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Hausarbeit, 2016
38 Seiten, Note: 1,3
Abkürzungsverzeichnis
1 Krisenkommunikation in sozialen Medien
2 Wie beeinflusst der Einsatz von Social Media die klassische Krisenkommunikation in Unternehmenskrisen? Wie können professionelle Kommunikatoren soziale Medien im Krisenfall strategisch nutzen?
3 Definitionen und Charakteristika der grundlegenden Termini
3.1 Krise
3.1.1 Krisenursachen und Krisentypen
3.1.2 Krisenverlauf
3.2 Krisenkommunikation
3.2.1 Anspruchsgruppen im Krisenfall
3.2.2 Mediale Rahmenbedingungen der Krisenkommunikation
3.3 Soziale Medien
3.3.1 Nutzung sozialer Medien in der deutschen Bevölkerung
3.3.2 Einsatz von sozialen Medien in deutschen Unternehmen
4 Der Einsatz sozialer Medien in Unternehmenskrisen
4.1 Strukturelle Rahmenbedingungen sozialer Medien und deren
Einfluss auf die Krisenkommunikation
4.1.1 Auflösung des klassischen Rollenverständnisses
4.1.2 Aktualitätszwang
4.1.3 Veränderte Machtverhältnisse im Social Web
4.1.4 Krisenerzeugung in den sozialen Medien
4.2 Opportunitäten der Krisenkommunikation im Social Web
5 Präventive, intervenierende und evaluierende Krisenkommunikationsmaßnahmen in den sozialen Medien
5.1 Krisenprävention mittels Social Media Monitoring
5.2 Erfolgsfaktoren der Krisenintervention in den sozialen Medien
5.2.1 Schnelligkeit
5.2.2 Vertrauensgenerierung und -stabilisierung
5.2.3 Social-Media-Gesamtstrategie
5.3 Krisenevaluation inklusive effektivem Reputationsmanagement
6 Strategisches Vorgehen als Determinante einer erfolgreichen
Krisenkommunikation in sozialen Medien
7 Anhang
8 Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack einer Katastrophe nehmen“ (zitiert nach Miersch 2008: o.S.). Dieses Zitat von Max Frisch betont das Positive einer Krise – nämlich auf deren Lösung hinzuar- beiten, diese zu bewältigen und aus dem Geschehenen lernen zu können. Die vorliegende Arbeit greift diesen Gedanken auf und thematisiert daher den stra- tegischen Umgang mit Unternehmenskrisen im Hinblick auf den Einsatz sozialer Medien (SM), um möglichst gestärkt aus einer Krisensituation hervorzugehen. Folgende Forschungsfragen liegen der Seminararbeit zugrunde: Wie beeinflusst der Einsatz von Social Media die klassische Krisenkommunikation (KK) in Un- ternehmenskrisen? Und davon ausgehend – wie können professionelle Kommu- nikatoren SM im Krisenfall (KF) strategisch nutzen?
Die Relevanz des Themas begründet sich zum einen durch dessen Aktualität: Aufgrund des technischen Fortschrittes führt eine Vielzahl an Unternehmen (UN) mittlerweile Kommunikationsmaßnahmen in den SM durch (vgl. BIT- KOM 2012: S. 6 f.). Dies umfasst auch die KK. Zum anderen bemisst sich die Bedeutung des Themenkomplexes aus dessen enormen Einflusspotential auf die Unternehmenslage: Denn falsches Agieren im Social Media kann – insbesondere im KF – weitreichende finanzielle oder markenbezogene Schäden verursachen (vgl. Ditges/ Höbel/ Hofmann 2008: S. 27). Der Kommunikationskanal Social Media muss daher korrekt und effektiv eingesetzt werden. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Unternehmenskommunikation (UK) die Logik der SM be- rücksichtigt.
Der Literaturstand zum kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfeld KK kann als äußerst umfangreich beschrieben werden. Eine Vielzahl der Werke weist jedoch die Gestalt von Ratgebern und Praktiker-Lehrbüchern auf, sodass sich diese aufgrund der fehlenden Tiefgründigkeit lediglich bedingt zur Beant- wortung des vorliegenden Erkenntnisinteresses eignen. Zudem spezifizieren sich wenige Werke ausschließlich auf die KK innerhalb SM – was freilich mit der Aktualität dieses Forschungsfelds zusammenhängt. Als Einführungswerk für diesen Themenkomplex ist insbesondere das Werk „Die Goliath-Falle. Die neuen Spielregeln für die Krisenkommunikation im Social Web“ von Herbert Stoffels und Peter Bernskötter hervorzuheben. Denn es gibt einen umfassenden Überblick über sämtliche Prozesse, die die KK in den SM tangieren können. Außerdem greift die vorliegende Seminararbeit auf aktuelle Beiträge aus kom- munikationswissenschaftlichen Online-Magazinen zurück und verwendet die Standardwerke zur klassischen KK – sofern sich deren Ausführungen auf eine strategische KK in den SM sinnvoll anwenden lassen.
In der Fachwelt herrscht weitgehend Konsens darüber, dass die grundlegenden
Leitlinien der klassischen KK auch für die KK im Social Media gelten (vgl. Bundesministerium des Innern 2008: S. 22). Allerdings sollten professionelle Kom- munikatoren die Mechanismen der SM berücksichtigen, um strategische Bot- schaften effektiv im Social Media platzieren zu können (vgl. Stoffels/ Bernsköt- ter 2012: S. V f.).
Zur Beantwortung der beiden zugrundeliegenden Fragestellungen wurde ein de- skriptives Vorgehen gewählt. Die nachfolgende Arbeit fokussiert sich anfangs auf die basalen Termini: Die Begriffe Krise, KK und SM werden definiert sowie in Bezug auf das Erkenntnissinteresse charakterisiert. Das nachfolgende Kapitel widmet sich dem Einsatz von Social Media im KF. Die strukturellen Rahmen- bedingungen der SM werden hierbei erörtert und in Verbindung mit den Anfor- derungen an eine effektive KK gesetzt. Dazu zählen die Auflösung des klassi- schen Rollenverständnisses, der Aktualitätszwang, die veränderten Machtver- hältnisse sowie die Krisenerzeugung in den SM. Im Anschluss daran werden die Opportunitäten, die sich durch den Einsatz von Social Media im Rahmen der KK ergeben, den vorangegangenen Anforderungen vergleichend gegenübergestellt. Ein weiteres Kapitel gibt Empfehlungen für strategische Krisenkommunikati- onsmaßnahmen in den SM. Dabei wird zwischen Maßnahmen zur Krisenprä- vention (KP), Krisenintervention (KI) und Krisenevaluation (KE) differenziert. Ein Fazit führt abschließend die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Diese Arbeit verfolgt zwei wissenschaftliche Fragestellungen: Das erste Er- kenntnisinteresse besteht darin, zu ergründen, inwiefern die Nutzung von Social Media die klassische KK eines UN beeinflusst. Die darauf aufbauende zweite Fragestellung, die der Arbeit zugrunde liegt, zielt darauf ab, Empfehlungen für den strategischen Einsatz von SM im Zuge der KP, KI und KE zu erarbeiten. Daher werden in den nachfolgenden Kapiteln sowohl das Einflusspotential als auch der strategische Einsatz von Social Media im KF beleuchtet. Die Beschäf- tigung mit Definitionen und Charakteristika der grundlegenden Termini steht am Anfang dieser Arbeit.
Das nachfolgende Kapitel besteht aus Definitionen sowie Charakteristika der für diese Arbeit zentralen Begriffe Krise, KK und SM. Darüber hinaus werden diese Termini in ihren für das vorliegende Erkenntnisinteresse relevanten Kontext ein- gebettet. Den Ausgangspunkt hierfür bildet eine intensive Beschäftigung mit Be- griff und Merkmalen der Krise.
Der Terminus Krise entstammt ursprünglich dem griechischen Wort „krisis“ (vgl. Helbig 2005: S. 13), welches als „Wendepunkt oder Entscheidungssitua- tion“ (Breitsprecher 2013: S. 12) übersetzt wird. In der modernen Alltagssprache ist der Begriff sehr weit verbreitet, wird jedoch lediglich unspezifisch definiert: Demnach stellen Krisen bedrohliche Zustände dar, die hinsichtlich Intensität und Wesensmerkmalen stark variieren können (vgl. Baumgärtner 2005: S. 18).
Eine weitaus präzisere Begriffsbestimmung leistet die Wissenschaft. Jedoch er- weisen sich die Definitionsversuche der Autoren – abhängig von ihrer For- schungsdisziplin – als heterogen (vgl. Ebd.). Eine etablierte und häufig rezipierte Definition geht auf den Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Krystek zurück:
„Krisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbar- keit sowie mit ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung/ Organisation substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmög- lich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung bestimmter Ziele, deren Gefähr- dung oder sogar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefähr- dung oder -vernichtung.“ (Krystek 1987: S. 6 f.)
Dieser stark betriebswirtschaftlichen Ausrichtung soll nun eine kommunikati-onswissenschaftlicher Perspektive gegenübergestellt werden. Die in dieser Dis- ziplin vorherrschende Begriffsdeutung stammt vom Kommunikationswissen- schaftler Klaus Merten. Er beschreibt eine Krise als „Unterbrechung eines ge- ordnet verlaufenden Prozesses resp. einer Gewohnheit, deren 1) Zeitpunkt des Eintretens, 2) deren Ursachen, 3) deren Dauer und 4) deren Verlauf ungewiss ist und daher eine reale Gefahr darstellt“ (Merten 2008: S. 87).
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf Mertens Krisenverständnis Denn er löst die Krise von ihrem rein betriebswirtschaftlichen Kontext und betont explizit den Faktor der Unsicherheit, welcher in der modernen KK – wie die nachfolgen- den Ausführungen zeigen werden – eine entscheidende Rolle zukommt.
Die Ursachen, die zu einer Krise führen, sind ebenso wie die Auswirkungen vielfältig (vgl. Möhrle/ Hoffmann 2012: S. 22): Beispielsweise können ein negatives Geschäftsergebnis, eine Naturkatastrophe oder das Fehlverhalten von Mitarbeitern eine Krise auslösen (vgl. Immerschitt 2015: S. 3). Eine Kategori- sierung möglicher Krisenursachen befindet sich im Anhang1. Es ist ebenso mög- lich, dass diese nicht nur aus einer Ursache entsteht, sondern erst das Zusam- menspiel mehrerer Faktoren die Krise generiert (vgl. Helbig 2005: S. 18).
Durch die Kategorisierung dieser heterogenen Krisenursachen können grund- sätzlich interne und externe Krisen voneinander unterschieden werden (vgl. Lo- carek-Junge/ Straßberger/ Wagner 2003: S. 127). Die Ursachen für interne Kri- sen liegen im UN selbst – und somit auch im eigenen Einflussbereich. Demge- genüber lösen bei externen Krisen Faktoren aus der Unternehmensumwelt die K aus, sodass der Konzern diese nicht regulieren kann (vgl. Hofmann/ Braun 2008: S. 138).
Des Weiteren kann zwischen operativen und kommunikativen Krisen differen- ziert werden. Aus einer klassischen unternehmensbezogenen Krise, die aufgrund technischer oder materieller Gegebenheiten verursacht worden ist, kann mittels medialer Berichterstattung (BE) eine kommunikative Krise entwachsen (vgl. Helbig 2005: S. 18).
Als Folge dieser mannigfaltigen Krisenursachen kann auch der Krisenverlauf nicht generalisiert werden. Vielmehr zeichnen sich Verlaufsmuster ab, die von den spezifischen Charakteristika der jeweiligen Krisensituation abhängen (vgl. Ebd.: S. 19).
Grundsätzlich durchlaufen die meisten Krisen in der Regel vier Stadien, die auf- einander folgen: die (1) potentielle, die (2) latente und die (3) akute Krisenphase sowie die (4) Nach-Krisenphase. In (1) der potentiellen Krisenphase kann aus einer drohenden Gefahr eine Krise entstehen, welche das UN in diesem Stadium noch nicht als solche erkennen. Präventive Maßnahmen zur Krisenfrüherken- nung können diese Entwicklung teilweise eindämmen. Die eigentliche Krisen- diagnose findet anschließend in (2) der latenten Phase statt, in der jedoch ledig- lich die organisationale oder unternehmerische Führungsebene involviert ist. Erste operative Maßnahmen werden ergriffen. Weitere interne Akteure sowie die Öffentlichkeit erfahren in (3) der akuten Krisenphase von der Krisensitua- tion. Der Krisenbewältigung und -kommunikation kommen in diesem Stadium zentrale Rollen zu. In (4) der Nach-Krisenphase ist die Krisensituation überwun- den. Das Geschehene muss nun aufgearbeitet und für die künftige KP und -be- wältigung genutzt werden (vgl. Immerschitt 2015: S. 4).
Die publizistische Intensität der BE variiert während des Krisenverlaufs. Grund- sätzlich kann eine steigende Publizität zum KF verzeichnet werden, sobald die- ser der Öffentlichkeit bekannt ist. Dies lässt sich durch ein erhöhtes Informati- onsbedürfnis der Bevölkerung im KF erklären. Erst in der Nach-Krisenphase nimmt die BE ab (vgl. Helbig 2005: S. 19 f.). Im Anhang2 befindet sich eine Übersicht zum Zusammenspiel von Krisenverlauf, unternehmerischer Hand- lungsfreiheit und Publikationsaufkommen.
Um im KF mittels der Platzierung strategischer Botschaften in der Öffentlichkeit den Schaden zu mindern, bedarf es einer effektiven Krisenkommunikationsabtei- lung. Unter KK wird „die Gesamtheit aller kommunikativen Maßnahmen im Krisenfall“ (Bühler 2003: S. 41) verstanden.
„Krisen-PR (als zentraler Bestandteil [der Krisenkommunikation]) meint das Manage- ment von interner und externer Kommunikation durch PR-Strategien und PR-Tools. Ziel ist es, […] aktiv zur Krisenprävention beizutragen, latente Krisen zu erkennen und einzudämmen, in der akuten Krisenphase Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu erhalten und die Marke zu schützen sowie prozessbegleitend und in der Nachkrisenphase die eingesetzten PR-Strategien und PR-Tools abschließend durch Evaluation zu überprü- fen.“ (Ebd.)
Die KK agiert demnach in allen vier Krisenstadien. Insbesondere in der akuten Krisenphase sind die Anforderungen an eine qualitativ hochwertige KK vielfäl- tig. Hierbei zählen das Bekennen zur aktiven und schnellen Krisenlösung, die Bereitschaft zur umfänglichen Informationsveröffentlichung, das Kommunizie- ren von Krisenvermeidungsstrategien und Verantwortungsübernahme sowie das Dokumentieren von öffentlicher und veröffentlichter Meinung zu den grundle- genden Leistungsansprüchen (vgl. Ditges/ Höbel/ Hofmann 2008: S. 23). Eine phasenspezifische Aufgabenübersicht befindet sich im Anhang3.
Aufgrund der Komplexität dieser Anforderungen gilt die KK als „Königsdiszip- lin der PR“ (zitiert nach Public Relations Verband Austria 2016b: o.S.). In der Folge entstand eine Vielzahl an umfassender Handlungsempfehlungen für den KF: Eine gute Vorbereitung, den richtigen Kommunikationszeitpunkt im Hin- blick auf die Desiderate Schnelligkeit und Informationsverifizierung zu wählen, ein hohes Maß an Sensibilität sowie konsistentes und kongruentes Kommunika- tionsverhalten gehören zu den wichtigsten Stützpfeilern einer erfolgreichen KK in der akuten Phase (vgl. Baier-Fuchs 2008: S. 220 ff.).
Alles in allem kann die KK als wesentliches Element des Krisenmanagements begriffen werden (vgl. Sartory et al. 2013: S. 93). Denn um erfolgreiche KK zu leisten, muss diese eng mit dem Krisenmanagement verzahnt sein und dessen Strategie konsequent umsetzen (vgl. Thießen 2011: S. 88).
Im KF müssen verschiedene Anspruchsgruppen des UN gezielt informiert werden, um den drohenden Schaden zu begrenzen. Zu den Anspruchsgruppen zählen „neben Kapitalgebern, Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern und Mitarbeitern insbesondere die Medien und die Öffentlichkeit“ (Plankert 2009: S. 14). Eine Übersicht über potentielle Anspruchsgruppen ist im Anhang 4 abgebildet.
Die Aufgabe der Krisenkommunikatoren besteht darin, alle vom KF betroffenen Akteure zu erkennen und mit ihnen mittels gruppenspezifisch abgestimmter Kommunikationsmaßnahmen und -inhalte in Dialog zu treten. Denn diese Teilöffentlichkeiten differieren bezüglich ihres jeweiligen Interesses in der Krisensituation erheblich (vgl. Klimke/ Schott 1993: S. 204 ff.), sodass die Notwendigkeit einer zielgerichteten und strategischen Kommunikation in Abhängigkeit vom Adressatenkreis besteht.
Einen besonders hohen Stellenwert nimmt die Kommunikation mit den Medien in Krisenzeiten ein. Denn diese fungieren als „Informationsvermittler zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit“ (Helbig 2005: S. 46) und werden somit für die breite Bevölkerung zur wichtigsten Informationsquelle bezüglich des KF (vgl. Wiedemann 1993: S. 37). Gleichzeitig ergeben sich durch diese Schlüsselposi- tion hohe Anforderungen an die journalistische BE – etwa Desinformation oder Manipulation der Rezipienten zu unterbinden (vgl. Baumgärtner 2005: S. 250). Generell besteht in Krisensituationen ein gesteigertes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit (vgl. Helbig 2005: S. 19), da irreguläre Vorfälle Aufsehen erzeu- gen (vgl. Teetz 2013: S. 158). Auch für Journalisten kommt dem Faktor Überra- schung eine zentrale Rolle als Relevanzkriterium zu, wenn sie entscheiden, wel- che Themen selektiert werden. Negativismus, Bedeutsamkeit sowie der Bezug auf Elite-Nationen und Personen bilden weitere Nachrichtenfaktoren im Rahmen des Gatekeeper-Ansatzes. Krisen erfüllen diese Nachrichtenfaktoren aufgrund ihrer Wesensmerkmale. In der Folge führt der hohe Nachrichtenwert zu einer Begünstigung und Intensivierung der BE über den KF (vgl. Hahn 2008: S. 231). Jedoch verfügt die KK lediglich über ein geringes Einflusspotential auf die jour- nalistische BE: Donsbach und Barth eruieren, dass Journalisten häufiger und umfangreicher über Pressekonferenzen berichten, die im Zuge eines KF stattfin- den, als über sogenannte Aktions-Pressekonferenzen. Allerdings können Public Relations (PR) in Krisenfällen ihre Botschaften in weitaus geringerem Umfang in den Medien platzieren als im Normalzustand. Donsbach und Barth erklären dieses Ergebnis durch eine stärker ausgeprägte Motivation zur journalistischen Eigenrecherche in Krisensituationen (vgl. Donsbach/ Barth 1992: S. 163). Folglich können die Medien selbst – in Abhängigkeit von Inhalten und Wertun- gen innerhalb ihrer BE – Einfluss auf den weiteren Krisenverlauf nehmen (vgl. Raupp 2013: S. 176). „Die moderne Medienlandschaft kann Menschen, Organi- sationen zur Schau, ja, an den Pranger stellen, Produkte fördern, protegieren, vernichten, sie gewissermaßen erst machen“ (Ditges/ Höbel/ Hofmann 2008: S. 51). In diesem Zusammenhang muss die Entwicklung zum sogenannten Info- tainment – also Information durch Emotion – in Krisensituationen kritisch be- trachtet werden. Insbesondere Boulevard-Zeitungen steigern ihre betriebswirt- schaftlichen Kennzahlen durch reißerische BE (vgl. Ditges 2010: S. 196 f.). „Je skandalöser, je reißerischer, je dramatischer der Inhalt erscheint, desto mehr Klicks sind drin“ (Glombitza-Oelsner 2015: o.S.). Demnach kann Infotainment zu Lasten einer objektiven BE über Krisenfälle gehen (vgl. Ditges 2010: S. 196 f.), was wiederum die Krise verschärfen und den betroffenen Akteur weiterhin schädigen kann.
Die Existenz von SM beeinflusst nicht nur die KK in hohem Maße, sondern ebenso das komplette Gebilde der öffentlichen Kommunikation (vgl. Schmidt 2013: S. 9). Schmidt definiert SM „als Sammelbegriff für bestimmte Angebote und Formen digital vernetzter Medien, die das onlinebasierte Bearbeiten und Veröffentlichen von Inhalten aller Art sowie die Beziehungspflege und den Aus- tausch zwischen Menschen erleichtern“ (Ebd.: S. 16). Darüber hinaus führt Schmidt an, dass dieser Terminus verschiedenste Gattungen umfasst – etwa Netzwerkplattformen, Multimediaplattformen, Weblogs, Microblogs und Wikis (vgl. Ebd.: S. 11 - 14). Eine Übersicht der wichtigsten Gattungen ist im Anhang5 vorzufinden.
SM weisen bestimmte Charakteristika auf, die durch ihre technische Infrastruk- tur zustande kommen: Erstens ermöglicht die hohe Informationsdynamik den unmittelbaren und grenzüberschreitenden Austausch zwischen den Nutzern. Zweitens werden in SM – im Gegensatz zu traditionellen Medien – Minderheits- meinungen geteilt, weil aufgrund der hohen Reichweite leicht Gleichgesinnte gefunden werden können. Außerdem findet drittens eine Archivierung der ver- öffentlichten Inhalte statt, sodass Nutzer diese unabhängig von Zeit und Ort ab- rufen können. Ein viertes Charakteristikum stellt die potentielle Anonymität der Nutzer in den SM dar, welche die korrekte Identifizierung und Adressierung von Personen(kreisen) erschwert. Fünftens verstärken die SM den öffentlichen Dis- kurs – insbesondere die Emotionalität gewinnt an Bedeutung (vgl. Höbel/ Hof- mann 2014: S. 52).
Die SM sind heute aufgrund geringer Betriebskosten und mobiler Einsatzmög- lichkeiten fest in der Gesellschaft verankert (vgl. Schmidt 2013: S. 10). Jedoch verdeutlicht die ARD/ZDF-Onlinestudie 2015, dass die Nutzung SM in Deutsch- land „seit 2013 nicht mehr steigt und aktuell sogar leicht rückläufig ist“ (Tippelt/ Kupferschmitt 2015: S. 443). Die Analyse der Nutzungsfrequenz einzelner Social-Media-Plattformen belegt, dass „der zu Facebook gehörende Instant- Messaging-Dienst WhatsApp stärker genutzt wird als Facebook selbst“ (Ebd .). Zudem zählen Google+, Instagram sowie Xing zu den im Jahr 2015 am häufigs- ten genutzten fünf Social-Media-Plattformen. Alles in allem lässt sich ein deut- licher Alterseffekt bezüglich der Nutzung SM attestieren: Demnach verwenden besonders jüngere Altersgruppen täglich Online-Communitys (ab 14 Jahre: 22 Prozent; 14 - 29 Jahre: 46 Prozent; 30 - 49 Jahre: 23 Prozent), wohingegen Per- sonen ab 50 Jahren diesbezüglich eine deutlich niedrigere Nutzungsfrequenz (6 Prozent) aufweisen (vgl. Ebd.: S. 442 ff.).
Eine besondere Bedeutung kommt den SM im KF zu: Nutzer greifen in Krisen- situationen vermehrt auf Social-Media-Plattformen zu und verwenden diese als dynamischen und reziproken Informationsdienst. Verschiedene Studien sichern dies empirisch ab (vgl. Krämer/ Rösner/ Winter 2016: S. 156). Beispielsweise belegen Kaufhold und Reuter im Rahmen ihrer Fallstudie zum Hochwasser in Deutschland im Jahr 2013, dass die Bevölkerung gezielt SM im KF einsetzt, um Hilfsmaßnahmen zu organisieren und strukturieren (vgl. Kaufhold/ Reuter 2014: S. 20).
„Twitter hat sich dabei vor allem als Plattform für Statusupdates ausgezeichnet, dessen Informationsraum zu einem großen Anteil durch automatisierte Retweet-Dienste gestal- tet wurde. Während Facebook-Seiten meist einen Überblick gaben und dessen Teams das Informationsangebot filterten, wurde vor allem in Facebook-Gruppen eine Vielzahl virtueller und realer Hilfsaktivitäten koordiniert.“ (Ebd.: S. 27)
Diesen hohen Stellenwert, den SM mittlerweile in der Gesellschaft einnehmen, nutzen auch UN für sich: Durch die Integration von Social Media in die klassi- sche UK können betriebswirtschaftliche Ziele sowie Firmenimage gestärkt wer- den (vgl. Leinemann 2013: S. 2). Denn „[s]oziale Medien tragen zur Meinungs- bildung bei, sie beeinflussen Kaufentscheidungen und […] die Außenwahrneh- mung eines Unternehmens, seiner Mitarbeiter und seiner Produkte und Dienst- leistungen“( Ebd.).
Dass SM bereits im deutschen Unternehmensalltag angekommen sind, zeigt eine Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) aus dem Jahr 2012. Etwa die Hälfte der 723 be- fragten UN nutzt bereits Social-Media-Plattformen. Zudem planen weitere 15
Prozent den zukünftigen Einsatz. Eine besonders hohe Bedeutung nehmen sozi- ale Netzwerke ein – etwa 86 Prozent der SM nutzenden UN sind hier präsent, gefolgt von Video-Plattformen und Unternehmens-Blogs (beides 28 Prozent) (vgl. BITKOM 2012: S. 6 ff.). Die Erhöhung des Bekanntheitsgrads, die Neu- kundenakquise sowie der Beziehungsaufbau zu Kunden stellen der Umfrage zu- folge die vorrangigen Ziele dar, die sich UN durch ihre Aktivität in SM verspre- chen (vgl. Ebd.: S. 13). Eine grafische Zusammenstellung der Umfrageergeb- nisse befindet sich im Anhang6.
Die Nutzung SM geht jedoch über das Alltagsgeschäft hinaus: Sie werden zu- dem in die KK von UN eingebunden. Zwar behalten die grundlegenden Leitli- nien der KK – wie Transparenz und Glaubwürdigkeit – prinzipiell ihre Gültig- keit (vgl. Bundesministerium des Innern 2008: S. 22). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die strukturellen Rahmenbedingungen SM für die klassische KK eine Herausforderung darstellen können.
Aus diesem Grund widmet sich das nachfolgende Kapitel zunächst diesen struk- turellen Charakteristika und beleuchtet vor diesem Hintergrund potentielle Ge- fahrenquellen für die KK. In einem zweiten Unterkapitel wird schließlich erläu- tert, inwieweit UN durch den Einsatz SM in KF profitieren können.
Wie in Kapitel 3.3 bereits knapp erläutert, verfügen SM über spezielle technisch bedingte Charakteristika. Diese wirken sich auf das Kommunikationsverhalten der Nutzer aus (vgl. Ebd.), was wiederum die UK bei der Konzeption sämtlicher Kommunikationsmaßnahmen für Social-Media-Kanäle bedenken sollte.
Der Wandel wird einerseits anhand der Rolle des modernen Kommunikators in SM ersichtlich. „Heute sind wir alle Verleger, wir alle können per Mausklick unsere Mikro- bis Makro-Öffentlichkeit ansprechen. Je nach Reichweite, die wir uns aufgebaut haben“ (Bernet 2011: o.S.). Der kostengünstige sowie flexible Zu- gang zu sozialen Netzwerken ermöglichen dies. Dass das Publizieren von Inhal- ten im Web 2.0 kein tiefgreifendes Fachwissen der Kommunikatoren voraus- setzt, begünstigt diese Entwicklung ebenso (vgl. Schmidt 2013: S. 10). Das Sen- der-Empfänger-Modell von Shannon und Weaver eignet sich daher nicht, um die Kommunikation in den SM zu beschreiben. Denn die klassischen Rollen des Senders und Empfängers verschwimmen ineinander. Jeder kann Kommunikator und Rezipient zugleich sein. Die Kommunikation ist somit in den SM reziprok strukturiert (vgl. Henne 2013: S. 258).
Hinzu kommt, dass sich die Kommunikationsräume in den SM stark ausdiffe- renziert haben (vgl. Ebd.: S. 259). In Kapitel 3.3 wurden bereits exemplarisch die wichtigsten fünf Gattungen skizziert. Allerdings greift eine solche Kategori- sierung zu kurz, da sich auch innerhalb einer Gattung Nutzer und Kommunika- tionscharakter unterscheiden können (vgl. Ebd.).
Inwiefern beeinflusst diese Entwicklung die Kommunikation in Krisenzeiten? Grundsätzlich müssen UN davon ausgehen, dass die Nutzer der SM – insbeson- dere im KF – publizierte Inhalte nicht mehr passiv rezipieren. „Vielmehr nutzen sie ihre Möglichkeiten, selbst zu senden, und fordern einen Dialog“ (Bundesmi- nisterium des Innern 2008: S. 22). Eine adäquate, zügige Antwort seitens des UN ist nun unabdingbar, um die Ausweitung einer operativen zu einer kommu- nikativen Krise zu verhindern (vgl. Ebd.).
Welche negativen Auswirkungen bereits eine unpassende Reaktion ohne den Kontext einer Krisensituation haben kann, wird anhand eines Fallbeispiels zum Schlecker-Werbeslogan „For You Vor Ort“ ersichtlich. Ein Mann hatte sich auf- grund dieser Mischung aus deutscher und englischer Sprache bei Schlecker be- schwert. (vgl. Brenner 2011: o.S.). Der Unternehmenssprecher Florian Baum rechtfertigte den Slogan daraufhin in einem Brief, „weil er ,den durchschnittli- chen Schlecker-Kunden‘ anspreche, der einem ,niederen bis mittleren Bildungs- niveau zuzuordnen‘ sei“ (Ebd.). Darüber hinaus distanzierte sich Baum – als Geisteswissenschaftler - in dem Brief deutlich von dieser Kundengruppe. In der Folge wurde dieser Antwortbrief in den SM verbreitet und kritisch diskutiert (vgl. Ebd.).
[...]
1 s. Anhang 1.
2 s. Anhang 2.
3 s. Anhang 3.
4 s. Anhang 4.
5 s. Anhang 5.
6 s. Anhang 6.