Diese ethische Fragestellung soll im Folgenden beantwortet werden: Was ist der richtige Umgang mit der traditionellen Organisationsform der Mitgliedschaft in Gemeinden? Ist Mitgliedschaft ein notwendiges, organisatorisches Übel oder tatsächlich überholt?
In meiner Gemeinde, der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Kirchardt (Baptisten), haben wir nämlich genau dieses Problem. Im nördlichen Baden-Württemberg in der Nähe zu Heilbronn haben wir vor ein paar Jahren eine kleine Gemeinde gegründet, die zwar in der Anzahl der Gottesdienst-besucher wächst, jedoch nur sehr langsam in der Mitgliederanzahl. Aktuell haben wir ca. 100 re-gelmäßige Gottesdienstbesucher und 40 Mitglieder.
Mitgliedschaft wird von der Gemeindeleitung als etwas Selbstverständliches gesehen und soll laut Satzung direkt mit der Taufe vollzogen werden oder durch Aufnahme von zugezogenen, getauften Gläubigen. In den letzten zwei Jahren lässt sich jedoch eine gewisse Aversion gegenüber der Mitgliedschaft feststellen. Menschen wollen zwar getauft werden und kommen regelmäßig zu den Gottesdiensten, sie möchten aber eher keine Mitgliedschaft eingehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Feststellung des Problems
2 Analyse der Situation
2.1 Hintergrund der Mitgliedschaft
2.2 Voraussetzungen zur Mitgliedschaft
2.3 Probleme bezüglich Mitgliedschaft
2.4 Der Versuch den Problemfällen entgegen zu wirken
2.5 Mitgliedschaft hat ein Image-Problem
3 Erörterung der Handlungsalternativen
4 Prüfung der Handlungsalternativen anhand der Normen
4.1 Was sagt die Bibel zu Mitgliedschaft?
4.1.1 Gemeindemitgliedschaft bei Jesus
4.1.2 Gemeindemitgliedschaft in der Apostelgeschichte
4.1.3 Gemeindemitgliedschaft im gesamten Neuen Testament
4.2 Hermeneutischer Prozess
4.2.1 Was spricht eigentlich für eine Mitgliedschaft?
4.2.2 Mitgliedschaft ist eine Frage der Form
4.2.3 Möglichkeiten der Umgestaltung von Mitgliedschaft
5 Reflektion und Entscheidung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung und Feststellung des Problems
Wir leben in einer schnellen und unverbindlichen Zeit, in der man sich ungern festlegen oder dau- erhaft binden möchte. Verträge werden deutlich häufiger monatlich kündbar angeboten. Geheira- tet wird immer später und nicht mehr so oft wie noch vor 30 Jahren (Statistischen Landesamt Ba- den‑ Württemberg, 2015). Das Wort „Mitgliedschaft“ ist daher heutzutage eher negativ belegt, denn wer will sich schon langfristig verpflichten? Wenn Menschen das Wort Mitgliedschaft hören, denken sie in erster Linie an Fitnessstudios und Vereine, denen man beitreten muss, um zu profi- tieren. Eine Mitgliedschaft geht man nur dann ein, wenn man konkrete Vorteile möchte, die sich nur über eine Mitgliedschaft erreichen lassen. Mitgliedschaft ist etwas, wofür man in der Regel Geld bezahlen muss und zwar oftmals auch dann, wenn man es sich vor Ende der Vertragslaufzeit anders überlegt hat und die Mitgliedschaft kündigt. Kein Wunder also, dass Mitgliedschaft auch in Kirchen und Gemeinden als nicht besonders begehrenswert empfunden wird. „Heute gehören zwar viele Gläubige der großen Gesamtgemeinde Jesu Christi an, nicht aber einer gläubigen Orts- gemeinde. Die Zugehörigkeit zu einer solchen ist heute in viel stärkerem Grade als in der Anfangs- zeit das Ergebnis eines geistlichen Willens, eines inneren Entschlusses, der herauswachsen muss aus bestimmter Erkenntnis der Wahrheit von der biblischen Gemeinde.“ (Bussemer, 1984, S. 84).
In meiner Gemeinde, der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Kirchardt (Baptisten), haben wir nämlich genau dieses Problem. Im nördlichen Baden-Württemberg in der Nähe zu Heilbronn haben wir vor ein paar Jahren eine kleine Gemeinde gegründet, die zwar in der Anzahl der Gottesdienst- besucher wächst, jedoch nur sehr langsam in der Mitgliederanzahl. Aktuell haben wir ca. 100 re- gelmäßige Gottesdienstbesucher und 40 Mitglieder. Mitgliedschaft wird von der Gemeindeleitung als etwas Selbstverständliches gesehen und soll laut Satzung direkt mit der Taufe vollzogen werden oder durch Aufnahme von zugezogenen, getauften Gläubigen. In den letzten zwei Jahren lässt sich jedoch eine gewisse Aversion gegenüber der Mitgliedschaft feststellen. Menschen wollen zwar getauft werden und kommen regelmäßig zu den Gottesdiensten, sie möchten aber eher keine Mit- gliedschaft eingehen. Sie behaupten, eine verbindliche Zugehörigkeit zur Gemeinde ist nicht von Mitgliedschaft abhängig, und Engagement ist ohnehin Ehrensache. Andere Gemeinden auf Ver- einsbasis haben schon längst keine Mitglieder mehr, sondern sprechen schlichtweg von „Mitarbei- tern“. Mitgliedschaft als formelle Angelegenheit ist daher überholt und nicht mehr zeitgemäß, be- haupten viele. Aber was ist der richtige Umgang mit der traditionellen Organisationsform der Mit- gliedschaft in Gemeinden? Ist Mitgliedschaft ein notweniges, organisatorisches Übel oder tatsäch- lich überholt? Diese ethische Fragestellung soll im Folgenden beantwortet werden.
2 Analyse der Situation
2.1 Hintergrund der Mitgliedschaft
Die Gemeinde in Kirchardt ist angegliedert an den Bund der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Deutschland, an den sie pro gelistetes Mitglied Jahresbeiträge abführt. Wie bei vielen anderen Gemeinden Deutschlands ist die grundlegende Struktur der Gemeinde in punkto Mitgliedschaft daher hauptsächlich von der Bundesstruktur beeinflusst, die wiederum die einzelnen Gemeinden als Teil des Bundes zählt (vgl. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 2016). Aus diesem Grund wird Mitgliedschaft manchmal für ein bürokratisches Instrument gehalten, welches „ledig- lich“ für interne Statistiken und zur Beitragsbemessung gegenüber dem Bund relevant sei (vgl. Gil- bert, 2017). Das ist zwar eine berechtigte Kritik, aber nur dann, wenn Mitgliedschaft nicht gelebt wird, sondern reine Organisationsform ist. Der Gedanke von Mitgliedschaft geht aber weit über strukturelle Handhabe hinaus, wie auch auf der Internetseite der EFG Kirchardt zu lesen ist. Hier heißt es auszugsweise: „Mitglieder sind das Rückgrat der Gemeinde. Und deshalb lieben wir es, wenn du daran interessiert bist, Mitglied zu werden. Als Gemeinde wollen wir Menschen für Jesus erreichen und gemeinsam im Glauben wachsen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es Menschen, die sich gemeinsam mit uns dafür einsetzen. Mitglied zu sein drückt aus, dass sich jemand verbind- lich zur Gemeinde bekennt und Jesus folgt.“ (EFG Kirchardt, 2017). Der Gedanke der Mitgliedschaft ist also neben den pragmatischen Aspekten auch ein sehr ideeller Ansatz, der Ausdruck der Ver- bindlichkeit sein soll. Als bildliche Darstellung der Mitgliedschaft wird dann oft der Vergleich der Gemeinde mit einem menschlichen Körper herangezogen, der aus vielen Gliedern besteht, welche unterschiedliche Aufgaben haben (siehe 1.Kor. 12,12).
An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei der Argumentation bezüglich Mitgliedschaft nicht um den ideellen Aspekt handeln kann, sondern um die Gestaltung der organisatorischen Gewichtung. Jede Gemeinde möchte, dass sich aus regelmäßigen Gottesdienstbesuchern irgendwann verbindli- che Mitarbeiter bilden, die das Gesamtziel der Gemeinde unterstützen. In der Regel nehmen wir den Wunsch zur Mitgliedschaft als Ausdruck der Menschen dafür, dass sie sich verbindlich und ideell zur Gemeinde halten wollen. Genau an dieser Stelle treten vermehrt Probleme auf, und zwar dann, wenn Menschen sich verbindlich zur Gemeinde halten und dennoch kein Mitglied werden wollen oder können. Um die Problematik zu verstehen, muss man sich zunächst die Voraussetzun- gen für eine Mitgliedschaft ansehen.
2.2 Voraussetzungen zur Mitgliedschaft
Grundsätzlich gibt es nur eine einzige Voraussetzung, um Mitglied in einer Gemeinde des Bundes werden zu können, nämlich dass man an Jesus als seinen Retter glaubt, der mit seinem Tod und seiner Auferstehung den Weg zu Gott freigemacht hat und dass man sich auf diesen Glauben hin hat taufen lassen (vgl. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 2015; EFG Kirchardt, 2017). Die Baptisten erklären sich selbst als „Gemeinden gläubig getaufter Christen" und nehmen nur solche als Mitglieder auf, die sich der Taufe durch Untertauchen unterzogen haben, nachdem sie zum Glauben gekommen waren (vgl. Bussemer, 1984, S. 47). Mit dieser Haltung steht eine Baptis- ten-Gemeinde im Sinne des Neuen Testaments im Gegensatz zu den Volkskirchen und zu allen andern, bei denen man durch Kindertaufe und Konfirmation Mitglied werden kann (ebd.).
2.3 Probleme bezüglich Mitgliedschaft
In den letzten Jahren häuften sich bundesweit und auch in der Gemeinde in Kirchardt die Fälle, in denen Menschen zwar gerne Mitglied werden wollten, um ihre Verbindlichkeit der Gemeinde ge- genüber auszudrücken, aber nicht konnten. In vielen Fällen geht es um eine bestimmte Bindung an die Kindstaufe, sei es aus Gewissensgründen oder aus arbeitstechnischen Gründen. Mitarbeiter eines evangelischen Kindergartens oder Religionslehrer können ihren Job verlieren, sobald sie ihre Kindstaufe durch eine Glaubenstaufe als nichtig erklären. Um Mitglied zu werden, wird ihnen die Taufe abverlangt und dabei entsteht ein persönliches Dilemma. Ähnlich gelagert ist es bei Men- schen, die bei Austritt aus der Landeskirche in ihrem sozialen Umfeld geächtet würden, und daher gerne eine doppelte Mitgliedschaft hätten. Dies ist aber durch einvernehmliche Absprachen zwi- schen Landes- und Freikirchen nicht gestattet, weshalb für eine Mitgliedschaft in einer Freikirche zwingend ein Rücktritt von bestehenden Mitgliedschaften vollzogen werden muss. Ein letztes Sze- nario taucht ebenfalls öfter auf, nämlich dass im Zuge der Taufe auch eine Mitgliedschaft gefordert wird. Hintergrund ist das Verständnis der Taufe als Zeichen, sich auch dem irdischen Leib Christi anzuschließen, weshalb man eine Mitgliedschaft sehen möchte. Einige Menschen sind jedoch nicht bereit zwei Schritte auf einmal zu gehen, sondern möchten gerne getauft werden ohne sich direkt als Mitglied zu verpflichten. Aus all den genannten und nachvollziehbaren Gründen wird Mitglied- schaft in unserer Gemeinde teilweise als problembehaftet wahrgenommen, oder zumindest von vielen regelmäßigen Gottesdienstbesuchern nicht als erstrebenswert erachtet.
2.4 Der Versuch den Problemfällen entgegen zu wirken
Im Leitungsgremium des Bundes der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden wurde die Frage der Mitgliedschaft immer wieder neu bedacht und versucht, Überzeugungen in Gemeinden zu erken- nen, Konsens festzuhalten und daraus Empfehlungen für alle Gemeinden abzuleiten (vgl. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, 2015). Im Jahr 1999 wurde daher zunächst ein „Wort der Bundesleitung“ vom Bundesrat angenommen, in dem die „Einführung einer offiziellen Freundeslis- te“ empfohlen wird. Auf dieser Freundesliste sollen Menschen aufgenommen werden, die sich an die Gemeinde halten, jedoch kein Mitglied werden wollen oder können (z.B. weil sie sich gewis- sensmäßig an ihre Säuglingstaufe gebunden fühlen). Diesem Vorschlag wurde in der EFG Kirchardt auch gefolgt, aber dadurch wird das angekratzte Image der Mitgliedschaft nicht behoben, sondern im Zweifel sogar noch verstärkt. 2007 wurde durch den Bund die Empfehlung dann in einem Expo- sé des Präsidiums zu „Formen der Mitgliedschaft“ weiter ausgeführt und darin festgehalten: „Es gibt verschiedene Formen, von einer assoziierten Mitgliedschaft mit eingeschränkten Rechten bis hin zu einer Vollmitgliedschaft ohne Einschränkungen.“ (ebd.). Konkret wurde den Gemeinden, die eine Ausnahmeregelung für die Aufnahme beschließen wollen, empfohlen, entweder einen zusätz- lichen Paragraphen zur „Assoziierten Mitgliedschaft“ - was eine Art geregeltes Gastrecht darstellt - einzufügen oder den bisherigen Paragraphen zur Mitgliedschaft mit einer Formulierung zu ergän- zen, die die Aufnahme durch Zeugnis möglich macht. Hindernisse auf dem Weg zur Mitgliedschaft sollen ausgeräumt werden, was durch die Vergabe unterschiedlicher Mitgliedschaften erreicht werden soll. Der Ansatz ist zwar nachvollziehbar, jedoch nicht zufriedenstellend, weshalb die meis- ten Gemeinden „Aufnahme im begründeten Ausnahmefall“ neu eingeführt haben. Im Fall der EFG Kirchardt wurde beschlossen, in Ausnahmefällen großzügig zu sein und in begründeten Fällen trotzdem die vollwertige Mitgliedschaft anzubieten. Obwohl das Prinzip der Mitgliedschaft in der Struktur des Bundes fest verankert ist, bleibt die Frage offen, wie eine zeitgemäße und attraktive Form der Mitgliedschaft aussehen kann. Letzten Endes bleibt der Bund ohnehin bei Empfehlungen und überlässt es entsprechend des Selbstbestimmungsrechts der Gemeinden (Artikel 4 Absatz 1 der Verfassung des Bundes) jeder Gemeinde selbst, über die Art und Weise der Mitgliedschaft in der Gemeinde zu beschließen.
2.5 Mitgliedschaft hat ein Image-Problem
Alle Ausnahmeregelungen helfen nicht weiter bei der Grundsatzfrage, ob Mitgliedschaft generell für alle Gemeindemitglieder über die bisherige Form ablaufen sollte oder nicht. Denn obwohl das ideelle Anliegen von Mitgliedschaft nachvollziehbar ist, scheint es nicht bei den Menschen der Ge- meinde anzukommen. Menschen stellen sich nämlich die Frage, was ihnen Mitgliedschaft über- haupt bringt? Warum sollte man Mitglied werden, wenn man durch die Mitgliedschaft nur margi- nal zusätzliche Rechte erhält, dafür aber dann verpflichtet ist? Solche Fragen nach dem persönli- chen Nutzen kommen recht häufig und weisen auf ein klares Image-Problem von Mitgliedschaft hin. Gottesdienstbesuchern sehen Mitgliedschaft nicht als erstrebenswert an, empfinden sie teil- weise sogar als Einschränkung oder sehen darin eine gleichgültige Sache. Denn solange man regel- mäßig anwesend und engagiert ist, gibt es keinen Grund zur Beschwerde. Und dieses Verständnis ist nachvollziehbar, „besonders angesichts der Tatsache, wie Gemeinden mit dem Konzept und der Realität der Mitgliedschaft umgehen“ (Gilbert, 2017). Um möglichst einen breiten Kern der Gemeinde anzusprechen, wurde in der EFG Kirchardt beispielsweise die Gemeindeversammlung für Gäste geöffnet, d.h. Mitgliedschaft ist kaum mehr exklusiv. Und aus Mitarbeitermangel wurde die Möglichkeit zur Mitarbeit für alle Gottesdienstbesucher geöffnet und lediglich repräsentative und leitende Positionen sind Mitgliedern vorbehalten. Folglich wird Mitgliedschaft zwar abgewertet, allerdings gibt es nun mehr Mitarbeiter und eine höhere Gemeinde-Transparenz durch mehr Men-schen in den Versammlungen. Aber was bei dieser Vorgehensweise trotz allem auf der Strecke bleibt, ist die richtige Kommunikation über Mitgliedschaft.
In der Schilderung der Mitgliedschaftsproblematik wird deutlich, dass man sich Gedanken machen muss, ob und aus welchen Gründen Mitgliedschaft überhaupt gebraucht wird. Welche Alternativen gibt es oder wie könnte Mitgliedschaft zeitgemäß und schlüssig umgesetzt werden? Diese Fragen sollen im Nachfolgenden beantwortet werden
3 Erörterung der Handlungsalternativen
Betrachtet man sich nüchtern alle Handlungsoptionen bezüglich der Mitgliedschaft, dann ergibt sich folgender Handlungsbaum:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie die Handlungsalternativen aufzeigen, muss zunächst eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, ob Mitgliedschaft beibehalten oder abgeschafft werden soll. Als erstes muss also die Frage beantwortet werden, ob Mitgliedschaft überhaupt richtig ist und benötigt wird. In einem zweiten Schritt kann dann über die Form und Gestaltung von Mitgliedschaft nachgedacht werden.
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