„Als ich in die Probe kam, waren die Schauspieler auf der Bühne, und es gab gerade Krach zwischen Friedhelm Ptok, der den Karlos spielte, und Kurt Hübner. ‚König Philipp‘ sollte gerade auftreten, und Kurt Hübner, der Regisseur, hatte gesagt: „In diesem Moment treten alle Schauspieler einen Schritt zurück.“ Ptok fragte, warum. Und Hübner sagte (ich vereinfache etwas): „Weil es so ist, wenn dein König auftritt.“ ’68 war nicht mehr so weit weg, es brodelte schon ein bißchen. Die jungen Schauspieler wollten keinen Schritt mehr zurücktreten, sie fanden diese Haltung autoritär. Es gab einen Riesenaufstand über diesen einen Gang. Künstlerische Vorgänge können unmittelbar politische Bedeutungen habe, wenn man Theater ernsthaft betreibt. Daß ein Schritt nach hinten oder nicht so eine Bedeutung haben kann, ist es, was Theater aufregend macht.“ Was Peter Zadek hier beschreibt ist der Kern dessen, um was es in dieser Arbeit gehen soll, nämlich die Frage, inwieweit gesellschaftliche und politische Fragen mit dem Theater verzahnt sind. Wie sich direkte politische Fragen auf dem Theater formulieren und wie sie dargestellt werden. In diesem Fall ist die Antwort einfach: die traditionelle Rolle des Königs als Respektsperson und Autorität wird von den jungen Schauspielern in Frage gestellt, entspricht nicht mehr ihrem Verständnis von Umgang mit den Autoritäten, einem Kernproblem auch von Schillers „Don Karlos“, das Hübner 1959 in Ulm inszenierte und von dessen Proben Zadek hier berichtet. Eine autoritäre Haltung wurde abgelehnt und sollte daher auch nicht mehr auf der Bühne dargestellt werden. Dagegen stand die Auffassung Hübners, dass Königen ein solcher Respekt entgegengebracht werden müsse, das sei nun mal so (über weitere Argumente kann man an dieser Stelle nur spekulieren, aber der mögliche Wunsch nach einer Darstellung, wie es gewesen sein könnte, zu jener Zeit in der das Stück spielt, mag eine Rolle gespielt haben). Die Überzeugung der Schauspieler von 1959, eine solche autoritäre Haltung sei nicht zeitgemäß und Autoritäres überhaupt abzulehnen, wollten diese auch auf der Bühne kenntlich machen. Die Geste oder genau die Bewegung ist also zu einem enormen Teil mit politischer Bedeutung aufgeladen und wird als Zeichen für Machtkonstellationen genommen. Macht wiederum spiegelt sich in den kleinsten Gesten wieder, die auf der Bühne hervorgebracht und ebenso rezipiert werden.
Inhaltsverzeichnis
- Hausarbeit
- Zum Begriff des Politischen und des Theaters in dieser Arbeit
- Grundästhetik
- Historische Grundlagen des deutschen Staatstheatersystems und seiner
- Das Theater als (ideologischer) Staatsapparat – Überlegungen zum staatlichen Theater in der Demokratie
- Roland Barthes Mythen auf dem Theater
- Zum Politischen auf dem Theater oder Wie könnte ein politisch-kritisches Theater in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung aussehen?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Theater und Politik und untersucht, wie gesellschaftliche und politische Fragen im Theater dargestellt und thematisiert werden. Sie befasst sich mit der Frage, wie politische Diskurse ihren Weg auf die Bühne finden und in die Darstellung einfließen. Die Arbeit beleuchtet die historischen Wurzeln des deutschen Staatstheatersystems und analysiert, wie politische Diskurse im Theater Ausdruck finden und welche Rolle das Theater in der Demokratie spielt.
- Das Verhältnis von Theater und Politik
- Der Einfluss von politischen Diskursen auf die Theaterdarstellung
- Die Rolle des Theaters im deutschen Staatstheatersystem
- Die politische Funktion des Theaters in der Demokratie
- Die Darstellung von Macht und Autorität auf der Bühne
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel beginnt mit einer Anekdote aus Peter Zadeks Autobiografie, die die zentrale Frage der Arbeit aufzeigt: Wie werden gesellschaftliche und politische Fragen im Theater dargestellt? Zadek schildert einen Konflikt zwischen jungen Schauspielern und dem Regisseur Kurt Hübner bei der Inszenierung von Schillers "Don Karlos" in Ulm 1959, der sich um die Frage der Darstellung von Autorität dreht.
- Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff des Politischen und seiner Relevanz für die Arbeit. Der Autor bezieht sich auf Carl Schmitts Definition des Politischen als Widerstreit zweier Pole und stellt diese Definition in Bezug zu den Cultural Studies an der University of Birmingham, die jede bewusste Lebensäußerung als politisch verstehen. Die Arbeit zeichnet sich durch eine interdisziplinäre Perspektive aus, die Theorien von Althusser, Gramsci und Foucault integriert.
- Das dritte Kapitel untersucht die historischen Grundlagen des deutschen Staatstheatersystems und die Hauptdiskurse des Bürgertums, die das Theaterbild und das Bild von Kultur prägten. Es werden die zentralen Strömungen und Entwicklungen der Theatergeschichte beleuchtet und die Bedeutung der Tradition für das Theater in den Vordergrund gestellt.
- Das vierte Kapitel widmet sich den Bedingungen des politischen Systems der Bundesrepublik für das Theater und untersucht, inwieweit die im dritten Kapitel identifizierten Traditionslinien und Hauptdiskurse auch heute noch sichtbar sind und wie sich die Diskurse gewandelt haben.
- Das fünfte Kapitel analysiert das Verhältnis zwischen Theater und Gesellschaft und befasst sich mit der Frage, wie Theater (politische) Aussagen produziert und im Verhältnis zu den theaterexternen und theaterinternen Diskursen stehen. Der Autor greift auf Barthes Mythentheorem zurück, um die Produktion von (politischen) Aussagen im Theater zu beleuchten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit Themen wie Theater und Politik, gesellschaftliche und politische Diskurse, das deutsche Staatstheatersystem, die Rolle des Theaters in der Demokratie, Macht und Autorität, die Darstellung von Macht und Autorität auf der Bühne, die historische Entwicklung des Theaters, Cultural Studies, Barthes Mythentheorem, Ideologiekritik und die politische Funktion des Theaters in der Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Torben Ibs (Autor:in), 2005, Theater und Politik - Versuch über die Kategorie des Politischen in und auf dem Theater, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/50128