Zeremonielle Handlungen spielten eine bedeutende Rolle zwischen den Mächtigen und Herrschenden der mitteleuropäischen Frühen Neuzeit. Doch waren sie eher geeignet, Macht zu symbolisieren, zu stabilisieren und Beziehungen zu befrieden - oder waren sie eher geeignet oder wurden sie dazu genutzt, neue Konflikte auszulösen?
Diese Frage wird in der vorliegenden Arbeit anhand des im "Theatrum Ceremoniale" beschriebenen See- und Schiffszeremoniells (auch mit Bezug auf heutige Überbleibsel in den Marinen) im Vegrleich mit dem Westfälischen Friedenskongresses beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zeremonielle Diplomatie in der Frühen Neuzeit
3. Zeremonielle Begegnungen im Vergleich
3.1 Das See- und Schiffszeremoniell in „Theatrum Ceremoniale“
3.2 Der Westfälische Friedenskongress und die zeremonielle Diplomatie
3.3 Zeremoniell - Mittel zur Befriedung oder Auslöser neuer Konflikte? Ein Vergleich
4. Schlussbetrachtungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In Konflikten […], in denen es um die wechselseitige An- oder Aberkennung von Statusansprüchen im Medium zeremonieller Formen ging, wurden das soziale Ordnungssystem als solches und das Prinzip hierarchischen Rangs als Grundwert gleichwohl affirmiert.1
Barbara Stollberg-Rilinger
Symbole, Zeremonielle und Rituale sind, ob in höfischer Umgebung oder darüber hinausgehend, wesentliche Aspekte des Lebens von Herrschern, Adligen, Würdenträgern aber auch Bürgern in der Frühen Neuzeit. Ohne zeremonielle Handlungen ist kein Tafeln, kein Schlafen und besonders kein diplomatisches Aufeinandertreffen denkbar. Nicht nur die größten frühneuzeitlichen Friedenskongresse, wie beispielsweise der Westfälische Friedenskongress, stehen dabei unter dem Einfluss zeremonieller Abläufe und symbolischer Kommunikation, sondern insbesondere auch das tägliche, beinahe routinierte Aufeinandertreffen verschiedener diplomatischer Vertreter. Politik und Diplomatie werden dabei jedoch nicht nur an Land gemacht, sondern auch auf See. Auf Schiffen und Booten waren zeremonielle Abläufe bei Begegnungen ebenso notwendig, um das gegenseitige Verständnis sowie Rang und Stand zu symbolisieren. Speziell in dem Text „Theatrum Ceremoniale Historico Politicum […]“ von Johann Christian Lünig finden sich Stellen, die über „Ceremoniel“ berichten, das zu friedlichen Lösungen aber auch zu Differenzen führen kann. Ein bisher in der Forschung weniger beachteter Teil ist dabei das See- und Schiffszeremoniell, dem Lünig ein kleines Kapitel widmet.
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich demnach anhand eines Vergleichs des Seeund Schiffszeremoniells in „Theatrum Ceremoniale“ mit dem diplomatischen Zeremoniell auf dem Westfälischen Friedenskongress auf die Fragestellung hin, ob und inwiefern zeremonielle Handlungen in diesem Zusammenhang eher zur Befriedung beitragen oder Auslöser von Konflikten sind.
Den einleitenden Worten folgt dabei ein kleiner Exkurs zu den Grundsätzen des politischen Zeremoniells in der Frühen Neuzeit. Dem Kapitel schließt sich ein Vergleich zeremonieller Begegnungen an, wobei zu Beginn das See- und Schiffszeremoniell und anschließend das diplomatische Zeremoniell auf dem Westfälischen Friedenskongress auf die friedenstiftende oder konfliktfördernde Wirkung untersucht werden soll. Nach dem Vergleich beider beleuchtet die Schlussbetrachtung noch einmal genauer den aktuellen Forschungsstand des Themengebietes.
2. Zeremonielle Diplomatie in der Frühen Neuzeit
Diplomatische Begegnungen, bei denen zeremonielles Handeln unerlässlich war, beschränken sich zu Beginn dieser Epoche vor allem auf gegenseitige Gesandtschaften, die sich Herrscher senden, mit Ausnahme großer Friedenskongresse. Auf diesen treffen Vertreter fast aller europäischen Mächte zusammen, um sichtbare Politik zu machen und auf das Ziel, „Friedensfindung oder die Konfliktvermeidung“2 hinzuarbeiten. Einen rechtmäßigen Botschafter abzuordnen war jedoch nicht selbstverständlich, sondern galt als Zeichen der Unabhängigkeit.3 In der Frühen Neuzeit sind Kriege und Konflikte ein legitimes Mittel der Staatspolitik und meist sogar eine ordnungsbildende Maßnahme. „Besonders aufschlußreich für das Verständnis symbolisch zeremoniellen Handelns sind Brüche und Konflikte, weil sie Anlaß zur Reflexion des sonst selbstverständlich Praktizierten geben.“4 Konflikte können somit nicht nur eine neue Ordnung bilden, sondern auch Hintergrundinformationen liefern. Allerdings müssen Auseinandersetzungen nicht zwangsweise in einem Krieg enden, denn oft wird beispielsweise einfach der Gruß verweigert oder das Wappen geschändet.5 Zumeist sind die Kriegsgegner aber durchweg friedensbereit, um im Fall der Fälle eine Handlungsbasis zu haben, Bedingungen zu stellen aber auch auf solche eingehen zu können.6 Bei politischen Angelegenheiten wird auf diese Art und Weise ein gegenseitiges Einverständnis gezeigt, um eine „kollektive Handlungsfähigkeit“7 sicherzustellen. Die ersten länderübergreifenden Kongresse und Treffen finden erst am Ende eines Krieges statt, auch wenn oft schon zu Beginn der Auseinandersetzung diplomatisch verhandelt wird. Existenziell wichtig ist dabei, wie Abordnungen und Botschafter, die außerdem unterschiedliche Ränge haben können, sich gegenseitig begrüßen und begegnen, um die eigene Verhandlungsposition zu halten oder bestenfalls zu erhöhen und dabei keine Musterfälle zu schaffen. Denn diese Präzedenzfälle können später Anlass dafür geben, einen Herrscher und seinen Staat in seiner Bedeutung und seinem Handlungsspielraum herunterzustufen. Die Botschafter balancieren somit immer auf einem schmalen Grat zwischen einem angemessenen oder inakzeptablen Verhalten, welches als stellvertretend für die dahinterstehende Macht verstanden wird.8
Die Art der Verhandlungsführung änderte sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts. Anstatt mit Mediation und Vermittlern zu einem Ergebnis zu kommen, wird direkt miteinander verhandelt, denn „damit wurde zeremoniellen Streitigkeiten um Protokoll, Vortritt, Sitzordnung und Etikette vorgebeugt […].“9 Das diplomatische Zeremoniell scheint zum Ende der Epoche an Bedeutung zu verlieren. Insbesondere durch aufklärerische Gedanken angeregt geraten Zeremonielle als leere Inszenierungen in die Kritik.10 Erst nach dem Wiener Kongress 1815 werden diese Angelegenheiten übereinkommend geregelt.
3. Zeremonielle Begegnungen im Vergleich
3.1 Das See- und Schiffszeremoniell in „Theatrum Ceremoniale“
Auch auf See ist symbolische Kommunikation mithilfe zeremonieller Hilfsmittel in der Frühen Neuzeit zu einem unverzichtbaren Mittel der Verständigung geworden. Schiffe können hier als eine Art Botschafter betrachtet werden, auf deren Verhalten ebenso geachtet wird, wie bei ihrem menschlichen Pendant. Aus der frühneuzeitlichen Epoche sind jedoch weitaus mehr Überlieferungen von zeremoniellen Abläufen an Land überliefert, was vor allem auch das Verhältnis der Masse an Zeremoniellbeschreibungen in Lünigs ‚Theatrum Ceremoniale’ zeigt. Der Bereich über das „See- und Schiffs-Ceremoniel“11 nimmt einen relativ kleinen Bereich ein. Die Beschreibungen reichen dabei dennoch über das Ritual des Segel- Streichens, das Flaggen- oder auch Signalzeremoniell, das Bestrafungszeremoniell - wenn „ein Schiffmann etwas verbrochen“12 - , das Bestattungszeremoniell, das Ritual bei einer Schiffstaufe bis zur ‚Einweihung’ eines Kriegsschiffes. Dem Segel Streichen - einer Art ‚maritimer Verneigung’ - kommt dabei insgesamt in zeremonielldiplomatischer Hinsicht die weitreichendste Bedeutung zu, denn „entweder es geschiehet aus Respect, seinen Gehorsam und Unterthänigkeit gegen jemanden anzudeuten, oder aus Freundschafft, seine Liebe und Hochachtung dadurch zu erweisen.“13 Dabei geht es primär, wie auf diplomatischen Zusammenkünften an europäischen Höfen, darum, dass der bezüglich Rang und Stand Niedrigere eine Ehrerbietung erweist. Die Segel werden gestrichen, wenn ein Schiff das andere oder eine Flotte der anderen begegnet, ebenso beim Passieren eines herrschaftlichen Schlosses oder eines Hafens. Nicht unerheblich ist hier, welche Segel und wie viele von ihnen eingeholt werden. Jedoch legt Lünig fest, dass sich ‚Orlogschiffe’ - Schiffe der Niederlande, Schwedens und Dänemarks - einander bei bestimmten Gelegenheiten lediglich freundlich begrüßen und ehren sollen, damit „kein Mißverstand einreissen, oder zwischen diesen Reichen erwachsen möge“14. Da sich Orlogschiffe oft in der Ostsee und Nordsee treffen würden, werden demnach untereinander Absprachen getroffen, um eine sich ständig wiederholende Zeremoniellprozedur auszuschließen. Daraus geht hervor, dass zeremonielle Handlungen wohl wesentlich obligatorischer für seewärtige Aufeinandertreffen von Staaten sind, die oft Differenzen miteinander haben und für die Zeremonielldetails existenziell wichtig sind. Befreundete oder miteinander in Frieden befindliche Staaten können folglich nach ausdrücklichen Anweisungen auf bestimmte Details verzichten. Insbesondere den Engländern ist das Seezeremoniell wichtig, da sie ihre Souveränität fast ausschließlich über die Seeanbindung verteidigen.15 Oft wird das Segel-Streichen aber auch nur zum Anlass dafür genommen, andere Konflikte auszutragen.16 Auch Salutschießen mit Bordkanonen hat eine geregelte zeremonielle Bedeutung. Dabei kommt es speziell auf die Anzahl der abzugebenden Schüsse an. Admiräle und andere Flaggoffiziere sowie an Bord befindliche Staatsoberhäupter erhalten die meisten Ehrenschüsse.17 Den Flaggen und Fahnen kommt in zeremonieller Hinsicht eine Schlüsselrolle zu, denn sie sind hauptsächlich dazu da, „damit bey Schiff-Fahrten nicht allein einem jeden sein gebührender Respect erzeiget, sondern auch Freund und Feind leichtlich erkennet werden, und sich einer vor dem andern desto besser hüten könne […].“18 Flaggen sind somit ein weithin sichtbares Zeichen eines Staates oder eines Herrschers, der damit schon aus der Entfernung seinen Anspruch zu verstehen gibt. Rangniedrigere haben infolgedessen Gelegenheit, sich schon weit vor dem Begegnen auf das Passieren vorzubereiten. Nutznießer dieses manchmal blinden Vertrauens auf Symbole sind vor allem Piraten und auch feindliche Schiffe, die oftmals falsche Flaggen setzen. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich ein Admiral, der im Prinzip höchste Ehrerweisungen erhält, beim Passieren eines Konvois von Handelsschiffen zurückhalten muss und seine Segelanzahl nach der desjenigen Schiffes im Konvoi richten muss, das die wenigsten Segel gesetzt hat, sodass „alle bequemlich bey der Flotte bleiben können“19. Zeremoniell ist demgemäß nur soweit gültig, bis überregionale Interessen im Vordergrund stehen. Demzufolge sind rituelle Regularien weniger wichtig für alle Schiffe, die in keinem offiziellen Staatsauftrag unterwegs sind und keine hoheitlichen Interessen eines Staates vertreten.
Auffallend ist, dass sich Lünigs Aufzeichnungen über das See- und Schiffszeremoniell fast ausschließlich nicht auf Vertreter deutscher Staaten beziehen. Es geht um Auseinandersetzungen von Ländern wie England, Holland, Schweden, Frankreich und auch Dänemark.20
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1 Barbara Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe-Thesen- Forschungsperspektiven, in: ZHF 31 (2004), S. 489-529, hier S. 510.
2 Jörg Ulbert: Kongresspolitik, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Stuttgart 2007, Sp. 1086-1088, hier Sp. 1086.
3 Vgl. Anuschka Tischer: Diplomatie, in: Enzyklopädie der Neuzeit 2, Stuttgart 2005, Sp. 1028-1041, hier Sp. 1030.
4 Barbara Stollberg-Rilinger: Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: ZHF 27 (2000), S. 389-407, hier S. 403.
5 Vgl. Stollberg-Rilinger 2004, S. 509.
6 Vgl. Konrad Repgen: Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 und ihre Lösungen, in: ZBLG 62 (1999), S. 399-439, hier S. 400f.
7 Stollberg-Rilinger 2004, S. 506.
8 Tischer 2005, Sp. 1034.
9 Ulbert 2007, Sp. 1087.
10 Vgl. Stollberg-Rilinger 2004, S. 511.
11 Johann Christian Lünig: Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen [...] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen [...] beobachtet worden (Bd. 1), Leipzig 1719, S. 1288.
12 Ebd., S. 1293.
13 Ebd., S. 1289.
14 Ebd., S. 1289.
15 Vgl. ebd., S. 1290.
16 Vgl. ebd., S. 1289.
17 Vgl. ebd., S. 1291.
18 Ebd., S. 1291.
19 Ebd., S. 1292.
20 Vgl. ebd., S. 1289ff.