Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der folgenden Fragestellung: Können die von Susan Sontag dargestellten Interpretationstypen, die Autonomie eines Kunstwerkes beeinträchtigen? Ich habe mich für diese Fragestellung entschieden, da ich Literatur und Kunst zwangsläufig mit Interpretation verbunden habe. Zudem eröffnet mir Sontags Essay eine neue Perspektive, die mich sehr beschäftigt. Denn Literatur regt mich zum Nachdenken an – dieses mal zum Überdenken.
Die Hausarbeit bezieht sich hauptsächlich auf den Essay Gegen Interpretation, den die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag erstmalig 1966 veröffentlichte. Als erstes stelle ich die einzelnen Arbeitsschritte der Interpretation vor, um den Interpretationsbegriff im Kontext dieser Hausarbeit zu klären. Die Interpretation inszeniert die Leseeindrücke des Interpreten. Hierbei ergibt sich ein bewusster Prozess, indem der Interpret sein Textverständnis und die Intention des Autors rekonstruiert.
Anschließend werden die zeitgeschichtlichen Einflüsse des New Criticism in Bezug auf Interpretation verdeutlicht. Es entwickelten sich einige Literaturtheorien, die die interpretative Herangehensweise an Literatur und Kunst mit unterschiedlicher Intensität verfolgten. Susan Sontag kritisiert die interpretativen Ansätze, die sich an die Stelle des Werks drängen, die wahre Bedeutung des Werks herstellen und dieses somit zerstören.
In ihrem Essay äußert sich Sontag gegen diese Interpretationstheorien und hinterfragt ihren Umgang mit Kunstwerken. Die Passagen in denen sich Sontag gegen Interpretation stellt, werden im Hauptteil mit Hilfe von Sekundärliteratur und unter ständigem Bezug zum Primärtext rekonstruiert. Neben der Kritik liefert Sontag auch mögliche Alternativen zur Interpretation. Hierbei handelt es sich um Beschreibung und sinnliche Wahrnehmung. Diese Alternativen werden gegen Ende aufgegriffen und hinsichtlich ihres Nutzen thematisiert.
In der Schlussreflexion wird überprüft, ob die Fragestellung hinreichend beantwortet wurde und ob darüber hinaus weitere Ansatzpunkte entstanden sind.
Inhalt
Einleitung
1 Interpretation als Inszenierung und Arbeitsprozess
2 Entstehung und Einflüsse des New Criticism
3 Susan Sontag – Gegen Interpretation
4 Alternativen zur Interpretation
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit Gegen Interpretation – Zur Wertschätzung und Autonomie eines Kunstwerks beschäftigt sich mit der folgenden Fragestellung: Können die von Susan Sontag dargestellten Interpretationstypen, die Autonomie eines Kunstwerkes beeinträchtigen? Ich habe mich für diese Fragestellung entschieden, da ich Literatur und Kunst zwangsläufig mit Interpretation verbunden habe. Zudem eröffnet mir Sontags Essay eine neue Perspektive, die mich sehr beschäftigt. Denn Literatur regt mich zum Nachdenken an – dieses mal zum Überdenken.
Die Hausarbeit bezieht sich hauptsächlich auf den Essay Gegen Interpretation, den die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag erstmalig 1966 veröffentlichte.
Als erstes stelle ich die einzelnen Arbeitsschritte der Interpretation vor, um den Interpretationsbegriff im Kontext dieser Hausarbeit zu klären. Die Interpretation inszeniert die Leseeindrücke des Interpreten. Hierbei ergibt sich ein bewusster Prozess, indem der Interpret sein Textverständnis und die Intention des Autors rekonstruiert (vgl. Schutte 1997: 30 f.). Anschließend werden die zeitgeschichtlichen Einflüsse des New Criticism in Bezug auf Interpretation verdeutlicht. Es entwickelten sich einige Literaturtheorien, die die interpretative Herangehensweise an Literatur und Kunst mit unterschiedlicher Intensität verfolgten. Susan Sontag kritisiert die interpretativen Ansätze, die sich an die Stelle des Werks drängen, die wahre Bedeutung des Werks herstellen und dieses somit zerstören. In ihrem Essay äußert sich Sontag gegen diese Interpretationstheorien und hinterfragt ihren Umgang mit Kunstwerken. Die Passagen in denen sich Sontag gegen Interpretation stellt, werden im Hauptteil mit Hilfe von Sekundärliteratur und unter ständigem Bezug zum Primärtext rekonstruiert. Neben der Kritik liefert Sontag auch mögliche Alternativen zur Interpretation. Hierbei handelt es sich um Beschreibung und sinnliche Wahrnehmung. Diese Alternativen werden gegen Ende aufgegriffen und hinsichtlich ihres Nutzen thematisiert.
In der Schlussreflexion wird überprüft, ob die Fragestellung hinreichend beantwortet wurde und ob darüber hinaus weitere Ansatzpunkte entstanden sind.
1 Interpretation als Inszenierung und Arbeitsprozess
Kreutzer definiert Interpretation als „eine Inszenierung der eigenen Lese-Erfahrung“ (Kreutzer 1983: 26 f.). Hierbei setzt sich der Leser kritisch mit dem Text auseinander, indem Inhalte methodisch rekonstruiert werden. Die „Botschaft des Autors [wird] in Beziehung gesetzt zum Standort und den aktuellen Interessen der Leser“ (Schutte 1997: 11). Dadurch entsteht „eine historische Konstellation von Vergangenheit und Gegenwart“ (ebd.). Hierbei zielt die Interpretation darauf ab, das Sinnpotential des Textes auszudehnen. Besonders hervorzuheben ist die Interessenlage des Lesers. Dadurch lässt sich keine allgemeingültige Struktur erstellen, da die Interpretation inhaltlich durch die Interessen und Absichten des Lesers geprägt ist. Zwar zielt eine methodische Interpretation darauf ab die historische Funktion und Bedeutung des Textes aufzuhellen, jedoch ergeben sich während des Lesens spezielle Schwerpunkt, Interessen und Fragen, die der Leser in den Mittelpunkt seiner Interpretation rückt (vgl. ebd.: 30 f.). Die Interessenlage ergibt sich durch die gesammelten Lese-Erfahrungen, wodurch der Leser ein „>erstes Verständnis< des Textes“ (ebd.: 30 ff.) erlangt. Neben den Interessen entwickeln sich gegenüber des Textes mehrere Ziele, die in der Interpretation verfolgt werden. Im zweiten Schritt verknüpft der Leser die Lese-Erfahrungen mit den eigenen Einstellungen gegenüber des Textes. Hieraus geht die Bedeutung des Textes und die Bedeutung für den Leser hervor. Im Mittelpunkt der Lesart steht „ mein Verständnis und zugleich […] eine Vermutung über den Sinn des Textes in seiner Entstehungssituation (ebd.: 31).
Bereits Herden (1981) verdeutlicht ein Bezugsverhältnis zwischen Interpretation und Analyse (vgl. ebd.: 24). „Analyse und Interpretation werden in diesem Sinne als der ‚Prozeß [sic!] aktiven Herausarbeitens der im Werk beschlossenen, kodierten Information’ gefaßt [sic!]“ (Kagan 1974: 403). Die Analyse überprüft die Lesart und „rekonstruiert den Text aus seiner Entstehung, erklärt seine Wirkung aus seiner Struktur“ (Schutte 1997: 32). Dieses Interpretationsverständnis obliegt einer wissenschaftlichen Verantwortung, die sich darin äußert, den literarischen Text hinsichtlich des historischen Kontextes zu untersuchen. Erst dann ist das eigene Textverstehen auch intersubjektiv gültig (vgl. ebd.: 32 f.).
Die Analyse rückt die Interpretation in einen historischen Kontext. Hierbei wird die Beziehung zwischen dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, dem Autor und Leser hergestellt. Sie „fragt dabei – in produktionsästhetischer Perspektive – nach dem Autorenhorizont und – in rezeptionsästhetischer Perspektive nach dem Leserhorizont“ (ebd.: 32). Die Synthese vermittelt zwischen beiden Perspektiven und dient dazu, die historische und aktuelle Intention des Textes zu verdeutlichen. Der Interpret verknüpft diesen Hintergrund mit den eigenen Interessen und Bedürfnissen (vgl. ebd.: 33). Dabei bewertet er in historischer und ästhetischer Hinsicht „die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse, […] [sowie die] Schwierigkeiten der historischen und systematischen Analyse“ (ebd.). Die Synthese offenbart dem Adressaten andere Haltungen und Perspektiven gegenüber des Textes. Laut Schutte „findet sie intersubjektive Zustimmung und greift auf diese Weise ein in den Prozeß [sic!] der gesellschaftlichen Umverteilung individueller Erfahrung“ (ebd.).
2 Entstehung und Einflüsse des New Criticism
Brenner (1988) weist darauf hin, dass „in den ersten Jahrhunderten der abendländischen Neuzeit […] Literatur und Interpretation in keinem besonders engen Verhältnis zueinander“ (ebd.: 65) stehen. Literatur und Interpretation verbinden sich erstmals zu der Zeit der frühen Hermaneutikgeschichte. Dem damaligen Verständnis nach darf ein literarischer Text nur dann interpretiert werden, wenn dieser einen theologischen oder mythologischen Gehalt besitzt, welcher nicht klar definiert werden kann. Schließlich setzt sich die Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert als Interpretationswissenschaft durch. Das Interpretationsproblem stellt sich nicht, da „die Konstruktion und Nachkonstruktion eines literarischen Werkes auf vernünftigen Regeln gründet (ebd.).
Gegen Ende der 1930er Jahre entwickelt sich der amerikanische New Criticism im Süden der USA. Diese Strömung beinhaltet Werke einiger amerikanischer Literaturkritiker und behandelt literarische Problem- und Fragestellungen (vgl. Eagleton 2012: 54 f.). Eagleton (2012) zufolge zielte die Weltanschauung des New Criticism darauf ab, „das ästhetische Leben des alten Südens“ (ebd.: 54) zu erschüttern und in der Literatur mögliche Lösungen zu finden. Die Literatur sollte nicht dabei helfen, die Welt zu verändern, sondern die Welt anzuerkennen, wie sie ist (vgl. ebd.). Hierbei bezieht sich der New Criticism ausschließlich auf Gedichte (vgl. Halfmann 1971: 40 f.). Ebenso verdeutlicht auch Eagleton (2012), dass sich „der New Criticism […] nahezu ausschließlich mit Gedichten“ (ebd.: 59) auseinandersetzte. Zudem orientieren sich viele Literaturtheorien unbeabsichtigt an eine literarische Gattung und schlussfolgern daraus ihre getroffenen Aussagen (vgl. ebd.). Die Absichten und Haltungen des Autors sind für ihre Interpretation ebenso irrelevant, wie die subjektiven Eindrücke der Leser (vgl. ebd. 2012: 56). Darüber hinaus setzte sich der New Criticism dafür ein, das Gedicht als eigenständiges und greifbares Objekt zu etablieren. Demzufolge wurde das Gedicht „mehr zu einer räumlichen Gestalt als zu einem Vorgang in der Zeit“ (ebd.). Zunehmend entwickelte sich der New Criticism zu einer prägenden Bewegung und „schien die natürlichste Sache der literaturkritischen Welt“ (ebd.: 58) zu sein.
Laut Eagleton „gab [es] mindestens zwei gute Gründe, weshalb der New Criticism in den akademischen Institutionen gut absorbiert wurde“ (Eagleton 2012: 58). Zum einen konnte er dabei helfen, mit der hohen Studentenanzahl umzugehen.
Es erfordert weniger Arbeit, ein Gedicht an die Studierenden auszuteilen, mit welchem sie sich auseinandersetzen, „als ein Seminar zu den großen Romanen der Weltliteratur anzubieten“ (ebd.). Zum anderen bestätigt sich die Intention des New Criticism, dass Gedichte in der Zeit des kalten Krieges zur Orientierung beitragen und als wichtige Wertvorstellung angesehen werden. Hierbei geht es nicht darum, die Gedichte zu bewerten (vgl. ebd.). Eher dienen literarische Werke dazu, „jemanden sozusagen aus zweiter Hand kennenzulernen (ebd.: 56).
Jedoch weist Eagleton darauf hin, dass der New Criticism eine kritische Analyse nicht ablehnt (vgl. ebd.: 57).
Vielmehr „kultivierten die >Neuen Kritiker< mit voller Absicht die härtesten und nüchternsten Methoden der kritischen Analyse“ (ebd.). Der New Criticism „teilt […] die Auffassung von der Autonomie des Kunstwerks und der Dominanz der Form“ (Brenner 1988: 79). Dabei widmet sie sich der Aufgabe, Literatur möglichst objektiv zu bewerten. Diese Verfahrensweise ermöglicht es den neuen Kritikern sich gegen die vorherrschenden Naturwissenschaften zu behaupten und sich in der Zeit der Literaturkritik in Nordamerika als Disziplin zu etablieren. Somit besteht der New Criticism sowohl auf den objektiven Eigenwert des literarischen Werkes als auch auf das objektive Analyseverfahren (vgl. Eagleton 2012: 57).
Laut Spree „wurde und wird der New Criticism immer wieder zum primären Feindbild Susan Sontags erklärt“ (Spree 1995: 66). Hierbei verweist er u.a. auf Wasson (1974).
Dagegen kann allerdings argumentiert werden, dass es sich bei den Autoren des New Criticism um keine einheitliche Bewegung und homogene literaturtheoretische Gruppe handelt (vgl. ebd.). Darüber hinaus verdeutlicht Spree, „daß [sic!] es die Vertreter des neukritischen Formalismus selbst waren, die die Grundlagen für die ästhetisch orientierte Kritik an der Interpretationspraxis des New Criticism lieferten“ (ebd.). Zudem bezieht sich Sontag in ihrem Essay Gegen Interpretation nicht explizit gegen den New Criticism.
3 Susan Sontag – Gegen Interpretation
In ihrem Essay bezieht sich Sontag (2012) zu aller erst auf „das früheste Erlebnis der Kunst“ (ebd.: 11). Hierbei handelt es sich um Höhlenmalereien, den Kunstwerken unserer Vorfahren. Die griechischen Philosophen entwickeln die erste Theorie der Kunst, mit der sie die Wirklichkeit nachahmen sollten. Laut Sonntag ergibt sich hierbei „zwangsläufig die Frage nach dem Wert der Kunst“ (ebd.). Die mimetische (=nachahmende) Theorie besteht darauf, dass sich die Kunst rechtfertigt. Sowohl Platon als auch Aristoteles haben „die Kunst aufgefordert, sich zu rechtfertigen, ihre Nützlichkeit herauszustellen (vgl. Zymner & Hölter 2013: 321). Platon verfolgt mit dieser Theorie, den Wert und Nutzen der Kunst zu hinterfragen. Über den Nutzen der Kunst sind sich Aristoteles und Platon nicht einig. Da Platons „Vorstellung die gewöhnlichen körperlichen Gegenstände selbst mimetische Objekte waren, konnte für ihn auch die gelungenste bildliche Darstellung eines Bettes nur Nachahmung einer Nachahmung sein“ (Sontag 2012: 11.).
Somit erscheint für Platon die Kunst weder nützlich noch glaubhaft. Hingegen erkennt Aristoteles einen medizinischen Nutzen in der Kunst, „da sie gefährliche Emotionen zutage fördert und läutert“ (ebd.). Das heutige Kunstverständnis orientiert sich an der gegenständlichen Kunst. „Diese Theorie ist es, die die Kunst als solche – jenseits des einzelnen Kunstwerks – problematisch, verteidigungsbedürftig macht“ (ebd.: 12). Es scheint so als trägt die Verteidigung der Kunst dazu, zwischen Form und Inhalt zu unterscheiden. Während die Form des Kunstwerkes zur sinnlichen Wahrnehmung beiträgt, erscheint der Inhalt „weniger figurativ, weniger eindeutig realistisch [zu] sein“ (ebd.).
Sontag verpflichtet zu Beginn des zweiten Kapitels die Menschen dazu, sich „von jedem [behäbigen] Mittel zur Verteidigung und Rechtfertigung der Kunst zu trennen“ (Sontag 2012: 13). Hierbei bezieht sie sich auf den Inhaltsbegriff, der sich heutzutage belastend und störend auswirkt. Es geht um eine bestimmte Haltung gegenüber der Kunst, einem bewussten und konstruktiven Interpretationscharakter. „Interpretationen werden nicht gefunden, sondern g emacht und sind demzufolge historischen, sozialen und kulturellen Veränderungen unterworfen“ (Spree 1995: 66).
Aufgrund dieser Betrachtungsweise scheint es, „daß [sic!] ein Kunszwerk primär aus seinem Inhalt besteht“ (Sontag 2012: S. 13).
Sontag betrachtet Interpretation eher als Phänomen, das sich auf keine explizite Interpretationstheorie bezieht (vgl. Spree 1995: 67). In ihrem Essay „wendet sich Sontag gegen die Auffassung, das Interpretieren sei eine gleichsam natürliche und unausweichliche Weise des Umgangs mit Kunstwerken“ (Kindt & Köppe 2008: 172)
Jedoch „festigt die Gewohnheit, sich dem Kunstwerk in interpretierender Absicht zu nähern“ (Sontag 2012: 13). Zudem trägt auch die „Überbetonung des Inhaltsbegriff“ zur interpretierenden Sichtweise bei. Dies kann bedeuten, dass sich diese Herangehensweise des Lesers automatisch vollzieht. Ihr zufolge gilt Interpretation als Übersetzung des Inhalts und Bedeutung des Textes. In dieser Übersetzungsarbeit werden einzelne Bestandteile aus einem Werk herausgegriffen (vgl. ebd.). Hierbei zeigt sich der Versuch, den jeweiligen Text zu verändern. „Der Interpret sagt: Schaut her, seht ihr nicht, daß [sic!] X in Wirklichkeit C ist? (ebd.)“.
Bereits in der griechischen Antike erscheinen erste Interpretationen, in denen realistische Weltvorstellungen herrschen und der Mythos unglaubwürdig erscheint (vgl. ebd.: 13 f.). Laut Sontag „griff man zur Interpretation und brachte auf diese Weise die alten Texte mit den >>modernen<< Ansprüchen in Einklang“ (ebd.: 14).
Dabei handelt es sich um die allegorische Interpretation aus den Texten der spätklassischen Antike. Die Interpreten neigen dazu, die unverständlichen Texte der Antike mit Hilfe von neuen Erkenntnissen zu verändern (vgl. Spree 1995: 67). Sontag (2012) vertritt die Ansicht, dass „die Interpretation […] auf einer Diskrepanz zwischen der offensichtlichen Bedeutung des Textes und den Ansprüchen des (späteren) Lesers“ (ebd.: 14) Zudem beschreibt Sontag die Situation, dass „aus irgendeinem Grund […] ein Text unannehmbar geworden [ist]“ (ebd.). Es handelt sich dabei um Texte die sehr wertvoll erscheinen, nicht abgewiesen werden können und deswegen umgeformt werden. Somit wird der Text durch den Interpreten zwar nicht verworfen, aber dennoch verändert. Hierbei wird in dem Sontags Essay hinzugefügt, dass der Interpret seine Umformung nicht zugestehen kann (vgl. ebd.). „Er gibt vor, ihn nur verständlich zu machen, indem er seine wahre Bedeutung aufdeckt“ (ebd.). Ein Text der interpretativ aufgearbeitet wird verdeutlicht auch, welches Misstrauen der Interpret dem Text entgegenbringt.
Ähnlich verdeutlicht auch Hogenraad (1994), dass der Text entweder unverändert angenommen und kommentiert oder mit Misstrauen bewertet wird (vgl. ebd.: 310).
Sontag weist darauf hin, dass heutzutage „die Interpretation noch komplexer [ist]“ (Sontag 2012: 14). Dies liegt daran, dass sich die Interpretation aggressiv und verabscheuend auf die äußere Erscheinung des Textes bezieht (vgl. ebd.). Wie bereits schon Staiger (2008) feststellt, ziehen Interpreten leichte Texte den schweren Texten vor. Vermutlich um auf kein tiefgründiges Element zu stoßen (vgl. ebd.: 32).
Staiger führt fort, dass „nur wer interpretiere, ohne nach rechts und nach links und besonders ohne hinter die Dichtung zu sehen, lasse ihr volle Gerechtigkeit widerfahren und wahre die Souveränität der deutschen Literaturwissenschaft“ (Staiger 2008: 31).
Hingegen zeichnet sich die Interpretation des alten Stils durch einen respektvollen Umgang mit literarischen Werken aus. Sie würdigt die tatsächliche Bedeutung des Werks und erschafft eine zusätzliche Bedeutung. Hingegen drängt sich die moderne Interpretation hinter das Werk, um eine andere für sie einzig wahre Bedeutung ins Zentrum zu rücken (vgl. Sontag 2012: 15). Hierbei dringt die Interpretation tief in das Kunstwerk ein, um eine neue Ebene zu erschaffen. Laut Sontag (2012) handelt es sich dabei um „aggressive und pietätlose Interpretationstheorien“ (ebd.) von Freud und Marx, die sie auf ein „wohldurchdachtes hermaneutisches System (ebd.) zurückführt. Alle aufgenommenen Phänomene und Inhalte werden interpretiert, um die wahre Bedeutung zu erschließen. Während sich Marx auf gesellschaftliche Phänomene bezieht, sind für Freud die Phänomene des individuellen Lebens bedeutsam. Demzufolge ist die Interpretation an zeitliche und historische Zusammenhänge gebunden (vgl. ebd.).
Somit richtet sich Sontag neben der allegorischen Interpretation auch gegen die marxistische und psychoanalytische Interpretation seitens Freud und Marx (vgl. Zymner & Hölter 2013: 321).
Während in manchen Kulturen Interpretation befreiend erscheinen, gilt in anderen kulturellen Kontexten interpretieren als „reaktionär, trivial, erbärmlich, stickig (Sontag 2012: 15). Sontag fasst Interpretation reaktionär und stickig auf. „Wie die Abgase von Autos und der Schwerindustrie, die die Luft der Städte verunreinigen, vergiftet heute der Strom der Kunstinterpretation unser Empfindungsvermögen“ (ebd.).
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