum Themenschwerpunkt "Träume und Verheißungen".
Die Auseinandersetzung mit dem alten Glauben und dem neuen Glauben ermöglicht Fragen wie: Was macht mich frei? Wie werde ich gerechtfertigt? Darüber hinaus bietet die Thematik die Möglichkeit, nach verantwortlichem Handeln zu fragen. Fragen zu Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Widerstand können erörtert werden und die Bedeutung dieser Begriffe in der eigenen Lebenswelt der Schüler diskutiert werden.
Inhalt
1. Lernvoraussetzungen
1.1. Schulische Voraussetzungen
1.2. Lernvoraussetzungen
1.3. Kompetenzen der SuS
1.4. Lehrvoraussetzungen
2. Die Unterrichtseinheit
2.1. Themenwahl
2.2. Formale Kompetenzen
2.3. Didaktische Analyse
2.4. Theologische Überlegungen
3. Darstellung der Unterrichtseinheit
3.1. Angestrebte Kompetenzen
3.2. Tabellarische Darstellung der Unterrichtseinheit
3.3. Tabellarische Darstellung der Sichtstunde
4. Literaturverzeichnis
1. Lernvoraussetzungen
1.1. Schulische Voraussetzungen
Die Gemeinde (Anonym) hat zwei Gymnasien, die den Schulweg bis zum Abitur anbieten. Eines ist das (anonym) Gymnasium. Es gehört zu den Schulen des Landes Brandenburg. (anonym) Lernende besuchen das Gymnasium und es bietet als Besonderheit eine genehmigte Leistungs- und Begabungsklasse an, in der besonders begabte Kinder ab Jahrgangsstufe 5 intensiv gefördert werden. Da das Gymnasium darauf verzichtet, sich auf nur einen Fächerschwerpunkt zu spezialisieren, ist es den Lehrkräften möglich, gut auf die unterschiedlichen Interessen und Begabungen der SuS einzugehen. Die Schulkultur ist durch eine pädagogisch ausgewogene Offenheit gekennzeichnet, die es den Lernenden erlaubt, sich aktiv an der Unterrichtsgestaltung einzubringen. Dies spiegelt sich in einer ungezwungenen Atmosphäre wider, die sich sowohl auf dem Schulhof, als auch im Unterricht beobachten lässt.
An der Schule haben die Jugendlichen die Möglichkeit, zwischen dem Evangelischen Religionsunterricht und dem LER-Unterricht, der parallel stattfindet, zu wählen. Ebenso wird auch Katholischer Religionsunterricht angeboten. Der Evangelische Religionsunterricht für die siebte Klasse findet wöchentlich im 90-minütigen Blockunterricht statt. Die Klasse (anonym) ist mit den Räumlichkeiten bereits vertraut, da die SuS hier seit September 2017 den Evangelischen Religionsunterricht bei ihrer Religionslehrerin, (anonym), besuchen.
Der Raum ermöglicht es der Lehrkraft, im Unterricht verschiedene Medien einzusetzen. Es sind ausreichend und verschiedene Bibeln vorhanden. Außerdem stehen ein Fernseher, eine Kreidetafel, und ein Overheadprojektor zur Verfügung.
Eine Besonderheit der Rahmenbedingungen der hier dargestellten Unterrichtsstunde liegt darin, dass diese nicht wie üblich dem gewohnten Blockunterricht folgt, sondern sich auf 45 Min. begrenzt. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die SuS nicht wie gewohnt Unterricht bei (anonym), sondern bei mir, einer Gastlehrerin haben, also bei einer ihnen trotz einiger abgehaltener Unterrichtstunden noch relativ fremden Person.
1.2. Lernvoraussetzungen
Die Lerngruppe der (anonym) besteht aus 11 SuS im Alter von elf bis zwölf Jahren. Mit jeweils fünf Mädchen und 6 Jungen besteht ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Die SuS wohnen im Einzugsgebiet der Schule.
Die Motivation der 11 SuS ist hoch. Dieser Umstand ist an der regen Beteiligung der gesamten Klasse am Unterricht spürbar. Bei Methoden, die die Siebtklässler aktiv einbeziehen, wie künstlerische Umsetzung eines Bibeltextes oder szenische Rollenspiele, konnte ich feststellen, dass auch eher zurückhaltende Schüler wie (anonym) sich aktiv einbringen. Wiederholt haben die SuS bewiesen, dass sie viel Bereitschaft für die Mitarbeit im Unterricht mitbringen. So werden Arbeitsaufträge gerne ausgeführt. Aufträge, die die SuS in Partner- oder Gruppenarbeit lösen können, empfanden alle als besonders gelungen.
Die Bereitwilligkeit der Klasse, sich religiösen Themen auf vielfältige Weise zu nähern, zeigt, dass die SuS sich gerne mit den Fragen befassen, die der Religionsunterricht anspricht.
Während der Bearbeitung der Aufgaben herrscht eine freundliche Atmosphäre, jedoch wird dabei nicht ausgelacht. Besonders lebhaft wird die Klasse bei kreativen Übungen. Schreibaufgaben stoßen auf weniger Begeisterung, werden jedoch genauso gewissenhaft ausgeführt. Die Freude am kreativen Arbeiten hat sich beispielsweise bei der Aufgabe gezeigt, einen eigenen Lebensweg zu gestalten. Dabei haben die SuS mit Eifer an der Darstellung durch eigene Texte, Zeichnungen sowie Symbole gearbeitet und bemerkenswerte kreative Werke geschaffen.
Die schon angesprochene Arbeitsatmosphäre erlaubt es den SuS zu reflektieren, auch einmal respektvoll zu kritisieren und diese Kritik umzusetzen. Eindrucksvoll bewiesen hat die Klasse dies bei der Arbeit mit einem Standbild zu der biblischen Geschichte der Steinigung des Stephanus. Die Reflexion durch die Gruppe geschah kritisch, aber respektvoll, sodass das Feedback in der nächsten Unterrichtsstunde in einer weiteren Standbild-Übung sofort umgesetzt werden konnte.
Insgesamt habe ich die Lerngruppe als sehr lernbegeistert und leistungsstark wahrgenommen. Die bestehenden Unterschiede zwischen den SuS müssen aber dennoch Beachtung finden.
So scheint (anonym) über bemerkenswert große religiöse Kenntnisse zu verfügen. Er ist mit dem russisch-orthodoxen Glauben aufgewachsen, verfügt bereits über viel Fachwissen und kennt viele biblische Geschichten. Hier besteht die Gefahr, dass er sich schneller langweilt als andere. Aufgefallen ist z.B., dass er mitunter unpassende Bemerkungen macht, die von den anderen SuS nicht verstanden werden. Jedoch erlebe ich ihn als sehr aktiv im Unterricht. Er meldet sich häufig und trägt bei jeglichen Aufgaben zum Gelingen bei. (anonym) zeichnen sich durch eine schnelle und gute Auffassungsgabe aus, mit der sie sich ruhig, aber dennoch aktiv einbringen. Gleiches gilt für (anonym), der mit einer guten Auffassungsgabe und schneller Arbeitsweise positiv auffällt. (anonym) ist kommunikationsstark, meldet sich oft und diskutiert sichtlich gerne mit. Auch (anonym) und (anonym) sind leistungsstark, jedoch etwas ruhiger. Sie melden sich im Plenum weniger häufig, setzen jedoch Arbeitsaufträge schnell um. Eine gute Auffassungsgabe hat auch (anonym), der aber über weniger Konzentrationsvermögen verfügt. Etwas leistungsschwächer ist (anonym), da er schnell und oft abgelenkt ist. Doch auch (anonym) zeichnet sich durch eine rege Mitarbeit und seine Freundlichkeit aus.
Als Gastlehrerin freue ich mich besonders über die gute Atmosphäre zwischen mir und den SuS, die ich als konstruktiv, positiv, entspannt und freundlich wahrnehme. Die feste Religionslehrerin der Klasse bestätigt, dass sie keinen Unterschied im Umgang der Lernenden mit mir und ihr wahrnehmen kann. Die SuS sind sehr stolz darauf, dass sie als Klasse für meine Lehrprobe ausgewählt wurden und freuen sich darauf. Abschließend kann ich feststellen, dass sich die Klasse stets interessiert zeigt und sich die SuS alle Mühe geben, konzentriert dabei zu sein.
1.3. Kompetenzen der SuS
Auch wenn ich die unterschiedlichen Kompetenzen der SuS nur anhand von einigen wenigen Unterrichtsstunden beobachten konnte, schätze ich die religiöse Narrations- und Partizipationskompetenz der SuS als altersgerecht ausgebildet ein. Dies beweisen deren Fähigkeiten und Fertigkeiten in verschiedenen Kompetenzbereichen, die ich im Folgenden genauer beschreiben werde.
Wahrnehmen und Deuten
Die SuS sind in der Lage, religiöse Phänomene in verschiedenen Medien und ihrem Alltag zu deuten, indem sie Bilder, Gemälde, Bibeltexte, Liedtexte und Filme hinsichtlich ihres religiösen Gehalts beschreiben und interpretieren.
Diese Kompetenzen demonstrierten die Lernenden konkret bei der Interpretation des Gemäldes „Steinigung des Stephanus“ von Rembrandt. Weiterhin hatte die Klasse beim Lesen der Apostelgeschichte 9 mit dem Bibliolog die Aufgabe, Fragen, die im Bibeltext offengeblieben sind, zu deuten. Es ist ihnen gelungen, die Person des Paulus, die einigen vorher im biografischen Kontext bekannt war, neu wahrzunehmen und seine Geschichte zu deuten. Die Siebtklässler haben darüber hinaus im Sinne der Texterschließung verschiedene Übersetzungen der Apostelgeschichte miteinander verglichen. Die anschließende Diskussion hat gezeigt, dass die SuS in der Lage sind, die gewonnenen Erkenntnisse in die Gegenwart zu übertragen. Konkret zeigte sich dies, als die Lernenden die Frage diskutierten, inwiefern sich ein Mensch ändern kann, und als sie dabei eigene Beispiele aus ihrer Lebenswelt in die Diskussion einbrachten. Daran wurde deutlich, dass die SuS im Kompetenzbereich des Wahrnehmens und Deutens in der Lage sind, „religiöse Phänomene aus der Lebenswelt zu religiösen Traditionen in Beziehung“ zu setzen (vgl. Rahmenlehrplan S. 16) und damit bereits Niveaustufe E berühren. Die SuS waren zudem in der Lage, biblische Fluchtgeschichten mit heutigen in Beziehung zu setzen sowie Vergleiche in Bezug auf damalige und heutige Fluchtursachen zu ziehen. Zusätzlich analysierten die SuS einen Filmausschnitt einer Dokumentation über das Leben heutiger flüchtender Kinder in einem Flüchtlingscamp. Im anschließenden Rollenspiel zeigte sich, dass die Lernenden in der Lage sind, die verschiedenen Fluchtgeschichten wiederzugeben und zu deuten.
Erzählen und Darstellen auf dem Niveau D
Verschiedene Gemälde konnten sie als ästhetische Ausdrucksform mit religiösen Motiven wahrnehmen, interpretieren und anschließend ihre Interpretation auf eigene Produktionen beziehen. So haben sie z.B. einen biblischen Text zum Gemälde im Vergleich erarbeitet und anschließend den Text bei der Gestaltung einer Wordcloud in ihre Alltagssprache übersetzt.
Die SuS verstanden es hier schon im Sinne der Niveaustufe F „biblische Erzählungen in einen aktuellen oder verfremdeten Kontext“ umzuschreiben (vgl. Rahmenlehrplan S. 17). Ausgehend vom Bibeltext 2. Korinther 12, der Narrenrede des Paulus, weiter über den Popsong „Dieser Weg“ von Xavier Naidoo gestalteten die SuS ihren eigenen Lebensweg in einer zeichnerischen Darstellung. Darüber hinaus benannten die SuS einige Eckpfeiler in den Lebenswegen als besondere Ereignisse, die sowohl positiven als auch negativen Charakter haben können.
Urteilen und Kommunizieren
Ein weiterer Kompetenzbereich, den ich in der Klasse beobachten konnte, ist das Urteilen und Kommunizieren. Hier zeigten die SuS, dass sie fähig sind, „religiöse Fragen aus der eigenen und anderen Perspektive zu diskutieren“ (vgl. Rahmenlehrplan S. 18) Niveau D.
Teilhaben und Gestalten
Der Kompetenzbereich „Teilhaben und Gestalten“ stand in den vergangenen Stunden bisher nicht im Fokus. Jedoch waren die SuS in der Lage, sich teilweise analytisch mit verschiedenen Ausdrucksformen auseinanderzusetzen. Dies taten sie beispielsweise in kreativer, künstlerischer Form einer expressiven Christusdarstellung, indem sie eine schwarz-weiße Ikonographie mit ausgewählten Wasserfarben farbig gestalteten.
1.4. Lehrvoraussetzungen
Seit 2015 absolviere ich das Weiterbildungsstudium Evangelische Theologie im Rahmen der Ausbildung zur Religionslehrkraft in der EKBO. Aktuell arbeite ich jedoch noch an keiner Schule als Religionskraft. Regulär bin ich als Lehrerin an einem Berufsschulkolleg tätig und unterrichte dort mit viel Freude jugendliche Kriegsflüchtlinge in Deutsch als Fremdsprache. Ich freue mich, seit dem (anonym) als Referentin eine siebte Klasse am (anonym) unterrichten zu können. Dort erteile ich 4 Stunden pro Woche selbständig Evangelischen Religionsunterricht.
Diese Praxiszeit ermöglichte es mir, meine didaktischen Fähigkeiten selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen und zu optimieren. Eine besondere Unterstützung dabei erfuhr ich durch Frau (anonym), die mir als gutes Vorbild zur Seite stand. Ihre Erfahrung und große Freude am Unterrichten sowie ihr wertschätzender Umgang mit den SuS haben mich immer wieder hoch motiviert.
Es war für mich eine große Herausforderung, den Unterricht zwischen meiner regulären Lerngruppe in dem OSZ (anonym)“ und der gymnasialen Lerngruppe (anonym) zu gestalten. Beide Lerngruppen könnten unterschiedlicher nicht sein. Ich unterrichte Flüchtlingsschüler im Alter von 16 bis 24 Jahren, die teilweise noch an-alphabetisiert sind. So mussten Arbeitsschritte in der Klasse (anonym) zwar kleinschrittiger, die Arbeitsformen aber deutlich selbstständiger angeboten werden, was mir nach kurzer Zeit gut gelungen ist. Das Wiederholen von Aufgabenstellungen, nötig bei den Flüchtlingsschülern, war ein ungewolltes „Echoing“ in der (anonym).
Auch durch Fortbildungen strebe ich danach, mir als Lehrkraft den SuS-Interessen und -Neigungen passende Werkzeuge anzueignen. Die SuS der Klasse (anonym) arbeiten sehr gern in Partnerarbeit und mit Vorliebe kreativ. Besonders gelungen waren dann auch die Unterrichtsstunden, in denen ich den SuS Raum für Kreativität gab, wie zum Beispiel bei Aufgaben mit erlebnispädagogischen Ansätzen, bei denen die SuS eigene Ideen einbringen und Aufgaben selbstständig und gemeinsam umsetzen konnten.
2. Die Unterrichtseinheit
2.1. Themenwahl
500 Jahre Reformation in Deutschland – das Lutherjahr 2017 war in allen Schulen in aller Munde. Doch was wissen SuS über Luther und die Reformation?
Das von mir gewählte Thema soll den SuS Zugang zur Lebensfrage 4 des Rahmenlehrplans ermöglichen, also den Fragen nach Orientierung und Wegweisung. Die Beschäftigung mit dem Ablassstreit und der Rechtfertigungslehre führt zunächst zum Themenschwerpunkt „Träume und Verheißungen“. Die Auseinandersetzung mit dem alten Glauben und dem neuen Glauben ermöglicht Fragen wie: Was macht mich frei? Wie werde ich gerechtfertigt? Darüber hinaus bietet die Thematik die Möglichkeit nach verantwortlichem Handeln zu fragen. Fragen zu Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Widerstand können erörtert werden und die Bedeutung dieser Begriffe in der eigenen Lebenswelt der Schüler diskutiert werden.
Die Reformation ist ein wichtiger Bestandteil deutscher Geschichte und somit ein zentrales Thema des Religionsunterrichts in der Sekundarstufe. Ihr Einfluss auf Gesellschaft und Politik, Kultur und Sprache ist vielfältig und wirkt bis heute nach. Sie begann mit einem Hammerschlag – und endete mit der Kirchenspaltung. Es war die Geburt unserer heutigen Konfession. Als Martin Luther 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte, hatte er sich vermutlich nicht träumen lassen, dass sie die Welt einmal so tiefgreifend verändern würden.
In der Unterrichtseinheit soll über Luther, seine Ablasskritik und den Kern seiner theologischen Kernbotschaft, Solus Christus, gesprochen werden.
Ein weiterer Aspekt spielt bei der Themenwahl eine Rolle. Wie verschiedenste Studien zur Entwicklung Jugendlicher zeigen, erfolgt heutige gesellschaftliche Sozialisation meist in weitgehender Distanz zu christlicher Religion. Religiöse Inhalte werden entwicklungspsychologisch zunehmend in Frage gestellt; Kinder im Alter von 9 bis 11 Jahren haben meist noch einen eher naiv-mythologischen Gottesglauben, der später abstrakter, entpersonalisierter wird; dann erfolgt häufig eine Ablösung, bevor der Glaube zu bröckeln beginnt – „Einbruchstellen des Glaubens“[1]. Im Hinblick auf diesen entwicklungspsychologischen Aspekt ist die Themenwahl der Sichtstunde „Solus Christus“ von didaktischer Relevanz für die SuS. Eine Gottesvorstellung wie sie im Römerbrief, der Grundlage Luthers Rechtfertigungslehre, zu finden ist, soll dazu beitragen, bei den SuS ein biblisch fundiertes Gottesbild zu fördern.
Der Reformator Martin Luther berief sich bei seinem Widerstand gegen die „Altgläubigen“ auf die Heilige Schrift. Die SuS sollten am Ende der Sekundarstufe in der Lage sein, das Anliegen der Reformation (Ad fontes), also dass die Reformation entstanden ist aus der Lektüre der Bibel, zu verstehen. Mit dieser Unterrichtsreihe sollen sie darin in ihrer evangelischen Identität gestärkt werden. Nicht als primäre Abgrenzung, sondern mit Blick auf die Unterscheidung von Eigenem und Fremden, die den Dialog mit Andersdenkenden erst ermöglicht.
2.2. Formale Kompetenzen
In dieser Unterrichtseinheit werden die formalen Kompetenzen „Wahrnehmen und Deuten“, „Erzählen und Darstellen“, „Teilhaben und Gestalten“ sowie „Urteilen und Kommunizieren“ behandelt. Ich schließe mich der Auffassung Silke Leonards an, die besagt, „dass Religion, will sie zu denken und zu handeln geben, sie erfahren, wahrgenommen und gedeutet werden muss“.[2] Der Kompetenzbereich, der während der Unterrichtseinheit am intensivsten gefördert wird, ist „Wahrnehmen und Deuten“. Zudem soll die Kreativität der SuS in dieser UE im Besonderen gefördert werden.
Die Kompetenz „ Wahrnehmen und Deuten “ soll schwerpunktmäßig gefördert werden. Diese Einheit soll für die SuS die Niveaustufen E bis F anregen. Vorausgesetzt wird dabei, dass sich die meisten SuS auf der Niveaustufe D, einige Schüler, wie (anonym), bereits schon auf Niveau E befinden. Die Planung hinsichtlich der vier Kompetenzbereiche stellt sich für die Unterrichtseinheit wie folgt dar:
Der Kompetenzbereich „Teilhaben und Gestalten“ soll gefördert werden, indem die SuS ihrem Glauben bzw. Nicht-Glauben sprachlich Ausdruck verleihen (E). Sie tun das, indem sie biblische Vorstellungen (Hebr. 4,14-16, Röm. 1,16) von Jesus mit ihren eigenen vergleichen und ihren eigenen Glauben bzw. Nicht-Glauben künstlerisch in eigenen Christusproduktionen sowie in einer Wordcloud zum Ausdruck bringen. Damit soll gefördert werden, dass die SuS eigene Zugänge zu Religion reflektieren können. Leider ist es im Kontext meiner Gastlehrerschaft in dieser Klasse nicht möglich gewesen, ihnen die Möglichkeiten einer „probeweisen Gestaltung und Teilhabe zu ermöglichen“. Zum Thema der Unterrichtseinheit wäre meiner Einschätzung nach eine Unterrichtsstunde zur aktiven Kirchenraumgestaltung zum Thema „Freiheit“ passend und ein Mehrgewinn gewesen. Dies kann jedoch auch unabhängig von mir und im weiteren Verlauf des Schuljahres gestaltet werden.
„Wahrnehmen und Deuten“: Die Schülerinnen und Schüler werden dazu angeregt, religiöse Phänomene aus der Lebenswelt zu religiösen Traditionen in Beziehung zu setzen (E), indem sie verschiedene filmische Szenen aus dem Lutherfilm analysieren. Indem sie das Handeln des Ablasshändlers Tetzel als einen Akt der Manipulation deuten, verknüpfen sie Religiös-Historisches mit ihrem Wissen um Geldmanipulationen der heutigen Zeit, bei beispielsweise Bankskandalen in Deutschland. Bei der Thematik Fegefeuerglauben im Mittelalter berühren die Schüler die Niveaustufe E, indem sie das Epitaphgemälde aus der Berliner Marienkirche als Darstellung von Christi Himmelfahrt und damit als Darstellung des neuen Glaubens wahrnehmen und deuten. Die SuS prüfen Handlungsvollzüge auf ihren religiösen Gehalt hin (F), indem sie Luthers Rechtfertigungslehre anhand der Themen den „95 Thesen“ in ihrem theologischen Anspruch auf Heilsgewissheit vergleichen.
Im Bereich „ Erzählen und Darstellen “ sollen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Formen religiöser Sprache erklären und deren Merkmale auf eigene Produktionen anwenden (D) sowie religiös bedeutsame Narrative beschreiben und zu einer Darstellung verbinden (E), indem sie beispielsweise den Thesenanschlag in einem szenischen Rollenspiel erstellen. Die Fähigkeit, Erzählungen in einen aktuellen oder verfremdenden Kontext zu übertragen (F), wird gefördert, indem die SuS verschiedene Jenseitsvorstellungen nach vorgegebener Schrittfolge untersuchen, werten, mit Textquellen vergleichen und auswerten. Sie ordnen historische Informationen und präsentieren diese als eigene Darstellung. Die soziale Kompetenz wird zudem in der regelmäßigen Arbeitsweise von Partner- und Gruppenarbeitsaufgaben gefördert. Das Kompetenzniveau religiöse/biblische Erzählungen in einen aktuellen oder verfremdenden Kontext zu übertragen (F) soll gefördert werden, indem die SuS bei Texterarbeitungen wie etwa dem Römerbrief 1.17 die Botschaft in eine persönliche Twitternachricht umformulieren. Die Niveaustufen E und F werden ebenfalls im Kompetenzbereich „ Urteilen und Kommunizieren “ gefördert. Indem die SuS in einem Pro-&-Contra-Dialog der Frage nachgehen, ob der Ablasshandel als eine von der katholischen Kirche angebotene Lösung für den Menschen eine Alternative gegenüber dem Protestantischen Glauben Luthers ist, soll die Kompetenzstufe (E), lebensförderliche und lebenshinderliche Formen der Religion begründet zu unterscheiden, gefördert werden. Dabei sollen sie eigene Positionen entwickeln und beziehen, diese aber auch vor dem Hintergrund anderer Positionen kritisch hinterfragen. Die Niveaustufen sollen zudem gefördert werden, indem die SuS formulieren, welche Bedeutung ihre Erkenntnisse zum alten und zum neuen Glauben für die lebensweltliche Orientierung in der Gegenwart haben. Was heißt es heute frei zu sein? Was heißt „Solus Christus“, also „Allein Christus“? Der Transfer soll den SuS durch einen Perspektivwechsel von Rollen gelingen, indem die SuS Argumente formulieren, die für und gegen den neuen bzw. für oder gegen den alten Glauben sprechen. Dies tun sie, indem sie die Perspektive von Anhängern bzw. Gegnern zu Luthers Rechtfertigungslehre einnehmen und aus dieser Perspektive heraus den Diskurs führen. Einige SuS werden im Stande sein, begründet über ethische und religiöse Fragen (F) zum Ablasshandel zu urteilen. Sie nehmen Positionen zu Jenseitsvorstellungen, dem Ablass- und dem Reliquienglauben in der Reformationszeit ein.
[...]
[1] Karl Ernst Nipkow in: Kompetenz
orientiert Fachdidaktik Religion, Heike Lindner, 2012, S. 66
[2] Silke Leonard/Thomas Klie, Grundlinien performativer Religionsdidaktik, Religionspädagogischer Reader 2015, S. 64f.