In dieser Arbeit wird den Fragen nachgegangen, was einen Spionageroman ausmacht und von welchen Genrekonventionen er geprägt ist. Welche dieser Aspekte finden sich in "Libidissi" wieder und welche hat Klein ausgelassen beziehungsweise ad absurdum geführt?
So besteht der erste Teil dieser Arbeit aus einem kurzen Abriss der Geschichte des Spionageromans und den Merkmalen dieses Genres. Daraufhin folgt eine Beschreibung des Begriffs des Phantastischen, die sich auf die Standardwerke beschränkt. Im Analyseteil wird aufgezeigt, dass Klein schon in seinem ersten veröffentlichten Roman die Genrekonventionen durchbricht und den Spionageroman mit der Phantastik vermischt. Es wird beleuchtet, in welchen Aspekten sich das Genre in Libidissi wiederfindet und wie diese umgesetzt wurden. Weiterhin wird verdeutlicht, warum es sich bei "Libidissi" um einen phantastischen Roman handelt trotz einiger charakteristischer Faktizitätsverweise des Spionageromans. Im Fazit werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst und gedeutet.
In den vergangenen Jahren ist Georg Klein mit seinen interessanten und ungewöhnlichen Texten aufgefallen und wird von einigen Literaturkritikern als einzigartiges Phänomen der deutschen Gegenwartsliteratur beschrieben. Thematisch wie auch ästhetisch stechen seine Werke heraus. In seinen sprachlich ausgefeilten Texten bedient er sich häufig der Trivialliteratur und spielt mit den Erwartungen der Leser . So auch schon in seinem Debütroman "Libidissi", in dem er den realitätsnahen Spionageroman mit dem Phantastischen vermischt. Ein geübter Spionageromanleser, der eine Verschwörung erwartet, die der Held der Handlung aufdeckt und somit zum Wendepunkt führt, wird enttäuscht. Lässt er sich jedoch auf neue „Spielregeln“ ein, gibt es viel Interessantes in "Libidissi" zu entdecken.
Diese Hausarbeit versucht genau diese „Spielregeln“ aufzufinden und zu verstehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Spionageroman
3 Der Begriff des Phantastischen und seine Literatur
4 Genredurchbrechung in Libidissi
4.1 Einordnung
4.2 Libidissi – Ein Spionageroman der besonderen Art?
4.3 Ein phantastischer Spionageroman
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seine wie aus einer anderen Zeit klingende Prosa ist mit kühler Präzision und Eleganz geschliffen und zugleich von einem faszinierend-befremdlichen Hauch des Dekadenten, Ekelhaften und Morbiden durchzogen. (Karsten Herrmann)
In den vergangenen Jahren ist Georg Klein mit seinen interessanten und ungewöhnlichen Texten aufgefallen und wird von einigen Literaturkritikern als einzigartiges Phänomen der deutschen Gegenwartsliteratur beschrieben. Thematisch wie auch ästhetisch stechen seine Werke heraus. In seinen sprachlich ausgefeilten Texten bedient er sich häufig der Trivialliteratur und spielt mit den Erwartungen der Leser[1]. So auch schon in seinem Debütroman Libidissi, in dem er den realitätsnahen Spionageroman mit dem Phantastischen vermischt. Ein geübter Spionageromanleser, der eine Verschwörung erwartet, die der Held der Handlung aufdeckt und somit zum Wendepunkt führt, wird enttäuscht. Lässt er sich jedoch auf neue „Spielregeln“ ein, gibt es viel Interessantes in Libidissi zu entdecken.
Diese Hausarbeit versucht genau diese „Spielregeln“ aufzufinden und zu verstehen. Es wird den Fragen nachgegangen, was einen Spionageroman ausmacht und von welchen Genrekonventionen er geprägt ist. Welche dieser Aspekte finden sich in Libidissi wieder und welche hat Klein ausgelassen beziehungsweise ad absurdum geführt? So besteht der erste Teil dieser Arbeit aus einem kurzen Abriss der Geschichte des Spionageromans und den Merkmalen dieses Genres. Daraufhin folgt eine Beschreibung des Begriffs des Phantastischen, die sich auf die Standardwerke beschränkt. Im Analyseteil wird aufgezeigt, dass Klein schon in seinem ersten veröffentlichten Roman die Genrekonventionen durchbricht und den Spionageroman mit der Phantastik vermischt. Es wird beleuchtet, in welchen Aspekten sich das Genre in Libidissi wiederfindet und wie diese umgesetzt wurden. Weiterhin wird verdeutlicht, warum es sich bei Libidissi um einen phantastischen Roman handelt trotz einiger charakteristischer Faktizitätsverweise des Spionageromans. Im Fazit werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst und gedeutet.
2 Der Spionageroman
Die Vorstellung eines funktionalen Schreibens wäre für mich ein Alptraum. Trivialliteratur ist ja wirklich weitgehend funktional geschrieben. Sie können sich auch entsprechende Handbücher aus den USA kaufen, in denen steht, wie man ein Drehbuch oder eine Kurzgeschichte oder einen Roman aufbaut, schematisch durchrationalisiert bis aufs Komma. Das ist der Tod der Phantasie – auf der Seite des Schreibers und vermutlich irgendwann auch im Kopf des Lesers. (Georg Klein)
Für das Genre des Spionageromans gibt es in der Literaturwissenschaft noch keinen einheitlichen Begriff. So werden Spionageroman, spy novel, spy story, spy fiction, spy thriller, secret agent fiction oder Agentenroman weitgehend synonym benutzt.[2] In den 1960ern beherrschte die Figur des Agenten die Unterhaltungsliteratur sowie Film und Fernsehen. Dies ist sicherlich ein Grund, warum die Forschung sich erst seit dieser Zeit mit dem Spionageroman beschäftigt, in der englischen Kritik lag der Schwerpunkt dabei vor allem auf Ian Flemings James-Bond-Romanen.[3] Kritiker attestieren dem Spionageroman anfangs „eskapistischen Charakter, Wirklichkeitsfremdheit, archetypische Strukturen und mythische Funktionen.“[4]
Im Gegensatz zum Detektivroman, der vorwiegend in England, Amerika und Frankreich als ausgebildete Literaturform existierte, bleibt der Spionageroman ein beinahe vollständig englisches Gerne.[5] Auf der einen Seite wird er häufig als modernes Märchen bezeichnet, in dem Ritter, Drachen und Schlösser ausgetauscht wurden, zum anderen werden aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Spionageroman und dem Geheimdienst gesucht.[6] Jens-Peter Becker unterscheidet in seinem Buch Der englische Spionageroman zwischen zwei Formen dieses Genres – dem melodramatischen Thriller und dem realistischen Roman.[7]
Der spy thriller ist eine durch das Thema (die Spionage oder die Verschwörung gegen die Zivilisation) und die Figur des Helden zusammengehaltene melodramatische Aneinanderreihung abenteuerlicher Episoden, an deren Ende – strukturell dem dénoument des Detektivromans vergleichbar – die Enthüllung aller Geheimnisse und der Sieg des Guten über das Böse steht.[8]
Der Entstehung des Spionageromans liegt ein Gefühl der nationalen Bedrohung zugrunde und eine Reaktion auf internationale politische Ereignisse. Die Autoren selbst waren, vor allem in den Anfängen, von dieser Gefahr überzeugt und wollten die Nation vor ihm in Romanform warnen. The Riddle of the Sands (1903) von Robert Erskine Childers wird als der erste englische Spionageroman angesehen, er prophezeit einen Krieg mit dem Deutschen Reich und eine Seelandung an der britischen Küste.[9] Zuvor gab es jedoch schon vereinzelt Werke, die Agenten beziehungsweise Spionage thematisierten. John Buchan wird als erster Schriftsteller angesehen, der eine Serie von Spionageromanen schrieb und mit seinem ersten Werk The Thirty-nine Steps (1915) ein Grundmuster für alle folgenden Spionageromane vorgab.
Die Protagonisten der frühen Werke gehören der britischen Führungsschicht an, sie sind patriotisch und loyal. Da zur damaligen Zeit die Spionagetätigkeiten keinen guten Ruf hatten, standen die Autoren vor dem Problem positive Agenten und Helden darzustellen. So werden die britischen Spione zu loyalen Helden und die Gegner zu niederträchtigen und bösen Spionen.
Mitte der 1930er Jahre gibt es einen Richtungswechsel, da die simplen und nationalistischen Spionageromane klischeehaft und anachronistisch wirken. So bahnt sich ein neuer Realismus im englischen Spionageroman an. Die Realität wird mit der Fiktion vermischt, so das beispielsweise politische Spionageromane entstehen. Der Held wird durch einen zeitgemäßen, realistischen Protagonisten ausgewechselt. Bei dem Schriftsteller Eric Clifford Ambler heißt dies beispielsweise, dass seine Helden der middle class angehören und als Ingenieur, Journalist oder Schriftsteller tätig sind. Der Protagonist „ist naiv, ängstlich und will eigentlich nur überleben.“[10] So wird nun nicht mehr, wie zuvor, dem Patriotismus eine große Rolle zugeschrieben.
Im Spionageroman stehen sich häufig Protagonist und Antagonist gegenüber. Sie sind an eine hierarchisch klar gegliederte Struktur gebunden. So werden beispielsweise immer die Strukturen des Geheimdienstes und die Vorgesetzten des Agenten aufgezeigt. Dementsprechend unterliegt Bond beispielsweise M und ist zunächst Auftragsempfänger und dann erst ein Abenteuer bestehender Held. Zum einen wird dadurch der Agent menschlicher und rückt für den Leser identifikatorisch näher, zum anderen wird der Konflikt der Geheimdienste zum personalisierten exemplarischen Konflikt zwischen Agenten aus verfeindeten Ländern. Der Held verteidigt die Werte seines eigenen gesellschaftlichen Systems gegen eine Bedrohung von außen. Es besteht also ein Freund-Feindbild – ein Kontrast von Gut und Böse. Dieses orientiert sich häufig an der historisch aktuellen Realität. Bei Casino Royale (1953) stehen sich so die westlichen Verbündeten und die russisch-östliche Welt gegenüber. Ab den 1970ern gibt es dieses Schwarz-Weiß-Denken jedoch nicht mehr so ausgeprägt und politische Korruption oder eine Angleichung der beiden Systeme findet statt. Dadurch steigt auch die Zahl der fiktiven Doppelagenten. „Zu Loyalität, Vertrauen, Bündnistreue der Partner, Unterscheidbarkeit von ‚right’ und ‚wrong’ gesellen sich nun immer stärker Verrat, Mißtrauen, Zweifel an den Verbündeten und die Suche nach einer politisch neutralen Position [...].“[11]
Während in den frühen Agentenroman der Agent aus ideologischen Gründen handelt, kommen in den Romanen der 1970er Motive wie finanzielle Bereicherung und Sehnsucht nach Abenteuern dazu. „In Bezug auf die Wohlstandsgesellschaft und Sex sind die James-Bond-Romane [...] Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, den Fleming entschieden befürwortete.“[12] Die Bösewichte bei Bond sind häufig Mischlinge und Repräsentanten eines Internationalismus und einer traditionslosen Gesellschaft. Trotz vieler Kritik an den Bond -Romanen stellt Jost Hindersmann heraus, dass sie dennoch einige Werte positiv ansehen: „Patriotismus, Loyalität, Verantwortungsbewußtsein, der Glaube an harte Arbeit und die Bereitschaft, das Eigeninteresse dem Gesamtinteresse unterzuordnen“[13].
Auf der einen Seite hat Fleming den Thriller modernisiert und den veränderten Realitäten angepaßt, indem er gesellschaftliche Entwicklungen wie affluence oder permissiveness aufgreift und in seinen Romanen widerspiegelt. [...] In anderen Bereichen jedoch zeigt Fleming sich skeptisch gegenüber gesellschaftlichen Fortschritten und plädiert in seinen Romanen für eine Korrektur bestimmter Entwicklungen.[14]
Während Fleming die Nachkriegsgesellschaft als Wohlstandsgesellschaft beschreibt und den Sozialstaat eher kritisiert, stellt der Schriftsteller John le Carré den Geheimdienst als Mikrokosmos einer orientierungslosen Gesellschaft dar. In seinen Spionageromanen beschreibt Len Deighton dagegen einen Kampf gegen das Establishment, so gehören die Agenten anders als Bond selbst nicht dazu. Später bietet natürlich der Kalte Krieg sowie der Golfkrieg und andere Konflikte auf der Welt ausreichend Spielraum für weitere Spionageromane. Hindersmann arbeitet heraus, dass sich der Spionageroman vom Propagandaroman zum gesellschaftskritischen Roman entwickelt hat.
Generell kann gesagt werden, dass der Spionageroman die Gefährdung des Landes und die Beseitigung dieser Gefahr durch einen Helden zum Thema hat. „Mit den typisierten Bösewichten werden Sündenböcke für alle politischen und sozialen Verfehlungen der Zeit geschaffen.“[15] Es werden Leitbilder und Weltbilder propagiert und eine Ersatzwelt zur Realität geboten.
Der Thriller, zu dem Peter Nusser den Spionageroman zählt, ist wie der Detektivroman in einen Dreischritt gegliedert: Verbrechen, Fahndung, Überführung (Überwältigung).[16] Bernd Lenz gliedert den Spionageroman anhand Casino Royal ähnlich wie Jens-Peter Becker: Auftrag, Begegnung, Gefangenschaft, Flucht und Sieg.[17] Anders als beim Detektivroman ist die Bewältigung der Aufgabe jedoch mit einer handelnden Auseinandersetzung verknüpft und keine intellektuelle Tätigkeit. „Im Thriller ist das Verbrechen nicht festgeschrieben; es reicht vom Raubüberfall bis zum Massenmord. [...] Es ist nicht Rätsel, sondern Ereignis, gegen das man sich wehren kann und muss.“[18]
Der Auftrag wird von einer Privatperson oder von einer behördlichen Instanz vergeben, „die als Repräsentantin der Exekutive des Staates die Bedrohung der von ihm garantierten Ordnung abzuwenden sucht“[19]. Daraufhin kommt es zur Verfolgung des Verdächtigen, was sich von Überwachung bis hin zur Suche nach dem Täter, beispielsweise durch Befragung von Augenzeugen, vollziehen kann. Dabei kann es zu einer Verlagerung von Machtverhältnissen kommen und der Agent ist nun auf der Flucht und kann gefangen genommen werden. „Auch hier durchlebt der Held eine existenzbedrohende Grenzsituation, in der er, will er sich befreien, auf seine List und seine pragmatischen Fähigkeiten, auf die Hilfe der ingroup oder schlicht auf den Zufall angewiesen ist.“[20] Die Befreiung des Helden führt entweder zur weiteren Verfolgung des Gegners oder zur Auseinandersetzung.
- Der Held ‚reagiert’ auf Provokation, die von seinem Gegenspieler bzw. der outgroup ausgehen. Seine gewalttätigen Handlungen erscheinen so immer als Notwehr gerechtfertigt.
- Die Gegenspieler sind dem Helden, sowohl was die Taktik des Kämpfens als was die bloße Kraft angeht, nahezu ebenbürtig. So lässt sich nicht nur eine vorübergehende Niederlage des Helden erklären, auch ein Sieg wird umso wertvoller und dient seiner Überhöhung.
- Verliert der Held einen Kampf, so wird er dennoch nie getötet. Der Sadismus seines Gegenspielers, der ihm einen qualvollen Tod bereiten will und das Ende deswegen hinausschiebt, ermöglicht die Rettung. Während der Zeit des Wartens kann der Held seine Kräfte reaktivieren und sich befreien, oder die ersehnte Hilfe kommt von außen.[21]
Die Handlung endet in der Regel in der Überwältigung des Gegners sowie einem darauffolgenden Lob des Vorgesetzten.
Der Erzählverlauf des Spionageromans ist in der Regel chronologisch sukzessiv, entweder aus einer einheitlichen Figurenperspektive oder im perspektivischen Wechsel von Held und Antiheld. „Da der Held immer wieder in Bedrängnis gerät und sich immer wieder befreit, ergibt sich eine Spannungskurve, die sich jeweils punktuell an den Gefahrensituationen entzündet und im ständigen Wechsel ansteigt und abfällt.“[22]
Die Figuren des Spionageromans lassen sich zumeist in Gut und Böse einteilen, was häufig von Anfang an ersichtlich ist. Kriminelle tauchen in einer großen Anzahl auf, jedoch gibt es häufig den „master criminal“, der Drahtzieher der Verbrechen ist und somit der direkte Gegenspieler zum Helden.
Damit der Kampf für den Leser an Reiz gewinnt, muss die für die Spannung nötige Gleichgewichtigkeit des Gegners offen veranschaulicht werden. So erklärt sich, dass den in ihrer Stärke überhöhten Helden monströs verzerrte, also ebenfalls aus der Norm fallende, Anti-Helden gegenüberstehen. [...] Die kriminellen Figuren des Thrillers sind eingebettet in eine Gesellschaft, die tief gespalten scheint.[23]
Der Held des Spionageromans bildet das Identifikationsobjekt des Romans und riskiert sein Leben, um Erfolg zu haben. Getragen wird der Roman durch den Helden, ähnlich wie es bei dem Detektivroman der Fall ist. So ähnelt der Spion der frühen Romane sehr dem Detektiv. Allerdings ist der Spion eher der Bewunderung als der Identifizierung ausgelegt. Im frühen Spionageroman ist der Agent „ein prononcierter Gentleman oder ein Durchschnittsengländer und (upper-) middle-class-Angehöriger“[24]. Die Agenten sind patriotisch, diszipliniert, ehrgeizig, pflichtgetreu und hinterfragen nicht ihren Auftrag. Die Moral ihrer Handlungen steht nie wirklich zur Debatte, sondern wird für den Leser legitimiert. „Eine nachträgliche Problematisierung des Verhaltens der Helden durch öffentliche Instanzen kennt der Thriller nicht.“[25] Ihr Aussehen orientiert sich zumeist an dem Männlichkeitsideal ihrer Zeit, zudem sind sie schlagkräftig, gewandt und ausdauernd. Zu ihren Tugenden zählen Stolz, Entschlossenheit, Kaltblütigkeit sowie Tapferkeit. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Instinkt des Helden, der ihm im letzten Moment immer hilft. So wird dem Leser suggeriert, dass die Taten des Helden zum Weltgefüge gehören – dass sie schicksalhaft sind.
Zu der Figurenwelt des Spionageromans gehören neben dem „master criminal“ und seinem Gefolge die Vorgesetzten und Gefährten des Helden sowie weitere Personen, welche die Gesinnung des Helden teilen. Die Gefährten entlocken ihm Äußerungen und verdeutlichen die Stimmungslage des Helden beziehungsweise sein weiteres Vorgehen. Sie ordnen sich dem Helden unter, sind jedoch häufig Lebensretter in aussichtslosen Situationen. Zudem handelt es sich im Spionageroman meist nicht nur um einen einzelnen Helfer, sondern häufig um wechselnde Personen.
Charakteristisch für den Spionageroman ist der Raum der Großstadt sowie abrupte Umgebungswechsel.
Von Autos durchfahrene Straßenschluchten, ein von Menschen überschautes Häusermeer, von Fahrstühlen durchzogene Wolkenkratzer, als Versteck benutzte Tiefgaragen und Fabrikruinen, als Treffpunkt dienende Bars, Slums und Luxusappartements als Schauplätze des Verbrechens, auf der Flucht durcheilte unterirdische Gänge und ähnliches sind Handlungsorte des Thrillers.[26]
In Factifiction zeigt Lenz den Wirklichkeitsanspruch und -gehalt von Spionageromanen auf. Dabei stellt er fest, dass der Spionageroman viele partikulare und generelle Faktizitätsverweise verwendet: „lokale und temporale Deiktika; Geheimdienste, historische Personen und Ereignisse; dazu aber auch metasprachliche Beteuerungen und fiktive Dokumente, also unechte Faktizitätsverweise.“[27] Im Laufe der Geschichte des Spionageromans findet sich eine Aktualisierungstendenz wieder, da sich Gut und Böse immer verändern und sich den aktuellen realen Feindbildern anschließen oder beispielsweise in den 1970ern Industrie- und Wirtschaftsspionage dazu kommen. Der Spionageroman
muß dabei jedoch keineswegs eine grundsätzlich zeitlich nachgeordnete Funktion – sozusagen als Spiegel der Realität – übernehmen, selbst wenn das weitgehend so zu sein scheint, sondern er kann ebenso Entwicklungen, die im öffentlichen Bewusstsein erst ansatzweise als politische Faktoren erkennbar werden, frühzeitig aufgreifen und fiktionalisieren[28].
Insgesamt stellt Lenz heraus, dass der Spionageroman einen Mikrokosmos der politischen Wirklichkeit entwirft, eine Anschlusswelt an die Wirklichkeit. Dabei bekommt der Realitätsfaktor bei Spionageromanen eine wichtige Rolle zugeschrieben und es wird versucht, die fiktionale Geschlossenheit des Romans durch Faktizitätsverweise aufzubrechen.
[...]
[1] In dieser Hausarbeit wird auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form sowie auf ein Gender- Gap/Sternchen verzichtet. Ich möchte darauf hinweisen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form explizit als geschlechtsunabhängig verstanden werden soll, damit werden auch Menschen eingeschlossen, die sich nicht in die bipolare Geschlechterordnung einordnen.
[2] Hindersmann, Jost: Der britische Spionageroman. Vom Imperialismus bis zum Ende des Kalten Krieges. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995.
[3] Vgl. Lenz, Bernd: FACTIFICTION. Agentenspiele wie in der Realität. Wirklichkeitsanspruch und Wirklichkeitsgehalt des Agentenromans. Heidelberg: Carl Winter, 1987.
[4] Ebd. S. 60
[5] Vgl. Becker, Jens-Peter; Buchloh, Paul Gerhard: Der Detektivroman. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989.
[6] Vgl. Hindersmann, Jost (1995): Der britische Spionageroman.
[7] Vgl. Becker, Jens-Peter: Der englische Spionageroman. Historische Entwicklung, Thematik, literarische Form. München: Wilhelm Goldmann, 1973.
[8] Ebd. S. 33f.
[9] Vgl. Ebd.
[10] Hindersmann, Jost (1995): Der britische Spionageroman. S. 46.
[11] Lenz, Bernd (1987): FACTIFICTION. S. 235.
[12] Hindersmann, Jost (1995): Der britische Spionageroman. S. 97.
[13] Ebd. S. 101.
[14] Ebd. S. 101.
[15] Becker, Jens-Peter (1973): Der englische Spionageroman. S. 34.
[16] Vgl. Nusser, Peter: Der Kriminalroman. Stuttgart: Metzler: 2009.
[17] Vgl. Lenz, Bernd (1987): FACTIFICTION; Becker, Jens-Peter (1973): Der englische Spionageroman.
[18] Nusser, Peter (2009): Der Kriminalroman. S. 51.
[19] Ebd. S. 52.
[20] Ebd. S. 52.
[21] Ebd. S. 53.
[22] Ebd. S. 56.
[23] Ebd. S. 58.
[24] Lenz, Bernd (1987): FACTIFICTION. S. 45.
[25] Nusser, Peter (2009): Der Kriminalroman. S. 61.
[26] Ebd. S. 67.
[27] Lenz, Bernd (1987): FACTIFICTION. S. 79.
[28] Ebd. S. 265.