In dieser Arbeit wird zunächst auf die Begrifflichkeiten des Vertrags und Delikts im deutschen Recht eingegangen, gefolgt von der Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen im internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die jeweils relevanten Probleme gelegt, mit denen sich der EuGH in seinen Entscheidungen auseinandersetzen musste. Daraufhin werden die Konsequenzen aufgezeigt, die sich für die Rechtssache aus der erfolgten Unterscheidung des Klagegegenstands im internationalen Privatrecht (IPR) und Zivilverfahrensrecht (IZVR) ergeben. Aufgrund der herausragenden praktischen Bedeutung der Parteiautonomie in Form der Rechtswahlfreiheit im IPR und den Gerichtsstandsvereinbarungen im IZVR werden diese verstärkt beleuchtet.
Die Frage, ob es sich bei einer Rechtssache um eine Klage aus einem Vertrag oder aus einem Delikt handelt, stellte sich dem Gerichtshof bereits im Jahr 19831. In den darauffolgenden Jahrzehnten sind zwar weitere richtungsweisende Entscheidungen des EuGH ergangen, jedoch mangelt es bis heute an einer eindeutigen Definition und folglich an der klaren Abgrenzung der beiden Begriffe. Mangels einer unionsrechtlichen Bestimmung ist mithilfe der entsprechenden Urteile zu erörtern, welche Anforderungen an den Vertrag, dessen Abschluss und seine Form gestellt werden, sowie wann eine Haftung aus Delikt beziehungsweise aus culpa in contrahendo vorliegt.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
II. Vertrag und Delikt im deutschen Recht
1. Vertrag im deutschen Recht
2. Unerlaubte Handlungen im deutschen Recht
III. Vertrag im europäischen IPR und IZVR
1. Begrifflichkeit
2. Voraussetzungen eines Vertrags
a) Einigung
b) Freiwillig eingegangene Verpflichtung
c) Form des Vertrags
IV. Delikt im europäischen IPR und IZVR
1. Begrifflichkeit
2. Culpa in contrahendo
V. Auswirkungen im IPR
1. Vertragliche Ansprüche
a) Rechtswahl
b) Anzuwendendes Recht bei fehlender Rechtswahl
2. Deliktische Ansprüche
a) Freie Rechtswahl
b) Anzuwendendes Recht bei fehlender Rechtswahl
VI. Auswirkungen im IZVR
1. Vertragliche Ansprüche
2. Deliktische Ansprüche
VII. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Bach, Ivo, Was ist wo Vertrag und was wo nicht, IHR 1/2010, S. 17 ff. (zitiert als: Bach, in IHR 1/2010, 19).
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Martiny, Dieter/Reithmann, Christoph (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage, Köln 2015 (zitiert als: Martiny/Reithmann, Internationales VertragsR).
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Pfeifer, Karl-Nikolaus, Gesetzliches Schuldrecht, 5. Auflage, Baden-Baden 2017 (zitiert als: Pfeifer, Gesetzliches SchuldR, § Rn).
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Rauscher, Thomas, Internationales Privatrecht, 5. Auflage, Heidelberg 2017 (zitiert als: Rauscher, IPR, Rn.).
Rauscher, Thomas/Krüger, Wolfang (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 5. Auflage, München 2016 (zitiert als: MüKoZPO/'Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. Rn.).
Saenger, Ingo (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 7. Auflage, Baden-Baden 2017 (zitiert als: Saenger, ZPO, EuGVVO, Art. Rn.).
Säcker, Franz/Rixecker, Roland/Oetker, Hartmut/u.a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage, München 2018 (zitiert als: MüKoBGB/Emmerich/'Schäfer, § Rn.).
Schack, Haimo, Internationales Zivilverfahrensrecht, 7. Auflage, München 2017 (zitiert als: Schack, IZVR, Rn.).
Spindler, Gerald/Schuster, Fabian (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Auflage, München 2015 (zitiert als: Weller/Nordmeier, in Elektron. Medien, Rom II Art. Rn.).
Stürner, Rolf (Hrsg.), Jauernig - Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage, München 2018 (zitiert als: Jauernig/Mansel/Stadler, BGB § Rn.). von Hein, Jan, Europäisches Internationales Deliktsrecht nach der Rom II-Verordnung, ZEuP 2009, S. 6 ff. (zitiert als: von Hein, in ZEuP 2009, 20).
Wandt, Manfred, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 9. Auflage, 2019 (zitiert als: Wandt, Gesetzliche SchuldV, § Rn.).
Wendenburg, Albrecht/Schneider, Maximilian, Vertraglicher Gerichtsstand bei Ansprüchen aus Delikt?, NJW 2014, 1633 ff. (zitiert als: Wendenburg/Schneider, in NJW 2014, 1633).
I. Einleitung
Die Frage, ob es sich bei einer Rechtssache um eine Klage aus einem Vertrag oder aus einem Delikt handelt, stellte sich dem Gerichtshof bereits im Jahr 1983[1]. In den darauffolgenden Jahrzehnten sind zwar weitere richtungsweisende Entscheidungen des EuGH ergangen, jedoch mangelt es bis heute an einer eindeutigen Definition und folglich an der klaren Abgrenzung der beiden Begriffe. Mangels einer unionsrechtlichen Bestimmung ist mithilfe der entsprechenden Urteile zu erörtern, welche Anforderungen an den Vertrag, dessen Abschluss und seine Form gestellt werden, sowie wann eine Haftung aus Delikt bzw. aus culpa in contrahendo vorliegt.
In dieser Arbeit wird zunächst auf die Begrifflichkeiten des Vertrags und Delikts im deutschen Recht eingegangen, gefolgt von der Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen im internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die jeweils relevanten Probleme gelegt, mit denen sich der EuGH in seinen Entscheidungen auseinandersetzen musste.
Daraufhin werden die Konsequenzen aufgezeigt, die sich für die Rechtssache aus der erfolgten Unterscheidung des Klagegegenstands im internationalen Privatrecht (IPR) und Zivilverfahrensrecht (IZVR) ergeben. Aufgrund der herausragenden praktischen Bedeutung der Parteiautonomie in Form der Rechtswahlfreiheit im IPR und den Gerichtsstandsvereinbarungen im IZVR werden diese verstärkt beleuchtet.
II. Vertrag und Delikt im deutschen Recht
1. Vertrag im deutschen Recht
Der Vertrag ist ein Rechtsgeschäft, das aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme, besteht und auf das Herbeiführen einer Rechtsfolge gerichtet ist.[2] Es bedarf neben einer Bestimmung der Vertragspartner auch der Festlegung eines Inhalts, auf den sich die Parteien im Stadium der Vertragsverhandlung einigen. Mit deren Aufnahme entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, die culpa in contrahendo.[3] Dieses beinhaltet gemäß § 241 II BGB Schutz-, Obhuts- und Rücksichtspflichten, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht nach §§ 280, 282 BGB herbeiführt. Eine grundsätzliche Formpflicht für den Abschluss von Verträgen besteht nicht, kann sich jedoch aus spezialgesetzlichen Regelungen ergeben.[4] In prozessualer Hinsicht gilt gemäß § 29 ZPO, dass das Gericht zuständig ist, in dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist bzw. wäre.
2. Unerlaubte Handlungen im deutschen Recht
Im deutschen Recht ist § 823 I BGB der Ausgangspunkt für eine deliktische, verschuldensabhängige Haftung. Im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen existiert im BGB keine allgemeine Generalklausel, wie sie etwa in Art. 1240, 1241 des französischen code civil vorliegt.[5] Das gesetzliche Schuldverhältnis und damit die Pflicht zum Schadensersatz wird begründet, sobald eine rechtswidrige und schuldhaft begangene Handlung eines der abschließend aufgezählten Rechtsgüter verletzt. Neben dem § 823 I BGB existieren zwei weitere Grundtatbestände; nach § 823 II BGB ist der Schaden zu ersetzen, der durch den Verstoß eines Schutzgesetzes entsteht. Als dritte Säule des Deliktsrechts dient § 826 für den Ausgleich von vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigungen.[6] Im Gegensatz zu rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen sind sie unabhängig von einem autonomen Willen, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist.[7] Es muss vielmehr einer der entsprechenden Tatbestände erfüllt sein. Ansprüche aus einem Vertrag sind, soweit sie vorliegen, vor den deliktischen zu prüfen, gleichwohl sie beide nebeneinander zur Anwendung kommen.[8] Die gerichtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 32 ZPO, sodass das Gericht mit der Sache betraut wird, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde.
III. Vertrag im europäischen IPR und IZVR
1. Begrifflichkeit
Der EuGH hat in seinem Peters-Urteil vom 22. März 1983[9] entschieden, dass der Begriff des Anspruchs aus einem Vertrag bzw. aus einer unerlaubten Handlung im Sinne der Art. 5 Nr. 1, 3 EuGVÜ (heute: Art. 7 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO) autonom auszulegen ist. Demnach sind für die Einordnung ausschließlich die Bestimmungen der Brüssel Ia-VO (im Folgenden: EuGVO) und die Rechtsprechung des Gerichtshofs heranzuziehen.[10] Diesem Grundsatz ist er über die Jahre treu geblieben, sodass sie sich mittlerweile zur ständigen Rechtsprechung entwickelt hat und auch vom größten Teil der Literatur anerkannt wird.
Im Zuge der autonomen Auslegung darf nicht auf das nationale Recht eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten verwiesen werden. Es hat vielmehr eine Auslegung zu erfolgen, die die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze aller innerstaatlichen Rechtsordnungen berücksichtigt.[11]
Der Grund für die Unterscheidung zwischen den Termini liegt in der erforderlichen Abgrenzung des Anwendungsbereichs der besonderen Zuständigkeitsregeln der EuGVO, auf die sich der Kläger berufen kann.[12] Für Verträge und Ansprüche aus ebendiesen gilt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVO. Dahingegen ist für Delikte und Handlungen, die ihnen gleichgestellt sind, gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO der Ort des schädigenden Ereignisses entscheidend. Einzig durch eine autonome Auslegung lässt sich die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedsstaaten gewähr- leisten.[13] Zudem hängt von der Qualifizierung ab, ob der Sachverhalt in den Anwendungsbereich der Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse oder der Rom II-VO für außervertragliche Schuldverhältnisse fällt.
2. Voraussetzungen eines Vertrags
Der Unionsgesetzgeber hat die Voraussetzungen eines wirksamen Vertragsschlusses nicht festgelegt. Sie lassen sich lediglich aus der Rechtsprechung des EuGH, durch Analogien aus Sekundärrechtsakten sowie aus Dokumenten von Expertengruppen im europäischen Vertragsrecht herleiten.[14]
[...]
[1] EuGH, Rs. C-34/82 (Peters).
[2] MüKoBGB/Einsele, § 126 Rn. 19.
[3] MüKoBGB/Bachmann, § 241 Rn. 50.
[4] MüKoBGB/Einsele, § 126 Rn. 19.
[5] Pfeifer, Gesetzliches SchuldR, §2 Rn. 1.
[6] Wandt, Gesetzliche SchuldV, § 15 Rn. 8.
[7] Wandt, Gesetzliche SchuldV, § 1 Rn. 2.
[8] Jauernig/Mansel, BGB § 241 Rn. 1
[9] EuGH, Rs. C-34/82 (Peters), Rn. 9, 10.
[10] Dostal, in EuZW 2018, 984.
[11] Rauscher, IPR, Rn. 1636.
[12] Schack, IZVR, Rn. 293.
[13] Musielak/Voit/Stadler, EuGVVO nF Art. 7 Rn. 2.
[14] Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge Ilsinger, Rn. 45.