Hector Berlioz (1803 – 1869) ist einer der faszinierendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Sein Werk umfasst Klavier-, Kammer-, Orgel- und Harmoniummusik, aber auch Ouvertüren, Opern und Symphonien. Seinen symphonischen Hauptwerken gemeinsam ist, dass sie als Dramen verstanden werden wollen. Darunter zählen die Symphonie fantastique, Romeo et Juliette und die Harold-Symphonie. Von letzterer handelt diese Hausarbeit.
Die Frage mit der sich diese Arbeit beschäftigt lautet: Was ist bezeichnend für die Harold-Symphonie, vor allem wenn man sie unter dem Begriff der „Programm-Musik“ einordnet und versteht?
Zunächst werde ich der Frage nachgehen, was Programm-Musik ist. Hierbei versuche ich einen Überblick durch verschiedene Definitionsversuche zu geben, die wiederum von der Auffassung abhängen, wie das zugrunde gelegte Sujet oder Programm auf die Musik wechselseitig bezogen wird. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Franz Liszt und seinen Aufsatz: „Berlioz und seine Harold-Symphonie“.
In dem darauffolgenden Abschnitt gehe ich direkt auf die Harold-Symphonie ein. Hierbei behandele ich die Entstehungsgeschichte, wobei ich mich auf die selbstverfassten „Memoiren“ von Hector Berlioz beziehe; natürlich bin ich mir dabei der Tatsache bewusst, dass diese nicht als objektive Geschichtsquelle zu werten sind. Der nächste Abschnitt wirft einen Blick auf die spezifische Verarbeitung des Programms und des literarischen Hintergrunds der Harold-Symphonie. Im Anschluss erfolgt eine kurze Analyse der Symphonie hinsichtlich der musikalischen Umsetzung und Anwendung der spezifischen literarischen Elemente des Harold-Stoffes, der von George Gordon Byron verfasst wurde. Dabei werden Besonderheiten in der Komposition hervorgehoben, insbesondere die Abkehr von der traditionellen Formenlehre. Ich halte mich bei der Analyse vor allem an das Buch „Berlioz – Die symphonisch-dramatischen Werke“ von Dömling. Ein Fazit am Ende fasst alle Erkenntnisse zusammen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Programm-Musik und deren Definitionsversuche
2.1 Definitionen
2.2 Sujet, poetische Idee und Programm
3. Harold-Symphonie
3.1 Entstehungsgeschichte und der biographische Hintergrund
3.2 Das Programm und der literarischer Hintergrund
3.3 Analyse
4. Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Hector Berlioz (1803 – 1869) ist einer der faszinierendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Sein Werk umfasst Klavier-, Kammer-, Orgel- und Harmoniummusik, aber auch Ouvertüren, Opern und Symphonien. Seinen symphonischen Hauptwerken gemeinsam ist, dass sie als Dramen verstanden werden wollen. Darunter zählen die Symphonie fantastique, Romeo et Juliette und die Harold-Symphonie. Von letzterer handelt diese Hausarbeit.
Die Frage mit der sich diese Arbeit beschäftigt lautet:Was ist bezeichnend für die Harold-Symphonie, vor allem wenn man sie unter dem Begriff der „Programm-Musik“ einordnet und versteht?
Zunächst werde ich der Frage nachgehen, was Programm-Musik ist (à Kap. 2). Hierbei versuche ich einen Überblick durch verschiedene Definitionsversuche zu geben (à Kap. 2.1), die wiederum von der Auffassung abhängen, wie das zugrunde gelegte Sujet oder Programm auf die Musik wechselseitig bezogen wird (à Kap. 2.2). Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Franz Liszt und seinen Aufsatz: „Berlioz und seine Harold-Symphonie“[1].
In dem darauffolgenden Abschnitt (à Kap. 3) gehe ich direkt auf die Harold-Symphonie ein. Hierbei behandele ich die Entstehungsgeschichte (à Kap. 3.1), wobei ich mich auf die selbstverfassten „Memoiren“[2]von Hector Berlioz beziehe; natürlich bin ich mir dabei der Tatsache bewusst, dass diese nicht als objektive Geschichtsquelle zu werten sind. Der nächste Abschnitt (à Kap. 3.2) wirft einen Blick auf die spezifische Verarbeitung des Programms und des literarischen Hintergrunds der Harold-Symphonie. Im Anschluss (à Kap. 3.3) erfolgt eine kurze Analyse der Symphonie hinsichtlich der musikalischen Umsetzung und Anwendung der spezifischen literarischen Elemente des Harold-Stoffes, der von George Gordon Byron verfasst wurde. Dabei werden Besonderheiten in der Komposition hervorgehoben, insbesondere die Abkehr von der traditionellen Formenlehre. Ich halte mich bei der Analyse vor allem an das Buch „Berlioz – Die symphonisch-dramatischen Werke“ von Dömling[3]. Ein Fazit am Ende (à Kap. 4) fasst alle Erkenntnisse zusammen.
2. Programm-Musik und deren Definitionsversuche
2.1 Definitionen
In dem Buch „Musiker im Portrait“ von Salmen[4]wird davon gesprochen, dass die symphonischen Werke Berlioz‘ „[…] als musikalische Gestaltung einer gespaltenen Gemütswelt auch stilistisch als Programmsinfonien einzuordnen [sind]“[5]. Die Frage ist: Was beinhaltet der Begriff Programm-Symphonie? Was wird durch ihn an Musikwerken umrahmt? Dies wirft dann die Frage auf wie ältere Werke zu behandeln sind, wenn sie durch bestimmte Merkmale sich dem Begriff zwar zuordnen lassen, in deren Entstehungskontext dieser Begriff allerdings noch nicht existierte?
Nach Altenburg[6]herrscht hinsichtlich der Bedeutung des Begriffes Programm-Musik in der Musikwissenschaft eine „babylonische Sprachverwirrung“[7]. Das Betrifft zum einen die Frage der speziellen Merkmale und zum anderen das Problem der historischen Geltung des Begriffes. Ungeachtet dessen verbinden sich mit jenem Begriff „implizite als auch explizite“ ästhetische Werturteile.[8]Problematisch bleibt außerdem, dass der Begriff oftmals im Nachhinein, auf bestimmte Werke angewendet wurde, so zum Beispiel auf Beethovens 6. Symphonie, um dieser neuen aufkommenden „Gattung“ von Musik ein Idealbild und Paradebeispiel zu verschaffen. Jedoch ist Programm-Musik erst einmal grundsätzlich von den anderen Begriffen wie Tonmalerei und Charakterstück abzugrenzen.
Altenburg[9]fasst folgende Bedeutungen des Begriffes Programm-Musik zusammen: Erstens, ausgehend von den Werken der Komponisten und Theoretiker aus dem Umkreis der Neudeutschen Schule[10], wird seit Mitte des 19. Jh. von jeder Art selbstständiger Instrumentalmusik gesprochen, der ein „außermusikalisches Sujet“ zu Grunde liegt.[11]Von Bedeutung ist hierbei, dass das Sujet „die musikalische Konzeption bestimmt oder zumindest beeinflußt hat“[12]. Als konkretes Bespiel kann hier die Harold-Symphonie genannt werden.[13]Dabei kann die äußere Form des dargestellten Sujets oder Programms sehr unterschiedlich sein. Der Begriff Programm-Musik dient daneben als Oberbegriff für verschiedene Gattungen der Instrumentalmusik: Symphonische Dichtung, Programmouvertüre, Programmsymphonie sowie auch für Klavier – und Kammermusik mit Programm.[14]
Zweitens werden neben selbstständigen Instrumentalwerken einzelne Instrumentalsätze, die eine bestimmte Funktion ausüben und in dem Kontext eines größeren Werkes eingebettet sind, als Programm-Musik bezeichnet.[15]Hierzu gehören zum Beispiel Schauspiel- oder Opernouvertüren. Diese Subsumtion derartiger Werke unter die Kategorie Programm-Musik ist jedoch nicht ganz unproblematisch, da sie außeracht lässt, dass jene eine eigene Tradition und Musikgeschichte haben.[16]
Drittens wird Programm-Musik mit Tonmalerei gleichgesetzt. Bei der Gleichsetzung wird jedoch davon ausgegangen, Programm-Musik erzähle außermusikalische Vorgänge mit musikalischen Mitteln. Somit tendiert sie dahin, die Logik der traditionellen Formprinzipien der Instrumentalmusik (zum Beispiel die Sonatenhauptsatzform) durch die eigene des Programms oder Sujets zu ersetzen. Ausgehend von dieser Auffassung muss das Programm notwendig der Komposition beigegeben sein, um sie zu verstehen.[17]Weiterhin verbindet sich damit auch eine zeitliche Komponente, die für den schöpferischen Kompositionsakt bedeutet, dass die schriftliche Fixierung und Fertigstellung des Programms vor der eigentlichen musikalischen Gestaltung stehen müsse.[18]
Viertens wurde der Begriff auf Vokalwerke ausgedehnt, was zur Bildung des Begriffes „Programmchanson“ führte. Einzelne Chorsätze in Opern, Oratorien oder Kantaten, die als musikalisches Ausdrucksmittel Tonmalerei beinhalteten, wurden auch unter dem Begriff „Programm-Musik“ subsumiert.[19]Liszt[20]betrachtet das Thema aus historischer Perspektive, was folgendes Zitat wiedergibt:
„Durch das gesungene Wort hat von jeher eine Verbindung zwischen der Musik mit literarischen oder quasi literarischen Werken bestanden; gegenwärtig wird nun eine Vereinigung beider erstrebt, als die bis jetzt vorgekommen. Die Musik nimmt in ihren Meisterwerken mehr und mehr die Meisterwerke der Literatur in sich auf“.[21]
Nach ihm wurde also von jeher versucht in der Vokalmusik eine Verbindung mit der Literatur herzustellen.
Nach Fubini[22]war die Frage nach den deskriptiven Fähigkeiten der Musik für viele Romantiker von ausschlaggebender Bedeutung, und sie stellte sich gerade dann in verschärfter Form, als die Programm-Musik aufkam, begriffen als eine eigene Gattung, jedoch verbunden mit der schon immer vorhandenen Tendenz in der Musik, Ereignisse oder Naturphänomene mit Hilfe eines literarischen Textes beschreiben zu wollen.[23]
Franz Liszt publizierte 1855 in der von Robert Schumann 1834 gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“ den Aufsatz „Berlioz und seine Haroldsymphonie“, in dem er, neben vielen anerkennenden Worten gegenüber Berlioz‘, versuchte der neuen Gattung Programm-Musik eine theoretische Basis zu verschaffen, sie zu legitimieren und ihre besonderen Merkmale hervorzuheben, um so auf sie eine neue Perspektive zu eröffnen. Im folgenden Zitat nimmt er Bezug auf die Veränderungen in der thematischen Entwicklung, die nicht mehr durch die Logik der traditionellen „classischen“ Formenlehre diktiert wird:
„In der sogenannten classischen Musik ist die Wiederkehr und thematische Entwicklung der Themen durch Regeln bestimmt, die man als unumstößlich betrachtet, da doch nur die eigne Phantasie Jenen die Anlage ihrer Stücke vorschrieb, die zuerst in die gewisse Reihenfolge sie anordneten, welche man jetzt als Gesetz aufstellen will.“[24]
Die Programmmusik grenzt er folgendermaßen ab:
„In der Programm-Musik ist Wiederkehr, Wechsel, Veränderung und Modulation der Motive durch ihre Beziehung zu einem poetischen Gedanken bedingt. Hier ruft nicht mehr ein Thema das andere hervor, nicht länger führen stereotype Annäherungen oder Gegensätze von Klangfarben die Folge der Motive herbei, und das Colorit als solches bedingt nicht die Gruppierung der Ideen. Alle ausschließlich musikalischen Rücksichten sind denen der Handlung des gegebenen Sujets untergeordnet, wenn auch nicht außer Acht gelassen.“[25]
Wiederkehrende und wechselnde Motive bestimmen beispielsweise den Aufbau der Harold-Symphonie, vor allem die innere Logik des vierten Satzes, der die Themen der drei vorhergehenden Sätze aufgreift und als „Erinnerungen“ (Reminiszenzen) dem Hörer wieder ins Gedächtnis ruft. Dieser Aufbau folgt aber vor allem dem poetischen Programm, denn jene Reminiszenzen stellen dar, wie Harold alle Szenen der vorhergehenden Sätze in Gedanken rekapituliert.
Dem Bedürfnis der Zeit entsprechend diente die Programm-Musik dazu, die Künste miteinander zu verbinden, die Grenzen zwischen den Künsten aufzulösen, um zu einem „vollkommeneren Ausdruck zu gelangen“[26]. Poesie und Literatur befruchteten schon immer die Musik, man denke nur an die Verwendung in der Oper, doch war die Verschmelzung nie ganz und gar.[27]Nach Liszt liegt im Wesen der Programm-Musik genau diese Bestrebung. Richard Wagner setzte dieses Bedürfnis in seinen Opern am vollkommensten durch.
2.2 Sujet, poetische Idee und Programm
Der Ausgangspunkt des Schaffens einer Komposition ist in der Programm-Musik also der außermusikalische Entwurf, der Stoff beziehungsweise das Sujet.[28]Dabei lässt sich grob unterscheiden: das Sujet ist literarisch vorgeprägt, geht auf ein Werk der bildenden Kunst zurück oder ist vom Komponisten, aufgrund literarischer Vorbilder, persönlicher Erfahrungen, Erlebnissen oder Betrachtungen der Natur, selbst entworfen.[29]Unter letzteres kann die Harold-Symphonie eingeordnet werden. Neben dem vielschichtigen Begriff der Programm-Musik kann der Begriff des Programms sehr unterschiedlich gebraucht sein.
Erstens kann er den „‘Ideengang‘ einer Komposition bezeichnen, der vorher schriftlich fixiert sein kann“ aber nicht ein Muss darstellt, da er sich auch erst im Nachhinein oder während des Schaffungsprozesses einstellen kann.[30]Zweitens kann er, in Form eines ausgearbeiteten Textes, auf die Komposition wie eine Einleitung vorbereiten. Dabei kann dieser Text die Form eines einführenden Prosatextes annehmen, (wie zum Beispiel bei der Symphonie fantastique) von einer Dichtung oder nur von einem kurzen Titel beziehungsweise Titel und entsprechenden Satzüberschriften wie bei der Harold-Symphonie handeln, in der jede Überschrift des Satzes einen kurzen Einblick in die Stimmung und den gegenwärtigen Erlebnishorizont des Helden entwirft. Die Überschriften der einzelnen Sätze lauten:
1. Satz: Harold aux montagnes. Scénes de melancholie, de bonheur et de joie.
2. Satz: March de pélerins, chantant la priére du soir.
3. Satz: Sérénade d’un montagnard des Abruzzes á sa maǐtresse.
4. Satz: Orgie de Brigans. Souvenirs de scènes précédentes.
Man kann sagen: „Das Programm ist also keineswegs die ‚wörtliche Übersetzung‘ der der Komposition zugrunde liegenden poetischen Idee in die Wortsprache, auch wenn im Einzelfall das Programm auf kompositorische Details hinweisen kann, sondern soll auf Sujet und poetische Idee des Werks vorbereiten“.[31]Ganz allgemein verweisen die Überschriften der einzelnen Sätze auf die Stimmung, in der sich der Held im gegenwärtigen Augenblick befindet. Des Weiteren beschreiben sie den örtlichen Kontext und die Szene, die sich vor seinen Augen abspielt.
Drittens in Form einer ausführlichen Beschreibung des Programms kann dieses in mehrere Teile unterteilt und so als „semantischer Wegweiser in der Partitur einzelnen Abschnitten der Komposition zugeordnet sein“.[32]
3. Harold-Symphonie
3.1 Entstehungsgeschichte und der biographische Hintergrund
Hector Berlioz‘ „Memoiren“[33]gelten nicht als objektive Geschichtsquelle und sie wurden auch nie von ihm aus diesem Grund konzipiert. Viel mehr sind sie geschrieben, um eine enge Verbindung zwischen seinem Leben und seinem Werk darzustellen, wobei er sich in ihnen gehörig selbst inszeniert.[34]So beschreibt er, mit einem Unterton von Bedauern, wie er sich „der Akademie in Rom zuwenden [musste]“[35], nachdem die 2. Aufführung der Symphonie fantastique erfolgreich überstanden war.[36]Das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass er sich kurz davor mit der Konzertpianistin Camille Moke verlobt hatte und seine anfänglichen Erfolge der 2. Aufführung der Symphonie fantastique nicht fortsetzen konnte.[37]
So machte sich Berlioz per Schiff auf dem Weg nach Rom, wo er am 10. März 1831 eintraf. Während der Fahrt auf dem Schiff berichtet er in seinen Memoiren von einer Begegebenheit in der ein Venezianer - der sich als ein ehemaliger Begleiter Lord Byrons ausgab - von diesem berichtete.[38]Vielleicht stellt das den ersten Kontakt mit der Idee dar, oder ein zündendes Erlebnis sich näher mit dem Stoff des Child Harold zu beschäftigen. Ungeachtet dessen war das Bild des Lord Byron in der französischen Romantik hoch stilisiert. Von ihm ging eine starke Faszination aus und es gehörte zum allgemeinen Habitus der Zeit sich mit ihm als Künstler zu identifizieren.[39]In der Villa Medici wohnten damals die Stipendiaten, unter ihnen auch Felix Mendelssohn, deren Begegnung Berlioz in auch seinen Memoiren beschreibt.[40]Wenig später verließ er wieder die Akademie, um nach Paris zurückzukehren und seinen Nebenbuhler, denn die Verlobung mit Camille Moke wurde inzwischen aufgelöst, umzubringen. So schildern es zumindest die Memoiren. Es finden sich daneben auch eingestreute Reflexionen über Leidenschaften und Gefühle, wie zum Beispiel:
„Leidenschaftliche Leute sind komisch, sie bilden sich ein, die ganze Welt beschäftigt sich mit ihrer Leidenschaft, welcher Art sie auch sei, und sind felsenfest davon überzeugt, daß jedermann dementsprechend reagiere“.[41]
Jene vorgezogene Rückkehr misslang allerdings, sodass Berlioz kurze Zeit in Nizza verbrachte, um von einer schweren Erkrankung zu genesen. Die im dritten Satz der Symphonie dargestellte Szene in den Abruzzen beruht, wenn man sie mit den Aufzeichnungen aus den Memoiren in Verbindung bringt, auf seinen eigenen Wanderungen in den Bergen, von denen folgende Aufzeichnungen berichten:
„Ich machte von der Freiheit, die uns eingeräumt war, Gebrauch, überließ mich meinem Hang zu abenteuerlichen Streifereien und flüchtete mich in die Abruzzen, wenn mich in Rom die Langeweile verzehrte. Ohne das weiß ich kaum, wie ich die Einförmigkeit einer solchen Lebensweise hätte überstehen sollen“.[42]
In Rom besuchte Berlioz oft die Peterskirche, wobei er in ihren Räumlichkeiten Werke von Lord Byron las. Die Erlebniswelt des zweiten Satzes, insbesondere die religiöse Stimmung des Pilgerchors beruht vielleicht auf diesem geschilderten Erlebnis:
„Ich hatte einen Band Byron bei mir, machte es mir in einem Beichtstuhl bequem, und im Genuß der Kühle, der heiligen Stille, die nur in langen Zwischenräumen auf dem großen St. Peters-Platz unterbrochen wurde, wenn Windstöße es an mein Ohr trugen, las ich mit Muße jene leidenschaftliche Poesie; auf den Wogen folgte ich den kühnen Fahrten des Kosaren […]“.[43]
Teile aus einem früheren Werk mit dem Titel „Rob Roy“, welches er in Rom komponierte, wurden später in die Harold-Symphonie eingearbeitet. In seinen Memoiren schreibt er:
„Alles, was ich in der Akademie geschrieben habe, beschränkte sich auf drei bis vier Stücke […] Eine lange und weitschweifige Overtüre zu „Rob Roy“, die, ein Jahr später in Paris aufgeführt, vom Publikum schlecht aufgenommen und in der Nacht nach dem Konzert von mir verbrannt wurde […]“.[44]
Im Mai 1832 erreichte Berlioz wieder Paris. In diesem Jahr erteilte ihm Paganini einen Kompositionsauftrag. Wiederum dient dabei als Quelle Berlioz‘ Memoiren[45], es ist aber fraglich ob ein derartiger Auftrag überhaupt ausging, oder vielmehr Berlioz in seinen Memoiren die „erzählerische Kontinuität zu späteren Ereignissen herstellen“[46]wollte. Er schildert die Begebenheit weiter, dass Paganini mit dem geringen Einsatz der Bratsche in der Symphonie nicht einverstanden war. Die Bratsche spielt zwar als Solo-Instrument in der Harold-Symphonie eine herausragende Rolle, jedoch ist ihr Spiel nicht derartig virtuos wie es für Paganini typisch ist. Im November 1834 schließlich wurde die Symphonie mit dem renommierten Bratschisten Chrétien Urhan aufgeführt.[47]Berlioz zerstritt sich aber mit seinem langjährigen Dirigenten Narcisse Girard, sodass er die folgenden Aufführungen des Werkes zum ersten Mal selbst dirigierte.[48]
[...]
[1]Liszt, F.: Berlioz und seine Haroldsymphonie. 1855.
[2]Berlioz, H.: Memoiren. 1985.
[3]Dömling 1997
[4]Salmen, G.: Musiker im Portrait. Das 19. Jahrhundert. 1983.
[5]vgl. ebd.: S. 74.
[6]Altenburg, D.: Programmusik. 1997a.
[7]ebd.: S. 1822.
[8]vgl. ebd.
[9]vgl. ebd.
[10]Der Begriff wurde 1895 von Fr. Bendel geprägt. Zur Neudeutschen Schule zählen nach ihm die Komponisten: H. Berlioz, Fr. Liszt, R. Wagner und R. Schumann. Bendel ging bei der Begriffsprägung von der Idee eines beständigen Fortschrittes in der Geschichte der Musik aus. Heterogene Traditionsstränge subsumierte er unter folgender Gliederung: neben derNeudeutschen Schuleunterschied er die Ära der davorliegendenAltdeutschen Schule(Protestantische Kirchenmusik der er Bach und Händel zuordnete) und nach dieser die Zeit derKlassizität(als deren Vertreter er Haydn und Mozart zuordnete). Als Wendepunkt erschien für ihn das Schaffen Beethovens, der ausgehend von diesem Geschichtsverständnis, die Neudeutsche Schule als drittes Glied dieser Einordnung eröffnete (vgl. Altenburg: Neudeutsche Schule 1997b, S. 66 f.).
[11]Altenburg 1997a, S. 1822.
[12]ebd.
[13]Wie das Programm beziehungsweise Sujet die musikalische Konzeption der Harold-Symphonie beeinflusst hat erläutere ich im Kapitel 2.2.
[14]vgl. ebd.
[15]vgl. ebd.
[16]vgl. ebd.
[17]vgl. ebd.: S. 1822 f.
[18]vgl. ebd.: S. 1823.
[19]vgl. ebd.
[20]Liszt 1855.
[21]ebd.: S. 77.
[22]Fubini, E.: Geschichte der Musikästhetik. Von der Antike bis zur Gegenwart. 1997.
[23]vgl. ebd.: S. 249.
[24]Liszt 1855, S. 81.
[25]ebd.
[26]ebd.: S. 249.
[27]vgl. ebd.: S. 249 f.
[28]Altenburg 1997a, S. 1826.
[29]vgl. ebd.
[30]ebd.
[31]ebd.
[32]ebd.
[33]Berlioz, H.: Memoiren. 1985.
[34]vgl. Berger, C.: Berlioz. 1999, S. 1324.
[35]Berlioz 1985, S. 13.
[36]Er hatte nach wiederholtem Versuch den Rom-Preis gewonnen und wurde als Stipendiat in der dortigen französischen Akademie aufgenommen.
[37]Berger 1999, S. 1332.
[38]vgl. Berlioz 1985, S. 116.
[39]Dömling, W.: Hector Berlioz. Die symphonisch-dramatischen Werke. 1979, S. 58.
[40]Berlioz 1985, S. 121.
[41]ebd.: S. 127.
[42]Berlioz 1985, S. 138.
[43]Berlioz 1985, S. 139.
[44]ebd.: S. 161.
[45]Berlioz 1985, S. 200 ff.
[46]Dömling 1979, S. 55 f.
[47]vgl. ebd.: S. 56 f.
[48]vgl. Berger 1999, S. 1325