Der Verlauf des Studiums der Klinischen Linguistik sieht ein Jahrespraktikum in einer neurologischen Sprachtherapeutischen Abteilung vor. Dieser vorliegende Praktikumsbericht entstand im Rahmen des Jahrespraktikums auf einer neurologischen Akutstation in einem Bielefelder Krankenhaus.
In der vorliegenden Fallbeschreibung wird der Patient Herr K. vorgestellt.
Der Praktikumsbericht gliedert sich wie folgt:
Im ersten Teil wird eine theoretische Einführung in die zentrale Sprechstörung „Dysarthrie“ gegeben, welche Definition, Differentialdiagnose und Klassifikation beinhaltet. Es folgt eine detaillierte Beschreibung der ataktischen Dysarthrie mit den charakteristischen Symptomen
Im Anschluss an den theoretischen Teil wird im zweiten Kapitel der Arbeit die Sozialanamnese von Herrn K. kurz dargestellt. Danach wird die neurologische und neurolinguistische Diagnostik, die die auditive und akustische Analyse beinhaltet, beschrieben
Im weiteren Verlauf der Arbeit soll Bezug auf die Therapie genommen werden. Dieser Teil gliedert sich in Akutphase und Ambulanz, wobei ich den Schwerpunkt auf den Zeitpunkt der ambulanten Therapie gesetzt habe, die ich mit größerer Intensität und selbstständig vornahm. Zum Zeitpunkt der Akutphase befand ich mich in den Anfängen meines Praktikums und war daher noch nicht maßgebend an der Therapie beteiligt.
Im fünften Kapitel wird die Abschlussdiagnostik vorgestellt. Hier soll ein Vergleich der ersten akustischen Messung während der Akutphase mit einer zweiten Messung zum Praktikumsende den Therapieverlauf und Therapieerfolge aufzeigen.
Im letzten Kapitel wird schließlich eine Prognose abgegeben. Weiterhin wird kurz diskutiert, inwieweit die akustischen Messungen in der Praxis sinnvoll sind.
Dem Bericht angefügt sind Sonagramme, die für einige ausgewählte Items erstellt wurden sowie einige Tabellen, die die Messwerte beider akustischer Analysen präsentieren. Zuletzt folgen einige ausgewählte Therapiematerialien.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Teil: Dysarthrie, ataktische Dysarthrie
2.1 Definition, Differentialdiagnose, Klassifikation
2.1.1 Definition
2.1.2 Differentialdiagnose
2.1.3 Klassifikation
2.2 Ataktische Dysarthrie
2.2.1 Symptome der ataktischen Dysarthrie
3. Fallbeispiel: Ein Patient mit ataktischer Dysarthrie
3.1 Sozialanamnese
3.2 Neurologische Diagnose
3.3 Neurolinguistische Diagnostik und akustische Analyse in der Akutphase
3.3.1 Auditive Diagnostik
3.3.2 Akustische Analyse
4. Therapie
4.1 Therapie in der Akutphase
4.2 Therapie Ambulanz
4.3 Therapieziele
4.4 Therapiedurchführung
5. Abschlussdiagnostik
5.1 Akustische Analyse im Vergleich
5.2 Prognose
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Tabellen und Abbildungsverzeichnis
Anhang (Sonagramme, Screeningergebnisse, Therapiematerial)
1. Einleitung
Im Rahmen meines Studiums der Klinischen Linguistik an der Universität Bielefeld absolvierte ich von März 2004 bis Februar 2005 ein Jahrespraktikum in der Abteilung für Sprachtherapie im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld. In diesem Zeitraum sah ich mich mit nahezu sämtlichen Sprach- und Sprech- sowie Stimm- und Schluckstörungen konfrontiert, die in einer neurologischen Klinik behandelt werden.
Nachdem ich in den ersten Wochen meines Praktikums überwiegend hospitiert hatte, bekam ich später die Möglichkeit, selbstständig Erfahrungen mit Patienten zu sammeln, indem ich unter Supervision die therapeutische Betreuung sowohl stationärer als auch ambulanter Patienten übernahm.
In der vorliegenden Fallbeschreibung wird der Patient Herr K. vorgestellt, der zu Beginn meines Praktikums im März 2004 auf der neurologischen Station des Krankenhauses behandelt wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt führte ich unter Anleitung erste Therapieeinheiten mit dem Patienten durch. Nach genau einem Monat wurde Herr K. an die Rehabilitationsklinik am Rosenbach in Bad Oeynhausen überwiesen.
Als sich der Patient nach Beendigung seiner Anschlussheilbehandlung in der Rehaklinik Mitte September 2004 wieder in der sprachtherapeutischen Ambulanz des Evangelischen Krankenhauses meldete, wurde die Therapie von mir und einer weiteren Praktikantin unter Supervision von Ulrike Grage zweimal wöchentlich ambulant fortgesetzt.
Durch die positiv scheinenden Einflussfaktoren (junges Alter, Optimismus, große Motivation und Compliance des Patienten) wurde mein Interesse an dem Patienten geweckt. Zudem sah ich es als Herausforderung an, mich näher mit dem eher seltenen Krankheitsbild der ataktischen Dysarthrie und der akustischen Analyse zu beschäftigen. Die Diagnostik der Äußerungen dysarthrischer Patienten beschränkt sich dabei in der Praxis aus zeittechnischen und alltagspraktischen Gründen meist auf die auditive Analyse.
Der Praktikumsbericht gliedert sich wie folgt:
Im ersten Teil wird eine theoretische Einführung in die zentrale Sprechstörung „Dysarthrie“ gegeben, welche Definition, Differentialdiagnose und Klassifikation beinhaltet. Es folgt eine detaillierte Beschreibung der ataktischen Dysarthrie mit den charakteristischen Symptomen.
Im Anschluss an den theoretischen Teil wird im zweiten Kapitel der Arbeit die Sozialanamnese von Herrn K. kurz dargestellt. Danach wird die neurologische und neurolinguistische Diagnostik, die die auditive und akustische Analyse beinhaltet, beschrieben.
Im weiteren Verlauf der Arbeit soll Bezug auf die Therapie genommen werden. Dieser Teil gliedert sich in Akutphase und Ambulanz, wobei ich den Schwerpunkt auf den Zeitpunkt der ambulanten Therapie gesetzt habe, die ich mit größerer Intensität und selbstständig vornahm. Zum Zeitpunkt der Akutphase befand ich mich in den Anfängen meines Praktikums und war daher noch nicht maßgebend an der Therapie beteiligt.
Im fünften Kapitel wird die Abschlussdiagnostik vorgestellt. Hier soll ein Vergleich der ersten akustischen Messung während der Akutphase mit einer zweiten Messung zum Praktikumsende den Therapieverlauf und Therapieerfolge aufzeigen.
Im letzten Kapitel wird schließlich eine Prognose abgegeben. Weiterhin wird kurz diskutiert, inwieweit die akustischen Messungen in der Praxis sinnvoll sind.
Dem Bericht angefügt sind Sonagramme, die für einige ausgewählte Items erstellt wurden sowie einige Tabellen, die die Messwerte beider akustischer Analysen präsentieren. Zuletzt folgen einige ausgewählte Therapiematerialien.
2. Theoretischer Teil: Dysarthrie
2.1 Definition, Differentialdiagnose, Klassifikation
2.1.1 Definition
Der Terminus „Dysarthrie“ bezeichnet eine erworbene, neurogene sprechmotorische Störung, die nach einer Schädigung des zentralen Nervensystems auftritt. Daraus resultiert, dass die Kontrolle von Kraft, das Bewegungstempo und auch der Bewegungsumfang bei der Ausführung von Sprechbewegung beeinträchtigt sind.
Der aus dem Griechischen stammende Begriff Dysarthrie bezieht sich auf das hauptsächliche Symptom der Krankheit. Die Vorsilbe „dys“ bedeutet „Miss-“, „arthreїn“ heißt übersetzt „Artikulation“.
Da bei einer Dysarthrie nicht nur eine Störung der Lautbildung vorliegt, sondern meist auch die Phonation (Stimmgebung), die Sprechatmung und die Prosodie mit betroffen sind, findet sich in der Fachliteratur häufig die Bezeichnung Dysarthrophonie oder auch Dysarthropneumophonie.[1]
Die Hauptursachen der Dysarthrien sind traumatische und zerebrovaskulär bedingte Hirnschädigungen sowie entzündliche und degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems.
2.1.2 Differentialdiagnose
Die Dysarthrie zählt neben der Sprechapraxie zu den zentralen Störungen der Sprechmotorik. Differentialdiagnostisch handelt es sich bei der Sprechapraxie im Gegensatz zur Dysarthrie nicht um eine Ausführungs-, sondern um eine Planungsstörung. D.h. es liegt keine Schwäche, Verlangsamung oder Dyskoordination der am Sprechen beteiligten Muskulatur vor.
Eine Dysarthrie ist definitionsgemäß eine erworbene Schädigung. Daher sind Sprechstörungen wie Stottern oder Dyslalie, die im Verlauf der Sprachentwicklung auftreten und deren Beginn nicht in Verbindung mit einer Hirnverletzung gebracht werden können, von den Dysarthrien abzugrenzen.
Ein weiterer wichtiger differentialdiagnostischer Aspekt ist, dass Dysarthrien neurologische Erkrankungen des Bewegungsapparates sind, bei denen es zu Beeinträchtigungen der Atemmuskulatur, des Kehlkopfs, der velopharyngealen Muskulatur der Zunge, der Kiefermuskulatur sowie der Lippen kommt. Somit handelt es sich im Gegensatz zu den Aphasien um ein sprechmotorisches Syndrom.[2]
Weiterhin gehören Sprechstörungen, die durch Schädigungen des Muskelgewebes oder anderer peripherer Strukturen auftreten nicht zu den Dysarthrien, sondern werden als Dysglossien bezeichnet. (z.B. nach Tumor-Resektion, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte)
Auch Sprechstörungen, die auf psychische Bedingungen zurückzuführen sind, zählen nicht zu den Dysarthrien (sog. Psychogene Sprechstörungen).[3]
2.1.3 Klassifikation
In der Fachliteratur werden die Grundformen der Dysarthrien nach unterschiedlichen Gesichtspunkten eingeteilt. So besteht einerseits die Möglichkeit, Dysarthrien anhand der zugrunde liegenden Bewegungsstörung der Gliedmaßen (schlaff, spastisch, rigide, hyperkinetisch, ataktisch) zu klassifizieren.
Andererseits findet sich in der Literatur häufig die Einteilung nach dem Läsionsort. Hier wird zwischen bulbären, zerebellären, extrapyramidalen, suprabulbären und kortikalen Störungsformen unterschieden.
Weitere Klassifikationssysteme beruhen auf einer Kombination der beiden genannten Aspekte.
In der folgenden Übersicht sollen die Einteilungskriterien der Dysarthrien unter den verschiedenen Gesichtspunkten in tabellarischer Form verdeutlicht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 Klinisches Einteilungsschema der Dysarthrien nach Huber[4]
2.2 Ataktische Dysarthrie
Aus Platzgründen muss eine nähere Auseinandersetzung mit den einzelnen Störungen unterbleiben. Herr K. leidet unter einer ataktischen Dysarthrie. Die folgenden Ausführungen sollen sich daher auf diese Störung beschränken.
Die ataktische Dysarthrie entsteht durch Läsionen des Kleinhirns oder der Kleinhirnbahnen. Als Ätiologie werden Tumore, Schädel-Hirn-Traumata, Multiple Sklerose, Erbkrankheiten, frühkindliche Hirnschädigungen, Intoxikationen (z.B. von Alkohol, Antiepileptika), spino-ponto-zerebelläre Atrophie (Friedreich´sche Ataxie, Nonne-Pierre Marie) und Durchblutungsstörungen der Arteria cerebelli inferior genannt.[5]
Das Kleinhirn gilt als das höchste und wichtigste Integrationszentrum für Koordination und Feinabstimmung von Bewegungsabläufen. Somit kommt dem Kleinhirn auch die Funktion der vorausschauenden Programmierung der Sprechmotorik zu. Es regelt die Zielgenauigkeit und Koordination der Bewegungsabläufe.
Eine Läsion verursacht aufgrund der verschiedenen Funktionen, die dem Kleinhirn zukommen, verschiedene Symptome. Von besonderem Interesse für das Sprechen sind die Ataxie und die Dysmetrie.
Bei Patienten mit Ataxien kommt es zu Störungen der Bewegungskoordination, Intentionstremor, Bewegungsverlangsamung sowie Gang- und Standunsicherheit. Eine Dysmetrie äußert sich in einer Zielungenauigkeit von Bewegungen.[6]
2.2.1 Symptome der ataktischen Dysarthrie
Das klinische Bild einer Dysarthrie ist sehr vielfältig. Es handelt sich um einen Komplex von Symptomen.
In zahlreichen Studien wurde in den letzten Jahren versucht, die wichtigsten spezifischen Merkmalsmuster der einzelnen Dysarthrieformen herauszuarbeiten. Eine eindeutige Syndromeinteilung der Dysarthrien und besonders der ataktischen Dysarthrie ist aus folgenden Gründen sehr problematisch:
- die Leitsymptome der unterschiedlichen Dysarthriesyndrome treten nicht immer bei jedem Patienten einer Gruppe auf und teilweise tritt das gleiche Leitsymptom bei zwei unterschiedlichen Syndromen auf und kann somit nur in Kombination mit einem anderen Leitsymptom eine Abgrenzung des Syndroms ermöglichen
- viele der verwendeten Bezeichnungen zur Symptombeschreibung sind unpräzise und in ihrer Bedeutung einander ähnlich (so findet sich z.B. in der Literatur je nach Autor die Bezeichnung „skandierend“, „staccato“ oder auch „propulsiv“)
- besonders bei der ataktischen Dysarthrie kommt es aufgrund der funktionalen Komplexität des Kleinhirns zu einer recht inhomogenen Symptomatologie und so findet sich je nach Autor in der Literatur eine Fülle an verschiedenen Einzelsymptomen.[7]
Um eine Einheitlichkeit zu erreichen, beziehe ich mich bei der Beschreibung der Symptomatik auf Ziegler:
Die durch die Ataxien hervorgerufene Zielungenauigkeit von Bewegungen kann sich auf alle Funktionsebenen der Sprache oder des Sprechens erstrecken. Aufgrund einer mangelnden Koordination von thorakalen und abdominalen Atmungsbewegungen kann es zu inadäquaten Einatmungspausen und inspiratorischem Sprechen kommen. Vereinzelt findet sich bei Patienten mit ataktischer Dysarthrie ein paradoxes Atemmuster.
Bei der Untersuchung mit dem Laryngographen fällt neben einem gestörten Einschwingungsverhalten der Stimmlippen bei der Phonation eine Unfähigkeit zur konstanten Aufrechterhaltung des Tonus auf. Daraus resultieren Lautstärke und Tonhöhenschwankungen ebenso wie eine wechselnd gepresst-rau-behauchte Stimmqualität. Gelegentlich kommt es auch zu Entstimmungen und Stimmabbrüchen. Im Bereich der Resonanz zeigt sich bei ataktischen Patienten eine nasopharyngale Dyskoordination.
Die artikulatorischen Störungen ataktischer Patienten weisen Fluktuationen auf. So kommt es einerseits zu einer reduzierten Artikulationsschärfe (Lenisierung), andererseits zu einer explosiven Artikulation (Fortisierung). Insgesamt ist die Sprechgeschwindigkeit verlangsamt und durch Lautdehnungen und inadäquate Pausen charakterisiert.
Die folgende Tabelle soll die Symptomatik der ataktischen Dysarthrie übersichtlich darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 Auditive Merkmale der ataktischen Dysarthrie modifiziert nach Ziegler
3. Fallbeispiel: Ein Patient mit ataktischer Dysarthrie
3.1 Sozialanamnese
Herr K. ist 46 Jahre alt, ledig und hat keine Kinder. Er bewohnt eine Eigentumswohnung in Bielefeld. Von Beruf ist Herr K. gelernter Bankkaufmann und bis zu seiner Erkrankung war er in diesem Beruf tätig.
3.2 Neurologische Diagnose
Herr K. wurde am 15.03.2004 aus der medizinischen Klinik der städtischen Kliniken Bielefeld-Mitte in die neurologische Klinik des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld Standort Johannesstift überwiesen, da im Rahmen einer Pneumonie akute neurologische Symptome (Ataxie, Dysarthrie, Dysphagie) aufgetreten waren.
Als Ursache für das Auftreten dieser Symptome wurde der Erreger Chlamydia pneumoniae angesehen, der zu einer parainfektiösen zerebellären Enzephalitis mit Hirnstammbeteiligung führen kann. Jedoch wurde kernspintomographisch keine Hirnstammläsion nachgewiesen. Es zeigte sich ein unauffälliger MR-Befund beider Großhirn- und Kleinhirnhemisphären.
3.3 Neurolinguistische Diagnostik und akustische Analyse in der Akutphase
3.3.1 Auditive Diagnostik
Herr K. wurde am 15.03.2004 in der Abteilung für Sprachtherapie mit Verdacht auf Dysarthrie und Dysphagie angemeldet. Aus der Anamnese waren zu diesem Zeitpunkt die Pneumonie und die Ataxie bekannt.
Es wurde ein kliniktinternes Dysarthriescreening durchgeführt, welches die wichtigsten Störungsmerkmale wie Sprechatmung, Phonation, Resonanz, Artikulation und Prosodie abtestet.
Bei der Eingangsuntersuchung zeigte sich das Bild einer schweren Dysarthrie mit überwiegend ataktischer Symptomatik. Aus der Spontansprache und der Auswertungen des Screenings ergaben sich folgende Defizite:
Die Sprechatmung des Patienten war besonders auffällig. Es zeigte sich eine mangelnde Koordination von thorakalen und abdominalen Atembewegungen. Daraus resultierte, dass die reflektorische Einatmung und koordinierte Ausatmung beim Sprechen häufig nicht gelangen.
Die Phonation wechselte zwischen rau und behaucht und es traten Variationen von Tonhöhe und Lautstärke auf. Weiterhin zeigte sich eine Verschiebung der Sprechstimmlage nach oben. Herr K. sprach überwiegend hypernasal.
Im Bereich der Artikulation manifestierten sich bei der Realisierung der Konsonanten, besonders der Plosive, Fluktuationen der Artikulationsschärfe; es wechselten überwiegend Phasen reduzierter (lenisierter) Artikulation mit Phasen „explosiver“ (fortisierter) Artikulation. Bei der Vokalartikulation fiel eine Zentralisierung auf und es kam häufig zu Lautdehnungen, besonders bei kurzen Vokalen.
Auch die prosodischen Merkmale zeigten erhebliche Defizite. So war die Sprechgeschwindigkeit des Patienten insgesamt stark verlangsamt. Der Redefluss war infolge von Pausen zwischen Wörtern sowie gedehnter Artikulation einzelner Silben und Laute beeinträchtigt. Die Akzentuierung litt infolge der fehlerhaften Realisierung von betonten und unbetonten Silben. Am Satzende produzierte der Patient häufig einen Hochschluss. Insgesamt sprach Herr K. sehr silbisch und monoton. All die genannten Symptome führten zu einer stark eingeschränkten Verständlichkeit.
Aus den bisher beschriebenen Störungsmerkmalen der auditiven Diagnostik lässt sich der Schweregrad des Patienten mit Hilfe der Skala zur qualitativen Einschätzung dysarthrischer Störungsmerkmale von Ziegler[8] als mittelschwere Störung einschätzen. Bis auf das paradoxe Atemmuster, die intermittierenden Hyper- und Hyponasalität und die erhöhten Sprechstimmlage, entsprechen die Störungsmerkmale den auditiven Merkmalen aus Tabelle 2 (S.7). Die Dysarthrie ist daher als ataktische Dysarthrie zu klassifizieren. Die erhöhte Sprechstimmlage sowie die Hypernasalität des Patienten sind eher Symptome der spastischen Dysarthrie. Die Verschiebung der Sprechstimmlage nach oben könnte aber auch durch den kompensatorischen Versuch die Kehlkopfmuskeln zu stabilisieren entstehen.
Als der Termin für die Überweisung in die Rehabilitationsklinik fest stand, wurde ein zweites Dysarthriescreenig (02.04.2004) mit dem Patienten durchgeführt und auf einen DAT Rekorder aufgenommen. Die Daten aus diesem Screening sollen im Folgenden akustisch analysiert werden und später dem Vergleich im Rahmen der Abschlussdiagnostik dienen.
Mit Hilfe des Computerprogramms Praat wurden Sonagramme, Oszillogramme und Tonhöhenverläufe von einzelnen Äußerungen des Patienten erstellt.
Um die Ergebnisse des Patienten besser beurteilen zu können, wurden die ausgewählten Items von einem männlichen Normsprecher gleichen Alters aufgenommen und zum direkten Vergleich herangezogen. Die entsprechenden Bilder befinden sich im Anhang.
3.3.2 Akustische Analyse Dysarthriescreenig 02.04.2004
Zur gezielten Untersuchung der Sprechatmung und der Phonation (Stimmqualität und Stimmstabilität) bieten sich Phonemhalteaufgaben an. Dabei wird der Patient gebeten, die Vokale [a] [i] und [u] so lange wie möglich zu halten.
In der folgenden Tabelle finden sich die Messdaten. Im Anschluss werden die Ergebnisse analysiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3 Messdaten der Phonemhaltedauer Screening 02.04.2004
Zunächst fällt auf, dass die bei dem Patienten gemessenen Werte der Haltedauer deutlich über den Werten des Normsprechers liegen. Daraus könnte zu folgern sein, dass keine pathologische Sprechatmung vorliegt. Dieser Schluss ist jedoch falsch, wie sich bei der weiteren Analyse zeigt. Die positiven Werte lassen sich auf die gute Vitalkapazität des Patienten zurückführen. Es zeigt sich nämlich, dass die positiven Werte der Haltedauer deutlich zu Lasten der Phonation gehen. Betrachtet man in der Tabelle 3 die Werte der Intensität und Tonhöhe, so wird deutlich, dass hier abnorme Fluktuationen vorliegen. Die Instabilität der Stimme zeigt sich besonders deutlich anhand der folgenden Abbildungen der Tonhöhen- und Intensitätsverläufe des Patienten im Vergleich zum Normsprecher.
[...]
[1] Poeck (2002), S.174
[2] Ziegler (1998), S.2
[3] Ziegler (1998), S.1
[4] Tabelle aus Huber (2002), S.175
[5] Pschyrembel Klinisches Wörterbuch (2002)
[6] Ziegler (1998), S.17
[7] Huber (2002), S.174f
[8] Tabelle 5 siehe Anhang S. VII
[9] Normwerte der Formanten nach RAUSCH 1972, 35-82 aus Neppert (1999) S.147
- Arbeit zitieren
- Kathrin Lölfing (Autor:in), 2005, Akustische Analyse einer ataktischen Dysarthrie, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/45816