Mit Blick auf die Methodenentwicklung des Fremdsprachenunterrichts der letzten 100 Jahre sieht man, dass sich der Blick auf das Fremdsprachenlernen stetig mit der Sprach- und Hirnforschung sowie technischen Errungenschaften veränderte. Was die Zeit vor dem Umschwung betrifft scheint, die Fremdsprachendidaktik sehr starr und über viele Jahrhunderte unverändert geblieben zu sein.
Vorherrschend war die Grammatik-Übersetzungsmethode, welche eine starke Grammatik-Zentrierung suggeriert und augenscheinlich dem modernen Lateinunterricht ähnelt, in dem das Übersetzen, sowohl von Fremd- in die Muttersprache als auch umgekehrt, zur Kernkompetenz zählt. Dass der Unterricht sich wegen gleichbleibender didaktischer Grundprinzipien seit der Antike jedoch nicht verändert haben soll, ist unwahrscheinlich. Aufgrund dessen soll der Fremdsprachenunterricht im Europa des Mittelalters in dieser Arbeit erörtert werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Bildung und Latein im Mittelalter
2.1. Unterricht allgemein
2.2. Lehrwerke
3. Didaktische Methoden der Fremdsprachenvermittlung
3.1. Sprachfähigkeiten
3.2. Wortbedeutung
3.3. Grammatik
3.4. Weitere Methoden
4. Zusammenfassung
5. Ausblick zum Fremdsprachenunterricht ab dem 15. Jahrhundert
6. Literatur
1. Einleitung
Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts haben sich Fremdsprachenlehrer vermehrt mit der optimalen Methodik des Fremdsprachenlehrens und -lernens auseinandergesetzt. Hierbei können verschiedene Methoden identifiziert werden. Ausgangspunkt der Methodendiskussion ist die jahrhundertelang vorherrschende Grammatik-Übersetzungsmethode, welche ursprünglich für das Unterrichten des Lateins und Altgriechischen verwendet wurde und dann auf den Sprachunterricht der modernen Sprachen übertragen wurde (vgl. Rösler 2012: 68). Hören und Sprechen der Fremdsprache waren selten, sodass „offensichtliche[…] Defizite im kommunikativen Bereich“ (Rösler 2012: 68) herrschten. Nach der Grammatik-Übersetzungsmethode folgten die direkte Methode (ebd.: 69), die audiolinguale Methode mit den pattern drills (ebd.: 71), die audiovisuelle Methode (ebd.: 73), der kommunikative Ansatz (ebd.: 76) und schließlich der interkulturelle Ansatz (ebd.: 81).
An diesem sehr allgemeinen und stark verkürzten Abriss der Methodenentwicklung des Fremdsprachenunterrichts der letzten 100 Jahre sieht man, dass sich der Blick auf das Fremdsprachenlernen stetig mit der Sprach- und Hirnforschung sowie technischen Errungenschaften veränderte. Was die Zeit vor dem Umschwung betrifft scheint, die Fremdsprachendidaktik sehr starr und über viele Jahrhunderte unverändert geblieben zu sein. Vorherrschend war die Grammatik-Übersetzungsmethode, welche eine starke Grammatik-Zentrierung suggeriert und augenscheinlich dem modernen Lateinunterricht ähnelt, in dem das Übersetzen, sowohl von Fremd- in die Muttersprache als auch umgekehrt, zur Kernkompetenz zählt. Dass der Unterricht sich wegen gleichbleibender didaktischer Grundprinzipien seit der Antike jedoch nicht verändert haben soll, ist unwahrscheinlich. Aufgrunddessen soll der Fremdsprachenunterricht im Europa des Mittelalters in dieser Arbeit erörtert werden.
Bevor man überhaupt eine Fremdsprachendidaktik beschreiben kann, muss geklärt werden, welche Sprache überhaupt als Fremdsprache gelernt werden kann. Und im Falle des Zeitalters des Mittelalters, welches von circa 500 bis 1500 n. Chr. datiert wird, muss dabei auch die komplexe Sprachsituation der Zeit und die besondere Rolle des Lateins beleuchtet werden.
Es ist sicherlich unmöglich, die Fremdsprachendidaktik eines gesamten Zeitalters zu benennen, da zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte des Fremdsprachenlehrens und -lernens unterschiedliche Methoden und Ansätze verbreitet waren. Des Weiteren handelt es sich beim Mittelalter um eine Zeitspanne von ungefähr 1000 Jahren, sodass man an dieser Stelle klarerweise keinen kompletten Abriss der verwendeten und unterrichteten Sprachen, der Bildungspolitik und aller Klassenzimmerpraktiken erstellen kann. Nichtsdestotrotz ist das Mittelalter in seinem Verlauf durch relativ gleichbleibende Ansichten und Vorgehensweisen und nur wenig einschneidende Veränderungen gut erfassbar, sodass zumindest die populärsten Praktiken im Bereich des Fremdsprachenunterrichtes nachzuzeichnen sind.
Ziel dieser Arbeit ist ein möglichst genauer Blick in die Klassenzimmer des Mittelalters sowie das Erläutern von wichtigen Veränderungen und Arbeiten im Bereich der Fremdsprachendidaktik, die im Mittelalter Relevanz aufweisen. Für ein konsistentes Bild werde ich zunächst auf die Sprach- und Bildungssituation im mittelalterlichen Europa eingehen, bevor ich mich mit dem Unterricht und den verwendeten Lehrwerken selbst beschäftige. Anschließend spreche ich über die didaktischen Methoden, die zur Aneignung der Fremdsprache befähigen sollen. Nach einer Zusammenfassung gebe ich noch einen kurzen Ausblick, wie sich der Fremdsprachenunterricht zum Ende des Mittelalters bzw. zum Anfang der Renaissance wandelte.
2. Bildung und Latein im Mittelalter
Eine nahezu untrennbare Kombination des Mittelalters ist die von Bildung und seinem sprachlichen Medium, das Latein. Aus diesem Grund ist eine Betrachtung des mittelalterlichen Fremdsprachenunterrichtes ohne einen genaueren Blick auf die Sprachsituation im europäischen Mittelalter undenkbar, da sich beides gegenseitig beeinflusst. Außerdem ist der Prozess, der dafür sorgte, dass Latein sogar in einst lateinsprachigen Regionen als Fremdsprache gelernt werden musste, näher zu beleuchten. Obwohl im Mittelalter vor allem Latein unterrichtet wurde, war das Aneignen anderer Fremdsprachen durchaus üblich. Gelernt wurden Fremdsprachen einerseits aus kulturellen und literarischen Interessen und andererseits aufgrund von wirtschaftlichen Motiven, um in der Fremdsprache Geschäfte abwickeln zu können und auch Übersetzungskompetenzen zu besitzen (Schröder 2000: 681). Ein weiteres Sprachlernmotiv war die Ausbildung zum Gelehrten im religiösen Kontext. Die Art von Unterricht, welche den Beruf des Klerikers als Ziel hatte, ist die am besten dokumentierte Unterrichtsform und soll in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert einnehmen.
Latein als Bildungssprache im religiösen Kontext
Der Unterricht im Mittelalter beinhaltete vor allem das Aneignen der lateinischen Grammatik, da Latein die Sprache der Gelehrten sowie Standes- und Fachsprache des Klerus war (Buhlmann 2008: 48). So ist also jeder Unterricht auch ein Fremdsprachenunterricht, denn das geschriebene Latein entsprach nicht mehr dem gesprochenen Latein (Kelly 1969: 292f); zudem mussten andere christliche Regionen, die nie lateinsprachig waren, auch Kleriker ausbilden und aufgrund dessen Latein erlernen. Latein existierte nicht mehr als natürlich zu erwerbende Muttersprache, sondern war ein literates Register, welches sich sogar für ehemals lateinsprachige Regionen zu einer Fremdsprache entwickelte (Amsler 2000: 537), da es schriftlich in seiner ursprünglichen Form konserviert wurde und diachrone Sprachprozesse nur noch im mündlichen Sprachgebrauch akzeptiert wurden (Weiteres zum Prozess s. u.). Der erste Kontakt mit der Fremdsprache fand demnach zeitgleich mit dem Eintritt in das Bildungssystem statt – ungefähr im Alter von sieben bis zehn –, als die Jungen zur Klosterschule kamen. Auf der Universität schrieben sie sich dann mit 15 Jahren oder sogar jünger ein (Kelly 1969: 317). Das Ziel der Ausbildung war es, den Status eines Klerikers zu erhalten und die auf Latein geschriebene Bibel zu studieren. So waren Lateinkenntnisse elementar, um die Heilige Schrift verstehen zu können. Latein zu studieren und zu lernen, war Mittel zum Zweck, um sich in der intellektuellen Welt bewegen zu können (Wright 2000: 506; Luhtala 2000: 510; Kelly 1969: 293). Insgesamt ist das Lateinstudium (nicht nur im universitären Kontext, sondern auch davor) eng mit den christlichen Traditionen der Bibelexegese verbunden, sodass es vor dem Aufkommen des Christentums wohl noch keinen Lateinunterricht gab (Wright 2000: 502). Denn die Ausbildung eines Klerikers umfasste nicht nur das Erlernen der lateinischen Sprache, sondern auch das Verfassen von Auslegungen zu Bibelstellen. Deshalb wurden angehende Gelehrte in ihrem Lateinstudium systematisch auf diese Praktiken vorbereitet, was wiederrum bedeutet, dass der Unterricht erst mit dem Christentum an Wichtigkeit gewann und zunehmend institutionalisiert wurde.
Wirtschaftliche, kulturelle und literarische Sprachlernmotive
Bis zum Spätmittelalter (Mitte 13. Jahrhundert bis Ende 15. Jahrhundert) wurde die kategorielle Opposition von Latein und den Mundarten weiter hervorgehoben und die Mundarten – insbesondere das Vulgärlatein in den romanischsprechenden Gebieten des Mittelalters – wurden aus dem Unterricht komplett ausgeschlossen, da sie von den Gelehrten als ungrammatisch empfunden wurden (Tavoni 2000: 651). Gegen Ende des Mittelalters sind das klassische Latein, Sabir und „in hansischen Kreisen Niederdeutsch“ (Schröder 2000: 682) wichtige Handelssprachen, welche also von den Kaufleuten beherrscht werden mussten. Für den Handel mit Russland war Latein allerdings unbrauchbar und die jungen Kaufleute und ihre Lehrlinge wurden ermutigt, Russisch zu lernen. Jedoch wurde festgelegt, dass „nur junge Leute unter 20 Jahren Russisch lernen mögen“ (ebd.: 682), da die Sprache nicht mehr erlernt werden könne, wenn man schon älter sei. Dies suggeriert ein Verständnis dafür, dass das einwandfreie Erlernen einer fremden Aussprache nur bis zu einem bestimmten Alter so gut funktioniert, dass das mündliche Verhandeln ungestört ablaufen kann. Im 13. Jahrhundert war es sinnvoll, wenigstens die Sprachen Latein und Französisch zu lernen, weil man als Handelnder damit am weitesten kam (Schröder 2000: 682f). Auch die Tatsache, dass Französisch als Sprache der – im Mittelalter vergleichsweise – feineren französischen Kultur im deutschsprachigen Raum bekannt war, zeigt die sich fördernde Bereitschaft, sich Sprachkenntnisse anzueignen (ebd.: 684). Insgesamt „setzt das Bestreben, die Sprachen der Handelspartner zu erwerben, auch jenseits des Rußlandhandels früh ein“ (ebd.: 683). So kommt es schon damals zu Formen des sprachzentrierten Auslandsaufenthaltes im Zuge der eigenen Ausbildung (ebd.: 683). Auch Italienisch, Katalanisch und Griechisch waren für die Kaufmänner im mediterranen Europa wichtige Handelssprachen (Bischoff 1961: 211).
Andere Fremdsprachen außer Latein wurden aus oben genannten Gründen oder für anders geartete Reisen und – mitunter permanente – Aufenthalte gelernt, insbesondere, wenn Latein als Intermediärsprache nicht in Frage kam (Kelly 1969: 295). Diese Sprachen waren jedoch weniger Teil eines Unterrichtes, sondern wurden sich im Selbststudium z. B. mit sprachlichen Reiseführern angeeignet. Diese meist nur gesprochenen Sprachen waren per mittelalterlicher Definition der Gelehrten ungrammatisch, wurden vom Bildungssystem rigoros ausgeschlossen und waren dem Latein kategoriell gegenübergestellt (Tavoni 2000: 651). Erst zum Ende des Mittelalters ändert sich das mit der Reformation und dem Bestreben, die Bibel für jeden lesbar zu gestalten. In dem Zuge wurde die jeweilige Volkssprache schriftsprachlich, die Bibel somit für alle verständlich und Latein als „Sprache des Papismus“ (Schröder 2000: 686) prinzipiell von den Protestanten abgelehnt.
Sprachen wie Griechisch und Hebräisch wurden auch als wichtig angesehen, da die älteren Bibelversionen in den beiden Sprachen verfasst waren und diese zurate gezogen werden sollten, wenn es Unklarheiten mit der lateinischen Übersetzung gab, sodass auch Hebräisch- und Griechischkenntnisse im Mittelalter von Nutzen waren (Amsler 2000: 533). Das klassische Griechisch war für den Großteil des Mittelalters jedoch nicht einfach zu lernen, da nahezu keine griechischen Texte überlebt hatten und somit keine Grundlage für das Lernen der Sprache gegeben war (Buhlmann 2008: 9). Genau wie Hebräisch konnten Gelehrte es im Rahmen einer Reise in die hebräisch- und griechischsprachigen Regionen erlernen, bzw. es gab auch vereinzelt jüdische und süditalienische Gelehrte, die dem lernwilligen Kleriker die Sprachen lehren konnten, wenn dieser die Reise zum Sprachlehrenden auf sich nahm (Bischoff 1961: 215). Durch Kontakte zum oströmischen Reich entstanden auch Kontakte zum Orient und zu den arabischsprachigen Regionen des Kontinentes. In religiöser Hinsicht nahmen die abendländischen Kleriker den Islam „als Häresie des Christentums“ (Buhlmann 2008: 34) wahr, weshalb das Arabische in der Literatur christlicher Lateinlehre seltener erwähnt wird. Im 11. und 12. Jahrhundert gelangt durch die steigende Anzahl von Übersetzungen arabischer und griechischer Texte vermehrt arabische Wissenschaftsliteratur nach Europa (ebd.: 34). Erst im Hochmittelalter „gelang dem Abendland durch arabische Vermittlung der Anschluss an heidnischgriechisches Bildungsgut“ (ebd.: 9), also zum Beispiel philosophische Arbeiten von Aristoteles, welche zuvor aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht verfügbar waren.
Latein wird zur Fremdsprache
Wie kam es jedoch im Mittelalter dazu, dass das Latein sogar in einst lateinsprachigen Regionen wie eine Fremdsprache gelernt werden musste? Laut Wright (2000) sei der Prozess, der dafür sorgte, dass das gesprochene Latein sich vom schriftsprachlichen entfernte, bis heute nicht zweifelsfrei erklärbar (Wright 2000: 501). Erläuterungen anderer Autoren sprechen dennoch dagegen und führen Tatsachen an, welche den Prozess erklären. Der gesprochensprachliche Wandel vom Latein zu den romanischen Sprachen ist sicherlich nicht so klar abgrenzbar, da beispielsweise Veränderungen in der Morphologie und Syntax länger gedauert haben, bis sie abgeschlossen waren, als die phonetischen. Manuskripte deuten schon früh einen sprachlichen Wandel an, welcher sich jedoch nur allmählich durchsetzen konnte. So war das Mittelalter bis zur karolingischen Renaissance, also der Bildungsreform Karls des Großen, charakterisiert durch eine komplexe, aber immer noch monolinguale Sprachsituation (Wright 2000: 505). Die verwendeten lateinischen Grammatiken aus dem Römischen Reich wichen nun aber mit fortschreitender Zeit immer weiter von den vulgärlateinischen Entwicklungen ab, wenngleich man aber nicht von ihnen ablassen wollte, da man die darin beschriebenen sprachlichen Eigenschaften als formvollendet und unumstößlich ansah (ebd.: 507). Als Karl der Große dann für die geplante Reform des Bildungssystems Alcuin of York einstellte, ein auf den britischen Inseln lebender Grammatiker, wurde die Verwendung der älteren, antiken lateinischen Aussprache im Gottesdienst durch ihn Pflicht, sodass die im Laufe der Jahre schon veränderte Aussprache wieder ausgeschlossen wurde (Wright 2000: 507). Auch Stotz (1994: 166) geht auf den Versuch, die Aussprachekonventionen zu verändern, ein und nennt auch die damit verbundene Anpassung der Orthografie. Beide Prozesse, sowohl die Veränderung der Aussprachekonventionen als auch die Orthografieanpassung, gingen nur sukzessive vonstatten. Im 12. Jahrhundert ist das schriftsprachliche Latein dann endgültig zur Fremdsprache geworden und die vorher schon teilweise veränderte Schreibweise wurde sogar für die Gelehrten fremd, da diese nur noch die neue (eigentlich ältere) Schreib- und Sprechweise lernten (Wright 2000: 508). Schriftsprachlich entwickelte sich im Mittelalter „eine auf das Altertum zurückgehende Form der Latinität“ (Stotz 1994: 158) und gleichzeitig entwickelten sich aus dem gesprochenen Vulgärlatein die romanischen Sprachen, welche sich erst spät als solche schriftsprachlich durchsetzten (ebd.: 159). Bis die romanischen Sprachen als Schriftsprachen Fuß fassten hatten, sie bereits viele Differenzierungsprozesse durchlaufen, sodass sich romanischsprachige Texte stark von lateinischen Texten unterscheiden, was wiederum auf eine frühe Abgrenzung der mundartlichen Sprechweise und der geschriebenen Konventionen hindeutet (ebd.: 159f).
In Italien bemerkte man beispielsweise erst verhältnismäßig spät, dass sich die gesprochene Volkssprache vom Schriftlatein wegbewegte, ganz im Gegensatz zur sprachlichen Situation in Gallien, wo sich die Gebrauchssprache früher und auch weiter vom Latein weg entwickelte (Stotz 1994: 160f). Auf der iberischen Halbinsel waren die Unterschiede zwischen Latein und Volkssprache anfangs auch weniger gravierend, bis man im Hochmittelalter zwischen drei Sprachen unterscheiden musste: „eine gepflegte lateinische Sprache […], ein volksnahes Gebrauchslatein […] und schließlich die iberoromanischen Dialekte“ (Stotz 1994: 161). Britannien, die einstige römische Provinz, entwickelte eine fast ausschließlich schriftliche Latinität, sodass sich Volks- und Schriftsprache nahezu unabhängig voneinander entwickelten, was auch eine von romanischen Dialekten unbeeinflusste lateinische Sprache zur Folge hatte. Eine Vermischung von Volkssprache und Latein im Sinne von Entlehnungen und dergleichen kam erst zustande, als die Normannen im 11. Jahrhundert Britannien eroberten und Latein zur Intermediärsprache zwischen – im weitesten Sinne französisch sprechenden – Eroberern und englischsprechenden Eroberten wurde (Stotz 1994: 161f). Adel, Königs- und Gerichtshof sprachen Französisch, Englisch war die Sprache der Massen und Latein nutze man als Sprache der Wissenschaft, was das Britannien des Hochmittelalters zu einer triglossischen Gesellschaft macht (Stern 1991: 84). Irland, welches außerhalb der römischen Herrschaft geblieben war, nutze das Latein als Kirchensprache, hatte aber eine hochentwickelte irische Literatursprache, sodass beide Sprachen nebeneinander genutzt wurden, ohne sich stark zu beeinflussen (Stotz 1994: 162). Das nachmalige Deutschland hatte vor allem in Alpen- sowie Rheinnähe an der Romanisierung Anteil, was viele Lehnwörter zur Folge hatte. Latein fasste in den Deutschen Gebieten insbesondere durch die Verbreitung des Christentums Fuß und nahm dann ebenfalls die Rolle der Wissenschafts- und Kirchensprache ein (Stotz 1994: 163). Das Aufkommen des Lateins als Schriftsprache verursachte in Mitteleuropa also in vielen geografischen Territorien di- oder sogar triglossische Sprachsituationen, was in Kombination mit der Rückwende zu einer älteren Latinität die Notwendigkeit bekräftigte, Latein als Fremdsprache zu unterrichten.
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