Aufgrund der zunehmenden Relevanz von Lehrenden an Ganztagsschulen beschäftigt sich diese Hausarbeit mit der folgenden Frage: Inwiefern findet tatsächlich ein Wandel im Alltag von Lehrenden statt, die an Ganztagsschulen arbeiten? Welche Konsequenzen hat dieser? In diesem Zusammenhang wird zudem ergründet inwiefern die Lehrkräfte am Ganztagsschulangebot teilnehmen und ob Lehrkräfte an Ganztagsschulen wirklich mehr belastet sind als an Halbtagsschulen.
Zunächst wird im ersten Kapitel ein kompakter Überblick über die Begriffsdefinition der Ganztagsschule gegeben, der auf die weiterführenden Ausführungen vorbereitet. Anschließend stehen die Veränderungen, Herausforderungen und neuen
Tätigkeitsfelder der Lehrkräfte im zweiten Kapitel im Fokus. Es folgt drittens eine Auseinandersetzung des tatsächlichen Beitrags von Lehrkräften in der Ganztagsschule. Darauf aufbauend wird im vierten Kapitel die Belastung von Lehrkräften an der
Ganztagsschule analysiert. Auf der Grundlage der vorgestellten Problematik sowie der Fragestellung wird schließlich ein Fazit mit Ausblick formuliert.
Infolge der Felderkundung für das Seminar interviewte ich einen ehemaligen Grundschullehrer, der nun an einer Ganztagsschule als Erzieher tätig ist. Dieser berichtete unter anderem von seinem veränderten Arbeitsalltag im Lehrerberuf als er von einer Halbtags- zu einer Ganztagsschule wechselte. Die neuen Herausforderungen an der Ganztagsschule wurden zur Belastung. Diese Veränderungen veranlassten ihn zu einem drastischen Schritt. Er entschied sich gegen den Lehrerberuf und schloss schließlich ein Studium der Erziehungswissenschaften ab, um als Erzieher arbeiten zu können (Interview am 29.05.2018, in der Grundschule Dahlmannschule Frankfurt a. M. mit einem Erzieher).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Ganztagsschule - Eine Begriffsdefinition
3. Veränderter Alltag der Lehrkraft in der Ganztagsschule
1. Arbeitszeit und Räumlichkeiten
2. Lehrer als Kooperationspartner
3. Lehrer als Erzieher
4. Beitrag der Lehrenden am Ganztag
5. Ganztagsschule als (Mehr-)Belastung
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Infolge der Felderkundung für das Seminar interviewte ich einen ehemaligen Grundschullehrer, der nun an einer Ganztagsschule als Erzieher tätig ist. Dieser berichtete unter anderem von seinem veränderten Arbeitsalltag im Lehrerberuf als er von einer Halbtags- zu einer Ganztagsschule wechselte. Die neuen Herausforderungen an der Ganztagsschule wurden zur Belastung. Diese Veränderungen veranlassten ihn zu einem drastischen Schritt. Er entschied sich gegen den Lehrerberuf und schloss schließlich ein Studium der Erziehungswissenschaften ab, um als Erzieher arbeiten zu können (Interview am 29.05.2018, in der Grundschule Dahlmannschule Frankfurt a. M. mit einem Erzieher).
Aufgrund dieser Schilderungen und der zunehmenden Relevanz von Lehrenden an Ganztagsschulen beschäftigt sich diese Hausarbeit mit der folgenden Frage:Inwiefern findet tatsächlich ein Wandel im Alltag von Lehrenden statt, die an Ganztagsschulen arbeiten? Welche Konsequenzen hat dieser? In diesem Zusammenhang wird zudem ergründet inwiefern die Lehrkräfte am Ganztagsschulangebot teilnehmen und ob Lehrkräfte an Ganztagsschulen wirklich mehr belastet sind als an Halbtagsschulen. Zunächst wird im ersten Kapitel ein kompakter Überblick über die Begriffsdefinition der Ganztagsschule gegeben, der auf die weiterführenden Ausführungen vorbereitet. Anschließend stehen die Veränderungen, Herausforderungen und neuen Tätigkeitsfelder der Lehrkräfte im zweiten Kapitel im Fokus. Es folgt drittens eine Auseinandersetzung des tatsächlichen Beitrags von Lehrkräften in der Ganztagsschule. Darauf aufbauend wird im vierten Kapitel die Belastung von Lehrkräften an der Ganztagsschule analysiert. Auf der Grundlage der vorgestellten Problematik sowie der Fragestellung wird schließlich ein Fazit mit Ausblick formuliert.
Im Hinblick auf die Literatur zur Thematik der Lehrerolle in der Ganztagsschule sollte keine zu hohe Erwartungshaltung entstehen. Es sind nur wenige Publikationen, die sich konkret mit den (veränderten) Voraussetzungen sowie Bedingungen für Lehrkräfte an Ganztagsschulen beschäftigen. Darunter sind Wunder (2008), Popp (2011), Speck (2012), Kielblock (2013) sowie Rehm (2018). Die Forschung zur Belastung der Lehrkräfte speziell an Ganztagsschulen ist ebenfalls in den Anfängen, wobei Fussangel et al. (2010) sowie Fussangel & Dizinger (2014) erstmalig die unterschiedlichen Belastungsanforderungen von Halb- und Ganztagsschule zu ergründen versuchten.
Der Umfang der Arbeit lässt keine tiefergreifende Analyse bezüglich der Kooperation mit weiterem pädagogischen Personal an der Ganztagsschule im Hinblick auf den veränderten Alltag der Lehrkraft und deren Belastung zu. Deshalb wird dieser dennoch wichtige Aspekt für die Ganztagsschule dem Unterpunkt „Lehrer als Kooperationspartner zusammengefasst.
2. Die Ganztagsschule - Eine Begriffsdefinition
Eine Ganztagsschule unterscheidet sich dann von einer Halbtagsschule wenn sie es, nach der Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) (2015), den SuS1 an mindestens drei Tagen in der Woche ermöglicht, an einem mindestens siebenstündigen (Zeitstunden), ganztägigen Angebot teilnehmen zu können (vgl. ebd., S. 4-5). Zudem muss durch die Schule sichergestellt werden, dass an diesen drei Tagen für Mittagessen gesorgt wird. Die Organisation der Ganztagsschule obliegt dabei der Schulleitung. Diese trägt dafür Sorge, dass der Unterricht in einem konzeptionellen Rahmen mit den außerunterrichtlichen Angeboten steht (vgl. ebd., S. 8-9). Diese Definition richtet sich an die Primar- sowie Sekundarstufe I. Über die 10. Klasse hinaus ist die Begriffsdefinition deshalb hinfällig. Klare Informationen zur inhaltliche Ausrichtung sind in den Ausführungen der KMK nicht vorzufinden (vgl. Nerowski, 2015, S. 16).
Ganztagsschule ist jedoch nicht gleich Ganztagsschule: Laut der KMK (2015) wird in den Ländern zwischen drei Formen unterschieden: Gebundene, teilgebundene und offene Ganztagsschulen. Gebundene Ganztagsschulen verpflichten alle ihre SuS am nachmittäglichen Angebot teilzunehmen (vgl. ebd., S. 8-9). Im Gegensatz dazu können die SuS und deren Eltern an offenen Ganztagsschulen halbjährig selbst über die Teilnahme am Nachmittagsangebot entscheiden. Der Kompromiss und die häufigste Variante der Ganztagsschule stellt die teilgebundene dar. Hier wählt nur ein Teil der Schülerschaft das Angebot am Nachmittag aus (vgl. Rehm, 2018, S. 21).
Das zeitliche Organisationsprinzip der Ganztagsschule gliedert sich gemäß der KMK (2015) in zwei Ansätze. Der rhythmisierte Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass auf Lern- und Konzentrationsphasen Entspannungsphasen folgen (vgl. ebd., S. 7). Die Orientierung bei der Alternation dieser Phasen soll gemäß des biologischen Rhythmus der SuS erfolgen (vgl. Appel & Rutz, 2009, S. 103). Beim additiven Ansatz findet der Fachunterricht vormittags statt. Am Nachmittag sind Betreuungsangebote vorgesehen, die aus Freizeitaktivitäten, Hausaufgabenhilfe oder Entspannungsphasen bestehen können (vgl. Nerowski, 2015, S. 27).
Neben den Differenzierungen des KMK finden sich allerdings weitere Kriterien zur Unterscheidung von Ganztagsschulen. Nerowski (2015) stellt die Differenzierung nach Leitideen von Jürgen Rekus vor sowie nach Prozessmerkmalen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) vor (vgl. ebd. S. 29-35). Zudem verfügt jedes Bundesland über länderspezifische Richtlinien zur Bedeutung der Ganztagsschule (vgl. KMK, 2015, S. 16-23) sowie dessen Beschreibung (vgl. ebd., S. 24-40) und pädagogischen Grundsätzen (vgl. ebd., S. 41-54).
Das Ziel der Ganztagsschule sei bundesweit „die Trias von Bildung, Erziehung und Betreuung am Lern- und Lebensort“ (vgl. ebd., S. 7) zu gewährleisten. Zentral für dieses Konzept ist die Optimierung der Förderung für SuS, die mithilfe des höheren zeitlichen Aufkommens des Ganztags realisierbar werde (vgl. ebd.). Die Aufgabe der Bildung obliegt der Lehrkraft, so könnte man nun meinen. Nach ihrem fachlichen Unterricht verlässt sie gewohnt die Schule. Laut der KMK (2015) ergeben sich allerdings aus dem neu geschaffenen Lern- und Lehrumfeld der Ganztagsschule „ ein neues Rollenverständnis, weg von der klassischen Rolle des Lehrenden hin zum Organisator von Lernprozessen, zum Berater, Lernbegleiter, Pädagogen und Erzieher.“ (ebd., S. 7). Die Lehrkraft erhält damit ein größeres Spektrum an den von ihr nachzugehenden Aufgabenbereichen, die im folgenden Kapitel erläutert werden.
3. Veränderter Alltag der Lehrkraft in der Ganztagsschule
Das neue Rollenverständnis der KMK (2015) für Lehrkräfte geht soweit, dass „multiprofessionelle Kompetenzen auf Seiten des Lehrkörpers“ (ebd., S. 7) an Ganztagsschulen gefordert werden. In der Literatur entfacht darüber eine Diskussion, inwiefern es sinnvoll sei als Lehrkraft ein Bündel an Tätigkeiten dazu zu gewinnen.
Giesecke (2001) nimmt die Konfrontation mit vielen unterschiedlichen Verpflichtungen an der Ganztagsschule kritisch wahr. Sie führen zu einer Entprofessionalisierung, da die eigentliche Aufgabe der Lehrkraft, das Unterrichten, durch andere Tätigkeiten in der Ganztagsschule überdeckt würden (vgl. ebd., S. 14). Dennoch stimmt Popp (2011) für das erweiterte Aufgabenfeld eines Lehrenden, da sich das ohnehin veraltete Rollenverständnis als bloßer „Wissensvermittler“ der Vergangenheit entspräche (vgl. ebd., S. 46). Neue Aufgaben seien auch die Grundlage für ein neu gewonnenes Selbstverständnis innerhalb der Profession (vgl. ebd., S. 34).
Manche Veröffentlichungen gehen soweit, dass der Beruf der Lehrkraft an der Ganztagsschule ein neuer sei (vgl. Wunder, 2008, S. 53). Erst die Arbeit der Lehrkraft an der Ganztagsschule komplementiere das gesamte Aufgabenspektrum eines Lehrenden: „Erst in der Ganztagsschule kann der Lehrberuf seine Erfüllung finden.“ (ebd., S. 40) Welche Veränderungen sich zusätzlich im Vergleich zur Halbtagsschule ergeben wird im Folgenden verdeutlicht.
1. Arbeitszeit und Räumlichkeiten
Das Verständnis vom Ort Schule verändere sich, da sich die Präsenz in der Ganztagsschule für Lehrende verlängere (Speck, 2010, S. 58). Die Pflichtstunden eines Lehrenden, die je nach Bundesland sowie Schulform variieren und von der KMK (2016) jedes Schuljahr veröffentlich werden, gelten auch für den Ganztagsschulbetrieb. In Hessen muss eine Lehrkraft am Gymnasium zwischen 25 und 26 Stunden unterrichten. Die Arbeitszeit beträgt bis zum 51. Lebensjahr 42 Stunden (vgl. ebd., S. 2-5). Diese Festlegung gilt sowohl für Halb- als auch Ganztagsschulen. Die Differenz von den Pflichtstunden teilt sich der Lehrende frei für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Vorbereitung und Korrektur von Klassenarbeiten bzw. Klausuren, Konferenzen, Klassenfahrten, Eltern- und Schülergespräche und vieles mehr ein. Die Arbeit, die Lehrende an einer Halbtagsschule aller Voraussicht nach zu Hause erledigen, könnten an der Ganztagsschule verrichtet werden, da „[D] die Schule [wird] als Arbeitsort“ (ebd., S. 58) verstanden werden solle. Um dies zu gewährleisten muss an Schulen mit ganztägigen Konzepten der gesamte Lebens-, Lern-, und Beschäftigungsbereich an die Bedürfnisse sowohl für Lehrende (als auch für Lernende) (um-)gestaltet werden. Die innere Gestaltung der Ganztagsschule ist kein geringfügiger Bestandteil. Neben den obligatorischen Unterrichtsräumen bedarf es weiterer Räumlichkeiten in der Ganztagsschule, um die Präsenzzeit in der Schule zu organisieren. Arbeits- und Rückzugsräume mit PC, ausreichendem Stauplatz für Unterlagen sowie Klausuren etc. seien vonnöten (vgl. Appel & Rutz, 2009, S. 216-217).
Damit sei das Grundproblem nach Herrmann (2008) der „strukturellen Trennung von Lehrer-Lehrtätigkeit und Schüler-Lernarbeit“ gelöst (ebd., S. 19). Die eigene Tätigkeit der Lehrenden wird an der Ganztagsschule auch außerhalb des Unterrichts sichtbar. Dies führe nicht mehr länger zu einer Verlagerung der Arbeit auf das Leben und damit zu weniger Frustration, weil auch das Vorurteil der Lehrkraft, nur vormittags arbeiten zu müssen, verwinde (vgl. ebd., S. 20-22). Es erfordere allerdings ein „neues individuelles Zeitmanagement“ (Speck, 2010, S. 58), um sich auf die neuen Zeitstrukturen in der Ganztagsschule einzulassen zu können.
2. Lehrer als Kooperationspartner
Die veränderte und ausgeweitete Arbeitszeit von Lehrkräften innerhalb der Ganztagsschule ist aus einem weiteren Grund relevant. In gemeinsam genutzten Räumlichkeiten wäre es Lehrenden während ihrer Arbeitszeit besser möglich miteinander zu kooperieren. Die Kooperation kann so leichter organisiert und in den schulischen Alltag integriert werden (vgl. Dollinger, 2014, S. 94). Nach Kamski (2011) gehöre zur Kooperation regelmäßige Kommunikation, gegenseitige Information, wechselseitiger Erfahrungsaustausch, arbeitsteilige Verfahrensweisen sowie kreative Anregungen durch Gespräche und Literatur. Zudem setzt eine gelingende Kooperation eine wechselseitige Bereitschaft zum Austausch, Empathie und Toleranz voraus. Letztlich basiere die gemeinsame Arbeit auf der Annahme, dass die beteiligten Personen ein gemeinsames Ziel verfolgen und dabei Strukturen und Zuständigkeiten geklärt sind (vgl. ebd., S. 78). Martens (2008) plädiert dafür, dass sowohl die alleinige Unterrichtsplanung als auch -durchführung ein „Relikt der Vergangenheit“ seien (ebd., S. 80). Neben der Überwindung der häuslichen Arbeitszeit wäre zudem ein neues Selbstverständnis erforderlich, in welchem sich der Lehrende als „Teamplayer“ und nicht länger als Einzelkämpfer versteht (vgl. ebd., S. 80-81).
Wie plausibel sind diese Erwartungen an Kooperation in der Ganztagsschule? In der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) ist in der ersten Erhebung festgestellt worden, dass die Kooperation unter den Lehrkräften nur geringfügig ausgeprägt ist (vgl. Fussangel et al., 2010, S. 57). In der Studie wurden in der die Kooperation sowie die Belastung und Beanspruchung von Lehrkräften an Halbtagsschulen und voll gebunden Ganztagsschulen in NRW miteinander verglichen (vgl. ebd., S. 51). Anhand drei verschiedener Kooperationsformen: Austausch, gemeinsame Arbeitsplanung sowie Ko-Konstruktion wurden folgende Ergebnisse nachgewiesen (vgl. ebd., S. 55-56). Der Austausch fand häufiger statt als die beiden anderen Kooperationsformen gemeinsame Arbeitsplanung und Ko-Konstruktion. Die intensivste Form der Kooperation, die Ko-Konstruktion, die beispielsweise eine vertiefte Reflexion und Analyse gemeinsamer unterrichtlicher Bestandteile erfordert, wird selten praktiziert. Die Lehrpersonen sowie deren Kooperation an Halbtags- und Ganztagsschulen unterscheide sich nicht signifikant (vgl. ebd., S. 63-64). Daraus kann geschlossen werden, dass die vorhandenen Chancen (beispielsweise auf Grund der zusätzlichen Räumlichkeiten und der höheren Präsenzzeit an der Schule), die sie an einer ganztägigen Schule für eine intensivere Kooperation unter Lehrenden ergeben, bisher beinah ungenutzt bleiben. Das neue Selbstverständnis der Lehrkräfte als Teil eines Teams scheint noch wenig etabliert zu sein.
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1 Im Verlauf steht die Abkürzung SuS für Schülerinnen und Schüler.