Warum tritt in der Nachkriegszeit das Phänomen auf, dass vermehrt literarische Werke von Hauptmann verfilmt werden? Dieses Mysterium versucht die Arbeit zu klären. Im deutschen Kino der Nachkriegszeit tritt vermehrt das Phänomen auf, dass literarische Werke von Gerhart Hauptmann verfilmt werden und durch diese „beachtliche Leistungen erzielt“ werden. Die nachfolgende Arbeit erläutert dieses Erscheinungsbild anhand der Filme „Die Ratten“, „Rose Bernd“ und „Dorothea Angermann“, welche allesamt in den 1950er Jahren verfilmt wurden und auch gemeinsame Strukturen aufweisen. Ziel ist es herauszufinden, weshalb es gerade in dieser Zeit nach dem Krieg eine Reihe an Hauptmannverfilmungen gibt.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Die filmischen 1950er Jahre
2. Grunde fur Hauptmann Verfilmungen
3. „Die Ratten"
3.1. N achkr iegszeit
3.2. Elemente des Film Noir
4. „Rose Bernd"
5. „ Dorothea Angermann"
6. Gemeinsamkeiten
6.1. Melodramen
6.2. Filmkonzept
7. Fazit
Bibliographie
1. Literatur
2. Onlineartikel
3. Sonstige Quellen
1. Einleitung
Im deutschen Kino der Nachkriegszeit tritt vermehrt das Phanomen auf, dass litera- rische Werke von Gerhart Hauptmann verfilmt werden[1] und durch diese „beachtli- che Leistungen erzielt"[2] werden. Die nachfolgende Arbeit erlautert dieses Erschei- nungsbild anhand der Filme „Die Ratten", „Rose Bernd" und „Dorothea Anger- mann", welche allesamt in den 1950er Jahren verfilmt wurden und auch gemeinsame Strukturen aufweisen. Ziel ist es herauszufinden, weshalb es gerade in dieser Zeit nach dem Krieg eine Reihe an Hauptmannverfilmungen gibt.
1.1. Die filmischen 1950er Jahre
Nicht nur das kulturelle Erscheinungsbild,[3] sondern auch die Filmproduktion[4] wird in der Zeit der 1950er Jahre uberwiegend negativ dargestellt.[5] Die Filme werden als „asthetisch konventionell"[6] und „inhaltlich uberfachtet"[7] betitelt. Die gezeigten Sze- nen und Bilder sind zumeist mit den Sehgewohnheiten des Publikums konform.[8] Durch die Grundung der Bundesrepublik 1949 bzw. der Teilung Deutschlands tritt im Westen auch eine Abhangigkeit des Films vom Markt auf,[9] was Grund dafur ist, dass sich der westdeutsche Film noch starker an die dort vorherrschende Konsumi- deologie anpasst.[10] Verdeutlicht bedeutet das, dass die Produzenten auf die konven- tionellen Sehgewohnheiten des Publikums setzen,[11] um so eine moglichst grofie Masse anzusprechen, diese ins Kino zu gewinnen, um schliefilich gute Kassenerfolge zu erzielen. Deshalb bleibt die konventionelle Asthetik erhalten, es gibt wenige filmi- sche Experimente, man setzt auf die Zugkraft von Stars und erprobte Themen.[12]
Das Nachkriegskino zur Zeit der 1950er Jahre ist ein sehr ambivalenter Raum, der keine einheitliche Struktur aufweist. Es gibt eine Vielzahl an produzierten Filmen; die Jahresproduktion ubersteigt sogar eine Zahl von 80 Stuck.[13] In einer Grofizahl der Nachkriegsfilme wird der zuvor gewesene Krieg, vor allem der Holocaust, nicht the- matisiert. Viele der Filme knupfen filmisch an die Zeit vor dem Dritten Reich bzw. die Weimarer Republik an und auch im Schriftgut besinnt man sich auf vertraute li- terarische Muster des 20. Jahrhunderts vor dem Krieg zuruck.[14] Hierzu zahlt auch der Naturalist und Nobelpreistrager Gerhart Hauptmann. Die Thematik der Filme ist meist politikfern. Einige wenige Streifen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der jungsten Gegenwart versuchten, konnten beim Publikum keine wirklichen Er- folge erzielen. Aufierdem steigt die Zahl der aus Hollywood importierten Filme an und liegt in den 1950er Jahren bei in etwa 40%. Diverse Fixpunkte wie Liebe oder die Suche nach einer heilen Welt ziehen wie ein roter Faden durch alle kulturellen Berei- che, so auch den Kinofilm.[15] Das Kino ist in dieser Zeit ein Massenmedium. 1955 zahlt man eine Hochstzahl von 800 Millionen Kinobesuchern; die Nachfrage nach dem Kino war zu keiner Zeit hoher. Daruber hinaus haben damals produzierte Filme auch gegenwartig noch einen Platz im medialen Leben, denn sie werden noch haufig im Programm der offentlich-rechtlichen Fernsehsender gespielt.[16]
2. Grunde fur Hauptmann Verfilmungen
Der Literaturnobelpreistrager Gerhart Hauptmann ist Zeit seines Schaffens bis heute ein beim Grofiteil des Volkes bekannter Literat.[17] Die Nachkriegsgeneration kannte deshalb seine Werke und sein Schaffen. Hauptmanns Name im Vorspann des Films soll fur das Publikum eine Qualitatsgarantie darstellen,[18] weil man seine Werke kennt und diese von hohen literarischen Anspruchen gepragt sind, da Hauptmann dafur einen Nobelpreis erhalten hat. Der Name des Dichters soll zudem eine Andeutung auf kunstlerisch ambitionierte Filme geben und man mochte durch den Nobelpreis- trager einen Prestigegewinn herbeifuhren.[19] Daruber hinaus sollen die „positiven vor- filmischen Vorstellungen der Kinoganger"[20] genutzt werden. Viele haben Hauptmanns Schriftstucke gelesen und fur gut empfunden; die Regisseure mochten an die- sen Emotionen anknupfen und die Hauptmann-Leser durch den bekannten, gemoch- ten Stoff ins Kino gewinnen. Stoffmangel[21] bzw. die hohe Produktionszahl an Filmen konnten hierbei auch eine Rolle gespielt haben; aus dem Grund heraus, dass es schneller gehen kann eine bereits bestehende Buchgrundlage zu verfilmen als sich etwas Neues auszudenken. Dieses Argument bleibt aber im Konjunktiv verfasst, denn nachtraglich in die Kopfe der Regisseure zu sehen und deren Gedankenkon- strukt bezuglich moglichen stofflichen Motiven zu analysieren, ist schwierig. Daruber hinaus war Gerhart Hauptmann ein bedeutender Reprasentant der Weima- rer Republik und der Hohepunkt seines Schaffens lag in Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg. Da man sich in der Nachkriegszeit auf vertraute Muster des 20. Jahrhun- derts vor dem Krieg ruckbesinnt,[22] passen die Werke Gerhart Hauptmanns gut in die kulturelle Landschaft des Nachkriegsdeutschlands.
3. „Die Ratten"
Der Film „Die Ratten" ist ein 1955 erschienenes Melodram unter der Regie von Robert Siodmak,[23] einem der Starregisseure der deutschen Nachkriegszeit, welcher zu An- fang des Krieges in die USA geflohen ist und dort bereits einige Hollywoodfilme pro- duziert hat. Vor allem im Bereich des Film Noir hat Siodmak einige grofie Werke ge- schaffen.[24] Hierbei kommt die Frage auf, ob sein Wirken im Hollywoodkino eine Aus- wirkung auf sein spateres Schaffen in Deutschland hatte und in welcher Form sich diese auspragt. Zwei der Hauptrollen des Films sind mit grofien Kinostars der Nachkriegszeit besetzt, namlich Maria Schnell und Curd Jurgens.[25]
Buchgrundlage liefert eine Tragikomodie des Naturalisten Hauptmann aus dem Jahr 1911 desselben Titels.[26] Wie oben bereits geschildert knupfen viele Nachkriegsfilme an die Zeit vor dem Krieg an, man besinnt sich auf vertraute literarische Muster und expressionistische Motive zuruck,[27] so auch bei dieser Verfilmung. Im Jahr 1954 wurde in der „Berliner Morgenpost", einer Zeitung eine Leserbefragung ausgehend von der CCC-Filmgesellschaft gestartet, welche zuvor die Verfilmungsrechte des Bu- ches erworben hat, ob eine derartige Verfilmung vom Publikum gewunscht ist. 66,6% der Einsendungen stimmten dafur, weshalb der Film schliefilich auch produziert wurde.[28]
Hierbei lasst sich bereits ein Schema erkennen, welches auch in den nachfolgend auf- gefuhrten Filmen nachweisbar ist. Man hat eine bekannte Buchvorlage, die viele Men- schen kennen und welche von einem sehr bedeutenden Autor verfasst ist: dem Lite- raturnobelpreistrager Gerhart Hauptmann. Zudem hat man einen sehr bekannten und gefeierten Regisseur (Robert Siodmak) und daruber hinaus grofie Schauspiel- stars in den Hauptbesetzungen (Maria Schell, Curd Jurgens).[29]
Siodmak geht sehr frei mit dem Stoff der Buchvorlage um. Er modernisiert die Tragi- komodie und versetzt die Handlung ins zeitgenossische Nachkriegsberlin. Auch lasst er einige tragische Elemente aus; gibt dem Film zudem ein Happy End. Die Grund- lage der Geschichte bleibt aber gleich. Zu diesen Umwandlungskriterien aufierte sich Siodmak in einem Interview, dass diese notwendig seien, weil er einen Bezug zur aktuellen Zeit schaffen mochte, um ein moglichst breites Publikum anzusprechen. Aufierdem fugt er hinzu, dass Hauptmann das Werk wohl ahnlich geschrieben hatte, wenn er es denn zum vorherrschenden Zeitpunkt verfassen wurde.[30]
Inhaltlich geht es um die Hauptfigur Pauline Karka, die von Maria Schell verkorpert wird. Diese ist schwanger, der Kindsvater ist aber in den Westen abgehauen. Im Os- ten Berlins findet sie Unterschlupf bei der wohlhabenden Familie John. Frau John war ebenso schwanger, hat das Kind aber verloren. Aufgrund der Tatsache, dass sie die- sen Fakt ihrem Mann verschwiegen hat, kauft sie Paulines Kind und gibt es als ihr eigenes aus. Pauline aber bekommt ein schlechtes Gewissen und mochte ihr Kind zu- ruck, deshalb soll der Bruder von Frau John, Bruno (Curd Jurgens) Pauline toten. Beim Mordversuch kommt es aber dazu, dass Pauline Bruno totet; Pauline verfallt psychisch, aber schlussendlich stellt sich Frau John der Polizei und Pauline kann ihr Kind in die Arme schliefien.[31]
In Westdeutschland war der Film ein voller Erfolg und wurde 1955 bei den Berliner Filmfestspielen als bester Spielfilm ausgezeichnet.[32] Auch das Ausland zeigte reges Interesse an der Hauptmannverfilmung mit teils positiver und teils negativer Reso- nanz. In Manila beispielsweise gab es ebenso die hochste Auszeichnung bei den dor- tigen Filmfestspielen und in den Niederlanden argumentieren sie mit einer Verbes- serung des deutschen Filmniveaus. In der DDR dagegen kritisiert man eine Verfal- schung des literarischen Erbes Hauptmanns, zudem meint man in der Sowjetunion, dass die Regie das Original entstellt. Grofitenteils kam der Film beim in- und auslan- dischen Publikum jedoch gut an.[33]
3.1. Nachkriegszeit
Wie in Kapitel 1.1 bereits geschildert sind die Themen der im Deutschland der Nach- kriegszeit produzierten Filme meist politikfern und sprechen den zuvor dagewese- nen Krieg nicht oder nur wenig an.[34] So auch im Film „Die Ratten". Der Krieg wird einmal kurz in einem Nebensatz eines Mannes erwahnt, der seit Kriegsende vor neun Jahren bei der Familie John unterkommt, seitdem aber sein ganzes Hab und Gut noch nicht aus den Kartons ausgepackt hat. Dies kann eine mogliche Angst symbolisieren, dass es erneut zu einem Krieg kommt und man seine Sachen schnell gepackt haben muss, um mit seinen Besitztumern fliehen zu konnen oder ein Mangel an Heimatge- fuhl, dass er noch nicht auspacken mochte, weil er sich nicht ganz zuhause fuhlt und wartet, bis er wieder an seinen richtigen Heimatort kann, weil er lediglich ein alter Bekannter der Familie ist.
Der Krieg wird sonst in keiner Weise thematisiert.[35] Die Vergangenheit wird im Film also nicht bewaltigt, sondern ausgeblendet und mehr oder weniger verdrangt.
Pauline mochte in den Westen fliehen, um den Vater ihres ungeborenen Kindes zu suchen.[36] Dies spielt auf die nach dem Krieg vorherrschende Problemsituation zwi- schen Ost- und Westdeutschland an.
3.2. Elemente des Film Noir
Der Hollywoodruckkehrer Robert Siodmak war vor allem fur seine beruhmten Filme im Stil des „Film Noir" beruhmt.[37] Im Mittelpunkt des Film Noir steht Kriminalitat und Gewalt, psychologische und existentielle Krisen und zerruttete Beziehungen. Die dunkle Seite der Gesellschaft also. Asthetisch gibt es vor allem viele Licht- und Schat- tenspiele sowie Ruckblenden. Der Film Noir war vor allem in den USA der Nach- kriegszeit prasent.[38]
Der Film „Die Ratten" weist einige Elemente des Film Noir auf. Zum einen die per- sonliche Krise von Pauline und ihr psychischer Zerfall. Dann die Kriminalitat durch den Kindsverkauf und den Mord an Bruno. Die Beziehung zwischen Pauline und dem Kindsvater ist zerruttet, bzw. nicht mehr vorhanden, da dieser nach Westberlin geflohen ist und aufierdem stehen verschiedene Gesellschaftsschichten einander ge- genuber: die mittellose Pauline gegen das wohlhabende Ehepaar John, die eine Spe- dition und eine Wascherei besitzen.
Asthetisch finden sich in dramatischen Szenen sehr viele Licht- und Schattenspiele wieder und der Hauptteil des Films ist als grofie Ruckblende gestaltet. Der Film be- ginnt mit einer psychisch verfallenen Pauline auf einem Polizeirevier, zu welchem das Ehepaar John gerufen wird. Die Aussage von Frau John, also die Wahrheit des Geschehens wird in einer grofien Ruckblende gestaltet, um schlussendlich zum Ende des Films wieder auf dem Polizeirevier zu enden. Daruber hinaus finden vor allem Weitwinkelobjektive ihren Einsatz, denn die Lagerhallen und der Hof der Johns wer- den oft grofiflachig dargestellt.[39]
[...]
[1] Vgl. Hoefert (1996, S. 69).
[2] Hoefert (1996, S. 79).
[3] Vgl. Schildt (2002).
[4] Vgl. Wilharm (2002, S. 267).
[5] Vgl. Schildt (2002), Wilharm (2002, S. 267).
[6] Vgl. Wilharm (2002, S. 267).
[7] Wilharm (2002, S. 267).
[8] Vgl. Wilharm (2002, S. 267).
[9] Vgl. Gregor & Patalas (1976, S. 419).
[10] Vgl. Gregor & Patalas (1976, S. 310).
[11] Vgl. Wilharm (2002, S. 270).
[12] Vgl. Wilharm (2002, S. 270).
[13] Vgl. Wilharm (2002, S. 269).
[14] Vgl. Schildt (2002).
[15] Vgl. Schildt (2002).
[16] Vgl. Stiasny (2010).
[17] Vgl. Lebendiges Museum Online (o. J.).
[18] Vgl. Hoefert (1996, S. 69).
[19] Vgl. Hoefert (1996, S. 69).
[20] Hoefert (1996, S. 69).
[21] Vgl. Hoefert (1996, S. 69).
[22] Vgl. Schildt (2002).
[23] Vgl. FALER lesha (2016).
[24] Vgl. Barson (2018).
[25] Vgl. Hoefert (1996, S. 71).
[26] Vgl. Bellmann (1990, S. 62).
[27] Vgl. Schildt (2002).
[28] Vgl. Hoefert (1996, S. 71).
[29] Vgl. FALER lesha (2016).
[30] Vgl. Hoefert (1996, S. 72).
[31] Vgl. FALER lesha (2016).
[32] Vgl. Hoefert (1996, S. 72).
[33] Vgl. Hoefert (1996, S. 73).
[34] Vgl. Schildt (2002).
[35] Vgl. FALER lesha (2016).
[36] Vgl. FALER lesha (2016).
[37] Vgl. Barson (2018).
[38] Vgl. Deutsches Filminstitut (o. J.).
[39] Vgl. FALER lesha (2016).