Es besteht keine Frage mehr, dass Medien heutzutage eine entscheidende Rolle nicht nur in unserem alltäglichem Handeln, sondern auch in unserer Sozialisation und in der Weise wie wir die Welt wahrnehmen spielen. Doch auch umgekehrt beeinflusst unser alttägliches Erleben, unsere Werte und Normen, welchen Sinn wir Medieninhalten verleihen. Bereits im Kleinkindalter sind Kinder von medialen Produkten oder crossmedialen Vermarktungsstrategien quasi allgegenwärtig umgeben. Aufmerksamkeit und Begeisterung sind durch Fernseher und Computer garantiert. Dagmar Hoffmann betont jedoch, dass diese Rolle der Medien von soziologisch orientierten Sozialisationstheoretikern erst sehr spät in die Forschung Einzug gefunden hat. Oftmals wurde den Medien nicht die gleiche Bedeutung wie den traditionellen Faktoren der Sozialisation anerkannt, da die Rolle und letztendlich auch der Einfluss der Medien anders als bei Freunden, Familie oder Schule nicht direkt erkennbar und zu benennen ist. Die unmittelbare Reaktion auf Medieninhalte bleibt aus, weil „sie im Grunde anonym und unverbindlich sind, [und, M.H.] keine symmetrische Form der Interaktion und Kommunikation erlauben“. Erst vor knapp 20 Jahren etablierten sich die Medien als bedeutender und entwicklungspsychologisch ernstzunehmender Bereich der Sozialwissenschaften, vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Nach Römer wurde die Medienrezeptionsforschung zuvor lange Zeit anderen Forschungsdisziplinen untergeordnet. Erst mit der Digitalisierung und der vorschreitenden Mediatisierung des Alltags hat sich dies Ende der 1990er Jahre schrittweise geändert. In der 2000er-Jahren erfuhr die qualitative Medienrezeptionsforschung und das verstehen von Medienhandeln schließlich einen enormen Aufschwung. Jüngere Entwicklungen wie die wachsende Bedeutung von Social Media oder Smartphones werden diesen Wachstum sicherlich weiter beschleunigen.
Inhaltsverzeichnis
1. Kinder- und Jugendmedienforschung
2. Theoretischer Rahmen
2.1. Symbolischer Interaktionismus
2.2. Uses-and-Gratification Ansatz
2.3. Entwicklungspsychologischer Ansatz
3. Methode
4. Der subjektive Sinn
4.1. Sinnenhaftes Handeln nach Max Weber
4.2. Der subjektive Sinn und Handlungsleitenden Thema
5. Herausforderungen in der Forschung mit Heranwachsenden
5.1. Besonderheiten in der Kinder- und Jugendmedienforschung
5.2. Crossmediale Aneignung in der konvergenten Medienwelt
6. Methodologische Ansätze in der Kinder- und Jugendmedienforschung
6.1. Quantitative Befragungen mit Kindern
6.2. Qualitative Zugänge
6.2.1. Kontextuelles Verstehen von Medienaneignung
6.2.2. Mediale Erscheinungs- undÄußerungsformen
6.2.3. Wie ticken Kinder? - Vorüberlegungen zur Erhebung
6.2.4. Alter und Entwicklungsstand - Handlungsorientierte Zugänge
6.2.5. Einen umfassenden Blick bekommen - Multiperspektive Zugänge
7. Conclusion
8. Bibliographie
Die Rekonstruktion des subjektiven Sinns
Methodologische Ansätze in der Kinder- und Jugendmedienforschung
1. Kinder- und Jugendmedienforschung
„Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass Medien weder nur Ressource noch Risiko sind, sie sind Werkzeuge, Apparate und Plattformen,über die, in denen und mit denen Kommunikation, Interaktion und Sozialisation stattfindet. Sie können einerseits für die Menschen moderner Gesellschaften ‚Inszenierungsmaschinen‘ darstellen, insofern sie Kommunikate bereitstellen, andererseits ‚Erlebnisräume‘, insofern sie genutzt, rezipiert, angeeignet werden.“ (Hoffmann 2011: 55)
Es besteht keine Frage mehr, dass Medien heutzutage eine entscheidende Rolle nicht nur in unserem alltäglichem Handeln, sondern auch in unserer Sozialisation und in der Weise wie wir die Welt wahrnehmen spielen (vgl. Würfel/Keilhauer 2009: 95). Doch auch umge- kehrt beeinflusst unser alttägliches Erleben, unsere Werte und Normen, welchen Sinn wir Medieninhalten verleihen. Bereits im Kleinkindalter sind Kinder von medialen Produkten oder crossmedialen Vermarktungsstrategien quasi allgegenwärtig umgeben (vgl. Theunert 2006: 161) . Aufmerksamkeit und Begeisterung sind durch Fernseher und Computer ga- rantiert. Dagmar Hoffmann (2011) betont jedoch, dass diese Rolle der Medien von sozio- logisch orientierten Sozialisationstheoretikern erst sehr spät in die Forschung Einzug ge- funden hat. Oftmals wurde den Medien nicht die gleiche Bedeutung wie den traditionellen Faktoren der Sozialisation anerkannt, da die Rolle und letztendlich auch der Einfluss der Medien anders als bei Freunden, Familie oder Schule nicht direkt erkennbar und zu be- nennen ist. Die unmittelbare Reaktion auf Medieninhalte bleibt aus, weil „sie im Grunde anonym und unverbindlich sind, [und, M.H.] keine symmetrische Form der Interaktion und Kommunikation erlauben“ (Hoffmann 2011: 51). Erst vor knapp 20 Jahren etablierten sich die Medien als bedeutender und entwicklungspsychologisch ernstzunehmender Bereich der Sozialwissenschaften, vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Nach Römer (2016) wurde die Medienrezeptionsforschung zuvor lange Zeit anderen For- schungsdisziplinen untergeordnet. Erst mit der Digitalisierung und der vorschreitenden Mediatisierung des Alltags hat sich dies Ende der 1990er Jahre schrittweise geändert. In der 2000er-Jahren erfuhr die qualitative Medienrezeptionsforschung und das verstehen von Medienhandeln schließlich einen enormen Aufschwung. Jüngere Entwicklungen wie die wachsende Bedeutung von Social Media oder Smartphones werden diesen Wachs- tum sicherlich weiter beschleunigen. (Vgl. Römer 2016: 494)
Die Forschungsfragen der Jugendforschung können dabei aus verschiedensten For- schungsdisziplinen stammen, die dominantesten sind jedoch die Psychologie, Pädagogik wie auch die Soziologie. Deren Interesse ist meist an Themen wie Bildung, Arbeit, Migra- tion, Kultur, psychologische Entwicklung, abweichendes Verhalten, Gender und nicht zu- letzt Medien orientiert. Obwohl sich die forschungsleitenden Fragenähneln können, un- terscheiden sich die wissenschaftlichen Ausarbeitungen meist grundlegend, insbesondere auch im verwendeten Methodendesign wie auch in der Berücksichtigung des lebensweltli- chen Kontextes sowie der Komplexität verschiedener Sozialisationsbedingungen. (Vgl. Hoffmann 2011: 51) Vor allem in der Forschung mit Medien und Heranwachsenden ist das Erfassen des lebensweltlichen Kontextes ein komplexes Unterfangen. Dies wird in vorlie- gender Arbeit thematisiert.
In der Kinder- und Jugendmedienforschung möchte man die Rolle der Medien im Kontext der Sozialisation erforschen, d.h. wie Medien von Heranwachsenden im individuellen le- bensweltlichen Kontext angeeignet, genutzt werden und welche Bedeutung bzw. welcher Sinn Medieninhalten beigemessen wird (vgl. Hoffmann 2011: 51). Die Forschung mit Kin- dern und Jugendlichen erfordert im Vergleich zu jener mit Erwachsenen einige Spezifika in der inhaltlichen wie auch der methodologischen Ausrichtung. An dieser Stelle möchte die vorliegende Literaturarbeit anknüpfen. Allein die die Arbeit mit Kindern birgt je nach Altersgruppe andere Schwierigkeiten (vgl. Kapitel 5.1.), so müssen Methodendesigns im- mer wieder neu durchdacht und angepasst werden. Hinzu kommt, dass die crossmediale Medienaneignung und die immer stärker werdende Konvergenz der Mediennutzung (vgl. Kapitel 5.2.) bereits im frühen Kindesalter den Forschenden erschwert, alle medialen Räume in denen sich die Kinder und Jugendlichen bewegen zu erfassen, sowie diesen jeweils einen lebensweltlichen Kontext und Realitätsbezug zuzuordnen. Theunert (2013) betont, dass trotz erhöhten Herausforderungen in der Medienforschung mit Kindern und Jugendlichen, diese schwierige Zielgruppen nicht einfach ausgelassen werden kann, son- dern es muss ein valides, adäquates methodisches Vorgehen ausgearbeitet werden, um auch diese Subjekte zu erfassen (vgl. Theunert 2013: 130). Wie diese Komplexität in der Forschung angemessen erfasst werden kann, soll mit folgender Forschungsfrage beant- wortet werden:
‚Wie kann die Komplexität crossmedialer, konvergenter Medienaneignung in der Rekonstruktion des subjektiven Sinns im Rahmen der Kinder- und Jugendmedienfor- schung methodisch adäquat erfasst werden?‘
Rossmediale bzw. konvergente Medienaneignung als Herausforderung an die Kinder- und Jugendmedienforschung steht im Fokus der Analyse. Kinder- und Jugendliche leben im- mer mehr mit Medien und damit in medialen Welten, sie verknüpfen Medieninhalte mit- einander und passen ihre Nutzungsweisen unter anderem aus entwicklungspsychologi- schen Bedürfnissen immer wieder neu an (vgl. Würfel/Keilhauer 2009: 95). Umso wichti- ger ist die konvergente Mediennutzung im methodischen Vorgehen der Kinder- und Ju- gendmedienforschung ausreichend zu berücksichtigen, um zu erfahren welchen Medien welcher Sinn zugeordnet wird. Schlussendlich können aus diesen Erkenntnissen nämlich wichtige medienpädagische Schlussfolgerungen gezogen werden. Was dabei zu beach- ten ist und wie dies gelingen kann, soll in vorliegender Literaturarbeit erläutert werden. Damit leistet die diese Arbeit einen nicht unwesentlichen kommunikationswissenschaftlichen Beitrag.
Definitionen
Im Folgenden sollen einige Begriffe, die zum Verständnis der vorliegenden Arbeit relevant sind, geklärt und abgegrenzt werde:
(Medien-) Handeln
Spricht man in der Medienforschung von ‚Handlungen‘ meint das die individuelle Auswahl und die Zuwendung zu Medien sowie die Auseinandersetzung mit diesen Medieninhalten. Das Erfahrene wird verarbeitet, mit Sinn verliehen und interpretiert. Damit stellt eine Me- dienhandlung ein prozessuales Geschehen dar, welches nicht zufällig geschieht sondern aktiv und gezielt nach Interessen und Bedürfnissen. (Vgl. Hoffmann 2011: 53) Damit er- gibt sich ein breites Forschungsfeld in dem WissenschaftlerInnen herausfinden möchten, warum sich Menschen gewissen Medien zuwenden, warum sie diese nutzen, welcher Weise sie mit diesen Inhalten umgehen, welchen Sinn sie ihn zuweisen und schließlich welche Folgen dies für das ‚reelle‘ Leben hat.
Medienaneignung
Medienaneignung beschreibt den Prozess wie sich Individuen Medien zuwenden, wel- chen Medien sie sich annehmen und welche funktionale Bedeutung welchem Medium zu- geordnet wird. Medienaneignung kann in vier Dimensionen unterteilt werden: Zu Beginn steht die Nutzung, gefolgt von der Wahrnehmung der Medieninhalte, in welcher audio-vi- suelle wie geistigäußerliche Reize aufgenommen werden. An dritter Stelle steht die Be- wertung und sinnvolle Einordnung des Medieninhalts, auf der Basis individueller Vorstel- lungen und sozialen Lebenserfahrungen. Zuletzt wird das Gesehene und Erlebte verarbei- tet und gegebenenfalls in das eigene Handeln integriert. (Vgl. Fleischer/Grebe 2014: 154)
Crossmedialität und Konvergenz
Konvergente Medienaneignung meint die „Nutzung, Wahrnehmung, Bewertung und Ver- arbeitung von Medieninhalten, die ein Basisangebot medienspezifisch variieren“ (Theu- nert/Wagner 2006: 3). Dies bedeutet, dass es zu einem Medieninhalte um ein Leitprodukt (wie z.B. einen Film), davon mehr oder weniger abweichende, von mir so genannte, ‚Se- kundärprodukte‘ gibt (z.V. Computerspiele, Zeitschrifte, Fanpage etc.). Diese Variationen werden von Heranwachsenden spezifisch genutzt, wahrgenommen, realisiert und je nach handlungsleitenden Themen in Beziehung gesetzt (vgl. Theunert/Wagner 2006: 3). So entsteht ein komplexes und zugleich individuelles Medienensemble. Konvergente Medi- enwelten sind fest in den Alltag von Kindern und noch deutlich von Jugendlichen inte- griert. Durch crossmediale, d.h. medienübergreifende, Vermarktungsstrategien lassen sich nicht nur diverse Medienprodukte, sondern auch damit verbundene Spielzeuge, Fan- Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände immer früher in den kindlichen Lebenswel- ten finden (vgl. Theunert/Wagner 2006: 1). So gibt es bpsw. zur Barbie nicht nur die traditionelle Puppen mit welchen Szenen nachgespielt werden können, sondern auch Filme, Serien, Zeitschriften und sogar Barbie Nintendo spiele. Digitalisierung und multifunktionale Endgeräte sorgen für neue Impulse und Erweiterungen der Mediennutzung (vgl. Theunert/Wagner 2006: 3). Was die konvergenzbezogene Medienaneignung für die Kinderund Jugendmedienforschung und speziell für die Rekonstruktion des subjektiven Sinns bedeutet, wird in dieser Literaturarbeit erörtert.
Im folgenden Kapitel werden die zugrundeliegenden theoretischen Bezugspunkte dieser Arbeit vorgestellt. Daraufhin wird das methodische Vorgehen in der Beantwortung der ge- nannten Forschungsfrage vorgestellt. In Kapitel 3 soll auf das zentrale Element dieser Ar- beit und der Kinder- und Jugendmedienforschung eingegangen werden: Der subjektive Sinn von Kindern und Jugendlichen ist eine wesentliche Erkenntnis der Medienforschung mit Heranwachsen, nämlich dass Kinder schon im jüngsten Alter Medien einen subjekti- ven, persönlichen Sinn verleihen und ihr Handeln danach orientieren. Im Anschluss daran sollen die Besonderheiten der Forschung mit Kindern- und Jugendlichen und damit auch die Herausforderungen, welchen sich Forschende in der Empirie wie auch der Interpreta- tion stellen müssen, dargestellt werden. Letztendlich soll dann die Forschungsfrage be- antwortet werden, indem einige methodologische Ansätze verschiedener AutorInnen vor- gestellt, kritisch diskutiert und verglichen werden, gefolgt von einem finalen Fazit.
2. Theoretischer Rahmen
Dieses Kapitel befasst sich mit den zugrundeliegenden theoretischen Ansätzen, welche auch von den zitierten Autoren in der Bearbeitung methodologischer Zugänge in der Kin- der- und Jugendmedienforschung als fundamentale Theorien genannt wurden. Hierzu gehe ich zunächst auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus nach Georg Herbert Mead sowie den in der Kommunikationswissenschaft weit verbreiteten Uses-and-Graftica- tions Ansatz ein. Da sich das Forschungsinteresse speziell an Kindern- und Jugendlichen orientiert, soll zuletzt auch der entwicklungspsychologischen Ansatz vorgestellt werden.
2.1. Symbolischer Interaktionismus
Wichtige Aufgabe der Medienforschung ist es, den Sinn der Handlungen von Rezipienten herauszuarbeiten, zu verstehen und zu erklären. Dazu kann auf die Paradigmen des symbolischen Interaktionismus zurückgegriffen werden:
Die Theorie des Symbolischen Interaktionismus geht unter anderem auf Georg Herbert Mead zurück und fand zum ersten Mal im Jahre 1937 Erwähnung (vgl. Mikos 2008: 156). Ursprünglich ist dieser theoretische Ansatz der Soziologie zuzuordnen, obwohl er nach Feldmann (2005) auch einen wichtigen psychologischen Einschlag besitzt. Die bedeuten- den Vertreter des Symbolischen Interaktionismus, wie Mead oder Blumer, sind durch psy- chologische Erkenntnisse unter anderem von Freud nicht unwesentlich beeinflusst worden (vgl. Feldmann 2005: 44).
„Als besonders effektiv hat sich in den 1980er Jahren die Kollaboration von psychologischen und soziologischen Theorie- und Forschungsansätzen erwiesen. In qualitativen Längsschnittuntersuchungen konnten der Entwicklungspsychologe Michael Charlton und der Soziologe Klaus Neumann-Braun zeigen, wie komplex und zweckorientiert Vorschulkinder sich mit Medien auseinandersetzen und wie strategisch sie diese einerseits vor dem Hintergrund situativer Bedürfnisse und andererseits zur Bewältigung vielfältiger Entwicklungsaufgaben nutzen.“ (Hoffmann 2011: 53)
Krotz (2007) versteht den Symbolischen Interaktionismus als eine „situationsbezogene, handlungsorientierte Theorie des Mediengebrauchs und der Medien in Kultur und Gesellschaft“ (Krotz 2007: 81). Der Ansatz besagt, dass die Bedeutungskonstruktion von Menschen, unter anderem auch um Medien, konstitutiv ist und versteht den Mensch an sich als symbolisches Wesen, dessen Bedeutungszuweisungen Handlungs-, Denk- und Sprechweisen festlegen (vgl. Krotz 2007: 54). Das Hauptziel ist „das nachvollziehende Verstehen der subjektiven handlungsleitenden Symbole und Situationsinterpretationen, die die Handlungsrealität für die Individuen erst erschaffen“ (Hill/Kopp 2013: 80). Damit ist der symbolische Interaktionismus eine Theorie auf Mikroebene.
Nach Bachmair (1994) ist der Symbolische Interaktionismus die Basistheorie für den theo- retischen Ansatz des subjektiven Sinns und der handlungsleitenden Themen im Medien- handeln von Kindern und Jugendlichen, welcher im Laufe dieser Arbeit weiter ausgeführt werden wird. Im Symbolischen Interaktionismus, so der Autor, geht es darum spezifische, subjektive Formen der (Medien-)Kommunikation zu erläutern und dabei nicht nur auf ein einfaches Stimulus-Response Modell zurückzugreifen. Viel mehr geschieht das (Medien-)Handeln nach Regeln, aufgrund von Absichten und basierend auf Erfahrungen. Denn so richten Individuen ihr Handeln nach Bedeutungen, die sie im Laufe ihres Leben konstruiert haben. (Vgl. Bachmair 1994: 171f.) Somit stellt sich in der Medienforschung die Frage, welche Bedeutungen Individuen Medieninhalten beimessen und warum.
Medienaneignung ist nach dem Symbolischen Interaktionismus also kein automatischer Prozess, sondern ein komplexes Konstrukt aus Bedeutungen, Handlungen und Symbolen, welche keineswegs festgeschrieben sind. Menschen eigenen sich bestimmter (Medien-)Strukturen an, verändern diese aber immer wieder auf Basis ihres individuellen lebensweltlichen Bezugs. (Vgl. Bachmair 1994: 171f.) Hill und Kopp beschreiben dies als „subjektive Situationsdefinitionsleistung“ (Hill/Kopp 2013: 82).
Das Selbst und damit die individuelle Identität entwickelt sich nach dieser Theorie auf- grund von Erfahrungen im sozialen Umfeld, was immer mit einem Austausch von Symbo- len einhergeht. Nach Mead ist die Sprache das wichtigste Symbolsystem. Kinder entwick- len einen Sinn für soziale Situationen und Vorstellungen oft durch Rollenspiele oder Nachahmen der Erwachsenen. So entwickeln sie eine soziale Identität (vgl. Feldmann 2005: 44). Feldmann (2005) fasst schlussfolgernd folgende Paradigmen, welche den Symbolischen Interaktionismus charakterisieren zusammen: (Vgl. Feldmann 2005: 45f.)
1. Den Individuen erscheinen subjektive Bedeutungen selbstverständlich und handeln nach diesen in sozialer Interaktion. Soziales Handeln ist somit symbolvermittelt.
2. Diese Bedeutungszuweisungen geschehen aufgrund von sozialer In- teraktion. Dabei spielt nicht nur verbales sondern vielmehr auch non- verbales Verhalten eine Rolle. Dies Interaktion geschieht wiederum auf einer Inhaltsebene (Informationen) sowie auf einer Beziehungsebene (emotionale Botschaft)
3. Jedes Individuum kann zu einer anderen Erkenntnis kommen. Denn so ist diese eine prozess- und kontextabhängige subjektive Interpretati- onsleistung.
4. In sozialen Situationen finden mehrere Definitionen statt: Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten, Rollen und Identitäten, Dominanz und Ressourcen etc.
5. Thomas-Theorem: „Wenn Menschen Situationen als real definieren, so sind auch ihre Folgen real“ (Feldmann 2005: 46). Das meint wohl, dass Menschen Dingen selbstverständliche und für die logische Bedeutun- gen zuweisen, deshalb ist auch ihr Handeln, als Folge der Bedeu- tungszuweisung, für sie logisch und real.
6. Zwischen den Bedeutungen existiert eine gewisse Hierarchie. Hand- lungen können situationsspezifisch, den eigenen Normen widersprüch- lich, angepasst werden, bspw. das Überqueren einer roten Ampel um pünktlich zu sein. Es ist also durchaus denkbar, dass Individuen auf- grund von widersprüchlichen Bedeutungszuweisungen in bestimmten Situationen in einen ‚Konflikt mit sich selbst‘ kommen können.
7. In Interaktion werden nicht nur Bedeutungen sondern auch Identität ausgehandelt. Diese kann durchaus, aufgrund von entscheidenden Lebensveränderungen, neu definiert werden. Menschen tun dies doch Kompetenzen wie: Rollendistanz; Einfühlungsvermögen und auch der Fähigkeit widersprüchliche Rollenerwartungen auszulesen.
Wie bereits erwähnt versteht sich der Symbolische Interaktionismus als Basistheorie für den Ansatz des subjektiven Sinns, welchem als zentrales Element dieser Arbeit ein eige- nes Kapitel gewidmet wurde. Die geschilderten Erläuterungen zum Symbolischen Interak- tionismus machen klar, dass Medienhandeln symbolvermittelt nach Regeln, Bedeutungen, Absichten und Erfahrungen geschieht. Diese Strukturen können erfasst und analysiert werden, jedoch wird nicht wirklich klar ‚warum‘ dies alles so geschieht. Hier tragen der lebensweltliche Kontext und die Sozialisationsbedungen samt dem sozialen Umfeld eine entscheidende Rolle, und so sollte dies in der Analyse des subjektiven Sinns nicht ver- nachlässigt werden.
Abschließend für dieses Teilkapitel fasst Mikos (2008) treffend zusammen:
„Der Symbolische Interaktionismus geht nun davon aus, dass sich die Menschen in sozialen Handlungssituationen wechselseitig aneinander orientieren und dies auf der Grundlage von Bedeutungen tun, die Dinge und andere Menschen für sie haben. Das ist die erste Prämisse. […] ‚Die zweite Prämisse besagt, dass die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht. Die dritte Prämisse besagt, dass diese Bedeutungen in einem interpretativen Prozess, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und abgeändert werden kann“ […]. Soziale Interaktion beruht also auf Prozessen der symbolischen Interaktion und hat damit eine sozialisierende Funktion, da sich die Identität des Menschen bildet und sich aus den kooperativen Handlungen der Menschen die Gesellschaft formt.“ (Mikos 2008: 156f.)
2.2. Uses-and-Gratification Ansatz
In der sozialpsychologischen Auseinandersetzung des Aufwachsen Heranwachsender mit Medien findet die kommunikationswissenschaftliche Theorie des Uses-and-Gratifications Ansatz häufige Anwendung. Dieser Ansatz besagt, dass Erwachsene wie auch Kinder und Jugendliche verschiedene Bedürfnisse in ihrer Mediennutzung verfolgen und es deshalb zu verschiedenen Rezeptionsmodi kommt (vgl. Hoffmann 2011: 53).
„Vergnügen und Information, Kommunikation und Interaktion - all das suchen und finden Heranwachsende heutzutage in einer immer komplexer werdenden Medienwelt.“ (Theunert/Wagner 2007: 1)
Der Uses-and-Gratifications Ansatz ist nutzungstheoretisch orientiert und tauchte Milder der 1970er Jahre als Wendepunkt bzw. als Gegenmodell zur traditionellen Wirkungsfor- schung auf. Während die traditionelle Medienwirkungsforschung nach dem Medieninhalt und dessen Wirkung auf die RezipientInnen frägt, richtet sich der Uses-and-Gratifications Ansatz als Forschungsstrategie an die NutzerInnen, deren individuelle Bewegungsgründe und Motivationen sowie deren Folgen für die Mediennutzung (vgl. Halff 1998: 154f.).
Das Forschungsinteresse ging weg von der Frage ‚Was machen Medien mit den Menschen?‘ hin zur Frage ‚Was machen Menschen mit den Medien‘. Die RezipientInnen werden als aktiv in ihrem Medienhandeln gesehen, sind nicht mehr nur EmpfängerInnen von Medienbotschaften und streben durch ihr Medienhandeln eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sogenannte Gratifikationen, an. Die Zuwendung zu Medieninhalten erfolgt also mit dem Hintergrund, dass es für die KonsumentInnen sinnvoll und lohnenswert ist. Diese Bedürfnisse können von Unterhaltung,über soziales Miteinander bis hin zu Information und Bildung reichen. (Vgl. Hugger 2008: 173)
Nach Hugger (2008) greift der Uses-and-Gratifications Ansatz auch auf den Symbolischen Unteraktionismus zurück. „Mediennutzung ist als i nterpretatives soziales Handeln zu verstehen. […] Medienaussagen sind demnach nicht als vom Kommunikator vorgefertigte Reize, sondernass interpretationsbedürftige ‚Wirklichkeitsangebote‘ […] anzusehen […].“ (Hugger 2008: 174) Die RezipientInnen müssen diese Angebote erst für sich selbst definieren und damit wird ihnen die Fähigkeit zurReflexion zugesprochen. Durch die Fähigkeit sich zu distanzieren und die Rolle von Dritten anzunehmen ist es dem Individuum möglich zu handeln anstatt nur zu reagieren (vgl. Hugger 200 8: 174).
„In einer von Medien durchdrungenen Welt bestehen auf jeden Fall fast unendlich viele Möglichkeiten der kompensatorischen Bedürfnisbefriedigung durch Medien, wenn andere Möglichkeiten nicht verfügbar oder unbefriedigend sind […]. Im Kontext des Symbolischen Interaktionismus sind Handlungen nicht nur als zielgerichtet und international anzusehen, sondern sind grundlegend von ‚interpretativer Qualität‘ […]. Damit ist gemeint, dass der Mensch aufgrund von Erfahrungen, im Rahmen von Handlungszusammenhängen, den ‚Dingen‘ […] in seiner realen Welt Bedeutungen zuschreibt, also eine symbolische Umwelt erschafft.“ (Höfer 2013: 58)
Laut Theunert und Wagner (2007) sehen Heranwachsende beispielsweise mit niedrigem Bildungshintergrund Medien vorwiegend als Konsumraum. Heranwachsende mit hohem Bildungshintergrund hingegen nutzen Medien zudem als kreativen Gestaltungsraum (vgl. Theunert/Wagner 2006: 1). Spricht man im Rahmen des Uses-and-Gratitications Ansatz von Bedürfnisbefriedigung, kann man auch auf die Bedürfnispyramide nach Maslow zu- rückgreifen, welche besagt dass die menschlichen Bedürfnisse nach einer Hierarchie an- geordnet sind, wobei zwischen biogenen Motiven (Hunger, Durst, Schlafen) und sozioge- nen Motiven (Freundschaft, Macht, Anerkenntung) unterschieden werden kann (vgl. Fe- arman 2010: 34ff.). Nach dieser Pyramide sind neben den biogenen Motiven die Sicher- heits- und Soziale Bedürfnisse grundlegend (vgl. Abb.1). Sind also erst gesichert, folgen- den Ich-Bedürfnisse und die Selbstverwicklung als größtes Ziel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bedürfnispyramide nach Maslow (Bastian 2005)
Im Rahmen des Symbolischen Interaktionismus und dessen Charakteristika nach Feld- mann (2005) wurde bereits erläutert dass Bedeutungszuweisungen Hierarchien unterlie- gen. Es könnte nun also gefolgert werden, dass diese Hierarchien nicht nur aufgrund von Erfahrungen, sondern auch aufgrund von Bedürfnissen und zugewiesenem Nutzen ent- stehen.
2.3. Entwicklungspsychologischer Ansatz
Kinder und Jugendliche müssen sich täglich mit Fragen an sich selbst, an die Umwelt und Problemen auseinander setzen. Dabei orientieren sie sich sowohl an die Menschen in ih- rem direkten Umfeld als auch an Personen und Angeboten in den Medien. Auch Medien- inhalte vermitteln ein bestimmtes Bild wie soziales Zusammenleben aussehen kann und gibt Handlungsvorschläge bzw. -muster vor. Zum einen sehen Kinder und Jugendliche Medien als Orientierungsangebot, denn so schlagen sie Handlungs- und Lebensentwürfe vor. Auch das Verarbeiten und Aushandeln von Medienbotschaften kann zur Orientierung beitragen, indem sie Anregungen „zur Ausformung des Weltbildes, für Lebensentwürfe und zahlreiche Angebote für Handlungsmöglichkeiten und Rollenverständnisse“ (Flei- scher/Gerbe 2014: 155) anbieten. (Vgl. Fleischer/Gerbe 2014: 154)
Je nach Lebensabschnitt müssen sich Heranwachsende besonders mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben auseinandersetzen. Mit dem Konzept der Bewältigung entwick- lungspsychologischer Aufgaben, soll die kindliche bzw. jugendliche Entwicklung, Hand- lungen, Entscheidungen und letztlich Sozialisation nachvollzogen werden können. Hierzu entwickelten Paus-Hasebrink, Schmidt und Hasebrink (2011) das Drei-Phasen-Modell der Entwicklungsaufgaben:
Drei-Phasen-Modell der Entwicklungsaufgaben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklungsaufgaben nach Paus-Hasebrink/Schmidt/Hasebrink (2001) | eigene Darstellung
Nach den Autoren wird mit diesen drei Entwicklungsaufgaben nach Selbstauseinander- setzung, sozialen Kapital und Informationsquellen gestrebt. Auf allen drei entwicklungs- psychologischen Ebenen können und werden die Medien als Hilfsmitteln herangezogen. Medieninhalte können Orientierung in der Welt sorgen und als Informationsquellen die- nen. Außerdem ermöglichen sie eine erleichterte, digitalisierte Form von Kommunikation mit sozialen Kontakten oder geben auch Gesprächs- und Diskussionsmaterial. Nicht zu- letzt leisten die Medien einen entscheidenden Beitrag zum Identitätsmangement. Durch die Auseinandersetzung mit Medien, eine entsprechende Positionierung und aktives mediales Handeln, definieren Individuen ihr Selbst und ihre Absichten und Ziele. (Vgl. PausHasebrink/Schmidt/Hasebrinkt 2011: 24-27)
„Bei aller Optionsvielfalt fungieren Medien als Lieferanten von identifikationsfähigem Material, das jedoch nicht einfach adaptiert, sondern geprüft, modifiziert und kommunikativ weiter verhandelt wird, bevor es dann eventuell in die eigene Identität einbezogen wird.“ (Hoffmann 2011: 54)
Die Identitätsbildung stellt im Jugendalter quasi eine ‚Meta-Entwicklungsaufgabe‘ dar, denn der Aufbau einer Identität - eines autonomen Ichs - umschließt viele anderen entwicklungspsychologischen Aufgaben (vgl. Hoffmann 2011: 53) Auch die Psychologen Zimabrdo und Gehrig (2004) betonen, dass das Erfüllen der Entwicklungsaufgaben eine zentrale Voraussetzung der Sozialisation und vor allem für den Aufbau einer Identität ist. Daraus folgt die Umsetzung der Handlungskomponenten durch, mit und in medialen Räumen (vgl. Zimbardo/Gerrig 2004: 396-401).
Medien spielen, so Hurrelmann (2007), in der Erfüllung dieser Entwicklungsaufgaben eine entscheidende Rolle. Sie können zum einen als Plattformen der Wissensvermittlung und Informationsbeschaffung dienen (vgl. Hurrelmann 2007: 257f.). Zum anderen können Me- dien den Heranwachsenden einen Raum zur Identitätsfindung geben (vgl. ebd.), bei- spielsweise in Form von Social Media Plattformen wie Facebook, Instagram oder Snap- chat auf welchen sie sich selbst präsentieren, ausprobieren und Identität ausleben kön- nen. Außerdem können Medien und zwar vor allem das Internet dabei helfen, das Erfah- rene und dieäußere Realität produktiv zu verarbeiten, sei es z.B. durch aktiven Austausch auf Foren, auf Facebook, durch Blog oder You-Tube Beiträge. Diese produktive Verarbei- tung erfordert nach Hurrelman jedoch ausreichende Medienkompetenz und damit einen gewissen Entwicklungsstand (vgl. ebd.). Die Forscher Klaus Boehnke und Thomas Münch konnten in Untersuchungen mit dem Internet und vor allem Musikmedien belegen, dass ein nicht unwichtiger Zusammenhang zwischen den entwicklungspsychologischen Be- dürfnissen der Jugendlichen und deren Medienvorlieben, ihrer Nutzung und Verarbeitung gibt (vgl. Hoffmann 2011: 53). Auch Theunert (2006) schildert, dass Kinder durch ihr me- diales Handeln aktiv und bewusst Identität, persönliche Ambitionen, Bedürfnisse und Zu- kunftsperspektiven auslebe. Kinder und Jugendliche sind dabei heutzutageüberdurch- schnittlich mit Mediengeräten ausgestattet als noch ein paar Generationen zuvor und sie dabei auch hinsichtlich ihrer Medienkompetenz immer früher, immer versierter, was auf das immer jüngere Einstiegsalter zurückzuführen ist (vgl. Theunert 2006: 162)
Andere Autoren sehen gewisse Formen der Mediennutzung unabhängig von der Medien- kompetenz der Heranwachsenden bereits als aktive Auseinandersetzung mit den Entwick- lungsaufgaben (vgl. Hoffmann 2011: 52). Doch was ist damit gemeint? Ein erfundenes Beispiel: Ein fünfjähriges Mädchen sieht den neuen Barbie Film und ist begeistert. Sie be- kommt daraufhin auch die anderen Barbie Teile auf DVD von der Großmutter geschenkt. Im Geschäft sieht sie die passende Barbie Puppe. Das Mädchen möchte nun auch das Barbie Magazin jeden Monat haben. Kann dies im lebensweltlichen Kontext des Mädchen als Entwicklungsaufgabe in Form der Wissensgewinnung gesehen werden, um allesüber die Barbie Welt zu erfahren? Oder ist dies einfach ein Resultat einer cleveren crossmedialen Vermarktungsstrategie?
Die Auseinandersetzung mit den Medieninhalten selbst spielt jedenfalls eine wichtige Rol- le in jedem Alter. Das erlebte, gesehene oder gespielte muss verarbeitet werden. Soziali- sationtheoretiker sehen dies als neue, moderne Entwicklungsaufgabe, die immer mehr an Relevanz gewinnt (vgl. Hoffmann 2011: 52). An dieser Stelle sollte die Verarbeitung von Medieninhalten nicht nur als individuelle Aufgabe der Heranwachsenden gesehen werden, sondern so spielen gerade bei jungen Kindern die Eltern, Familie und Freunde eine we- sentliche Rolle. Den so beeinflussen Medien neben anderen sozialen Faktoren das Den- ken, Fühlen und Handeln Heranwachsender enorm, eben indem sie sich mit den Medien- inhalten individuell auseinandersetzen (vgl. Hoffmann 2011: 52). Je nach Entwicklungs- stand müssen Kinder aus medienpsychologischer Sicht hierbei aber ‚an die Hand ge- nommen‘ werden, da gegebenenfalls ein geeigneter Interpretationsrahmen oder Reali- tätsbezug fehlt. Leider wird die Auseinandersetzung mit medialen Inhalten und der richtige Medienumgang in pädagogischen Institutionen und Erziehungseinrichtungen immer noch viel zu sehr vernachlässigt (vgl. Theunert 2006: 163).
3. Methode
Die vorliegenden Forschungsarbeit wird im Rahmen einer Literaturarbeit verfasst. Diese stützt sich dabei auf Fachliteratur, anhand derer eine neue Fragestellung mit bereits vorhandenen Erkenntnissen diskutiert und unter einer neuen Perspektive aufgearbeitet wird. Dies wird nach Medjedović (2014) als megaanalytisches Verfahren oder auch Review verstanden (vgl. Medjedović 2014: 20). Die Literaturarbeit geht aberüber ein reines Review hinaus, denn so wird vorliegendes Forschungsmaterial nicht nur zusammengefasst, sondern auch diskutiert und kritisiert.
Wie auch in einer Sekundäranalyse wird auf bereits erhobenes Datenmaterial zurückge- griffen, um neue Fragestellungen zu beantworten. Eine Sekundäranalyse hat aber ihren Fokus stärker auf der Zweit-Analyse von bereits erhobenem empirischen Material (vgl. ebd.) In der vorliegenden Literaturarbeit, welche sich auf eine methodologische Fragestel- lung stützt, wird deshalb vor allem auf methodische wie theoretische Ansätze verschiede- ner ForscherInnen zurückgegriffen. Letztendlich sollen aber auch beispielhafte Studien und deren Methodendesigns herangezogen werden, die jeweiligen Roh-Daten sind in die- sem Fall weniger relevant.
Mäßen (1998) weist außerdem daraufhin, dass diese Methode nicht nur einen Überblicküber den bestehenden Forschungsstand geben soll, sondern vielmehr auch reflektierend Unstimmigkeiten und Probleme im jeweiligen Forschungsfeld aufzeigen soll (vgl. Mäßen 1998: 127).
Für einen umfassenden Überblicküber die methodologischen Ansätze der Kinder- und Jugendmedienforschung wird hinblickend auf die Forschungsfrage in dieser Arbeit also gezielt Forschungsliteratur ausgewertet. Die Forschungsfrage wurde anhand der im fol- genden aufgeführten Herausforderungen und Besonderheiten der Forschung mit Kindern und Jugendlichen aus den theoretischen und empirischen Grundlagen abgeleitet und konkretisiert. Dabei wird die vorliegende Fachliteratur nicht einfach zusammengefasst, sondern im Rahmen des Forschungsinteresses aufbereitet und diskutiert.
4. Der subjektive Sinn
Der gesellschaftliche Alltag ist durchdrungen von Medieninhalten und -Botschaften. Dabei wird man aber nicht nur passiv „berieselt“, sondern so erfolgt, wie bereits in Kapitel 2 be- schrieben, die Zuwendung zu Medien aktiv, um bestimmte Bedürfnisse zu stillen und Ent- wicklungsaufgaben zu erfüllen. Medien sind dabei ein so integrierter Bestandteil unserer Lebenswelt, dass die Partizipation und Teilhabe an der Gesellschaft nicht nurüber face- to-face Interaktionen, sondern auchüber Medien erfolgt. (Vgl. Hoffman 2011: 52) Medien- inhalten wird also nicht nur ein Nutzen, sondern auch ein individueller, persönlicher wie sozialer, Sinn beigemessen.
4.1. Sinnenhaftes Handeln nach Max Weber
Bereits Max Weber hat beschrieben, dass es die Aufgabe der verstehenden Soziologie ist, das soziale Handeln der Menschen zu verstehen, zu erklären und schließlich zu deu- ten. Er erklärt, dass Individuen ihr Handeln als sinnvoll, quasi selbstverständlich sehen, was auch das sinnvolle, zielgerichtete ‚Handeln‘ vom reinen ‚Verhalten‘ abgrenzt. Bereits jedes Handeln, selbst auf eine Sache bezogen, ist nach Max Weber bereits mit Sinn be- haftet, die soziale Ebene muss noch gar nicht gegeben sein. Aber ist diese soziale Ebene gegeben, wird Sinn auch auf das Verhalten des Gegenübers bezogen. So wird das Ver- halten anderer für das Individuum verstehbar. Außerdem ist sinnhaftes Handeln eines In- dividuum an dessen sozialem Umfeld orientiert. (Vgl. d’Ans/Bräuer/Schütz 1932: 12-17). Zusammenfassend haben Soziologen also schon früh erkannt, dass das Verstehen und die Sinndeutung von menschlichem Handeln zentrale Aufgabe der Soziologie ist. Bezo- gen auf das Medienhandeln von Menschen, also das sinnhafte Handeln gegenüber und mit Medien, und vor allem im Zusammenhang mit Fragen Medienaneignung und -nut- zung, ist es auch zentrale Aufgabe der Kommunikationswissenschaft zu verstehen, zu erklären und zu deuten.
Doch bereits Max Weber stellte sehr früh einige Problematik in der Erforschung des sin- nenhaften Handelns fest. Nämlich (vgl. ebd.):
- Was bedeutet die Aussage, der Handelnde verbindet mit seinem Handeln einen Sinn, konkret?
- Wie geschieht dieses Verliehen von Sinn? Nach welchen Kriterien ent- scheidet das Individuum, dass gewisse Dinge sinnvoll sind und andere nicht?
- In welcher Weise versteht das Ich (z.B. auch in der Rolle des Forschenden) fremdes verhaltenüberhaupt? Und kann man als außenstehendes Selbstüberhaupt den subjektiven Sinn einen Anderen verstehen?
Diese Fragen sollen im Laufe dieser Erläuterungen beantwortet werden.
4.2. Der subjektive Sinn und Handlungsleitenden Thema
Wie bereits Mehrfach erwähnt richten Subjekte ihr Handeln nach gewissen Regeln, Ab- sichten und versprechen sich einen gewissen Sinn in ihrem Handeln. Dieser subjektive Sinn ordnet Erlebnisse also sozusagen nach einem ‚Sinnschema‘ und leitet das aktive Handeln. Somit kommt es auch zu einer subjektiven Wahrnehmung zum Beispiel des Me- diengeschehens, wodurch den Inhalten eine spezifische Bedeutung zugewiesen wird. (Vgl. Bachmair 1994: 172)
„Aufgrund ihrer Lebensgeschichte und ihrer Ziele schaffen sich Menschen innerhalb der Sprache ihrer Kultur und innerhalb der aktuellen Situation jeweils ihren subjektivenSinn neu. Dieser subjektive Sinn ordnet die Erlebnisse und leitet das Handeln und damit auch die subjektive Wahrnehmung der Bilder im Fernsehen [bzw. der Medieninhalte im Allgemeinen]“ (Bachmair 1994: 172; M.H.)
Der subjektive Sinn wird in sozialer Interaktion aufgrund von Erfahrungen und individuelle Zielen ausgehandelt. Er ergibt sich aus der symbolischen Lebenswelt des Individuums und der sogenannten ‚handlungsleitenden Themen‘, welche wiederum individuell, gruppen- und alterspazifisch variieren. Bereits bei Kleinkindern beschreibt dies eine subjektive Eigenleistung. (Vgl. ebd.) Möchte man den Begriff der handlungsleitenden Themen definieren, sind folgenden Charakteristika zu nennen.
Handlungsleitende Themen: (vgl. Paus-Hasse 1998: 57ff.)
- sind individuell variierende, gruppen- und alterspazifische Themen, die das Handeln von Menschen sinnvoll leiten
- sind an Interessen, Vorlieben und persönlichen Zielen orientiert
- treffen auf symbolisches, kulturelles Material, z.B. Medieninhalte
- spielen in der Medienaneignung eine große Rolle und entscheiden wie Medieninhalte verarbeitet werden
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