Die Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, in Breisgau. Als Quellen dienen exemplarisch die beiden regionalen Bätter "Freiburger Zeitung" und "Staufener Wochenblatt". So liefert die Arbeit einen Einblick in die Ereignisse in Breisgau, über die sonst vor allem aus den großen Städten wie Berlin, München oder Wien berichtet wurde.
„Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche.“ – Mit diesem populären Ausspruch erklärte Kaiser Wilhelm II. am vierten August 1914 vor den versammelten Abgeordneten des Reichstags im Berliner Schloss, dass nun aller Hader zwischen den verschiedenen Konfessionen, Parteien und Schichten im Deutschen Reich aufhören solle. In den ersten Augusttagen schien vielen Beobachtern eine neue Ära der Einigkeit innerhalb der Gesellschaft angebrochen zu sein. Insbesondere im Vergleich zum Kriegsende vier Jahre später wurde der Kriegsausbruch vielfach als ein Moment der Geschlossenheit wahrgenommen. Lange Zeit war diese Bewertung auch von den meisten Historikern übernommen worden. Aber spätestens seit den achtziger Jahren kamen auch kritische Stimmen auf.
Das so genannte „Augusterlebnis“ wurde in seiner Bedeutung nun differenzierter bewertet. Jetzt kam es darauf an, welcher Gesellschaftsschicht, Konfession oder Partei die Zeitzeugen angehörten, deren Quellen untersucht wurden. Auch aus welcher Region sie stammten, spielte zunehmend eine Rolle in der historischen Forschung. Außerdem musste auch der Zeitpunkt der Entstehung einer Quelle berücksichtigt werden. Denn vielfach waren Begeisterung und Jubel tatsächlich verbreitete Phänomene in der Bevölkerung, allerdings meist erst im weiteren Verlauf des Augusts 1914. Dann erreichten nämlich die ersten bedeutenderen Siegesnachrichten die Heimatfront.
Der Kriegsausbruch selbst wurde laut neueren Forschungen vielerorts eher mit Ernst und Befürchtungen zur Kenntnis genommen. Zwar gab es Milieus, in denen tatsächlich eine sehr gelöste und begeisterte Stimmung überwog – dazu gehörten insbesondere viele Angehörige des Bildungsbürgertums und eine große Zahl von Studenten – aber überwiegend scheint doch eher eine Mischung aus grimmiger Entschlossenheit und Sorge dominiert zu haben. In dieser Arbeit soll in einem eng umrissenen Rahmen diesem „Mythos Augusterlebnis“ anhand des Beispiels zweier lokaler Zeitungen nachgegangen werden. Es handelt sich dabei um die Freiburger Zeitung und das Staufener Wochenblatt.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Kriegsbegeisterung?
III. Sorgen und Ängste?
IV. Die Monarchen: Kaiser Wilhelm II. und Großherzog Friedrich II.
V. Fazit
VI. Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Forschungsliteratur
I. Einleitung
„Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche.“[1] – Mit diesem populären Ausspruch erklärte Kaiser Wilhelm II. am vierten August 1914 vor den versammelten Abgeordneten des Reichstags im Berliner Schloss, dass nun aller Hader zwischen den verschiedenen Konfessionen, Parteien und Schichten im Deutschen Reich aufhören solle. In den ersten Augusttagen schien vielen Beobachtern eine neue Ära der Einigkeit innerhalb der Gesellschaft angebrochen zu sein. Insbesondere im Vergleich zum Kriegsende vier Jahre später wurde der Kriegsausbruch vielfach als ein Moment der Geschlossenheit wahrgenommen.
Lange Zeit war diese Bewertung auch von den meisten Historikern übernommen worden. Aber spätestens seit den achtziger Jahren kamen auch kritische Stimmen auf. Das so genannte „Augusterlebnis“ wurde in seiner Bedeutung nun differenzierter bewertet. Jetzt kam es darauf an, welcher Gesellschaftsschicht, Konfession oder Partei die Zeitzeugen angehörten, deren Quellen untersucht wurden. Auch aus welcher Region sie stammten, spielte zunehmend eine Rolle in der historischen Forschung. Außerdem musste auch der Zeitpunkt der Entstehung einer Quelle berücksichtigt werden. Denn vielfach waren Begeisterung und Jubel tatsächlich verbreitete Phänomene in der Bevölkerung, allerdings meist erst im weiteren Verlauf des Augusts 1914. Dann erreichten nämlich die ersten bedeutenderen Siegesnachrichten die Heimatfront. Der Kriegsausbruch selbst wurde laut neueren Forschungen vielerorts eher mit Ernst und Befürchtungen zur Kenntnis genommen. Zwar gab es Milieus, in denen tatsächlich eine sehr gelöste und begeisterte Stimmung überwog – dazu gehörten insbesondere viele Angehörige des Bildungsbürgertums und eine große Zahl von Studenten – aber überwiegend scheint doch eher eine Mischung aus grimmiger Entschlossenheit und Sorge dominiert zu haben.
In dieser Arbeit soll in einem eng umrissenen Rahmen diesem „Mythos Augusterlebnis“ anhand des Beispiels zweier lokaler Zeitungen nachgegangen werden. Es handelt sich dabei um die Freiburger Zeitung und das Staufener Wochenblatt. Diese zwei Zeitungen hatten einiges gemeinsam. Beide waren bürgerliche Presseorgane mit einer großen Nähe zum badischen Staat. Das Staufener Wochenblatt fungierte sogar offiziell als „Verkündigungs-Blatt für den Amtsbezirk Staufen“, während die Freiburger Zeitung in dieser Hinsicht etwas weniger eingeschränkt war. Tatsächlich galt sie als ein Blatt, das vorwiegend vom liberalen Bürgertum der Stadt gelesen wurde.[2] Doch ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten viele Verleger begonnen, ihre Zeitungen nicht mehr primär als Parteiorgane zu betrachten, sondern wollten ein möglichst breites Publikum ansprechen.[3] Das galt auch für die Freiburger Zeitung. Seit dem Jahr 1887 versuchten auch die Brüder Hermann und Eduard Poppen, für ihre Freiburger Zeitung weitere Kreise anzusprechen und insbesondere verstärkt katholische Leser zu erreichen. Trotzdem zeichnete sich das Blatt auch in den folgenden Jahren durch eine große Nähe zu den Nationalliberalen in Baden aus und behielt seinen „Charakter als Amtsverkündigungsblatt“ dieser Partei.[4] Hier lassen sich also große Parallelen zwischen den beiden Zeitungen ziehen. Zudem wurden beide im Breisgau verlegt. Deshalb hat diese Arbeit auch einen stark regionalen Bezug.
Doch es gibt auch einige Unterschiede. Die Freiburger Zeitung hatte eine deutlich höhere Auflage und erschien mehrmals täglich. Das Staufener Wochenblatt hingegen konnte den Lesern nur an vier Tagen in der Woche druckfrisch angeboten werden. Es muss zudem berücksichtigt werden, dass sich Zeitungen aus kleineren Gemeinden häufig auf die großen nationalen und internationalen Begebenheiten konzentrierten und weniger über das Geschehen im eigenen Ort berichteten.[5] Außerdem spielte der Verlagsort selbst eine Rolle. Während Freiburg im Breisgau als Verwaltungszentrum Südbadens und Universitätsstadt schon 1914 eine schnell wachsende Stadt war, handelte es sich bei Staufen um eine kleine Gemeinde mit ländlichem Umfeld. Deshalb ist es auch sehr aufschlussreich, diese beiden Zeitungen miteinander zu vergleichen. Denn die Unterschiede zwischen Stadt und Land spielen bei der Bewertung des Augusterlebnisses in der Forschung eine zunehmend wichtige Rolle. In ländlichen Gebieten – so legen neuere Forschungen zum Augusterlebnis nahe – wurde die Nachricht vom Kriegsausbruch in der Regel deutlich nüchterner aufgenommen als in den städtischen Zentren.
Steffen Bruendel hat überdies konstatiert, der Krieg habe unter den Gelehrten im Kaiserreich weniger um seiner selbst willen, sondern wegen der nun empfundenen nationalen Geschlossenheit große Begeisterung ausgelöst.[6] Sicher lässt sich fragen, ob diese Feststellung auch auf andere Gruppen und Schichten übertragen werden kann und – im Rahmen dieser Arbeit – auch auf die Redaktionen der Zeitungen. Dadurch könnte dann die Bewertung des Augusterlebnisses weiter differenziert werden. Zeitungen auf ihre Berichterstattung zum Kriegsausbruch zu untersuchen kann daher wichtige Erkenntnisse für die Bewertung des Phänomens „Augusterlebnis“ erbringen. Denn auch wenn bei Kriegsbeginn die Zensur verschärft wurde, kam der Presse ein entscheidender Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Ereignisse zu.[7] Immerhin gehörten Zeitungen zu den wichtigsten Informationsquellen der Bevölkerung.
Um den Rahmen dieser Untersuchung möglichst eng zu halten, wurden für diese Arbeit nur die Ausgaben vom ersten bis dritten August (für die Freiburger Zeitung), bzw. bis zum vierten August (für das Staufener Wochenblatt, das nur viermal wöchentlich erschien) herangezogen. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten diese beiden Zeitungen zum ersten Mal ausführliche Berichte und Stellungnahmen über den Krieg, dessen Ausbruch inzwischen im ganzen Kaiserreich bekannt gegeben worden war. Daher soll der Betrachtungszeitraum auch mit dem dritten bzw. vierten August enden, denn danach hatten sich die Redakteure vollends auf einen Krieg eingestellt und alle Hoffnungen zerschlagen, der Konflikt könne lokalisiert werden.
Zu dem in der Arbeit behandelten Themenkomplex gibt es inzwischen einen größeren Bestand an aktueller Literatur. Mit dem Augusterlebnis im Kaiserreich und seinen geistigen Ursachen haben sich u.a. Jost Dülffer, Steffen Bruendel, Jeffrey Verhey, Thomas Raithel und Thomas Rokrämer intensiv beschäftigt. Zur Geschichte Freiburgs im Ersten Weltkrieg kann mittlerweile auf die sehr detaillierten neueren Studien von Roger Chickering und Christian Geinitz zurückgegriffen werden. In Bezug auf die Monarchen ist die Situation ambivalent: In den letzten Jahren sind mehrere Biografien von Wilhelm II. erschienen, am prominentesten sicher die konzise politische Studie von Christopher Clark und das dreibändige Werk von John C. G. Röhl. Außerdem hat Martin Kohlrausch mit seiner Dissertation über Wilhelm II. und die Medien das Bild des letzten Kaisers um wichtige Impulse bereichert. Aber zu Großherzog Friedrich II. gibt es bisher nur wenig neue Literatur, eine Überblicksdarstellung von Uwe A. Oster gehört schon zu den wichtigsten Beiträgen auf diesem Gebiet. Hier besteht daher großer Bedarf an neueren Forschungen.
Als Quellen dienen die Ausgaben von Freiburger Zeitung und Staufener Wochenblatt aus dem oben eingegrenzten Zeitraum. Sie sollen eingehend auf mehrere Aspekte untersucht werden, die für die Bewertung des Augusterlebnisses im Breisgau eine Rolle spielen. Zuerst wird es dabei um eine irgendwie greifbare Kriegsbegeisterung gehen. Ließ sie sich in den Artikeln der beiden Blätter erkennen und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt? Zweitens soll auf Sorgen und Ängste eingegangen werden, die in den Beiträgen sichtbar wurden. In einem dritten Abschnitt steht dann die Berichterstattung über die Monarchen Wilhelm II. und Friedrich II. im Vordergrund. Dabei soll es auch um die deutsche, bzw. spezifisch badische Identität der Redaktionen gehen und an welchen Stellen sie erkennbar wird. War in diesen Tagen der Kaiser oder der Großherzog in den Beiträgen präsenter und wie oft wurde auf deutsche oder badisch-alemannische Traditionen rekurriert? Am Ende soll die Analyse der Zeitungsartikel aus diesem kurzen Zeitraum eine differenzierte Antwort auf die Frage ermöglichen, inwiefern die These von einer in Kriegsbegeisterung und Patriotismus geeinten bürgerlichen Presse für diese zwei Zeitungen zutrifft. Davon könnten auch neue Impulse für die Gesamtbewertung des Phänomens „Augusterlebnis“ im Breisgau ausgehen.
II. Kriegsbegeisterung?
Lange Zeit fand die These von einer allgemeinen Kriegsbegeisterung in der deutschen Bevölkerung breiten Zuspruch in der Geschichtswissenschaft. Insbesondere im Gegensatz zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sei der August 1914 von der deutschen Bevölkerung als Befreiung von der Ungewissheit der letzten Julitage oder sogar von einer als bedrückend empfundenen Enge der wilhelminischen Gesellschaft empfunden worden. Inzwischen wird diese Begeisterung deutlich differenzierter betrachtet. Thomas Raithel etwa hat für den Kriegsbeginn die Vorstellung einer starken „Kriegsbegeisterung“ in der deutschen Bevölkerung als unzutreffend charakterisiert. Stattdessen sollte eher von einer „ernste[n] Grundstimmung“, verbunden mit einem „demonstrative[n] Patriotismus“ gesprochen werden.[8] Auch die Atmosphäre in den Städten war offenbar deutlich weniger enthusiastisch, als in der Forschung lange angenommen wurde. Trotzdem kann das Bild einer weitgehenden Geschlossenheit innerhalb der Bevölkerung bestätigt werden. Denn die Vorstellung einer geeinten „Volksgemeinschaft“ wurde seit der Jahrhundertwende auch von sozialdemokratischen Theoretikern aufgegriffen und in ihrem Sinn interpretiert.[9] Unter diesem Aspekt erscheint die Zustimmung der SPD zur Bewilligung der Kriegskredite fast schon folgerichtig.
Aber auch wenn der Krieg, als er tatsächlich ausbrach, nicht von allen begrüßt wurde, so kam er doch auch nicht völlig überraschend. Denn obwohl der Erste Weltkrieg heute in der Forschung meist nicht mehr als unabwendbar betrachtet wird, kann doch eine gewisse Kriegserwartung bei weiten Teilen der Bevölkerung, nicht nur im Kaiserreich, nicht bestritten werden.[10] Die vielen Krisen in der Vorkriegszeit hatten in den Augen vieler Zeitgenossen die Gefahr eines europäischen Krieges zu einer realistischen Möglichkeit werden lassen.
Hinzu kam eine gewisse Militarisierung der deutschen Gesellschaft. Thomas Rohkrämer betrachtet den im Deutschen Reich, aber auch in anderen europäischen Gesellschaften 1914 weit verbreiteten „Folklore-“ oder „Gesinnungsmilitarismus“ nicht als direkte Ursache für die zustimmende Haltung großer Teile der Bevölkerung.[11] Allerdings dient er für ihn als Erklärung dafür, dass viele Männer im Kaiserreich den Krieg als ein unvermeidbares Schicksal betrachteten, wenn sie ihn nicht sogar ausdrücklich begrüßten (was zumindest für einen großen Teil der gebildeten Schichten tatsächlich zugetroffen haben dürfte). Insbesondere junge Männer aus dem Bürgertum, die im Kaiserreich herangewachsen waren und die Erzählungen der Veteranen aus den Einigungskriegen kannten, hätten sich hierbei hervorgetan und maßgeblich zur Entstehung der Dynamik von Kriegsbegeisterung und fatalistischer Entschlossenheit im August 1914 beigetragen. Tatsächlich aber dürften die scheinbar spontanen Ausbrüche von Begeisterung unter den städtischen Massen häufig unmittelbare „Reaktionen auf die Kriegserklärungen und die Mobilmachungsbefehle“ gewesen zu sein.[12]
Jeffrey Verhey charakterisiert daher die Grundstimmung, die in der deutschen Bevölkerung bei Kriegsbeginn verbreitet gewesen sein dürfte, sehr prägnant: „Deutschland war nicht in Begeisterung vereint, sondern in Entschlossenheit“.[13] Sönke Neitzel wiederum verwendet den ebenfalls sehr gut geeigneten Begriff „Kriegsaufregung“, um die Vielgestaltigkeit der Reaktionen in der Bevölkerung zu charakterisieren.[14] Aber trotzdem geht auch er grundsätzlich von einem weit verbreiteten Gemeinschaftsgefühl und „einer bemerkenswert großen Zustimmung zum Krieg“ aus.
Aber erst mit den Meldungen von einem deutschen Erfolg am siebten August bei Lüttich häuften sich die optimistischen Jubelszenen, denn ein Sieg der Mittelmächte schien für viele Menschen nun immer realistischer zu werden.[15] Jetzt erst nahmen die Verabschiedungen der Soldaten einen betont freudigen Charakter an.[16] Die ernste Grundstimmung, die noch Anfang August bei den ersten Auszügen deutscher Einheiten geherrscht hatte, wich vielfach einer gewissen Zuversicht, dass die Mittelmächte den Krieg gewinnen würden.
Anhand der oben zusammengefassten Deutungen des Augusterlebnisses lässt sich gut erklären, weshalb es eine große Rolle spielt, zu welchem Zeitpunkt die Reaktionen in den Quellen untersucht werden. Die Auszüge der Truppen, die von begeisterten Massen bejubelt wurden, häuften sich erst nach den Anfangserfolgen der deutschen Heere ab dem zwanzigsten August, als die Zuversicht in der Bevölkerung zunahm. Bis dahin war das Bild der Reaktionen deutlich vielschichtiger.
Mit Kriegsbeginn fielen viele Befugnisse der Zivilverwaltung an die Stellvertretenden Generalkommandos, so auch die Pressezensur.[17] Die Zeitungen standen daher unter einem gewissen Druck seitens des Militärs. Die deutsche Presse reagierte deshalb auch, anfänglich mit Ausnahme der sozialdemokratischen Organe, weitgehend geschlossen auf die Julikrise.[18] Allgemein war die Vorstellung verbreitet, dass sich das Kaiserreich in einem Abwehrkampf gegen „eine Welt von Feinden“ befinde und die Politik der Reichsleitung bejaht werden müsste.[19] Nun soll im Folgenden das Beispiel der Freiburger Zeitung und des Staufener Wochenblatts unter den oben skizzierten Rahmenbedingungen näher beleuchtet werden.
In der Freiburger Zeitung war am ersten August noch wenig Begeisterung über den drohenden Krieg zu erkennen. Entgegen der These Kruses von einer fast durchweg kriegstreiberischen bürgerlichen Presse, drückte das Blatt die Hoffnung aus, dass die verantwortlichen Kreise im Zarenreich vielleicht doch noch zu einer Verständigung bereit sein könnten.[20] Diese Hoffnung solle „am werdenden Grabe des Friedens“ noch nicht aufgegeben werden, obwohl die Redaktion zumindest den Krieg mit dem „östlichen Nachbarn“ scheinbar als kaum noch zu verhindern betrachtete.[21] Außerdem wurde eine Erklärung der Deutschen Friedensgesellschaft zitiert, worin das Vorgehen Österreich-Ungarns zwar als begründet betrachtet wurde, gleichzeitig aber der Hoffnung Ausdruck verliehen wurde, ein europäischer Krieg könne noch verhindert werden. Schließlich wurde von größeren Truppenbewegungen an der westlichen Grenze des riesigen Reiches berichtet. In Bezug auf die Stimmung in der Stadt war kaum von Begeisterung, sondern vielmehr von ernsten, entschlossenen Männern und weinenden Frauen die Rede. Insbesondere im Vergleich zum vergangenen Samstag, als das Deutsche Reich noch nicht direkt vom Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien betroffen zu sein schien, fiel dem Autor des Artikels auf, wie gedrückt die Stimmung nun sei.
[...]
[1] Rede Kaiser Wilhelms II. vor der Eröffnungssitzung des Reichstags im Weißen Saal des Berliner Schlosses, in: Verhandlungen des Deutschen Reichstags. Dreizehnte Legislaturperiode. Zweite Session. 1914 (Verhandlungen des Reichstags 306), Berlin 1916, S. 2.
[2] Geinitz, Christian: Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das Augusterlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914 (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte/Bibliothek für Zeitgeschichte N.F. 7), Essen 1998, S. 130.
[3] Vgl. Schulz, Andreas: Der Aufstieg der „vierten Gewalt“. Medien, Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter der Massenkommunikation, in: HZ 270, Heft 1 (2000), S. 65-97, hier S. 79 f.
[4] Schnabel, Thomas: Presse, Politik und Poppen. Die Freiburger Zeitung von 1784 bis 1911. Zum 75. Geburtstag von Edi Poppen, Freiburg i. Br. 2001, S. 61 f.
[5] Vgl. Stöber, Rudolf: Vom „Augusterlebnis“ zur „Novemberrevolution“. Öffentlichkeit zwischen Kriegsbegeisterung (?) und Herbstdepression, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 15 (2013), S. 89-122, hier S. 97.
[6] Vgl. Bruendel, Steffen: Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, S. 58.
[7] Vgl. Verhey, Jeffrey: Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft. Aus dem Englischen von Jürgen Bauer und Edith Nerke, Hamburg 2000, S. 197.
[8] Raithel, Thomas: Das „Wunder“ der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges (Pariser historische Studien 45), Bonn 1996, S. 427.
[9] Mai, Gunther: „Verteidigungskrieg“ und „Volksgemeinschaft“. Staatliche Selbstbehauptung, nationale Solidarität und soziale Befreiung in Deutschland in der Zeit des Ersten Weltkriegs (1900-1925), in: Michalka, Wolfgang (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse (Serie Piper 1927), München/Zürich 1994, S. 583-602, hier S. 591 f.
[10] Vgl. Dülffer, Jost: Kriegserwartung und Kriegsbild in Deutschland vor 1914, in: Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 9), S. 778-798, hier S. 788 und 794.
[11] Rohkrämer, Thomas: August 1914. Kriegsmentalität und ihre Voraussetzungen, in: Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 9), S. 759-777, hier S. 764 und 773 f.
[12] Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 130.
[13] Verhey (wie Anm. 7), S. 192.
[14] Neitzel, Sönke: Weltkrieg und Revolution 1914-1918/19 (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert 3), Berlin 2008, S. 30.
[15] Vgl. Verhey (wie Anm. 7), S. 139 f.
[16] Vgl. ebd., S. 175.
[17] Vgl. Kruse, Wolfgang: Gesellschaftspolitische Systementwicklung, in: Kruse, Wolfgang (Hg.): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914-1918, Frankfurt am Main 1997, S. 55-91, hier S. 56 f.
[18] Vgl. Raithel, Thomas: „Augusterlebnisse“ 1914 in Deutschland und Frankreich, in: Freytag, Nils/Petzold, Dominik (Hgg.): Das „lange“ 19. Jahrhundert. Alte Fragen und neue Perspektiven (Münchner Kontaktstudium Geschichte 10), München 2007, S. 245-260, hier S. 252.
[19] Aufruf Wilhelms II. „An das Deutsche Volk“ vom 6. August 1914, in: Bihl, Wolfdieter (Hg.): Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit/Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 29), Darmstadt 1991, S. 55 f., hier S. 56.
[20] Vgl. Kruse, Wolfgang: Die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Entstehungszusammenhänge, Grenzen und ideologische Strukturen, in: Linden, Marcel van der/Mergner, Gottfried (Hgg.): Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien (Beiträge zur politischen Wissenschaft 61), Berlin 1991, S. 73-87, hier S. 75 f.
[21] Freiburger Zeitung (fortlaufend abgekürzt als FZ) vom 1.8.1914.