In dieser Hausarbeit soll der Frage nachgegangen werden, was mit der Würde eines Menschen geschieht, der an Demenz erkrankt ist und welche Unterstützung die Soziale Arbeit Betroffenen wie Angehörigen bei der Auseinandersetzung aufkommender ethischer Fragen geben kann.
Ethik der Sozialen Arbeit befasst sich nach Hans-Ulrich Dallmann und Fritz Rüdiger Volz mit der Erörterung als auch der Problematisierung von ernsten Fragen welche die Lebensführung von Personen betrifft. Es ist eine angewandte Ethik, welche nach Kriterien und Möglichkeiten fragt wie die Praxis gelingen kann und stellt somit eine Berufsethik Sozialer Arbeit dar. In erster Linie ist davon die Beziehung zwischen SozialarbeiterInnen und AdressatInnen betroffen. Auf diese Beziehung nimmt die jeweilige Organisation welche Maßnahmen zum Beziehungsaufbau anbietet Einfluss.
Die Organisation wiederum orientiert sich am professionellen Selbstverständnis sowie dem sozialpolitischen Auftrag an die Soziale Arbeit. Eingebettet ist die Beziehung in die jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhänge in welchen sich Professionelle wie AdressatInnen befinden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Fragestellung der Hausarbeit
1.1.Aufbau der Arbeit
1.2.Hinführung zur philosophischen Ethik
2. Walter Jens
2.1. Begriffsannäherungen .
Menschenwürde
Selbstbestimmung
3. Deontologische Ethik oder Pflichtethik
Freiheit
Kategorischer Imperativ
Selbstzwecklichkeit
3.1 Dworkin
4. Wertethik
4.1 Jaworska
5. Die Ethikmodelle bezogen auf Walter Jens
5.1 Die Deontologische Ethik und das Anliegen des Walter Jens
5.2 Die Wertehtik und das Anliegen des Walter Jens
6. Die Soziale Arbeit und Walter Jens
Das Ziel der Sozialen Arbeit
Handlungsfeld Beratungsstelle
Familie Jens in der Beratungsstelle
Sozialpsychiatrischer Dienst für alte Menschen im Landkreis Esslingen - SOFA
7. Fazit
8. Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
Ethik der Sozialen Arbeit befasst sich nach Hans-Ulrich Dallmann und Fritz Rüdiger Volz mit der Erörterung als auch der Problematisierung von ernsten Fragen welche die Lebensführung von Personen betrifft. Es ist eine angewandte Ethik, welche nach Kriterien und Möglichkeiten fragt wie die Praxis gelingen kann und stellt somit eine Berufsethik Sozialer Arbeit dar. In erster Linie ist davon die Beziehung zwischen SozialarbeiterInnen und AdressatInnen betroffen. Auf diese Beziehung nimmt die jeweilige Organisation welche Maßnahmen zum Beziehungsaufbau anbietet Einfluss. Die Organisation wiederum orientiert sich am professionellen Selbstverständnis sowie dem sozialpolitischen Auftrag an die Soziale Arbeit. Eingebettet ist die Beziehung in die jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhänge in welchen sich Professionelle wie AdressatInnen befinden (vgl. Dallmann & Volz, 2013, S. 5-6).
Ethik ist nicht nur eine Reduktion auf eine mögliche Perspektive sondern sie will in umfassendem Sinn Orientierungsfragen thematisieren. Dabei sollen Muster verstanden werden die sowohl im Alltag als auch bei ernsten Problemen der Gesellschaft Orientierung geben. Es geht dabei auch um die Üblichkeiten und unverletzlichen Normen welche die Praxis sozialer Arbeit betreffen und die das professionelle Handeln deshalb bestimmen, weil daraus die Fragen nach einer „guten“ Sozialen Arbeit und „guten“ SozialarbeiterInnen resultieren. Dallmann und Volz sehen deshalb in der Ethik der Sozialen Arbeit eine „Theorie der Berufsführung“ (Dallmann, Volz, S. 16) die auf einer hermeneutischen Orientierung beruht auf welche sich die Soziale Arbeit bezieht. Damit einher geht auch die Kritik an den Praktiken welche eine „gute“ Soziale Arbeit verhindern. Für die Soziale Arbeit und ihre AkteurInnen bedeutet dies ein untrennbares Zusammengehören aus „Individualethik“ welche sich auf das sozialarbeiterische Handeln bezieht und „Sozialethik“, welche sich auf die Soziale Arbeit im Kontext der Gesellschaft bezieht. Darüber hinaus trägt Ethik dazu bei das sozialarbeiterische Selbstverständnis und ihre Identität zu klären und ferner an der wissenschaftlichen Aufklärung über Grundlagen Sozialer Arbeit als Profession beizutragen (vgl. Dallmann, Volz, 2013, S. 15-16).
SozialarbeiterInnen übernehmen Verantwortung für Aushandlungsprozesse innerhalb verschiedener Interessen wie der Politik, der AdressatInnen und der Gesellschaft, die eine grundsätzliche Haltung voraussetzt (vgl. DBSH, 2018). Diese professionelle Positionierung zwischen den Interessen benötigt einen Ethikkodex der „unabhängig von externen Einflüssen und Interessen“ (Staub-Bernasconi, 2018, S. 115) Gültigkeit besitzt.
1. Fragestellung der Hausarbeit
In dieser Hausarbeit soll der Frage nachgegangen werden, was mit der Würde eines Menschen geschieht, der an Demenz erkrankt ist und welche Unterstützung die Soziale Arbeit Betroffenen wie Angehörigen bei der Auseinandersetzung aufkommender ethischer Fragen geben kann.
Meine Arbeitsgrundlage bildet eine Auswahl an einschlägiger Fachliteratur sowie Quellen aus dem Internet als auch Alltagsliteratur.
1.1. Aufbau der Arbeit
In dieser Hausarbeit steht zu Beginn die Hinführung an die philosophische Ethik, um eine Grundlage ethischer Begriffe zu schaffen (vgl. Höffe, 2013, S. 9). Daran schließt ein Ausschnitt aus der Lebensgeschichte des an Demenz erkrankten „Walter Jens“ an. Damit einher geht eine weitere begriffliche Annäherung an die Definitionen von Würde und Selbstbestimmung. Im Anschluss an die Begriffsannäherungen wird ein Einblick in die Deontologische Ethik von Immanuel Kant gegeben und durch Gedanken des Philosophen Ronald Dworkin ergänzt. Daran schließt ein kleiner Auszug der Wertethik von Max Scheler an welche durch Bezugnahme auf die ethische Wertehaltung der Philosophin Agnieszka Jaworska erweitert wird. Im Mittelpunkt des Diskurses steht die Bitte von Walter Jens um den Erhalt seiner Würde im Falle einer Demenz. Dieser Bitte wird in Form einer Fragestellung mit Hilfe des ethischen Modell Kants, einer Interpretation des Philosophen Thomas Gutmann sowie dem ethischen Modell Schelers nachgegangen. Daran anschließend wird das Arbeitsfeld „Beratung“ der Sozialen Arbeit vorgestellt und die aus den Ethikmodellen gewonnenen Aspekte mit Hilfe einer konstruierten Situation auf eine Beratungsstelle für ältere Menschen bezogen. Erkenntnisse und Stellungnahme der Autorin, welche aus den erarbeiteten Inhalten hervorgehen, werden im Fazit zusammengeführt. Ein kurzer Ausblick auf die aktuelle Entwicklung im Umgang mit Menschen die an Demenz erkrankt sind schließt die Arbeit ab.
1.2. Hinführung zur philosophischen Ethik
Die Ethik umfasst sowohl die Frage nach der Lebenskunst also auch die der Theorie über moralische Pflichten. Ihr Interesse richtet sich auf Fragestellungen welche aus der Umwelt, der Wirtschaft als auch der Medizin und Technik kommen. Dies sind Fragen einer angewandten Ethik, welche die Öffentlichkeit betreffen. Bei der Frage nach der Lebenskunst sind die persönlichen Interessen angesprochen. Zur Schaffung einer Grundlage zum besseren Verständnis von ethischen Begriffen, wird die allgemeine philosophische Ethik herangezogen (vgl. Höffe, 2013, S. 7).
Die philosophische Ethik ist unabhängig von einer bestimmten Kultur und benötigt keine Autoritäten. Sie benötigt lediglich allgemeinmenschliche Vernunft als auch Erfahrung (ebd., S. 9). Der Urheber der abendländischen Moralphilosophie als Disziplin war Aristoteles. Das Ursprungsland prägt auch den Begriff ta êthika, er „bezeichnet die das êthos betreffende Dinge“ (ebd., S. 9). Hinter dem Begriff êthos verbergen sich drei Bedeutungen. Alle drei werden in der philosophischen Ethik behandelt. Dies sind „der gewohnte Ort des Lebens“ (ebd., S. 9), demnach wird der Mensch der Natur zugeordnet. Mit dem Verweis, dass ein Mensch sehr viele Möglichkeiten hat wo sich sein gewohnter Lebensort befinden kann. Anders als beim nicht domestizierten Tier, welches seinen jeweilig biologisch bestimmten Lebensraum besiedelt. Der Fisch im Wasser, der Vogel in der Luft etcetera. Abgesehen vom geographischen Ethos („gewohnter Ort des Lebens“) der beim Menschen relativiert werden muss, kommen beim Menschen seine kulturelle Prägung sowie seine Individualität hinzu. Individualität und kulturelle Prägung machen die Ethik erst nötig, denn sie bringen die Frage der Bewertung nach gut oder schlecht hervor. Aufgrund dieser Aufteilung „zerfällt die Human-Ethik“ (ebd., S. 10) in zwei Anteile. Dem sozialen und dem personalen Ethos. Die soziale Ethik umfasst die Recht- und Staatsethik, die personale Ethik den Charakter und die Lebensform. Beide Anteile können sich gelegentlich ergänzen oder sich widerstreiten.
Die deutsche Sprache übersetzt Ethik mit Sitte sie bewahrt jedoch auch den Begriff der Ethik sowie die lateinische Übersetzung der Moral auf. Ottfried Höffe empfiehlt unter der Ethik die wissenschaftliche Disziplin zu verstehen zu welcher die philosophischen Theorien von Sitte und Moral gehören. „Die Sitten und die Moral“ sind hingegen der Gegenstand der Disziplin. Unterschieden wird weiter in eine positive Moral zu welcher Sitten und Gewohnheiten gehören dessen Gegenstand eine Wirklichkeit beschreibende Ethik ist, während bei der kritischen Moral oder einfach Moral, der Gegenstand eine präskriptive und Verbindlichkeit begründende, also normative Ethik beschreibt (vgl. Höffe, 2013, S. 10-11). Der Grundgedanke philosophischer Ethik ist die Idee eines gerechten wie guten Lebens. Dafür sucht sie nach allgemein gültigen Aussagen welche sich schlussendlich weder auf die Politik noch auf religiöse Autoritäten beruft.
„Sie bildet allgemeine Begriffe, entwickelt ebenso allgemeine Argumente und wägt konkurrierend Argumente gegeneinander ab. Auf diese Weise gelingt ihr, was heute, in Zeiten der Globalisierung, unerläßlich ist, ein interkultureller Ethikdiskurs“ (Höffe, 2013, S. 23).
Ein Vertreter der philosophischen Ethik dessen ethisches Modell im Rahmen dieser Hausarbeit näher betrachtet werden soll ist Immanuel Kant. In seinem Modell geht es um das Moralprinzip der Autonomie. Diese beinhaltet die Selbstgesetzgebung welche durch den Willen bestimmt ist. Es ist eine Ethik welche sich an Pflichten orientiert (vgl. Höffe, 2013, S. 53). In einem anderen ethischen Modell fragt Max Scheler nach allgemein gültigen Werten, woraus die Wertethik hervorgeht (vgl. Zagal, 2000, S. 181).
Zwischenfazit Ethik
Die Wurzeln der Ethik sind alt und über Jahrhunderte haben sich PhilosophInnen mit Fragen der Ethik beschäftigt, verschiedene Perspektiven eingenommen und dazu beigetragen, das individuelle Denken, Fühlen und Handeln zu hinterfragen. Ob in Form von Kritik oder Empfehlungen für eine bestimmte Haltung „dem Leben gegenüber“, beinhaltet die Ethik eine Vielzahl von Antworten auf elementare Fragen des Lebens.
Im nachfolgenden Beispiel von „Walter Jens“ soll seine Haltung und die seines Sohnes Tilman herausgearbeitet werden. Dabei wird der Frage nach der Würde des Lebens von Walter Jens nachgegangen.
2. Walter Jens
Ein Lebensauszug des Walter Jens wird von seinem Sohn Tilman Jens im Buch „Demenz“ beschrieben. Das Beispiel von Walter Jens eignet sich aufgrund seiner konkreten Aussagen und Stellungnahmen zur Frage des Erhalts von Würde. Anhand einiger Ausschnitte aus dem Buch sollen die Gedanken und Wünsche von Walter Jens vorgestellt werden und den daraus resultierenden ethischen Fragen der Familie nachgegangen werden.
Walter Jens lebt ein bescheidenes Leben in Tübingen. Beruflich hat er sich als habilitierter Altphilologe einen Namen gemacht. Zu seiner Familie gehören seine Frau Ines und zwei Söhne Christoph und Tilman. Sein Leben ist ein unbescholtenes wie erfolgreiches (vgl. Jens, 2009, S. 15-21). Bis er kurz nach seinem achtzigsten Geburtstag öffentlich damit konfrontiert wird, dass er mit zwanzig Jahren Mitglied der NSDAP war (vgl. ebd., S. 25). Ein Spießrutenlauf beginnt für den emeritierten Tübinger Altphilologen (vgl. ebd., S. 25-91). Die Gesundheit von Walter Jens verschlechtert sich, nachdem er öffentlich zur Rede gestellt wird. Eine wiedergekehrte Depression wird vermutet. Gleichzeitig bemächtigt sich seiner ein konsequentes „sich nicht erinnern können“. Die Medikamente wollen alle nicht helfen, weshalb der Vater im Bewusstsein seiner schwindenden Kräfte den Sohn bittet, das Versprechen seines Hausarztes nach einem schönen, gnädigen Tod einzufordern (vgl. Jens, 2009, S. 118). Tilman Jens nimmt Kontakt auf mit dem Hausarzt und erfährt von der Diagnose Alzheimer. Immer wieder weist sein Vater in den folgenden Monaten auf seinen Verfall und auf das Versprechen seines Arztes hin. Er fordert in Folge seinen Sohn Tilman auf, das vom Arzt gegebene Versprechen einzufordern. Sein Drängen nimmt zu und wird immer konkreter (vgl. Jens, 2009, S. 120-129).
Als Walter Jens noch gesund war, hat er seinem Sohn gegenüber in einem Filmmitschnitt seine Haltung gegenüber Krankheit und Tod unmissverständlich mitgeteilt. Für ihn komme ein Leben ab dem Moment nicht mehr in Frage, ab dem er wisse, dass er unheilbar krank und von Schmerzen geplagt sei. In dem Falle wolle er mithilfe der Euthanasie 1 Erlösung finden. Dabei helfen solle ihm sein Sohn, als Zeichen seiner Liebe. Bezugnehmend auf unser deutsches Rechtssystem welches die Euthanasie als Straftat ahndet, hat er hinzugefügt, dass er einen Arzt hätte, der ihm diesen Wunsch mit Gewissheit unabhängig vom Rechtssystem (§ 216 II StGB)2 aus Nächstenliebe erfüllen würde. Sein Sohn wollte explizit wissen, ob dieser Wunsch auch dann Gültigkeit besäße, wenn er keine Schmerzen sondern Alzheimer hätte, worauf Walter Jens antwortet:
„Wenn die Autonomie des Menschen nicht mehr im Zentrum steht, wenn ich nicht sagen kann, Tilman, Du siehst selbst, es ist an der Zeit […] - […], ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne…dann möchte ich das mir von Gott geschenkte Leben zurückgeben“ (Walter, 2009, S. 6). „Ich glaube nicht, dass derjenige, der am Ende niemand mehr erkennt von seinen nächsten Angehörigen, im Sinne des Humanen noch ein Mensch ist […].“ (Walter, 2009, S. 13)
Der Filmmitschnitt belegt zweifelsfrei die Haltung von Walter Jens, ab wann der Mensch seine Würde nach seinem Ermessen verloren hat. Auch sein Wunsch dem im Ernstfall entsprochen werden soll, wird unmissverständlich geäußert.
Die aus den Textausschnitten hervorgehenden Ansichten des Walter Jens machen weitere Begriffsannäherungen nötig, um sie in Folge an den ethischen Modellen zu diskutieren.
2.1. Begriffsannäherungen
Menschenwürde
Die Menschenwürde ist im deutschen Grundgesetz im Art. 1 I-III GG als Grundrecht verankert. Dort heißt es:
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt. (2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ (Nomos, 2018, S. 1010).
Somit ist der Erhalt der Menschenwürde rechtlich bindend zu erhalten und es macht sich strafbar, wer sich daran nicht hält. Entstanden ist dieses Grundrecht aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus (vgl. Ehmann, 2018, S. 580). Damit soll verhindert werden, dass ein Menschenleben erneut als lebensunwert eingestuft werden kann (vgl. Graefe, 2015, S. 1). Es gibt verschiedene Interpretationen, wann einem Menschen Würde zukommt. Die superlativische und absolute Würde kommt innerhalb der Natur nur einem Menschen zu. Sie beginnt beim Menschen ab der Zeugung und schließt jeden Menschen unabhängig von Alter und Leistungsfähigkeit ein. Aus christlicher Sicht kommt dem Mensch seine Würde aufgrund seiner Gottgleichheit zu. Aus sekularer nicht religiöser Sicht wie beispielsweise der griechischen Philosophie, kommt dem Mensch seine Würde zu, weil er Vernunft-, wie Sprachbegabt und Moralfähig ist. Ein konfuzianischer Philosoph spricht dem Mensch seine Würde qua Geburt zu, quasi als universale Mitgift (vgl. Höffe, 2008, S. 202-203). Auf Ausschließungen bestimmter Menschengruppen wie beispielsweise den Frauen, welchen von allen Instanzen jahrhundertelang keine Würde zugesprochen wurde (vgl. Höffe, 2008, S. 203), soll hier nicht eingegangen werden. Gezeigt werden kann dadurch jedoch, dass auch die Würde schon immer abhängig vom Denken und Handeln der Gesellschaft war, welche bestimmten Menschen Würde zu, oder abgesprochen hat.
Selbstbestimmung
Ein Mensch bestimmt selbst was er tut. Politisch gesehen hat Freiheit mit der Anerkennung der durch den Staat berufenen Gewalt zur Abwendung fremder Gewalt zu tun. Die Freiheit wird heute jeder Person zugesprochen mit einem universalen Anspruch im Bereich des Handelns und Wollens. Bezogen auf die Handlungsfreiheit bedeutet dies, dass ein Mensch Möglichkeiten hat sich auf verschiedene Weise zu Verhalten und sich innerhalb der Möglichkeiten frei zu entscheiden. Es geht um freiwilliges wie bewusstes Handeln eines Menschen. Den Rahmen bilden sowohl eigene Kräfte als auch was von der politisch, wie sozialen Welt erlaubt ist. Abhängig wie groß die Freiheit eines Menschen ist, liegt auch an seinen Kapitalien, seiner Gesundheit, dem Alter und seiner Macht. Auch der Charakter und die Intelligenz spielen eine Rolle sowie die gesellschaftlichen Zwänge. Maßgeblich ist auch wie die politische Regiertheit in einem Land aussieht. Hierzu gehören beispielsweise die Grundfreiheiten per Gesetz, aufgrund derer jeder Person Freiheiten zugesprochen werden und sie gleichzeitig zum Wohle aller eingegrenzt werden (vgl. Höffe, 2008, S. 83-84).
Die Freiheit des Willen ist unabhängig von inneren Antrieben wie, die der Sinnlichkeit und sie ist unabhängig von sozialen Zwängen. Die Willensfreiheit beinhaltet, dass jeder Mensch so sein kann wie er will. Da das Erlangen der Willensfreiheit, eine breite Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Begrenzungen bedarf, kann die Willensfreiheit als Reflexionsverhältnis gesehen werden, welche sich durch die Art des Handelns manifestiert. Sowohl in der Politik als auch in der Gemeinschaft, ist Willensfreiheit dann gegeben, wenn das „Verhältnis der Mitglieder zueinander […] durch streng universalisierbare Gesetze bestimmt ist“ (Höffe, 2008, S. 84-85).
Die Erkrankung des Walter Jens an Demenz und dem daraus hervorgehenden Verlangen nach dem Tod zum Erhalt seiner Würde, führt zur kontroversen Beschäftigung mit den begrifflichen Interpretationen von Selbstbestimmung und Würde sowie mit dem Tod aus Sicht verschiedener Philosophen und zweier aus der Ethik ausgewählten Modelle. Zuerst soll die Perspektive Kants Beachtung finden.
3. Deontologische Ethik oder Pflichtethik
Immanuel Kants erstes Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ ist ein radikaler Einschnitt für die Philosophiegeschichte (vgl. Mussenbrok, 2013, S. 134). Immanuel Kant geht davon aus, dass die Gesinnung eines Menschen wesentlich ist, da sie sein Handeln bestimmt. Der Mensch ist Jemand der seine Pflichten kennt, und das Erforderliche tut. Erforderlich aus dem Griechischen „to deon“ führt zu einer Ethik, welche als „Deontologische Ethik“ bezeichnet wird. Das Erforderliche zu tun bedeutet moralisch gut zu handeln weil dadurch eine moralische Pflicht erfüllt wird. Erkennbar wird die moralische Pflicht daran, dass sie Verallgemeinerbar ist. Es handelt sich quasi um eine Metanorm, welche Kant als „Kategorischen Imperativ“ bezeichnet hat (vgl. Schmid Noerr, 2018, S. 77-78).
Freiheit
Kant hat sich in Auseinandersetzung der dritten Antinomie 3 welche sich mit dem Determinismus und dem Indeterminismus beschäftigt, den Schluss gezogen, dass es neben der naturkausalen Kausalität einen zweiten Typus der Kausalität gibt und dies ist die Freiheit. Damit ist die Möglichkeit des Menschen gemeint, selbst beschließen zu können wie er die Welt beeinflussen kann. Der Mensch beurteilt somit sein Handeln sowohl aus der naturkausalen Beobachterperspektive als auch als Ereignis welches kausal auf den eigenen Willen bezogen wird. Diese Freiheit wie Kant sie versteht ist eine transzendentale Freiheit. Das heißt, sie geht daraus hervor wie sich der Mensch als Wesen der Vernunft zu der Welt und ihren Ereignissen stellt. Nach Kant ist der Mensch dann frei und somit autonom, wenn er es schafft, seine eigenen aus der Sinnlichkeit entstehenden Ansprüche, einem sich selbst gebenden (gewollten) Gesetz unterzuordnen. Demnach handelt der Mensch aus reiner Vernunft (vgl. Klemme, 2004, S. 55-58). Die Freiheit aus Willen und Handeln führt zum Kategorischen Imperativ.
Kategorischer Imperativ
Kant formuliert zum Kategorischen Imperativ den viel zitierten Satz: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (vgl. Kant, 1995, S. 73). Diese Aussage ist das Gegenteil des Sprichwortes „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“, da es impliziert, dass der Maßstab des Handeln sich am Willen des Individuum bemisst (vgl. Mussenbrock, 2013, S. 140). Kant meint mit dem Kategorischen Imperativ jedoch einen fundamentalen und damit einzigen Grundsatz von Moral. Dabei gibt er keine Handlungsanweisung sondern verweist auf die in den moralischen Sätzen liegende Tiefenstruktur, welche in der Anwendung bei jedem gleich gelagerten Fall Verallgemeinerung beweisbar macht. Die Verallgemeinerbarkeit gilt somit als Zeichen einer moralischen Qualität. Da die Verallgemeinerbarkeit über das Handeln und die Absichten eines Einzelnen hinausreicht bezieht sich der Kategorische Imperativ auf Maximen. Dies sind „übergeordnete Grundsätze einer Person“ (Schmid Noerr, 2018, S. 78).
Ein moralischer Grundsatz oder eine Norm welche „eine bestimmte Lebenshaltung ausdrückt“ (ebd., S. 78) wäre beispielsweise ein Versprechen welches man jemanden gegeben hat auch einzuhalten. Die Beweisführung, dass Versprechen einzuhalten Allgemeingültigkeit besitzt führt Kant indem er beweist, dass die Umkehrung, nämlich Versprechen grundsätzlich nicht einzuhalten, jedes Versprechen bereits im Ansatz unglaubwürdig machen würde. Durch diese Vorgehensweise kann überprüft werden, ob es sich um eine Maxime handelt die verallgemeinerbar ist oder nicht. Wäre sowohl die Bejahung als auch die Verneinung möglich, läge lediglich eine moralische Neutralität in Form einer Konvention vor. Moralisch geboten ist hingegen, wenn eine Maxime verallgemeinerbar ist, ihre Unterlassung jedoch nicht. Der Kategorische Imperativ muss unabhängig von Hypothesen, sprich zusätzlichen Voraussetzungen sein. Es gibt kein kategorisches Handeln mit einer „wenn; dann“ Option. Kategorisch bedeutet das Handeln ist ohne „wenn, dann und aber“ moralisch verpflichtend (vgl. Schmid Noerr, 2018. S. 78-79).
[...]
1 Das Wort Euthanasie ist hier im Sinne seiner Bedeutung als ehrenhafter, glücklicher oder guter Tod zu verstehen (vgl. Graefe, 2015, S. 1). Auf die Euthanasie des Nationalsozialismus und deren Missbrauch des Wortes durch die Euthanasie-Aktion T4, in dessen Namen 70.000 „Defektmenschen“ und „Ballastexistenzen“ gezielt getötet wurden (vgl. ebd., S. 1-2), wird in dieser Hausarbeit nicht eingegangen. Diese Verbrechen an Menschen ethisch zu hinterfragen wäre mehr als berechtigt. Dennoch wird sich diese Hausarbeit der ethischen Fragen des „Walter Jens“ als Stellvertreter der rund 1,7 Millionen an Demenz erkrankten Menschen in Deutschland widmen (vgl. Bickel, 2018, S. 1).
2 (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit, 2018, S. 2336)
3 Antinomie bedeutet das als gleichermaßen wichtig bewertete Vorhandensein verschiedener Handlungsanforderungen und Perspektiven einer Person oder Gruppe innerhalb einer Situation die jedoch nicht mit derselben Intensität in die Realität umgesetzt werden können (vgl. Schlömerkemper, 2016, S. 2).