Die vorliegende Arbeit geht auf den Roman "Effi Briest" von Theodor Fontane in Bezug auf die darin enthaltenen Vorstellungen der Ehe ein. "[S]o sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschossenen Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich darumzuranken habe", sagte Vater Briest zum Brautpaar vor ihrer Trauung. Effi ist Effi – und Geert ist Geert, gerade in diesem Gegensatz liegt die Komplexität der Tragödie, die am Ende nur Verlierer hat und die politische Realität des Wilhelminismus literarisch offenlegt. In Form von Innstetten wird diese sogar von höchster Beamtenstelle kritisiert. Es ist die Geschichte einer Verbindung, die von Beginn an falsch ist und zum Schluss an dem scheitert, was Fontane das 'Gesellschafts-Etwas' nennt.
Fontanes 'Effi Briest' ist daher in vielerlei Hinsicht ein sehr interessantes Werk der deutschen Literatur. Inmitten einer politisch komplizierten Zeit sorgte Fontane mit einem scharfen, realistischen Blick auf die Gesellschaft für einen großen literarischen Erfolg, der sogar Thomas Mann inspirierte. Um in das Thema von ''Effi Briest' einsteigen zu können, wird als Grundlage der bürgerliche Realismus des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Anschließend vervollständigt ein Bericht über den Ardenne-Skandal die historische Komponente und bietet so eine Beschreibung des damaligen Gesellschaftszustandes. In diesen historischen Kontext eingebettet wird dann auf das Thema Ehe in 'Effi Briest' eingegangen. Hierfür wird zuerst die Figur Effi betrachtet und untersucht, inwiefern sie selbstbestimmt handelt oder handeln kann. Dabei wird auch auf Effi als ein 'Kind des Unglücks' eingegangen.
Danach wird der Ehebruch Effis thematisiert und im historischen Kontext verortet. Hier soll vor allem das Auffliegen des Ehebruchs untersucht werden. Abschließend wird Fontanes Begriff des 'Gesellschafts-Etwas' auf den Roman übertragen und das Spannungsverhältnis Individuum – Gesellschaft analysiert. Diese Untersuchungen liefern Erkenntnisse, anhand derer die Frage beantwortet werden soll, welche Umstände zum Ehebruch führten. Dabei soll auch geklärt werden, welche Konsequenzen sich daraus ergaben. Anschließend werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst und unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse ein Fazit gezogen, an das sich einige interessante Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen anschließen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bürgerlicher Realismus im 19. Jahrhundert
3. Der Ardenne-Skandal als Spiegelbild der Gesellschaft
4. 'Effi Briest' – eine gescheiterte Ehe
4.1 Effi – und die Selbstbestimmung: Ein Kind des Unglücks?
4.2 Der ( unweigerliche) Ehebruch
4.3 Das Gesellschafts-Etwas: Spannungsverhältnis Individuum – Gesellschaft
4.4 Zusammenfassung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„[S]o sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschossenen Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich darumzuranken habe“, (TF: 3) sagte Vater Briest zum Brautpaar vor ihrer Trauung.
Effi ist Effi – und Geert ist Geert, gerade in diesem Gegensatz liegt die Komplexität der Tragödie, die am Ende nur Verlierer hat und die politische Realität des Wilhelminismus literarisch offenlegt. In Form von Innstetten wird diese sogar von höchster Beamtenstelle kritisiert. Es ist die Geschichte einer Verbindung, die von Beginn an falsch ist und zum Schluss an dem scheitert, was Fontane das 'Gesellschafts-Etwas' nennt. Fontanes ' Effi Briest' ist daher in vielerlei Hinsicht ein sehr interessantes Werk der deutschen Literatur. Inmitten einer politisch komplizierten Zeit sorgte Fontane mit einem scharfen, realistischen Blick auf die Gesellschaft für einen großen literarischen Erfolg1, der sogar Thomas Mann inspirierte.
Um in das Thema von ' 'Effi Briest' einsteigen zu können, wird als Grundlage der bürgerliche Realismus des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Anschließend vervollständigt ein Bericht über den Ardenne-Skandal die historische Komponente und bietet so eine Beschreibung des damaligen Gesellschaftszustandes. In diesen historischen Kontext eingebettet wird dann auf das Thema Ehe in ' Effi Briest' eingegangen. Hierfür wird zuerst die Figur Effi betrachtet und untersucht, inwiefern sie selbstbestimmt handelt oder handeln kann. Dabei wird auch auf Effi als ein 'Kind des Unglücks' eingegangen. Danach wird der Ehebruch Effis thematisiert und im historischen Kontext verortet. Hier soll vor allem das Auffliegen des Ehebruchs untersucht werden. Abschließend wird Fontanes Begriff des 'Gesellschafts-Etwas' auf den Roman übertragen und das Spannungsverhältnis Individuum – Gesellschaft analysiert.
Diese Untersuchungen liefern Erkenntnisse, anhand derer die Frage beantwortet werden soll, welche Umstände zum Ehebruch führten. Dabei soll auch geklärt werden, welche Konsequenzen sich daraus ergaben. Anschließend werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst und unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse ein Fazit gezogen, an das sich einige interessante Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen anschließen.
Die Verweise auf die Primärliteratur, Theodor Fontanes 'Effi Briest', werden im folgenden mit dem Kürzel 'TF' sowie der Nennung der Kapitelnummer abgekürzt. Ein Beispiel dafür findet sich im Anschluss an das Eingangs-Zitat in dieser Einleitung.
2. Bürgerlicher Realismus im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert wird oft als 'langes 19. Jahrhundert' bezeichnet und reicht unter diesem Namen von der Französischen Revolution 1789 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Charakteristisch für diese Zeit ist der Aufstieg des Bürgertums und die eintretende Moderne durch die Industrialisierung, mitsamt seiner Phänomene wie dem Pauperismus. Daneben war es auch eine Zeit, in der sich das Prinzip des Nationalstaates durchsetzte.
Das 19. Jahrhundert kann somit auch als das 'bürgerliche' 19. Jahrhundert bezeichnet werden.2 Die Emanzipation und auch die höhere Bildung des Bürgertums führt sie, bezogen auf die bürgerlichen Eliten, in wichtige Machtposten bei der Verwaltung und in der Politik. In 'Reformen von oben' wurde einiges von dem umgesetzt, was 1848 gefordert aber nicht erreicht wurde. Ein weiterer Meilenstein war die 'Verbürgerlichung' der Gesellschaft durch das BGB (vgl. Osterhammel: 15).
Deutschland war zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch ein Flickenteppich, bestehend aus vielen Königreichen, Großherzogtümern und Kurfürstentümern. Abgeschlossen wurde die deutsche Nationalbildung erst mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871 (vgl. ebd.: 32). Der 'Wilhelminismus' (vgl. ebd.: 58) von Kaiser Wilhelm II führte zu der Herausbildung eines deutschen Nationalismus als Reaktion auf den Sieg gegen Frankreich. Dadurch wurde Deutschland als militärische Macht wahrgenommen und heizte die Spannung zwischen den starken Nationalstaaten an. Diese führte zu einem Machtausbau durch Kolonien (vgl. ebd.: 61) und am Ende auch in den Ersten Weltkrieg.
Der Realismus als literarische Strömung entwickelte sich nach der bürgerlichen Revolution 1848. Auslöser dieser Geschehnisse war vor allem die industrielle Revolution und ein Katalysator waren die großen Ernteausfälle 1846. Die sozialen Verhältnisse waren angespannt, viele Arbeiter waren arbeitslos geworden. Als Mitglieder der neuen Bevölkerungsschicht, dem Proletariat, waren sie abhängig von den großen Arbeitgebern. Die Arbeiter forderten so 1848 soziale Gerechtigkeit, da sie besonders vom Pauperismus (vgl. ebd.: 10) betroffen waren. Die Bürger forderten dagegen vor allem liberale, bürgerliche und demokratische Entwicklungen, sowie eine Abkehr der restaurativen und absolutistischen Bestrebungen der europäischen Herrschaftshäuser. Daraus entwickelte sich ein Dualismus aus nationalen, patriotischen und demokratischen Ideen, die auf deutschem Boden nicht immer einheitlich verstanden wurden, auch aufgrund der vielen Kleinstaaten.
„In der Modellhaftigkeit der Verfassung von 1849 liegt die wichtigste Fernwirkung einer Revolution, die ihre Ziele selbst nicht verwirklichen konnte. Das Scheitern der Revolution warf die Demokratisierung Deutschlands um Jahrzehnte zurück und schwächte republikanische und sozialrevolutionäre Kräfte; es stärkte den preußischen Anspruch auf Vorherrschaft in Deutschland und verhinderte eine Dezentralisierung […].“ (Osterhammel: 13).
Der Realismus folgte auf die romantische Strömung, die der anbrechenden Moderne zu entfliehen versuchte. Die immer mehr verlorengehende Individualität, Empfindungen wie Sehnsucht oder mystische Geschichten waren zentrale Themen. Die fortschreitende Industrialisierung konnte so allerdings nur ausgeblendet werden. Die scharfen Blicke der Realisten sorgten für eine Beobachtung der tatsächlichen Geschehnisse, die so viel Neues zu bieten und auch zu verarbeiten hatten.
Die Simultaneität der Ereignisse wurde durch den fortschreitenden Wettbewerbskapitalismus (vgl. Osterhammel: 62) verstärkt, die Menschen erlebten viele neue Erfindungen, die sie immer mehr in die Moderne drängten. Die Eisenbahn sorgte für eine neue Beschleunigungserfahrung (vgl. ebd.: 12) und das Transatlantikkabel sorgte dafür, dass die Welt immer weiter vernetzt wurde. In der Wissenschaft bildeten sich die naturwissenschaftlichen Disziplinen heraus und mit dem elektrischen Licht wurde der Grundstein für die Digitalisierung gelegt (vgl. ebd.: 46). Außerdem wuchsen die Städte (vgl. ebd..: 4, 9 und 40)
Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen aus Wachstum, Beschleunigung, Vertretung von Arbeiterinteressen durch die SPD und auch die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die Ideologisierung einer Kriegsgemeinschaft (vgl. ebd.: 58), stellten auch der Literatur neue Fragen. Wie sollte sie auf diese rasanten Entwicklungen reagieren? „Die Reaktionen in den Künsten und Geisteswissenschaften auf diese Veränderungen fanden großenteils erst in den 1890er Jahren statt.“ (ebd.: 58). Die Wahl fiel oft auf den Bildungsroman, den traditionellen bürgerlichen Roman. Dieser wurde zu einem Gesellschaftsroman entwickelt (vgl. ebd.: 44), der sich an den Familienstrukturen orientierte, als Kleineinheiten der Gesellschaft. Diese Betrachtungsebene bringt automatisch etwas Vertrautes und Persönliches in den Gesellschaftsroman, der als Eheroman an Intimität gewann.
Der realistische Roman setzte sich mit dem auseinander, was real war. Er „[...] strebte psychologische Wahrheit ebenso wie wirklichkeitsnahe Detailtreue der oft ausführlichen Schilderungen an.“ (ebd.: 44). Die „breit ausgeführte[n] Porträts von Gesellschaften in schnellem Wandel“ (ebd.) sorgten so natürlich auch für Gesellschaftskritik. Bekannte, literarische Vertreter des Realismus waren zum Beispiel Honoré de Balzac, Charles Dickens, Gustave Flaubert, Lew Tolstoi, Wilhelm Raabe und Theodor Fontane (vgl. ebd.).
Die Kernfamilie unterscheidet sich im 19. Jahrhundert sehr von der des 18. Jahrhunderts. Früher waren Mehrgenerationenhäuser mit patriarchalem Vater, Bediensteten und einer agrarischen Ausrichtung üblich. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Kernfamilie, nur noch bestehend aus Eltern und Kindern. Ebenfalls gab es eine Trennung von Familie und Beruf bezogen auf das Verhältnis Mann – Frau.
Die Säkularisierung war zu dieser Zeit rechtlich abgeschlossen, ideell aber noch lange nicht. Die Ehe zwischen Mann und Frau fiel de jure nicht mehr allein unter kirchlicher Aufsicht sondern unter die Aufsicht des Kaiserreiches. Diese war allerdings noch stark von christlichen Moralvorstellungen beeinflusst und stellte die Monogamie auf eine hohe Stufe. Ein Ehebruch bedeutete damit einen Bruch mit den zehn Geboten, wie er auch dort verankert ist – und damit eine große Sünde. Im Strafgesetzbuch von 1879 wird „der Ehebruch als ein Angriff auf den Staat begriffen“ (Bilgeri: 249), da die Ehe „Grundpfeiler des gesamtgesellschaftlichen Ordnungsgefüges“ (ebd.) ist. Ebenfalls sind Frauen härter zu bestrafen als Männer, da diese Verletzung viel ehrschädigender ist.
3. Der Ardenne-Skandal als Spiegelbild der Gesellschaft
„Liebesgeschichten, in ihrer schauderösen Ähnlichkeit, haben was Langweiliges -, aber der Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche, das versteckt, das gefährlich Politische, das diese Dinge haben […], das ist es, was mich so sehr daran interessiert“, schrieb Fontane am 2. Juli 1894 an Friedrich Stephany, während er an seiner 'Effi Briest' schrieb (Brinkmann: 12).
Als ein Autor des bürgerlichen Realismus bediente sich Theodor Fontane für seine 'Effi Briest' an einem tatsächlichen, wirklich geschehenen und in der Öffentlichkeit diskutierten Ehebruch, der etwa zehn Jahre vor dem Erscheinen 'Effi Briest's in Buchform stattgefunden hatte. Als Plot diente ihm die Konstellation der Ehepartner Armand von Ardenne mit seiner Frau Else von Ardenne sowie Elses Liebhaber Emil Hartwich. Allerdings hatte Fontane nur aus zweiter Hand von den Geschehnissen erfahren, nämlich als Gast von Familie Lessing (vgl. Gast: 35ff).
In einer kurzen Biographie sollen die Passagen aus dem Leben von Else von Ardenne, geborene Plotho, vorgestellt werden, die Fontane in seiner 'Effi Briest' als Rahmen seiner Erzählung diente (vgl. Gast: 43). Dafür wird sich an dem Werk Manfred Frankes (1994) über die Ardenne orientiert.
Else ist noch ein junges Mädchen, gerade einmal 14 Jahre alt, als ihre Mutter ihr Armand von Ardenne, einen 19 Jahre alten Fähnrich vorstellt, der sich eine Karriere als Offizier in der preußischen Armee aufbauen möchte. Elses Mutter wiederum setzt eine „[...] aktive Heiratspolitik für ihre Töchter“ (Restenberger: 59) um, was die junge Else von ihren „wilde[n] Spielen[n]“ (Franke: 24) abhält. Als Armand 1870 in den Deutsch-Französischen-Krieg zieht, wird auch Else von der allgemeinen Begeisterung angesteckt, was schließlich 1871 zur Verlobung und 1873 zur Hochzeit von Armand und Else führt. Zunächst wohnen sie in Berlin, wo Else wenig Kontakt zu Familie oder Freunden hat. Interessant ist, dass die Ardennes in Berlin mit Nachfahren von Gotthold Ephraim Lessing verkehren, wie es zu dieser Zeit auch Fontane tut. Ab 1877 wohnen die Ardennes in Düsseldorf, wo Else den Richter Emil Hartwich kennenlernt. Hartwich wird so auch zu einem Freund der Familie. Sind die beiden Männer durch ihre Leidenschaft für das Musizieren zwar miteinander verbunden, unterscheiden sie sich ansonsten doch enorm. Ardenne ist ein militärisch folgsamer, nüchterner Mann, bedacht auf seinen Barontitel während der bürgerliche Hartwich ein künstlerischer, temperamentvoller und ungestümer Freigeist ist, der sogar öffentlich das Schulsystem kritisiert (vgl. ebd..: 64).
In den kommenden Jahren intensiviert sich die Beziehung zwischen Else und Emil, die einen kontinuierlichen Briefwechsel pflegen. Im Jahr 1886 entschließen sich die beiden, sich von ihren Ehegatten trennen zu wollen. Armand findet das Verhalten seiner Frau längst verdächtig, weswegen er ihre Korrespondenz mit Emil Hartwich liest, nachdem er mit einem Zweitschlüssel ihre Kommode öffnete. Diese Briefe sollen beweisen, dass Else und Emil gemeinsam Ehebruch begangen haben, was sie am kommenden Tag nach einer Konfrontation durch Ardenne auch nicht abstreiten. Zwei Tage später fordert Ardenne Emil zu einem Duell heraus. Emil darf den ersten Schuss abgeben und feuert nur in die Luft (vgl. Franke: 149), Ardenne schießt auf Emil, der tödlich verwundet einige Tage später verstirbt.
Die Ardennes lassen sich scheiden und entwickeln sich unterschiedlich weiter: Armand wird wegen dem Duell für zwei Jahre verhaftet, allerdings nach weniger als drei Wochen von Kaiser Wilhelm I begnadigt und macht Karriere in der Armee. Er stirbt 1919. Else wird Krankenschwester und bleibt dies für den Rest ihrer Laufbahn. Sie stirbt im Alter von 99 Jahren im Jahr 1952.
Es sind viele Punkte, die Fontane an der tatsächlichen Geschichte verändert. Zum einen transformiert er den historischen Fall zu einem Zeitroman und „setzt die Ehebruchgeschichte in einen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext“ (Gast: 46). Dann verändert er das Alter der Figuren und erhöht ihren Altersunterschied beträchtlich, um die unterschiedlichen Verhaltensweisen besser herausstellen zu können, von fünf auf 20 Jahre (vgl. ebd.: 52). Auch die Motivation des Ehebruchs ändert sich. Fontane lässt Effi eher aus Langeweile, zur Zerstreuung ein Verhältnis eingehen, das nicht auf Liebe basiert, während Else und Emil wirklich verliebt waren und ihre Scheidungen planten (vgl. ebd.). Die Spukgeschichte mit dem Chinesen ist eine zentrale Stelle, die Fontane eingefügt hat. Damit zeigt sich die „zunehmende Entfremdung“ (ebd.: 57) und ein gewisser Grad von Misstrauen, mit dem Innstetten die junge Effi ängstigen will. Effi spricht von einem Mangel an Herzensgüte Innstettens, sowie einem „Angstapparat aus Kalkül“ (TF: 17). Dann zeichnete Fontane auch die Figuren anders. Besonders gut ist dies bei der Person von Emil Hartwich, bzw. Major Crampas zu sehen. Dieser war ein Bürgerlicher während der Major ein 'von' Crampas war. „Effis Ehebruch vollzieht sich also innerhalb der Standesgrenzen.“(vgl. Gast: 57f). Eine weitere Veränderung Fontanes ist auf der zeitlichen Ebene zu entdecken. Im Roman vergehen sieben Jahre bis der Ehebruch, sogar nur zufällig, entdeckt wird, während es in der Originalvorlage nur wenige Tage waren. Johanna Gast (60) zitiert hier einen Beitrag von Walter Müller-Seidel 3, in welchem er die Diskussion um eine 'Verjährungsfrist' ins Spiel bringt. Er spielt dabei auf die Frage an, ob Innstettens Reaktion angemessen war „und stellt die Notwendigkeit des Duells in Frage“ (ebd.). Dieser zögert ja auch und denkt über die 'Verjährungstheorie' nach (TF: 27). Innerlich möchte er Effi 'in seinem letzten Herzenswinkel' verzeihen (ebd.), aber am Ende entscheide „die Tatsache, dass man einem Kollektiv angehört, an dessen Regeln und Vorschriften man sich zu halten habe“ (Gast: 61). Ein letzter Unterscheidungspunkt ist der Todeszeitpunkt von Effi, die Fontane früh sterben lässt, während Else von Ardenne fast 100 Jahre alt wurde. Während Else bis zu ihrem Lebensende eine enge Beziehung zu einigen ihrer Kinder aufrechterhalten konnte, ist Effis einsamer Tod eine Erlösung und bietet zudem einen sauberen Schnitt zum Ende.
Der Ardenne-Skandal gibt Aufschluss über den Zustand der damaligen Gesellschaft. In der Presse und sogar dem Reichstag wurde diesbezüglich darüber berichtet und gesprochen. Es gab zu dieser Zeit zwar formal eine Gleichstellung von Mann und Frau, die gesellschaftlichen Normen bewerteten diese jedoch eindeutig zugunsten der Männer, die auch ihre Zustimmung geben mussten, wenn die Ehefrau arbeiten wollte. Außereheliche Beziehungen von Seiten des Ehemanns galten als Kavaliersdelikt, von Seiten der Ehefrau galten sie jedoch als Ehebruch, der einen Ehrverlust des Ehemanns nach sich zog. Da in der Regel nur der Mann berufstätig war, besaß er eine ganz andere Fallhöhe als die Frau, die keine Anstellung hatte, sondern nur Mutter und Ehefrau war. Die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung der Ehre war das Duell, was zu diesem Zeitpunkt eigentlich verboten war. Aus diesem Grund wurde Armand auch verhaftet, allerdings wurden diese Urteile meist schnell wieder aufgehoben. Zusätzlich konnte der Mann Härte zeigen, indem er sich scheiden ließ. Damit war die Frau gesellschaftlich am Ende und hatte zumeist kein eigenes Leben mehr, da sie bisher in völliger Abhängigkeit ihres Mannes stand.
[...]
1 Im ersten Jahr gab es bereits fünf Auflagen.
2 Zum Verhältnis des Bürgerlichen Realismus und 'Effi Briest' u.a.: Pfeiffer, Peter (1990): Fontanes 'Effi Briest': Zur Gestaltung epistemologischer Probleme des Bürgerlichen Realismus.
3 Dieser Beitrag stammt aus: Walter Müller-Seidel (1969): Fontanes ''Effi Briest''. Zur Tradition des Eheromans, in: Studien zur Literatur und Kunst der Jahrhundertwende, S. 93.