Am 20. März 2019 wurde Radovan Karadzic, im Bosnienkrieg unter anderem für die Geiselnahme von UN-Blauhelm-Soldaten und dem Genozid von Srebrenica verantwortlich, vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu lebenslanger Haft verurteilt. Ende nächsten Jahres ist der Bosnienkrieg 25 Jahre beendet, warum aber wird einer der Hauptverantwortlichen für den Konflikt erst jetzt verurteilt?
Die bosnische Gesellschaft hat das Trauma des Krieges noch nicht überwunden, Bosnien und Herzegowina ist zudem eins der ärmsten Länder Europas mit einer Jugendarbeitslosigkeitsrate von 67,6 Prozent. Das ist ein Anlass um sich mit der Problematik des Krieges zu befassen und sich zu fragen warum in Bosnien und Herzegowina immer noch unter den Folgen des Kriegs leidet, obwohl die UN 1.200 Dollar (pro Jahr und Kopf) für Peacebuilding Maßnahmen zur Verfügung gestellt hat. Es muss sich also die Frage gestellt werden, inwiefern das Konzept des Post-Conflict Peacebuilding in Bosnien nach dem Dayton-Abkommen 1995 umgesetzt wurde. Besonderer Fokus wird bei der Analyse der Forschungsfrage auf den verschiedenen Akteuren und Prozessen liegen, um so den Schwerpunkt bei der Governance-Perspektive zu setzen. Das Peacebuilding stellt aufgrund Rolle der informellen und formalen Akteure, Institutionen und Prozessen bei der Schaffung eines solchen Friedens ein zentrales Thema in der Global Governance dar, denn sie erleichtert den Peacebuilding Prozess durch friedensbildenden Maßnahmen.
Da es deutlich mehr Studien zur Friedenskonsolidierung zu westlichen Ländern oder Gebieten von internationaler Bedeutung, wie dem Nahen Osten, gibt ist diese Analyse von besonderer Relevanz. Somit könnte möglich sein neue Perspektiven auf die Friedensförderung in Bosnien und Herzegowina zu eröffnen.
Thematisiert wird im Folgenden explizit das Post-Conflict Peacebuilding aus den Berichten des UN-Generalsekretärs vor dem Friedensschluss Ende 1995. Dazu wird zunächst dargestellt wie das Konzept entstanden ist und wie es zu anderen Strategien der UN im Bereich der Sicherheits-Governance abgegrenzt ist. Anschließend wird mithilfe eines deduktiven Vorgehens der Peacebuilding Prozess in Bosnien und Herzegowina analysiert und geprüft, welche Aspekte bei der Implementation versäumt wurden und wie sich die Zusammenarbeit der Akteure gestaltet hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkung
2. Forschungsstand
3. Strategien der UN im Bereich der Sicherheits-Governance: Post-Conflict Peacebuilding
4. Methodisches Vorgehen
5. Der Zerfall Jugoslawiens und das General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina
6. Der Peacebuilding-Prozess in Bosnien und Herzegowina
6.1 Ebene Gesellschaft
6.2 Ebene Staat
6.3 Ebene Militär
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Vorbemerkung
Am 20. März 2019 wurde Radovan Karadžić, im Bosnienkrieg unter anderem für die Geiselnahme von Blauhelm-Soldaten und den Genozid von Srebrenica verantwortlich, vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu lebenslanger Haft verurteilt. Ende nächsten Jahres ist der Bosnienkrieg 25 Jahre beendet, warum aber wird einer der Hauptverantwortlichen für den Konflikt erst jetzt verurteilt? Die bosnische Gesellschaft hat das Trauma des Krieges noch nicht überwunden, Bosnien und Herzegowina ist zudem eins der ärmsten Länder Europas mit einer Jugendarbeitslosigkeitsrate von 67,6 Prozent. Das ist ein Anlass um sich mit der Problematik des Krieges zu befassen und sich zu fragen warum in Bosnien und Herzegowina immer noch unter den Folgen des Kriegs leidet, obwohl die Vereinten Nationen (UN) 1.200 Dollar (pro Jahr und Kopf) für Peacebuilding-Maßnahmen zur Verfügung stellte.1 Es muss sich also die Frage gestellt werden, inwiefern das Konzept des Post-Conflict Peacebuilding in Bosnien nach dem Friedensschluss 1995 umgesetzt wurde. Besonderer Fokus wird bei der Analyse der Forschungsfrage auf den verschiedenen Akteuren und Prozessen liegen, um so den Schwerpunkt bei der Governance-Perspektive zu setzen. Das Peacebuilding stellt aufgrund Rolle der informellen und formalen Akteure, Institutionen und Prozessen bei der Schaffung eines solchen Friedens ein zentrales Thema in der Global Governance dar, denn sie erleichtert den Peacebuilding-Prozess durch friedensbildende Maßnahmen.
Da es deutlich mehr Studien zur Friedenskonsolidierung zu westlichen Ländern oder Gebieten von internationaler Bedeutung wie dem Nahen Osten gibt, ist diese Analyse von besonderer Relevanz. Somit könnte die Eröffnung neuer Perspektiven auf die Friedensförderung in Bosnien und Herzegowina möglich sein.
Thematisiert wird im Folgenden explizit das Post-Conflict Peacebuilding aus den Berichten des UN-Generalsekretärs vor dem Friedensschluss Ende 1995. Dazu wird zunächst dargestellt wie das Konzept entstanden ist und wie es zu anderen Strategien der UN im Bereich der Sicherheits-Governance abgegrenzt ist. Anschließend wird mithilfe eines deduktiven Vorgehens der Peacebuilding-Prozess in Bosnien und Herzegowina analysiert und geprüft, welche Aspekte bei der Implementation versäumt wurden und wie sich die Zusammenarbeit der Akteure gestaltet hat.
2. Forschungsstand
Das Konzept des Peacebuilding ist 1993 mit „An Agenda for Peace“ des ehemaligen UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali offiziell im Gebiet der UN Sicherheits- Governance angekommen. Die Herkunft des Begriffs Peacebuilding geht jedoch bereits auf die Friedens- und Konfliktforschung der 1970er zurück, insbesondere auf John Galtung. Galtung identifizierte 1976 drei Herangehensweisen an den Frieden: Peacemaking, Peacekeeping und Peacebuilding. Für Galtung ist Frieden die Abschaffung struktureller Gewalt, nicht nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Er ist somit Vertreter eines positiven Friedenbegriffs. Obwohl seine Definition des Ziels von Peacebuilding als
“[…] the practical implementation of peaceful social change through socio- economic reconstruction and development […]”2
nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch der internationalen Beziehungen einging, hat Galtung viele andere Wissenschaftler zu Vorschlägen für eine friedliche Konfliktbeilegung inspiriert. Neben dem zivilisatorischen Hexagon von Dieter Senghaas (1994) hat John Paul Lederach 1997 einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Peacebuilding erbracht. Er argumentiert, dass Peacebuilding viel mehr bedeutet als nur der Wiederaufbau nach einem Friedensabkommen:
Nach Lederach ist Peacebuilding ein Konzept, das alle Prozesse, Ansätze und Phasen umfasst, die zur Transformation von Konflikten in Richtung nachhaltigerer und friedlicherer Beziehungen erforderlich sind. Der Begriff beinhaltet für Lederach somit Aktivitäten, die sowohl vor und nach formalen Friedensabkommen stattfinden. Diese Fokussierung auf die Umstände nach gewaltsamen Konflikten kam in „An Agenda for Peace“3 zu Tragen. Durch den damaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ist der Begriff des Peacebuilding integraler Bestandteil des diplomatischen Vokabulars geworden. Letzteres wurde durch „Supplement to An Agenda for Peace“ und „Agenda for Development“ zusätzlich erweitert.
Außerdem wurde im Dezember 2005 die Peacebuilding Commission (PBC) gegründet. Dieses beratende Organ bildet die Schnittstelle zwischen politischem Dialog und konkret friedenskonsolidierenden Aktivitäten. Der 2006 eingerichtete Peacebuilding-Fund (PBF) soll kurzfristig bei der Finanzierung von friedensfördernden Maßnahmen in den förderungswürdigen Ländern helfen. In aktuellen UN-Dokumenten ist das Konzept des Peacebuilding weniger zu finden, da es vom Konzept des Sustaining Peace, einer Synthese aus Preventive Diplomacy, Peacemaking, Peacekeeping und Peacebuilding, überlagert wird.
Die wissenschaftliche Literatur analysiert vor allem einzelne Peacebuilding-Missionen und Probleme innerhalb des Konsolidierungsprozesses. So bemängeln Karns et al. (2004), dass Peacebuilding ein unflexibles Konzept ist, das sich nur schwierig an ein komplexes und reales Mandat anpassen lässt.4
Zwischen Wissenschaftlern herrscht zudem häufig die Debatte über die verschiedenen Denkschulen des Peacebuilding und dessen Praktiken. Die dominierende Denkschule auf diesem Gebiet ist das Konzept der liberalen Friedenskonsolidierung, das aus der demokratischen Friedenstheorie entstanden ist. Diese liberale Friedenshypothese basiert auf der Idee, dass Demokratie und eine freie Wirtschaft die Menschen ermutigen, ihre Differenzen friedlich zu lösen und auszudrücken, und dass dies die beste Grundlage für Entwicklung und akzeptable Regierungsführung ist.5
3. Strategien der UN im Bereich der Sicherheits-Governance: Post- Conflict Peacebuilding
Das Konzept des Peacebuilding hat sich neben dem Peacekeeping als eine der wichtigsten Tätigkeiten der UN im Sicherheitsbereich durchgesetzt. Neben der effizienteren Gestaltung von Preventive Diplomacy, Peacemaking und Peacekeeping hat Boutros-Ghali in „An Agenda for Peace“ zum Gebiet der Security-Governance das Peacebuilding hinzugefügt. Letzteres wird von ihm folgendermaßen definiert:
„[…] Maßnahmen zur Bestimmung und Förderung von Strukturen, die geeignet sind, den Frieden zu festigen und zu konsolidieren, um das Wiederaufleben eines Konflikts zu verhindern.“6
Andere, unterschiedlich weit gefasste Definitionen finden sich in Berichten des Generalsekretärs und werden oft mit Preventive Diplomacy oder Peacekeeping verwechselt.7 Grund hierfür ist, dass Peacebuilding innerhalb der UN nicht als theoretisches Modell entwickelt worden ist, sondern wie das Peacekeeping zunächst in der Praxis entstand.8 So sind die im Rahmen des Peacebuilding zu ergreifenden Maßnahmen zunächst noch vage definiert und wurden nach den Erfahrungen in Somalia oder auf dem Balkan weiter konkretisiert.9
Ziel des Peacebuilding ist trotz aller definitorischen Unschärfe Gewaltfreiheit und der Übergang von einem negativen Frieden zu einem positiven Frieden, der nachhaltig die Gesellschaft konsolidiert und auf die Verwirklichung von Gerechtigkeit hinwirkt.10
Jedoch ist die Friedenskonsolidierung nicht unabhängig von den drei anderen Konzepten, da der Erfolg der zuvor ergriffenen Maßnahmen im Rahmen von Preventive Diplomacy, Peacemaking und -keeping maßgeblich Einfluss auf die Aussicht eines nachhaltigen Friedens in der Konfliktfolgezeit hat. Es gibt keine scharfe Trennung zwischen der Friedensschaffung und der Friedenssicherung, weil die Friedensschaffung häufig der Auftakt zur Friedenssicherung ist. Damit einher geht die Errichtung einer Präsenz der UN vor Ort, welche die Möglichkeiten zur Konfliktverhütung erweitert, die Arbeit der Friedensschaffung erleichtert und als Voraussetzung für eine Friedenskonsolidierung dienen kann.11
Trotz der institutionellen „Verwandtschaft“ dieser UN-Strategien ist deren Unterscheidung wichtig:
So ist die präventive Diplomatie bestrebt, den Zusammenbruch des Friedenszustandes zu vermeiden, wohingegen durch Post-Conflict Peacebuilding ein Wiederaufleben der Krise vermieden werden soll. Peacebuilding war daher ursprünglich ein Konzept, das nur auf die Konfliktfolgezeit ausgelegt ist, jedoch wurde es in „Supplement to An Agenda for Peace“ nach den bitteren Erfahrungen in Kambodscha, Ruanda und Somalia als Instrument mit der präventiven Diplomatie gleichgesetzt.12
Auch die Grenzen zwischen Peacebuilding und Peacekeeping verschwimmen. Das liegt vor allem an der Weiterentwicklung des Peacekeeping, dessen Mission ursprünglich auf die Einhaltung von Waffenstillstandsabkommen abzielte und zivile Kräfte nicht einband. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Wandel des Kriegsbilds13 entwickelte sich das robuste Peacekeeping, da die Mandate für Peacekeeping-Missionen immer komplexer wurden. Das Ziel des Peacekeeping bezog nun auch zivile Aspekte mit ein, es sollte Bedingungen für einen stabilen Frieden verbessern. Mit dem Aufkommen des komplexen Peacekeeping vermischten sich die Grenzen zwischen Friedenssicherung und -konsolidierung endgültig.
4. Methodisches Vorgehen
Da es keine einheitliche Definition des Peacebuilding-Konzepts gibt, wird dieser Arbeit die Entwicklung des Konzepts durch die UN-Dokumente über Peacebuilding vor der Unterzeichnung des Dayton-Abkommen am 14. Dezember 1995 zugrunde gelegt, also das Post-Conflict Peacebuilding.
Dazu werden die verschiedenen Maßnahmen aus den Dokumenten „An Agenda for Peace“ (AAP, 1992)14, „Supplement to An Agenda for Peace“ (SAAP, 1995)15 und „An Agenda for Development“ (AAD, 1994)16 synthetisiert und operationalisiert. Es wird also nur das Konzept, wie es zur Zeit der Bosnien-Intervention bestand, hier angewendet, um das Ergebnis der Fallstudie nicht zu verfälschen.
Aus diesem deduktiven Vorgehen kristallisieren sich folgende Ebenen von
Maßnahmen heraus:
a) Die Rehabilitierung und der Wiederaufbau der Gesellschaften in denen ein bewaffneter Konflikt stattgefunden hat, mit Fokus auf der Wiedereingliederung von Flüchtlingen und Vertriebenen (Ebene Gesellschaft).
b) Die Schaffung und Reformierung von Institutionen, die Vertrauen zwischen den Parteien aufbauen, sie aussöhnen und die Wiederaufnahme von Gewalt verhindern (Ebene Staat).
c) Eine externe Intervention, um zur Entmilitarisierung und zur Minenräumung beizutragen und die die Wiedereingliederung von Kombattanten in zivile Tätigkeiten fördert (Ebene Militär).
Vor dem Hintergrund der Synthese verschiedener Maßnahmen wird bei der empirischen Analyse auch besonders auf den Implementationsprozess und die beteiligten Akteure und deren Beziehungen untereinander fokussiert. Der Betrachtungszeitraum wird durch die Dauer der UN-Mission definiert, von Anfang 1996 bis Ende 2002.
[...]
1 Die Pro-Kopf-Summe ist somit viermal höher als Summe des Marshall-Plans, die 275 US-Dollar betrug.
2 Galtung, John: Three approaches to peace: peacekeeping, peacemaking and peacebuilding, in John Galtung (Hrsg.), Peace, War and Defence – Essays in Peace Research , 1976, S. 282-304.
3 Boutros-Ghali, Boutros: An Agenda for Peace, New York: United Nations University Press, 1993.
4 Karns, Margaret P., Mingst, Karen A.: International Organizations. The Politics and Processes of Global Governance, London: Lynne Rienner, 2004, S. 323.
5 Newman, Edward: “‘Liberal’ peacebuilding debates” in New Perspectives on Liberal Peacebuilding, Edward Newman (Hrsg.), Roland Paris, and Oliver P. Richmond, Tokyo: United Nations University Press, 2009, S. 39.
6 Boutros-Ghali, 1993, S. 6.
7 Barnett et al.: Peacebuilding: What Is in a Name? in: Global Governance, Ausg. 13, 2007, S. 35-58.
8 Drews, Christian: Post-conflict peacebuilding, Baden-Baden: Nomos 2001, S. 26.
9 Weidemann, Anika: Post-Conflict Peacebuilding durch die Vereinten Nationen, Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH 2011, S. 56.
10 King, Elisabeth, Matthews, Robert O.: A new agenda for peace: 20 years later in: International Journal, Ausg. 67, Nr. 2, 2012, S. 277.
11 Boutros-Ghali, 1993, S. 13.
12 Boutros Boutros-Ghali: Supplement to An Agenda for Peace, New York: United Nations University Press, §49.
13 Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main: suhrkamp, 2007.
14 Boutros-Ghali, 1993, §55.
15 Boutros-Ghali, 1995, §47ff.
16 Boutros-Ghali, Boutros: An Agenda for Development, New York: United Nations University Press, 1994, §22ff.