Das Schreiben zu Vorgaben gilt in der Deutschdidaktik als eine zentrale Methode, um Kinder im Deutschunterricht an das Schreiben heranzuführen. Spätestens seit Mechthild Dehn hat die Fachdidaktik erkannt, dass „der Auswahl der Schreibvorgabe“ bei der Anregung der Kinder zum Schreiben eine „entscheidende Bedeutung [zukommt]“ (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011: S. 11). Die Herausforderung, die Kinder durch eine komplexe und mehrdeutige Vorgabe anzuregen, stellt hierbei einen wichtigen Aspekt bei der Auswahl von Schreibvorgaben dar. Dehn nennt in ihrem Werk eine Vielzahl verschiedenster Vorgaben, die für die Kinder zu einem Kontext für die eigene Schreibidee werden können. Texte, Bilderbücher aber auch isolierte Bilder können als Kontext für das Schreiben des Kindes fungieren. Letztgenannte Schreibvorgaben sollen im Rahmen dieser Arbeit nun einmal expliziter betrachtet werden. Als Kern der Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich insbesondere abstrakte Bilder, also etwa Gemälde aus dem Expressionismus, dazu eignen bei den Kindern einen „inneren Schreibdruck“ auszulösen. Welche Eigenschaften kennzeichnen die abstrakte Malerei, sodass sie zu einem möglichen Anlass wird, sich schreibend mit ihr auseinanderzusetzen?
Um diesem Kernaspekt nachzugehen sollen innerhalb der Arbeit verschiedene Kindertexte in Bezug auf die Fragestellung untersucht werden. Zunächst werden dabei einleitend die Rahmenbedingungen des Unterrichtsversuches dargestellt, um anschließend den genauen Ablauf des Versuches und die verwendeten Aufgabenstellungen näher zu erläutern. In einem zweiten Schritt soll sich dann expliziter mit der Schreibvorgabe auseinandergesetzt werden. Hier wird eine kurze didaktische Analyse der Selbigen erfolgen und es soll untersucht werden, inwiefern Bilder in der Lage sind „Kontexte für das Schreiben als kulturelle Tätigkeit“ (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011: S. 96) zu schaffen. Nach dieser Darstellung der Theorie erfolgt dann in einem dritten Schritt die Analyse von drei Kindertexten. Die Ergebnisse dieser Analyse sollen dann in einem abschließenden Fazit nochmals zusammengetragen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung – Zur Auswahl der Schreibvorgabe im Deutschunterricht
2 Der Unterrichtsversuch – Rahmenbedingungen und Ablauf
3 Das abstrakte Bild als Schreibvorgabe – Die rezeptionswissenschaftliche und didaktische Theorie zu den Begriffen Bildverstehen, Unsichtbarkeit und Komplexität
4 Analyse von drei Kindertexten zum „Schrei“ von Edvard Munch
4.1 Eine Bildbeschreibung von Schülerin A
4.2 Eine Prosaskizze von Schüler B
4.3 Eine Geschichte von Schülerin C
5 Schreiben zu abstrakten Bildern – Ergebnisse aus der Schülertextanalyse
6 Literaturverzeichnis
7 Anhang
7.1 Die Kindertexte
7.1.1 Der Text von Schülerin A
7.1.2 Der Text von Schüler B
7.1.3 Der Text von Schülerin C
7.2 „Der Schrei“ von Edvard Munch
1 Einleitung – Zur Auswahl der Schreibvorgabe im Deutschunterricht
Das Schreiben zu Vorgaben gilt in der Deutschdidaktik als eine zentrale Methode, um Kinder im Deutschunterricht an das Schreiben heranzuführen. Spätestens seit Mechthild Dehn hat die Fachdidaktik erkannt, dass „der Auswahl der Schreibvorgabe “ bei der Anregung der Kinder zum Schreiben eine „entscheidende Bedeutung [zukommt]“ (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011: S. 11). Die Herausforderung, die Kinder durch eine komplexe und mehrdeutige Vorgabe anzuregen, stellt hierbei einen wichtigen Aspekt bei der Auswahl von Schreibvorgaben dar (vgl. Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011: S. 11). Dehn nennt in ihrem Werk eine Vielzahl verschiedenster Vorgaben, die für die Kinder zu einem Kontext für die eigene Schreibidee werden können. Texte, Bilderbücher aber auch isolierte Bilder können als Kontext für das Schreiben des Kindes fungieren. Letztgenannte Schreibvorgaben sollen im Rahmen dieser Arbeit nun einmal expliziter betrachtet werden. Als Kern der Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich insbesondere abstrakte Bilder, also etwa Gemälde aus dem Expressionismus, dazu eignen bei den Kindern einen „inneren Schreibdruck“ auszulösen. Welche Eigenschaften kennzeichnen die abstrakte Malerei, sodass sie zu einem möglichen Anlass wird, sich schreibend mit ihr auseinanderzusetzen?
Um diesem Kernaspekt nachzugehen sollen innerhalb der Arbeit verschiedene Kindertexte in Bezug auf die Fragestellung untersucht werden. Zunächst werden dabei einleitend die Rahmenbedingungen des Unterrichtsversuches dargestellt, um anschließend den genauen Ablauf des Versuches und die verwendeten Aufgabenstellungen näher zu erläutern. In einem zweiten Schritt soll sich dann expliziter mit der Schreibvorgabe auseinandergesetzt werden. Hier wird eine kurze didaktische Analyse der Selbigen erfolgen und es soll untersucht werden, inwiefern Bilder in der Lage sind „ Kontexte für das Schreiben als kulturelle Tätigkeit “ (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011: S. 96) zu schaffen. Nach dieser Darstellung der Theorie erfolgt dann in einem dritten Schritt die Analyse von drei Kindertexten. Die Ergebnisse dieser Analyse sollen dann in einem abschließenden Fazit nochmals zusammengetragen werden.
2 Der Unterrichtsversuch – Rahmenbedingungen und Ablauf
Der Unterrichtsversuch wurde in einer 3.Klasse in der „Schule in der alten Forst“, Harburg, durchgeführt. Die Klasse umfasst 26 Schüler, von denen jedoch nur 24 an dem Unterrichtsversuch teilnehmen konnten. Zur Durchführung der Einheit wurden die dritte und vierte Stunde am Donnerstag den 16. Februar 2012 anberaumt.
Für den Unterricht wurden eine Vielzahl verschiedenster Materialien vorbereitet, allen voran das als Schreibvorgabe verwendete Bild „der Schrei“ von Edvard Munch. Des Weiteren wurden kleine Papierzettel vorbereitet, auf denen die Kinder ihre ersten Gedanken zu dem gezeigten Bild aufschreiben konnten. Außerdem wurden für jeden Schüler zwei doppelseitige, linierte Schreibblätter entworfen, wobei auf der ersten Seite jeweils das Bild auf der oberen Hälfte des Blattes abgedruckt wurde.
Nach Ende der ersten großen Pause wurden die Kinder mit Hilfe von Musik, gemäß des schulinternen Ritus, auf den bevorstehenden Unterricht eingestimmt. Dann begann der Unterrichtsversuch. Den Kindern wurde das Bild zunächst ohne Kommentar mit Hilfe des im Klassenraum befindlichen Whiteboards gezeigt. Die erste Aufgabe lautete nun „Sammele deine Gedanken, Fragen und Gefühle zu dem Bild in deinem Kopf“ und wurde mit dem Zusatz ergänzt, dass die Kinder ihre Gedanken nicht mündlich austauschen sollten, da „es keinen Sinn macht, über den Schreibanlass zunächst zu sprechen, um das Schreiben zu erleichtern“ (Dehn/ Schüler 2010: S. 28). Dieser Umstand resultiert aus der Erkenntnis, dass die Kinder bei einem vorrausgehenden Gedankenaustausch mit anderen dazu gezwungen wären, „erst das schriftliche Register [zu] erzeugen, das sie zuvor mündlich gehört oder gesprochen haben“ (Dehn/ Schüler 2010: S. 28), bevor sie eine Idee zur schriftlichen Umsetzung ihrer eigenen Gedanken entwickeln könnten. Nach drei Minuten in denen sich die Kinder das Bild stillschweigend angesehen hatten – sie mussten allerdings immer wieder zur Ruhe animiert werden – wurden seitens der Lehrkraft kleine Zettel verteilt. Als Aufgabe galt diesmal: „ Schreibe einen Gedanken zu dem Bild auf “.
Nach der Verschriftlichung der eigenen Gedanken wurde in der nächsten Phase des Unterrichtsversuches der Austausch der Ideen der einzelnen Kinder angeregt. Hierzu wurde ein Sitzkreis gebildet und die Kinder wurden gebeten ihre ersten Gedanken zu dem Bild vorzulesen. Ungefähr die Hälfte der Kinder las ihren Gedanken vor. Die andere Hälfte sagte, sie wolle ihre Gedanken nicht mit den Mitschülern teilen.
Im Anschluss an die Vorleserunde erfolgte die dritte Phase des Unterrichtsversuches mit folgender Aufgabenstellung: „ Deine nächste Aufgabe wird es nun sein einen Text zu unserem Bild zu schreiben. Du kannst dabei deine Gedanken oder die Gedanken der anderen Kinder für deinen Text verwenden “. Da die Aufgabe nur mündlich vermittelt wurde und somit die Gefahr bestand, dass die Kinder diese schnell wieder vergessen würden, wurde die Aufgabe noch einmal mit Hilfe des Beamers auf das Whiteboard projiziert. Die Kinder schrieben in etwa eine Dreiviertelstunde ehe sie dazu aufgefordert wurden mit ihrem nun geschriebenen Text wieder in den Sitzkreis zu kommen. Im Anschluss erfolgte eine Vorleserunde in der Kinder, die ihre Geschichte vorstellen wollten, diese ihren Mitschülern vorlesen konnten. Insgesamt wurden dabei sieben Kindertexte von den verfassten 24 vorgelesen. Die Rückmeldungsphase zu den Kindertexten wurde abseits des Unterrichtsversuches in einer anderen Stunde durchgeführt.
3 Das abstrakte Bild als Schreibvorgabe – Die rezeptionswissenschaftliche und didaktische Theorie zu den Begriffen Bildverstehen, Unsichtbarkeit und Komplexität
Im vorherigen Kapitel wurden die Rahmenbedingungen des Unterrichtsversuches geschildert. Nun soll es darum gehen, die theoretischen Hintergründe bei dem Umgang der Kinder mit Bildern als Schreibvorgabe zu erörtern. Dies soll in zweierlei Hinsicht erfolgen: aus rezeptionswissenschaftlicher und aus didaktischer Perspektive.
In Bezug auf die Frage nach der Rezeption von Bildern wird zunächst genauer auf den Prozess des Bildverstehens eingegangen. Diesen modellierte der pädagogische Psychologe Bernd Weidenmann bereits im Jahr 1988 innerhalb eines grundlegenden Modells (vgl. Dehn 2007: S. 28-29). Weidenmann gliedert den Prozess des Bildverstehens in zwei Phasen: In die präattentive und in die attentive Phase. Die Erstere beschreibt bei der Betrachtung eines Bildes das „unwillkürlich[e] Generieren von Bedeutung [unter] Bezug auf Erwartungen, Erfahrungen [und] Wissen“ (Dehn 2007: S. 28). Wichtig ist an dieser Stufe des Modells vor allem, dass sie betont, dass Kinder, denen ein Bild gezeigt wird bei dem Versuch der Interpretation und bei der Bildung von eigenen menta- len Modellen z.B. zum Bildinhalt, auf eigene Erfahrung zurückgreifen und über diese Erfahrung ihre Wahrnehmung des auf dem Bild Dargestellten konstruieren. In der präattentiven Phase erfolge die Konstruktion jedoch nicht systematisch, sondern sei zunächst diffus. Die Ordnung des Wahrgenommenen erfolge erst in der Phase des attentiven Bildverstehens. Erst auf dieser Stufe sei eine „Differenzierung des Wahrgenommenen“, das „Wahrnehmen von Ambiguität[en]“ möglich und erst jetzt würden „rekursive Prozesse“ in Gang gesetzt (Dehn 2007: S. 28). Am Ende der Ausführungen Weidenmanns zur attentiven Phase steht das Ziel des Bildverstehens-Prozesses: die Normalisierung, also das Einfügen des Gesehenen und dessen Deutungsschemen in die eigene Erfahrungswelt.
Hinsichtlich der Fragestellung der Arbeit nach der Eignung abstrakter Malerei als Schreibvorgabe ist das Modell von Weidenmann in zweierlei Hinsicht relevant. Wie bereits dargelegt wurde, greifen die Kinder bei der Deutung eines ihnen als Schreibvorgabe vorgelegten Bildes auf die eigenen Erfahrungen zurück. Diese Darstellung geht unter anderem auf den kognitiven Bildbegriff von Nussbaumer zurück, der Sehen im Allgemeinen „nicht als Vorgang des Abbildens, sondern als Konstruktionsprozess betrachtet“ (Dehn 2007: S. 30). Dehn überträgt das von Nussbaumer entwickelte Modell über das Zusammenwirken einzelner Wissenskategorien bei dem Konstruktionsprozess des Sehens auf die Betrachtung von Bildern und stellt das Bildverstehen als ein Zusammenspiel von Bildwissen, Weltwissen und Handlungswissen (vgl. Dehn 2007: S. 31) dar:
„Wissen bestimmt unser Sehen. Ob wir ein Foto, ein Gemälde, eine Landkarte, ein Diagramm, eine Tabelle betrachten, immer beziehen wir, was wir sehen, auf unser Welt- und auf unser Handlungswissen“ (Dehn 2007: S. 31).
In Bezug auf das Bild als Schreibvorgabe bedeutet dies folglich, dass Bilder mit geringerer Eindeutigkeit – und unter Umständen auch geringerer Gegenständlichkeit – mehr Anknüpfungspunkte für die Erfahrungen bzw. das Wissen der Kinder liefern als Bilder die durch einen starken Realismus geprägt sind. Wird einer Klasse beispielsweise ein realistisches Gemälde (z.B. ein Stillleben aus der Renaissance oder dem Realismus) vorgelegt, das nur wenige Deutungslücken enthält, so ist zu erwarten, dass erstens nur wenige Kinder einen Zugang zu dem Bild finden und sich zweitens kaum ein innerer Schreibdruck entwickeln wird. Die abstrakte Malerei dürfte daher vor allem in der präattentiven Phase des Bildverstehens-Prozesses eine größere Wirkung erzielen, als die Realistische.
Ein zweiter rezeptionswissenschaftlicher Gedanke setzt sich spezifischer mit der Interpretierbarkeit von Bildern auseinander. Dehn stellt hierzu fest, dass Bilder stets „etwas unsichtbar [lassen]“ (Dehn 2007: S. 32), was vom Betrachter durch Deutung und Interpretation aufgefüllt werden muss. Diese Unsichtbarkeit sei neben der Art der Darstellungsweise vor allem darauf zurückzuführen, dass jedes Bild sowohl in synchroner als auch in diachroner Betrachtungsweise uneindeutig sei. Ein Bild zeigt stets nur einen einzigen Moment und es ist zudem durch einen Rahmen begrenzt. Daher müsse sowohl die Vorgeschichte als auch die Zukunft des auf dem Bild Dargestellten wie auch das, was außerhalb des Rahmens geschieht, vom Betrachter des Bildes erdacht werden (vgl. Dehn 2007: S. 33). Bildverstehen ist nach dieser Perspektive also vor allem „Sinnverstehen und Generieren von Bedeutung“ (Dehn 2007: S. 34).
Bezogen auf die Fragestellung der Arbeit hat dies folgende Konsequenzen: Als Schreibvorgabe sollten vor allem Bilder ausgewählt werden, die ein hohes Maß an Unsichtbarem aufweisen. Dies ermöglicht es den Kindern das Bild auf unterschiedliche Art und Weise zu deuten und sorgt dafür, dass ihnen ein leichterer Einstieg ins Schreiben ermöglicht wird. Unter dem Fokus auf die Fragestellung kann vor allem gesagt werden, dass besonders diejenigen Bilder als Schreibvorgabe geeignet sind, die „Ungeklärtes und Rätselhaftes enthalten, das zu Vermutungen und Deutungen herausfordert“ (Kretschmer 2009: S. 17). Abstrakte Bilder liefern in diesem Zusammenhang eine ideale Schreibvorgabe, da sie in der Regel genau zu dem Zweck gemalt wurden, dass man als Betrachter ins Nachdenken und Interpretieren gerät, da diese Bilder keine Eindeutigkeit enthalten. Der Grad des Unsichtbaren ist in diesen Bildern sehr hoch, was sie für einen Einsatz als Schreibvorgabe prädestiniert.
Neben der Perspektive der Rezeptionswissenschaft liefert auch die didaktische Perspektive ein wesentliches Ergebnis zu der Fragestellung, welche Charakteristika von abstrakten Bildern in der Lage sind einen inneren Schreibdruck bei den Kindern auszulösen.
[...]