Denkt man an Aufklärung in Deutschland fällt weitestgehend der Name Immanuel Kant, nicht jedoch Christian Thomasius oder Christian Wolff. Als Leitmotiv des Rationalisierungsprozesses im Aufklärungszeitalter zitiert Beutel treffenderweise die letzten Worte Johann Wolfgang Goethes, der sterbend von seinem Diener „mehr Licht“ gefordert haben soll und damit den Grundsatz definiert, der sein Zeitalter ausgemacht hat. Die Lichtmetaphorik scheint länderübergreifend im Aufklärungskontext eine wichtige Rolle zu spielen, was schon allein am deutschen Begriff „Aufklärung“ und den anderssprachigen Äquivalenten gesehen werden kann. Auch im Hinblick auf das vorangegangene, als „Epoche der Dunkelheit“ beschriebene Mittelalter wird die Lichtmetaphorik der Aufklärung deutlich. Obwohl etymologisch betrachtet das Verb „aufklären“ im Deutschen ursprünglich zur Beschreibung meteorologischer Vorgänge benutzt wurde ist dennoch klar zu erkennen, dass der Begriff ab der Mitte des 18. Jahrhunderts immer häufiger in einem geistigen Kontext verwendet wurde, im Sinne von allgemeinem Fortschritt von Vernunft und Kultur.
Spätestens 1783, nachdem der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zoellner die Frage nach der Definition von Aufklärung öffentlich in der „Berlinischen Monatsschrift“ stellte und in den folgenden Jahren Erklärungsversuche von Mendelsohn, Kant und anderen folgten, erlangte der Begriff der Aufklärung seine Bedeutung des rationalen Denkens und des Berufens auf die Vernunft und den eigenen Verstand.
Jedoch gab es schon weit vor Goethe Protagonisten, die mit ihrem aufklärerischen Gedankengut diesen Rationalisierungsprozess in Gang gebracht haben und danach strebten „Licht ins Dunkel“ zu bringen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Thomasius und Wolff - Leben und Werk im Kontext der deutschen
Frühaufklärung
2.1 Christian Thomasius
2.2 Christian Wolff
3. Thomasius und Wolff - eine Bewertung
4. Fazit
5. Literatur
„Die Wahrheit liegt nicht in den Dingen, sondern in den Menschen, die damit Macht über die Dinge und sich selber gewinnen“1
1. Einleitung
Denkt man an Aufklärung in Deutschland fällt weitestgehend der Name Immanuel Kant, nicht jedoch Christian Thomasius oder Christian Wolff. Als Leitmotiv des Rationalisierungsprozesses im Aufklärungszeitalter zitiert Beutel treffenderweise die letzten Worte Johann Wolfgang Goethes, der sterbend von seinem Diener „mehr Licht“ gefordert haben soll und damit den Grundsatz definiert, der sein Zeitalter ausgemacht hat2. Die Lichtmetaphorik scheint länderübergreifend im Aufklärungskontext eine wichtige Rolle zu spielen, was schon allein am deutschen Begriff „Aufklärung“ und den anderssprachigen Äquivalenten gesehen werden kann. Auch im Hinblick auf das vorangegangene, als „Epoche der Dunkelheit“ beschriebene Mittelalter wird die Lichtmetaphorik der Aufklärung deutlich. Obwohl etymologisch betrachtet das Verb „aufklären“ im Deutschen ursprünglich zur Beschreibung meteorologischer Vorgänge benutzt wurde ist dennoch klar zu erkennen, dass der Begriff ab der Mitte des 18. Jahrhunderts immer häufiger in einem geistigen Kontext verwendet wurde, im Sinne von allgemeinem Fortschritt von Vernunft und Kultur3. Spätestens 1783, nachdem der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zoellner die Frage nach der Definition von Aufklärung öffentlich in der „Berlinischen Monatsschrift“ stellte und in den folgenden Jahren Erklärungsversuche von Mendelsohn, Kant und anderen folgten, erlangte der Begriff der Aufklärung seine Bedeutung des rationalen Denkens und des Berufens auf die Vernunft und den eigenen Verstand.
Jedoch gab es schon weit vor Goethe Protagonisten, die mit ihrem aufklärerischen Gedankengut diesen Rationalisierungsprozess in Gang gebracht haben und danach strebten „Licht ins Dunkel“ zu bringen. Immanuel Kant definiert Aufklärung in der Folge der von Zoellner aufgeworfenen Frage als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“4. Auch Kants Wahlspruch der Aufklärung „Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“5 ist heute weitläufig bekannt und wird häufig zitiert wenn man Laien bezüglich der Aufklärungsepoche nach ihrem Wissen diesbezüglich fragt. Doch hat die deutsche Aufklärung mit Immanuel Kant begonnen? Und wenn nicht, warum fällt in weiten Kreisen der deutschen Gesellschaft dann nur der Name Kant, wenn es um deutsche Aufklärung geht?
Zunächst einmal beginnt die deutsche Aufklärung natürlich nicht mit Kant, sondern schon früher. Eine genaue Begrenzung hinsichtlich der Aufklärungsepoche festzulegen ist aufgrund der fließenden Übergänge nur schwer möglich, auch haben verschiedene Fachgebiete unterschiedliche Bezugsdaten.
Der Philosophiehistoriker Prof. Dr. Siegfried Wollgast zum Beispiel, datierte die Frühaufklärung für Deutschland von 1672 bis 1718/1723 und erkennt ihren Anfang im Erscheinen von Samuel von Pufendorfs De Jure Naturae et Gentium6, wohingegen in der Germanistik das Aufklärungszeitalter auf das 18. Jahrhundert begrenzt wird, indem Johann Christoph Gottsched und Gotthold Ephraim Lessing als die zentralen Charaktere angesehen werden. Hierbei erkennt man an der Datierung Wollgasts aber schon, dass in der Forschung der Hauptphase der Aufklärung eine Frühphase vorangestellt wird. Diese Frühphase spielt vor allem im Fachbereich der Politik eine wichtige Rolle, welcher generell das Aufklärungszeitalter zeitlich vergleichsweiße genau definiert. Als Eckdaten werden hier die Jahre von 1650 bis circa 1800 gesehen und als Grundlage für diese Begrenzung dient die Tatsache, dass in dieser Zeit die Vorbereitung des modernen Verfassungsstaats stattfand, indem die aufklärerischen Impulse dieser Zeit auch in politisches Handeln umgesetzt wurden.
Angesichts dieses Zeitraums sind für die deutsche Aufklärung mehrere Protagonisten wichtig, von denen heute zumeist nur Kant genannt wird, wobei zwei weitere oftmals unerwähnt bleiben, obwohl sich die Kantschen Auffassungen teilweise sogar auf das Vordenken dieser stützen. Gemeint sind Christian Thomasius und Christian Wolff, die beide zentral für die deutsche Frühaufklärung sind, denen in der heutigen Öffentlichkeit jedoch, abgesehen von Expertenkreisen, scheinbar wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Ziel dieser Arbeit ist es zum Einen das Wirken beider hinsichtlich der deutschen Frühaufklärung zu erläutern und zum anderen zu klären, ob beide in der heutigen Öffentlichkeit vernachlässigt werden, und wenn ja, wieso dies der Fall ist.
2. Thomasius und Wolff - Leben und Werk im Kontext der deutschen Frühaufklärung
2.1 Christian Thomasius
Thomasius, der am 1. Januar 1655 in Leipzig geboren wurde, wurde von seinem Vater Jakob, der unteranderem der Lehrer von Gottfried Wilhelm Leibniz war, schon früh an das Universitätsleben gewöhnt und bereits als Säugling an der Universität Leipzig eingeschrieben, wo er mit 14 Jahren an der philosophischen Fakultät sein Studium begann. Tatsächlich war es im 17. Jahrhundert üblich, dass Professoren die Möglichkeit dieser verfrühten Einschreibung ihrer Kinder im Säuglingsalter innehatten7. 1672 erlangte er bereits den akademischen Magistergrad, bevor er im Winter 1675 an die juristische Fakultät Frankfurt/Oder wechselte, wo er, neben anderen, auch an Vorlesungen von Samuel Stryk teilnahm, bei dem er 1679 auch promovierte8.
Nach der Promotion zog es Thomasius zurück in seine Vaterstadt Leipzig, wo er zunächst als Anwalt arbeitete und bald auch seine ersten Vorlesungen hielt. Problematisch war hierbei die Tatsache, dass die Universitäten Leipzig und Halle, vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, maßgebliche Zentren der protestantischen Scholastik waren, was für Thomasius mehr und mehr zum Problem wurde, vor allem nachdem er seine Schrift „De crimine bigamiae“ veröffentlichte, in welcher er die Strafwürdigkeit der Bigamie verneinte9. Weitere Vorfälle, wie seine am Reformationstag 1687 angekündigte, deutsche Vorlesung unter dem Titel „Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle?“ oder seine Gegenposition zur der für unzulässig erklärten, lutherisch/protestantischen Eheschließung des Herzoges Wilhelm von Sachsen Zeitz und der Witwe des Herzogs Karl-Wilhelm von Mecklenburg-Güstrow, führten schließlich 1690 zu einem Vorlesungs- und Schreibverbot10.
Thomasius‘ Weg führte ihn daraufhin nach Halle, wo er noch im selben Jahr zum Kurfürstlichen Rat ernannt und außerdem zum Gründungsmitglied der juristischen Fakultät der Friedrichs-Universität Halle wurde. Er starb am 23. September 1728 in Halle wo sich sein Grab noch heute auf dem Stadtgottesacker, dem städtischen Friedhof, befindet.
Peter Schröder sieht in Thomasius einen aufklärerischen Streiter für Toleranz, der Ideen, Gedanken und Positionen entwickelte wie kaum ein Gelehrter es vor ihm tat und auf die auch später noch, sowohl bei der Aufklärung, als auch im Liberalismus zurückgegriffen wurde 11 Es muss dabei weiterhin berücksichtigt werden, dass Thomasius diese Ideen trotz seiner Lebenswelt, die von fürstlichem Absolutismus geprägt war und auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird, entwickelte. Genau deshalb darf und muss man Thomasius wahrscheinlich auch als einen ersten aufgeklärten Denker bezeichnen.
Es sollen nun im Folgenden zwei zentrale Aspekte dargestellt werden, die für das Thomasischen Denken charakteristisch waren. Hierbei handelt es sich auf der einen Seite um seine Unterscheidung von Recht und Moral und auf der anderen Seite um seine Position im Zuge der Hexenverfolgungen.
Thomasius war, genau wie Wolff später, ein Verfechter des Naturrechts, auf dessen grundlegende Punkte im folgenden Kapitel, betreffend Wolff, noch näher eingegangen wird. Zentral für seine Überlegungen war hierbei jedoch die Unterscheidung in Recht und Moral, was von Martin Kühnel als das ideengeschichtlich und rechtshistorisch wichtigste Ergebnis im Bezug auf Thomasius gewertet wird12. Das bemerkenswerte an dieser Trennung war zum Einen, dass ihr auch eine Unterscheidung in innere und äußere Pflichten zugrunde lag, in welcher letztlich die Säkularisierung des Thomasischen Naturrechts erkannt werden kann, da Thomasius hiermit die Verpflichtungen aus einem absolut transzendenten Kontext loslöste, aufgrund seiner Behauptung, dass innere (seelische) Verpflichtungen aus Angst vor inneren Schäden (Gemütsunruhen) erledigt werden, wohingegen äußere Verpflichtungen aus Angst vor weltlicher Strafe oder Hoffnung auf weltliche Belohnung entstehen13. Zum Anderen basierte diese Trennung von Recht und Moral auch auf einem neu definierten Thomasischen Rechtsbegriff, welcher auf der Unterscheidung in innere und äußere Pflichten, sowie der Separierung von Justum, Honestum und Decorum basierte.14 Hierbei spiegelt das Justum den Bereich des Rechts wieder, welcher erzwungen werden kann vom Sektor der Moralität, dem Honestum. Das Decorum hingegen umfasst die Sphäre der Wohlanständigkeit und des guten Benehmens15. Thomasius zu Folge ist Recht einerseits immer äußerlich und andererseits grundlegend charakterisiert durch die Erzwingbarkeit, wodurch sich diese Erzwingbarkeit lediglich auf äußere Verpflichtungen und Handlungen erstrecken kann, was wiederum ausschließt, dass äußere Zwänge innere Verpflichtungen hervorrufen können, woraus sich letztlich schließen lässt, dass nur das Justum ein Recht hervorbringen. Weder das Honestum ist dazu im Stande, da es lediglich ein Verhältnis des Individuums mit sich selbst darstellt, noch das Decorum, weil es, obwohl es sich auf gegenseitige, äußere Verpflichtungen richtet, letztlich nicht erzwingbar ist: „Es kann niemand zur Anständigkeit gezwungen werden/ und wenn er gezwungen wird/ so ist es keine Anständigkeit mehr“16. Somit sind Decorum und Honestum zwar innerlich verpflichtende Prinzipien, denen jedoch kein Rechtsanspruch zukommt.17
Zusammenfassend kann hier also gesagt werden, dass die Erzwingbarkeit den wichtigsten Aspekt darstellt, der die Sphäre des Rechts von der Moral trennt. Mit ihr liefert Thomasius erstmals ein Kriterium zur Unterscheidung beider Bereiche, was vor ihm kein anderer Naturrechtler in diesem Maße schaffte. Die Dreiteilung in Justum, Decorum, und Honestum, jeweils zuständig für Rechts-, Sozial- und Individualethik, stellen in Kombination mit dem Kriterium der Erzwingbarkeit den ersten Ansatz einer systematischen Unterscheidung in Recht und Moral,
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1 Pütz, Peter: Die deutsche Aufklärung, Darmstadt 1978, S. 10.
2 Beutel, Albrecht: Aufklärung in Deutschland. Die Kirche in ihrer Geschichte, Göttingen 2006, S. 151.
3 Ebd., S. 152.
4 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Berlinische Monatsschrift (1784), S. 481.
5 Ebd.
6 Vgl. Wollgast, Siegfried: Der Sozianismus und die deutsche Frühaufklärung, in: Würzburger medizinhistorischer Mittelungen (2002), S. 401.
7 Vgl. Schubart-Fikentscher, Gertrud: Christian Thomasius und die Hochschule seiner Zeit, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (1956/57), S. 11.
8 Vgl. Schröder, Peter: Christian Thomasius. Zur Einführung, Hamburg 1999, S. 11.
9 Vgl. Ebd., S. 12.
10 Vgl. Ebd., S. 13.
11 Vgl. Schröder, Christian Thomasius, S. 7.
12 Vgl. Kühnel, Martin: Das politische Denken von Christian Thomasius. Staat, Gesellschaft, Bürger. Berlin 2001, S. 58.
13 Vgl. Ebd., S. 59.
14 In der folgenden, kurzen Erläuterung werden die thomasischen Begriffe vom Decorum, Honestum und
Justum aus Platzgründen nur oberflächig definiert, obwohl sie für die Erklärung hilfreich gewesen wären, da ihnen in Anbetracht des Umfangs dieser Arbeit nicht Genüge getan hätte werden können.
15 Vgl. Kaufmann, Martin: Die Rolle des Decorum in der Ethik des Christian Thomasius, in: Hruschka, Joachim (Hrsg.): Jahrbuch für Recht und Ethik, Berlin 2000, S. 233.
16 Thomasius, Christian: Grund-Lehren des Natur- und Völcker-Rechts, Halle 1709, S. 97.
17 Vgl. Kühnel, Martin: Das politische Denken, S.61.