Marxistische Historiker interpretierten die als Einheit verstandenen Ereignisse von Bauernkrieg und Reformation als "frühbürgerliche Revolution". Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung dieses Konzeptes im Geschichtsbild der DDR. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der marxistischen Geschichtstheorie sowie der daraus folgenden DDR-Geschichtsschreibung zu Bauernkrieg und Reformation, möchte ich mich schrittweise der Beantwortung der Frage nähern, ob die DDR-Geschichtsdeutung von Bauernkrieg und Reformation als „frühbürgerliche Revolution“ als rein ideologisch geprägte Verzerrung der historischen Wirklichkeit oder als historisch durchaus nachvollziehbar und zumindest in Teilen begründbar zu bewerten ist.
Daran anschließend werde ich darlegen, wie mit der DDR-Historiographie heute umgegangen werden sollte. Sollte Sie komplett verbannt werden oder sollte man offener mit ihr umgehen und sie verstärkt in die geschichtswissenschaftliche Behandlung des Bauernkrieges mit einbeziehen?
Aufgrund der Kürze der Arbeit bin ich gezwungen klare Schwerpunkte zu setzen. Ich werde daher den Fokus auf den Begriff der "frühbürgerlichen Revolution" legen und den Inhalt des Konzepts näher beleuchten. Im eigentlichen Mittelpunkt der Untersuchung steht der Wandel der DDR-Forschung zur „frühbürgerlichen Revolution“. Denn der Inhalt des Konzepts hat sich während des 40-jährigen Bestehens der DDR stark geändert. Für eine seriöse Beantwortung der Fragestellung ist es unbedingt erforderlich diesen Wandel inhaltlich zu analysieren und zu bewerten, um auf diese Weise zu einem abschließenden Urteil zu gelangen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der Historische Materialismus
III. Sowjetisierung der Geschichtsschreibung in der DDR
IV. Das Konzept der „frühbürgerlichen Revolution“
1.1 Die Entstehung des Konzepts
1.2 Der frühbürgerliche Charakter der Revolution
1.3 Der Aspekt des Revolutionären
1.3.1 Die marxistische Revolutionstheorie
1.4 Wandel der DDR-Forschung zur „frühbürgerlichen Revolution“
1.4.1 National-materialistische Interpretation
1.4.2 Welthistorisch-dialektische Interpretation
V. Fazit
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Marxistische Historiker interpretierten die als Einheit verstandenen Ereignisse von Bauernkrieg und Reformation als „frühbürgerliche Revolution“. Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung dieses Konzeptes im Geschichtsbild der DDR. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der marxistischen Geschichtstheorie sowie der daraus folgenden DDR-Geschichtsschreibung zu Bauernkrieg und Reformation, möchte ich mich schrittweise der Beantwortung der Frage nähern, ob die DDR-Geschichtsdeutung von Bauernkrieg und Reformation als „frühbürgerliche Revolution“ als rein ideologisch geprägte Verzerrung der historischen Wirklichkeit oder als historisch durchaus nachvollziehbar und zumindest in Teilen begründbar zu bewerten ist. Daran anschließend werde ich darlegen, wie mit der DDR-Historiographie heute umgegangen werden sollte. Sollte Sie komplett verbannt werden oder sollte man offener mit ihr umgehen und sie verstärkt in die geschichtswissenschaftliche Behandlung des Bauernkrieges mit einbeziehen?
Aufgrund der Kürze der Arbeit bin ich gezwungen klare Schwerpunkte zu setzen. Ich werde daher den Fokus auf den Begriff der „frühbürgerlichen Revolution“ legen und den Inhalt des Konzepts näher beleuchten. Im eigentlichen Mittelpunkt der Untersuchung steht der Wandel der DDR-Forschung zur „frühbürgerlichen Revolution“. Denn der Inhalt des Konzepts hat sich während des 40-jährigen Bestehens der DDR stark geändert. Für eine seriöse Beantwortung der Fragestellung ist es unbedingt erforderlich diesen Wandel inhaltlich zu analysieren und zu bewerten, um auf diese Weise zu einem abschließenden Urteil zu gelangen.
II. Der Historische Materialismus
Um die Entwicklung und inhaltliche Ausformung des Konzepts der „frühbürgerlichen Revolution“ zu verstehen, muss zunächst zum Ursprung der marxistischen Geschichtstheorie zurückgekehrt werden. Die materialistische Geschichtsauffassung von Karl Marx und Friedrich Engels bildet zusammen mit dem dialektischen Materialismus die geschichtstheoretische Grundlage für den Kommunismus. Der Historische Materialismus begreift die Geschichte als eine gesetzmäßig bestimmte Entwicklung. Er geht davon aus, dass die Art und Weise der Produktion von materiellen Gütern, deren Austausch und Verteilung der zentrale Faktor für die Gliederung der Gesellschaft in verschiedene soziale Klassen ist.[1] Das sich zwangsläufig entwickelnde Ungleichgewicht zwischen besitzender und besitzloser Klasse mündet in einen Klassenkampf, der somit die eigentliche „Triebkraft der historischen Entwicklung“[2] darstellt. Aus diesen sozialen Spannungen heraus werden Revolutionen möglich. Bauernkrieg und Reformation bilden in diesem Kontext einen „zusammenhängenden Klassenkampfkomplex“[3] und werden als Revolution des Bürgertums gegen das feudalistische System eingeordnet.
III. Sowjetisierung der Geschichtsschreibung in der DDR
Bereits 1945 legte die sowjetische Besatzungsmacht mit der Gründung der Zentralverwaltung für Volksbildung, die die Forschung kontrollieren bzw. sowjetisieren sollte, den Grundstein für die entstehende Geschichtswissenschaft in der DDR.[4] Nach der Staatsgründung von 1949 erklärte die SED den historischen Materialismus zur alleinigen Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Geschichte. Das Politbüro der SED hatte den klaren Anspruch, die historische Forschung und Lehre maßgeblich zu steuern und für propagandistische Zwecke zu instrumentalisieren. Historiker sollten mit ihrer Arbeit zur „sozialistischen Bewußtseinsbildung“[5] beitragen. Oberste Priorität hatte für die SED die historische Legitimation der DDR. Denn Die DDR war nicht, entsprechend der marxistischen Theorie der gesetzmäßigen Abfolge von Geschichte, durch eine Revolution der ausgebeuteten Klasse entstanden. Durch eine passende Geschichtsinterpretation sollte die Existenz der DDR historisch nachvollziehbar gemacht und das Legitimationsproblem so überwunden werden.[6] Durch die Aufstellung von Forschungsplänen durch die SED war die Arbeitsweise für Historiker klar vorgegeben und der Spielraum bei der Wahl von Forschungsthemen stark eingeschränkt.[7] Neben stark verbreiteten Forschungsfeldern wie der Geschichte der Arbeiterbewegung oder der Deutschen Revolution von 1848/49 begann sich in den 1950er Jahren auch verstärkt der Themenkomplex von Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtswissenschaft der DDR zu etablieren.
IV. Das Konzept der „frühbürgerlichen Revolution“
Mit dem Konzept einer „frühbürgerlichen Revolution“ interpretierten marxistische Historiker die als untrennbare Einheit verstandenen Ereignisse von Reformation und Bauernkrieg als „soziale, die gesellschaftliche Entwicklung beschleunigende Revolution“[8]. Dabei schränkt das Adjektiv „frühbürgerlich“ die Revolution deutlich ein und betont damit, dass sie nicht gleichzusetzen ist mit dem „klassischen Typus bürgerlicher Revolution“[9]. In der DDR war das Konzept der frühbürgerlichen Revolution wohl vor allem Ausdruck der starken ideologischen Abgrenzung zu Westdeutschland und diente der SED als Herrschaftslegitimation.
1.1 Die Entstehung des Konzepts
Die erste marxistische Interpretation von Bauernkrieg und Reformation entwickelte Friedrich Engels in seiner 1850 erschienenen Abhandlung „Der deutsche Bauernkrieg“[10], die für marxistische Historiker zur Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Thema wurde. Der Terminus „frühbürgerliche Revolution“ entstand allerdings erst wesentlich später, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Der eigentliche Begriff ist wahrscheinlich auf den Ostberliner Historiker Alfred Meusel zurückzuführen, der den Ausdruck 1952 zum ersten Mal verwendete.[11] Von einem ausgearbeiteten Konzept der „frühbürgerlichen Revolution“ kann man aber erst ab 1960 sprechen, als Max Steinmetz auf der Tagung der Sektion Mediävistik der deutschen Historiker-Gesellschaft in Wernigerode seine Thesen zum Verständnis der frühbürgerlichen Revolution vorlegte.[12]
1.2 Der frühbürgerliche Charakter der Revolution
Wie bereits erwähnt, etablierte sich die Bezeichnung „frühbürgerlich“ erst nach dem zweiten Weltkrieg allmählich innerhalb der marxistischen Geschichtswissenschaft. Die überwiegende Mehrheit der DDR-Historiker vertrat im Laufe der Zeit allerdings zunehmend die Auffassung, dass das Bürgertum für die erfolgreiche Durchführung einer Revolution noch nicht ausreichend entwickelt gewesen sei. Wie ist es dann zu erklären, dass sich die Bezeichnung „frühbürgerlich“ nachhaltig etablierte und bis zum Ende der DDR Bestand hatte? Das Festhalten der DDR-Historiker am frühbürgerlichen Charakter der Revolution stützt sich vor allem auf ihre Sichtweise, dass „die Bauern das unreife Bürgertum als Hegemon der Revolution ersetzten“[13]. Diese Theorie ist allerdings äußerst fragwürdig. Letztendlich reiht sich der Begriff des „frühbürgerlichen“ auch in die marxistische Revolutionstheorie ein und bekräftigt die Zeit von Reformation und Bauernkrieg als Übergangsphase vom Feudalismus zum Kapitalismus. Innerhalb der marxistischen Stufentheorie wird die „frühbürgerliche Revolution“ so zum festen Bestandteil der voranschreitenden Entwicklung bis hin zum verwirklichten Kommunismus.
1.3 Der Aspekt des Revolutionären
Der Begriff der Revolution nimmt in der marxistischen Geschichtstheorie eine zentrale Stellung ein. Bereits Engels stufte Reformation und Bauernkrieg als Revolution ein. Um das Konzept der „frühbürgerlichen Revolution“ ganzheitlich verstehen zu können, kann daher auf eine kurze Darstellung der marxistischen Revolutionstheorie nicht verzichtet werden.
1.3.1 Die marxistische Revolutionstheorie
In einer Gesellschaft, die in verschiedene soziale Klassen gegliedert ist, sind für den historischen Materialismus Revolutionen gesetzmäßig auftretende Erscheinungen. Sie sind ein fester Bestandteil der marxistischen Stufentheorie, nach der die Geschichte von der Urgesellschaft bis zum verwirklichten Kommunismus in fünf aufeinander folgenden Phasen verläuft. Dabei kann der Übergang von einer Phase in die nächste nur durch eine Revolution gelingen. Der marxistischen Revolutionstheorie folgend, liegt die Ursache für soziale Revolutionen im Ungleichgewicht, das an einem bestimmten Punkt der Entwicklung zwischen den gesellschaftlichen Produktivkräften (technisch-industrieller Entwicklungsstand) und den bestehenden Produktionsverhältnissen (sozio-ökonomische Verhältnisse) entsteht.[14] „Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein“[15], schreibt Karl Marx im Vorwort Zur Kritik der politischen Ökonomie. Marx verweist auf bestimmte Voraussetzungen, die für die Entstehung sozialer Revolutionen gegeben sein müssen. So geht eine Gesellschaftsformation „nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist“[16]. Es müssen also erst alle Möglichkeiten einer Verbesserung der Verhältnisse innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems genutzt werden, bevor es zur Revolution kommen kann. Marx betont außerdem, dass neue Produktionsverhältnisse nur geschaffen werden können, wenn sie „im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind“[17].
Reformation und Bauernkrieg wurden schon früh als Revolution in die marxistische Stufentheorie eingeordnet. Bereits 1850 spricht Friedrich Engels in seiner Bauernkriegsschrift von „der deutschen Revolution von 1525“.[18] Die „frühbürgerliche Revolution“ kann damit innerhalb der marxistischen Revolutionstheorie als einer der entscheidenden Startpunkte für die weitere gesetzmäßige Entwicklung der Geschichte angesehen werden.
[...]
[1] Vgl. Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1859, S. 5.
[2] Müller, Laurenz: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des ‚Dritten Reiches‘ und der DDR. Stuttgart 2004, S. 5.
[3] Foschepoth, Josef: Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses. Bd. 10: Historische Forschungen. Berlin 1976, S. 35.
[4] Müller, Laurenz: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des ‚Dritten Reiches‘ und der DDR. Stuttgart 2004, S. 170.
[5] Engelberg, Ernst: Der umfassende Aufbau des Sozialismus und die Aufgabe der Historiker. Heft 89: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Vorträge und Schriften. Berlin (Ost) 1964, S. 3.
[6] Vgl. Fleischauer, Alexander: Die Enkel fechten’s besser aus. Thomas Müntzer und die frühbürgerliche Revolution – Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in der DDR. Tübingen 2010, S. 36.
[7] Vgl. beispielhaft: Dokumentation: Zentraler Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftwissenschaften der DDR bis 1975. In: Bildung und Erziehung, 1972, Vol.25(3), pp.74-79.
[8] Foschepoth, Josef: Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses. Bd. 10: Historische Forschungen. Berlin 1976, S. 34.
[9] Foschepoth, Josef: Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses. Bd. 10: Historische Forschungen. Berlin 1976, S. 34.
[10] Vgl. Engels, Friedrich: Der deutsche Bauernkrieg. 5. Aufl. Berlin 1951.
[11] Vgl. Foschepoth, Josef: Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses. Bd. 10: Historische Forschungen. Berlin 1976, S. 34.
[12] Vgl. Steinmetz, Max: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (1476 – 1535). Thesen. In: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland : Referat und Diskussion zum Thema Probleme der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland 1476 – 1535. Tagung der Sektion Mediävistik der Deutschen Historiker-Gesellschaft vom 21.-23.1.1960 in Wernigerode. Berlin 1961.
[13] Möbius, Sascha: Überlegungen zur Theorie der „frühbürgerlichen Revolution“. In: Scheunemann, Jan (Hg.): Reformation und Bauernkrieg. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im geteilten Deutschland. Bd. 2: Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Leipzig 2010, S. 59.
[14] Vgl. Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1859, S. 5
[15] Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1859, S. 5.
[16] Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1859, S. 6.
[17] Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1859, S.6.
[18] Engels, Friedrich: Der deutsche Bauernkrieg. Berlin 1951, S. 9.