Ein bürgerliches Trauerspiel! Mein Gott! Findet man in Gottscheds critischer Dichtkunst ein Wort von so einem Dinge? Der berühmte Lehrer hat nun länger als zwanzig Jahre seinem lieben Deutschland die drey Einheiten vorgeprediget, und dennoch wagt man es auch hier, die Einheit des Orts recht mit Willen zu übertreten. Keinem Gottsched-Anhänger, sondern Gotthold Ephraim Lessing selbst wird dieses prägnante Zitat aus der Berlinischen Privilegirten Zeitung vom 3. Mai 1755 zugeschrieben. Als leidenschaftlicher Polemiker ließ er es sich nicht nehmen, eine Rezension seines eigenen Dramas Miss Sara Sampson zu veröffentlichen und die sichere Kritik der Gottschedianer im Vorfeld zu karikieren. Lessing markiert hier eine provokative Oppositionshaltung gegenüber dem gewichtigsten deutschen Theaterreformator, dessen dramentheoretische Agenda den literarischen Diskurs der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte. Das Erscheinen seiner Sara weist den Weg hin zu einem veränderten Aufklärungskonzept und zeitigt einen neuen Typus literarischer Produktion - das Bürgerliche Trauerspiel. Diesen vermeintlichen Paradigmenwechsel gilt es, in dieser Hausarbeit nachzuvollziehen: Welche dramaturgischen Elemente prägten die Trauerspielproduktion des Frühaufklärers Gottsched? Welche ausländischen Vorbilder initiierten den Richtungswechsel? Und wie positioniert sich die Mitleidstheorie Lessings in diesem Faktorengeflecht?
Exemplarisch möchte ich diese drei Fragen anhand der beiden bereits erwähnten Primärtexte - Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst und Lessings Miss Sara Sampson - beantworten. Dabei soll den zentralen theoretischen Begrifflichkeiten „3-Einheiten-Lehre“, „Ständeklausel“, „Katharsis“ und „Empfindsamkeit“ eine zentrale Rolle zukommen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Reformagenda unter dem Vorzeichen der Vernunft: Gottscheds Durchregelung des Theaters in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
- Zur Genese des Bürgerlichen Trauerspiels: Die französische Comédie larmoyante und die englische Sentimental Comedy als Vorläufer einer neuen Gattungsbezeichnung
- Der Kult der Träne: Mitleid als wirkungsästhetische Zielkategorie in Lessings Sara
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, den Wandel in der Dramentheorie vom frühen 18. Jahrhundert mit Gottsched bis zu Lessing zu untersuchen. Im Fokus steht dabei die Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels und die damit verbundene Abkehr von den strengen Regeln der klassischen Dramaturgie. Die Arbeit analysiert die dramaturgischen Elemente der Trauerspielproduktion Gottscheds und untersucht die Einflüsse ausländischer Vorbilder. Schließlich wird Lessings Mitleidstheorie im Kontext dieses Wandels betrachtet.
- Gottscheds Reformagenda und seine Durchregelung des Theaters
- Einfluss der französischen Comédie larmoyante und der englischen Sentimental Comedy
- Lessings „Miss Sara Sampson“ als Beispiel des bürgerlichen Trauerspiels
- Die Rolle von Vernunft und Affekt in der Dramentheorie
- Die Bedeutung der „3-Einheiten-Lehre“, der „Ständeklausel“ und der „Katharsis“
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung präsentiert Lessings provokante Opposition gegen Gottsched als Ausgangspunkt der Arbeit. Sie skizziert die Forschungsfrage nach dem Paradigmenwechsel im Trauerspiel und benennt die zentralen Begriffe („3-Einheiten-Lehre“, „Ständeklausel“, „Katharsis“, „Empfindsamkeit“) sowie die zu analysierenden Primärtexte (Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ und Lessings „Miss Sara Sampson“).
Reformagenda unter dem Vorzeichen der Vernunft: Gottscheds Durchregelung des Theaters in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Dieses Kapitel analysiert Gottscheds ambitionierte Reformagenda für das deutsche Theater. Gottsched, beeinflusst von der aristotelischen Poetik, propagierte die „drei Einheiten“ (Handlung, Zeit, Ort), einen gehobenen Vers-Stil und die „Ständeklausel“, die nur adlige Figuren als tragische Helden zuließ. Seine Zielsetzung war die Schaffung einer homogenen Geschmacksgemeinschaft und die moralische Belehrung des Publikums durch die Schaubühne. Gottsched suchte die Befreiung vom „Hanswurst“ und dem Schwulst der spätbarocken Oper. Seine „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ (1730) legte die normativen Regeln für die deutsche Trauerspielproduktion fest.
Schlüsselwörter
Gottsched, Lessing, Bürgerliches Trauerspiel, 3-Einheiten-Lehre, Ständeklausel, Katharsis, Empfindsamkeit, Comédie larmoyante, Sentimental Comedy, Vernunft, Affekt, Aufklärung, Dramentheorie, Miss Sara Sampson, Versuch einer Critischen Dichtkunst.
Häufig gestellte Fragen zu: Wandel der Dramentheorie von Gottsched zu Lessing
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht den Wandel in der Dramentheorie vom frühen 18. Jahrhundert (Gottsched) bis zu Lessing. Der Fokus liegt auf der Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels und der damit verbundenen Abkehr von der klassischen Dramaturgie.
Welche Autoren und Werke stehen im Mittelpunkt der Analyse?
Die zentralen Autoren sind Gottsched und Lessing. Analysiert werden Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ und Lessings „Miss Sara Sampson“. Die Arbeit untersucht auch den Einfluss französischer (Comédie larmoyante) und englischer (Sentimental Comedy) Vorbilder.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Gottscheds Reformagenda und seine Durchregelung des deutschen Theaters, den Einfluss ausländischer Vorbilder auf die Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels, Lessings „Miss Sara Sampson“ als Beispiel für das bürgerliche Trauerspiel, die Rolle von Vernunft und Affekt in der Dramentheorie, sowie die Bedeutung der „3-Einheiten-Lehre“, der „Ständeklausel“ und der „Katharsis“.
Wie beschreibt die Arbeit Gottscheds Einfluss auf das Theater?
Die Arbeit analysiert Gottscheds Reformagenda, die auf der aristotelischen Poetik basiert. Gottsched propagierte die „drei Einheiten“ (Handlung, Zeit, Ort), einen gehobenen Vers-Stil und die „Ständeklausel“. Sein Ziel war die Schaffung einer homogenen Geschmacksgemeinschaft und die moralische Belehrung des Publikums.
Welche Rolle spielt Lessings „Miss Sara Sampson“?
Lessings „Miss Sara Sampson“ dient als Beispiel für das bürgerliche Trauerspiel und wird im Kontext des Wandels in der Dramentheorie und der Abkehr von Gottscheds Regeln analysiert. Die Arbeit untersucht insbesondere Lessings Mitleidstheorie.
Welche Schlüsselbegriffe sind wichtig für das Verständnis der Arbeit?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind: Gottsched, Lessing, Bürgerliches Trauerspiel, 3-Einheiten-Lehre, Ständeklausel, Katharsis, Empfindsamkeit, Comédie larmoyante, Sentimental Comedy, Vernunft, Affekt, Aufklärung, Dramentheorie, Miss Sara Sampson, Versuch einer Critischen Dichtkunst.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, einen Hauptteil (mit Kapiteln zu Gottscheds Reformagenda, der Genese des bürgerlichen Trauerspiels und Lessings Mitleidstheorie in „Miss Sara Sampson“) und einen Schluss.
Was ist die zentrale Forschungsfrage der Arbeit?
Die zentrale Forschungsfrage ist der Paradigmenwechsel im Trauerspiel vom frühen 18. Jahrhundert bis zu Lessing, die Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels und die damit verbundenen Veränderungen in der Dramentheorie.
- Quote paper
- Michael Bee (Author), 2005, Vernunft vs. Affekt. Zur dramentheoretischen Entwicklung von Gottsched zu Lessing, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/45070