Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung sind, so die naheliegende Annahme, aufgrund der heute viel besseren, vielfältigeren Möglichkeiten, dem überdimensionalen Informationsangebot des WorldWideWeb und den schnellen Kommunikationsmöglichkeiten von Mobiltelefonen, E-Mail und Online-Bewerbungen leichter zu bewältigen. Schulabgänger können auf deutlich mehr Ausbildungsmöglichkeiten und Alternativangebote als Moratorien zur Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes zurückgreifen.
Auch die Angebote, die eigenen Kompetenzen den Anforderungen des Marktes gerechter zu gestalten und sich noch vor Beginn der beruflichen Erstausbildung weiterzubilden scheinen in unüberschaubarer Zahl vorhanden zu sein. Doch warum befinden sich dann im Vergleich zu den 1960er Jahren viel weniger Schulabgänger in Ausbildung oder Beruf? Welche Bewältigungsherausforderungen beschäftigen die jungen Menschen und was ist für die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes auf Basis geeigneter beruflicher Orientierung hinderlich? Schulsozialarbeit arbeitet zeitlich und räumlich besonders nah an den Schülerinnen und Schülern des Übergangs. Welchen Aufgaben muss dort nachgegangen werden, um die Anschlussfähigkeit junger Menschen auch in besonderen Lebenssituationen zu gewährleisten?
In der vorliegenden Ausarbeitung soll einerseits die Problematik heutiger Übergangssituationen beleuchtet, das Aufgabenfeld der Schulsozialarbeit geklärt und im Besonderen die Soziale Gruppenarbeit als Werkzeug in der Begleitung von Schülerinnen und Schülern im Übergang mit seinen Vor- und Nachteilen überprüft werden.
Inhalt
2 Einleitung
3 Übergänge
3.1 Übergangssituation Schule – Beruf
3.2 Akteure
3.3 Phasen der Berufswahl
3.4 Anforderungen an die und Aufgaben der Schulsozialarbeit
4 Soziale Gruppenarbeit
5 Möglichkeiten, Risiken und Grenzen
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
2 Einleitung
Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung sind, so die naheliegende Annahme, aufgrund der heute viel besseren, vielfältigeren Möglichkeiten, dem überdimensionalen Informationsangebot des WorldWideWeb und den schnellen Kommunikationsmöglichkeiten von Mobiltelefonen, E-Mail und Online-Bewerbungen leichter zu bewältigen. Schulabgänger können auf deutlich mehr Ausbildungsmöglichkeiten und Alternativangebote als Moratorien zur Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes zurückgreifen. Auch die Angebote, die eigenen Kompetenzen den Anforderungen des Marktes gerechter zu gestalten und sich noch vor Beginn der beruflichen Erstausbildung weiterzubilden scheinen in unüberschaubarer Zahl vorhanden zu sein. Doch warum befinden sich dann im Vergleich zu den 1960er Jahren viel weniger Schulabgänger in Ausbildung oder Beruf? (vgl. Münchmeier 2008, S. 20) Welche Bewältigungsherausforderungen beschäftigen die jungen Menschen und was ist für die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes auf Basis geeigneter beruflicher Orientierung hinderlich? Schulsozialarbeit arbeitet zeitlich und räumlich besonders nah an den Schülerinnen und Schülern des Übergangs. Welchen Aufgaben muss dort nachgegangen werden, um die Anschlussfähigkeit junger Menschen auch in besonderen Lebenssituationen zu gewährleisten?
In der vorliegenden Ausarbeitung soll einerseits die Problematik heutiger Übergangssituationen beleuchtet, das Aufgabenfeld der Schulsozialarbeit geklärt und im Besonderen die Soziale Gruppenarbeit als Werkzeug in der Begleitung von Schülerinnen und Schülern im Übergang mit seinen Vor- und Nachteilen überprüft werden.
3 Übergänge
Die Sozialisations- und Bildungsforschung betrachtete bislang vorrangig institutionalisierte Lebensphasen – Statuspassagen – die Menschen erreichten und sich auf eine folgende Phase vorbereiteten. Das Verschwinden des Normalarbeitsverhältnisses und demzufolge auch eines vor allem durch Erwerbsarbeitsphasen strukturierten Lebenslaufs hat – nicht als einziger Auslöser, aber als auswirkungsstarke Veränderung - die bisher eher starr institutionalisierte Abfolge der Lebensalter aufgelöst. Die Lebensalter beschreibt Böhnisch (vgl. 2017, S. 277–279) heute daher als entgrenzt. Den flexiblen Übergängen kommt daher nun größere Bedeutung zu und so rücken dynamische Biografien in den Fokus der Forschung. Diese subjektiv kritischen Lebensereignisse der Übergänge, seien sie nun eher entwicklungs- oder institutionsbezogen initiiert, bilden Bewältigungsherausforderungen als eine Phase der Unsicherheit und Vulnerabilität. Individuen und ihre Lebensentwürfe genauso wie eine gesellschaftliche Ordnung können ins Wanken geraten, wenn die damit einhergehenden Selbstwert- und Anerkennungsprobleme nicht bewältigt werden können (vgl. 2017, S. 278). Die vorliegende Arbeit fokussiert nunmehr die Bewältigungsherausforderung der jungen Erwachsenen an ihrem Übergang von der Schule in den Beruf.
3.1 Übergangssituation Schule – Beruf
In der Biografie der Menschen sind Kindheit und Jugendphase mit einer Häufung an Übergangssituationen gespickt, welche teils formal initiiert und teils auf die Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter zurückzuführen sind (Reißig 2016, S. 12). Ein formaler Übergang von zentraler Bedeutung ist der Übertritt von der Schule in den Beruf, dessen gelingen, Reißig zufolge, entscheidenden Einfluss auf viele weitere Lebensbereiche und Chancen junger Menschen hat, so zum Beispiel auf die Ablösung vom Elternhaus oder Zeitpunkt und Umfang von finanzieller Selbständigkeit (ebd., S. 13). Korrekterweise muss erwähnt werden, dass bereits beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I wichtige Vorentscheidungen im Hinblick auf die späteren beruflichen Optionen gefällt werden, wenngleich sich dieser Übergang größerer Einflussnahme durch die Kinder bzw. ihrer Familien in weiten Teilen entzieht und eine bedeutende Steuerung der Institution Grundschule zukommt (vgl. Neuenschwander et al. 2012, S. 135).
Eben diese Übergangssituation hat sich in den vergangenen Jahrzehnten noch einmal stark verändert. Während sich in den 1960er Jahren noch etwa 80 % der jungen Menschen zwischen 16 und 20 Jahren in Ausbildungs- oder Erwerbsarbeit befunden haben, sind es nach einer Grafik von Münchmaier (2008, S. 20) im Jahr 2006 nur noch 30 %. 70 % dieser jungen Menschen befinden sich nach wie vor im Bildungssystem, während es noch etwa 40 Jahre zuvor nur 20 % waren. Der Übertritt in die Erwerbsarbeit findet demnach deutlich später statt – die Phase der Adoleszenz hält länger an. Ablösungs- und Reifeprozesse verschieben sich in der Biografie immer weiter nach hinten und die Grenzen der Entwicklungsphasen verschwimmen mit dem Verbleib im Schulsystem zusehends (Reißig 2016, S. 12). Darüber hinaus befinden sich ca. 50 % der 18- bis 25-Jährigen West- und Mitteleuropas noch oder wieder in Ausbildung oder Umschulung oder sie haben noch keine feste Arbeit. Diese unsicheren, teils prekären Situationen fragmentieren Übergänge in flexible Teilübergänge in Bezug auf Familie, Partnerschaft, Wohnverhältnisse, Selbständigkeit und Lebensstil, welche nun innerhalb einer eigenen Logik und nach eigenen Rhythmus unabhängig von einer automatischen Folge durch beruflichen Übergang vollzogen werden (vgl. Böhnisch 2017, S. 280 f.).
Während die Anforderungen an Bildung und Ausbildung stark gestiegen sind, steigt die Investitionsbereitschaft der jungen Menschen und ihren Familien in Bildung, obwohl es heute deutlich schwieriger geworden ist, den späteren Ertrag einer Bildungsinvestition zuverlässig vorauszusagen (Reißig 2016, S. 14). Reißig beschreibt die weiteren Wege in die Erwerbsarbeit für die Jugendlichen als unübersichtlich und - ebenso wie Böhnisch (vgl. 2017, S. 277) – als entgrenzt, weil Arbeits-, Studiums- und Ausbildungszeiten bisweilen ineinandergreifen und die traditionelle Reihenfolge Schule à Ausbildung à Erwerbsarbeit flexibler geworden ist (ebd., S. 14). Besonders dieser Umstand nimmt der Berufswahl die bislang identitätsstiftende Wirkung. Unsicherheiten bezüglich der Abläufe, sowie der Bildungs- und Berufschancen gehören nunmehr zur Realität der jungen Menschen, was den Druck auf deren Entscheidungen und in Richtung effizienter Vorgehensweisen deutlich erhöht. Vor allem junge Männer leiden vermehrt unter dem Druck der strukturellen Ungewissheit (vgl. Böhnisch 2017, S. 283). Ein Entwicklungsaufschub zugunsten von Erprobungs- und Findungsphasen oder einem Ausprobieren, scheint aufgrund der straffen Rahmenbedingungen nicht mehr gegeben zu sein – einerseits. (Reißig 2016, S. 14).
Andererseits sind auch neue Optionen hinzugekommen, die den vorhergehenden Generationen noch nicht zur Verfügung gestanden haben. Zeiten im Bundesfreiwilligendienst, Work & Travel- oder Backpacking-Angebote bieten Auszeiten, um nach der Schule unterschiedliche Tätigkeitsfelder kennen zu lernen, weitere Kompetenzen zu erlangen und Erfahrungen zu sammeln, bevor Entscheidungen über den weiteren Werdegang getroffen werden, so Reißig (2016, S. 14). Diese Entwicklungsmöglichkeiten stehen Reißig zufolge aber nur Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit guter Ressourcenausstattung zur Verfügung. Ohne diese Ausstattung birgt der erweiterte Möglichkeitsraum Risiken – vor allem für junge Menschen gänzlich ohne oder mit Hauptschulabschluss (Reißig 2016, S. 15).
Aktuelle Forschungsbefunde zu den Übergängen an der ersten Schwelle (Schule à Ausbildung) machen deutlich, dass die tradierte Vorstellung vom direkten Übergang von Schule in die Berufsausbildung in Teilen überholt und nicht für alle Jugendlichen realisierbar ist (Reißig 2016, S. 16). Viele Jugendliche nehmen nach dem allgemeinbildenden Abschluss Zeiten im sog. Übergangssystem[i] wahr. Ca. 30 % der Realschul- und ca. 40 % der Hauptschulabsolventen gelingt der Direkteinstieg in Ausbildung nicht (Reißig 2016, S. 17). (Die Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt hängen noch immer stark von formalen Voraussetzungen – so z. B. Schulabschlüssen ab (ebd. S. 15).) Fehlende Direkteinstiegsmöglichkeiten bzw. das Erreichen der unterschiedlichen Schulabschlüsse scheinen Untersuchungen zufolge eine Korrelation zur sozialen Herkunft zu haben (Maaz et al. 2010, S. 71).
Betrachtet man diese Zwischenepisoden im Übergang von Schule in die Berufsausbildung, kann festgestellt werden, dass ihr eine besondere Bedeutung zukommt, denn Schülerinnen und Schüler aus einem Elternhaus mit niedrigerem Bildungsniveau legen eher „Zwangspausen“ in Form von Arbeitslosigkeit, Berufsvorbereitung oder Maßnahmen der Beschäftigung ein, während Jugendliche und junge Erwachsene aus Akademikerhaushalten Zeitspannen einräumen, die dem Kompetenzerwerb, der persönlichen oder beruflichen Entwicklung oder anderer Bildungsinvestitionen dienen. Diese hängen aber stark von finanziellen und nichtmateriellen Ressourcen des Elternhauses ab (Reißig 2016, S. 17 f.). Chancen durch die Erprobung neuer Lebensstile und Risiken der Desintegration liegen demnach eng beieinander und lassen sich nach Ressourcen klassifizierten Schichten relativ eindeutig zuordnen (vgl. Böhnisch 2017, S. 282).
Reißig betrachtet im Speziellen noch einmal die Übergangssituation der Hauptschulabsolventen, welche demoralisiert von gescheiterten Bewerbungen, ihr größtenteils erstes Ziel – in Ausbildung zu kommen – kurz vor Ende der Schulzeit ablegen und für sich als neues Ziel definieren, einen weiteren Schulbesuch anzustreben, womit sich dieser weitere Schulbesuch (z. B. ein Realschulzweig oder eine Schulform des Überganssystems) zu einer der wichtigsten Anschlussoptionen entwickelt (2016, S. 21). Auch Bennewitz (vgl. 2015, S. 19 f.) attestiert Hauptschulabsolventen vor dem Übergang besonderen Begleitungsbedarf in Form einer „Berufseinstiegsbegleitung nach § 49 SGB III“, wenngleich er bemängelt, dass es nach wie vor keine einheitliche Definition von „Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf“ gibt – die diese Förderung erhalten können. Er fasst jedoch vier Benachteiligungsdimensionen zusammen, die sich in der gegenwärtigen Forschungsliteratur häufen: Soziale Benachteiligung (z. B. aufgrund schulischer Vorbildung (Hauptschulabschluss) und sozialer Herkunft), Lernbeeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Labilität, Ängste, Aggression, Kontaktstörungen,…) und Marktbenachteiligungen vor allem aufgrund fehlender Ausbildungsplätze oder zu hoher Anforderungen solcher in Relation zu den Schulabschlüssen bzw. dem Leistungsvermögen der Jugendlichen (vgl. Bennewitz 2015, S. 19), was die zuvor beschriebenen Thesen Reißigs unterstreicht.
Folgt man nun den Annahmen Reißigs, dass sich die Angebots- und Nachfrageverhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt hin zu geringerer Passung entwickelt haben, kommt der Berufsorientierung junger Menschen wachsende Bedeutung zu – auch zu erkennen an den verstärkten Initiativen, die darauf abzielen, Schülerinnen und Schüler „an die Arbeitswelt heranzuführen und sie auf die Anforderungen der Berufsausbildung [ … ] vorbereiten zu wollen“ (Reißig 2016, S. 25). In dieselbe Richtung zielt auch die „Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2008), welche die „Verbesserung des Übergangs in die Berufsausbildung“ anstrebt und verbindliche Maßnahmen gemeinsam mit Partnern der Schulen einfordert, so z. B. mit Eltern, Schulträgern, [ … ] den Agenturen für Arbeit und der Jugendhilfe. Ein Subziel ist die „Erweiterung des Berufswahlspektrums [ … ], eine vertiefte Berufsorientierung“ für einige Zielgruppen und die Förderung lokaler Partnerschaftsnetzwerke (Reißig 2016, S. 25).
Hieraus leitet Reißig zwei Handlungsstränge bei der Umsetzung von Berufsorientierungsprozessen ab, welche sie wie folgt beschreibt: Einerseits geht es konkret darum Ansätze zu konzipieren, durch die Schülerinnen und Schüler eine gute berufliche Orientierung erlangen können und andererseits darum, auf struktureller Ebene die Abstimmung der Beteiligten zu optimieren, um Maßnahmen des Übergangsmanagements besser zu koordinieren (Reißig 2016, S. 25 f.), wobei sich die vorliegende Arbeit mit der Fragestellung von Sozialer Gruppenarbeit als Beitrag zum Übergangsmanagement befasst und die Maßnahmen der Netzwerkarbeit daher vernachlässigt werden (müssen).
Insgesamt zeigt Reißig in ihrem recht aktuellen Beitrag von 2016 auf, dass die Adoleszenz ohnehin von Übergängen geprägt ist, welche die jungen Menschen beschäftigen und dass speziell der Übergang von Schule in die Berufsausbildung aus unterschiedlichen Gründen variabler und auch unsicherer geworden ist (Reißig 2016, S. 27). Während Jugendliche mit guter finanzieller und nichtmaterieller Ausstattung viele Optionen haben und Alternativpläne zur Optimierung ihrer Arbeitsmarktposition nutzen, geraten junge Menschen ohne oder mit schlechterer Ressourcenausstattung unter großem Druck und sehen sich einem größeren Risiko des Scheiterns ausgesetzt (vgl. Böhnisch 2017, S. 282 f.). Besonders einem großen Teil der Hauptschulabsolventen gelingt der Anschluss an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt über Jahre hinweg nicht (Reißig 2016, S. 28). Wenige oder keine Vorstellungen von Bildungs- und Ausbildungswegen, sowie unscharfe eigene berufliche Pläne verstärken die ungünstige Position dieser jungen Menschen (ebd.) und zeigen einen großen Bedarf an professionellen Ressourcen auf, die die jungen Menschen bei der Selbstexploration, der Berufserkundung, bei der Suche nach Praktika oder sog. Schnuppertagen begleiten und unterstützen (vgl. Neuenschwander et al. 2012, S. 186 f.).
Die Erkenntnisse Reißigs (vgl. 2016, S. 28) und Bennewitz‘ (vgl. 2015, S. 18 f.) bestärken die These, dass „rechtzeitige[r] und qualitativ gute[r] berufliche[r] Orientierung“ – z. B. mit Beteiligung der Jugend- bzw. Schulsozialarbeit als Partner im Netzwerk der Bildungsinitiative – ein aktuell wichtiger Baustein ist. Neben der traditionellen Berufsberatung entfalten aber auch Maßnahmen für Jugendliche in besonderen Risikosituationen wie Coaching- oder Mentoringprogramme für individualisierte Unterstützung bei niederschwelligem Zugang ihre Wirkung. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse, kommt diesen eine spezielle Bedeutung zu (vgl. Neuenschwander et al. 2012, S. 187). Zusammenfassend erscheint die Übergangsgestaltung Schule – Beruf als bildungspolitische und pädagogische Herausforderung, die unterschiedliche Akteure an einem Tisch versammelt und den Anspruch erhebt, das bisherige Übergangssystem, welches sich als ineffektiv und ineffizient erwiesen hat, in seiner Komplexität und den pädagogischen Anforderungen zu überdenken (vgl. Bylinski 2014, S. 15 f.).
3.2 Akteure
Im Umfeld der Übergangssysteme zeigen sich vier Berufsgruppen als maßgeblich involviert, so zunächst die Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen (weil sie a) in Schulklassen des Übergangssystems oder b) als Berufsschullehrer in Ausbildungsklassen arbeiten ), Ausbilderinnen und Ausbilder bzw. ausbildende Betriebe, sowie sozialpädagogische Fachkräfte, die sowohl in der freien Jugendarbeit als auch – und darauf soll der Schwerpunkt der Ausarbeitung liegen – in der Schulsozialarbeit[ii] tätig sind (vgl. Bylinski 2014, S. 23 ff.).
Als Schulsozialarbeit beschreiben Spies/Pötter Angebote von sozialpädagogischen Fachkräften, die im Kontext [ … ] schulstruktureller Bedingungen erfolgen (Spies und Pötter 2011, S. 20) und bestenfalls eine Synthese zweier Systeme (System Schule und System Schulsozialarbeit) darstellen. Hierbei spielt eine gute Kooperation zwischen den sozialpädagogischen und schulpädagogischen Fachkräften eine besondere Rolle, die die wechselseitig unterschiedlichen Perspektiven und Aufgaben respektieren und akzeptieren (Spies und Pötter 2011, S. 20). Schulsozialarbeit stellt unter dieser Betrachtungsweise einen „integrierten Bestandteil“ des Bildungs- und Erziehungssystems dar, welcher die Kollision lebensweltlicher Bedingungen von Kindern und Jugendlichen und die Bedingungen gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion im Kontext Schule fokussiert, wobei die Zielsetzung der Jugendhilfe zu berücksichtigen ist (Spies und Pötter 2011, S. 21). Ein besonderes Augenmerk soll darauf liegen, falls es zu Blockaden zwischen den Lebensbereichen mit wesentlicher Auswirkung auf Inklusionschancen oder lebensweltliche Ressourcen kommt, Anschlussfähigkeit sicher zu stellen (ebd.).
Spies/Pötter erläutern, dass Schulsozialarbeit keine Chancengleichheit garantieren, aber mit Methoden und Ansätzen der Sozialen Arbeit dazu beitragen kann, das Exklusionsrisiko zu minimieren, wobei der Leitgedanke “die Bildungsbeteiligung aller [ … ]“ ist (Spies und Pötter 2011, S. 21).
3.3 Phasen der Berufswahl
Die professionellen Akteure der Schulsozialarbeit finden junge Menschen im Übergang Schule – Beruf je nach individuellem Entwicklungsfortschritt in einer der folgend beschriebenen Phasen vor:
1. Diffuse Berufsorientierung (Träumen, Erwägen und Verwerfen von Berufswünschen, allgemeines Entdecken von allen möglichen Berufen, am Ende wird i. d. R. ein Berufsfeld fokussiert.)
2. Konkretisierung des Berufswunsches (Im gewählten Berufsfeld werden realistische, konkrete Berufswünsche entwickelt, das Berufswissen wird konkreter, ein Beruf wird fokussiert.)
3. Suche nach einem Ausbildungsplatz (Ein/e Ausbildungsplatz/-schule werden gesucht, Bewerbungsverfahren werden durchlaufen, die Auseinandersetzung fokussierte den exakten Betrieb, bestenfalls endet die Phase mit dem Abschluss eines Ausbildungsvertrags.)
4. Konsolidierung der Berufswahl (Die Entscheidung wird gefestigt, das Ende der Schulzeit wird abgewartet, Identifikation mit dem Beruf/dem Ausbildungsbetrieb beginnt.)
(Danach folgen: 5. Berufsausbildung und 6. Eintritt ins Erwerbsleben, währenddem die Schulsozialarbeit nur noch wenig bis keinen professionellen Kontakt zu den jungen Menschen hat.)
In diesen Phasen sehen sich die jungen Menschen Risiken bzw. Herausforderungen gegenüber. So stimmt das eigene Tempo, mit dem der Berufswahlprozess durchlaufen werden kann, häufig nicht mit den institutionell vorgegebenen Zeitpunkten überein, an denen diese Prozesse abgeschlossen sein müssen. Gleichzeitig fällen die jungen Menschen Entscheidungen auf Basis einer unvollständigen Informationslage, weil schon systematisch bedingt nicht alle beruflichen Optionen Ausbildungsmöglichkeiten bekannt sind oder geklärt werden konnten. Restriktionen institutionaller Natur (Schulabschlussniveau vs. Wunschberuf) schränken die Wahloptionen ein und können unter Umständen dazu führen, dass besondere Interessenslagen oder Talente nicht berücksichtigt werden können und Berufe gewählt werden müssen, die eben erreichbar sind. Zusätzlich können Ängste vor den neuen Herausforderungen, dem Leistungsdruck, den längeren Arbeitszeiten und dem Verlust vor Freundschaften und gewohnter sicherer Umgebung auftreten (vgl. Neuenschwander et al. 2012, S. 58 f.). Diese Risiken und Herausforderungen bilden gleichermaßen Herausforderungen für die Sozial Arbeitenden.
3.4 Anforderungen an die und Aufgaben der Schulsozialarbeit
Nicole Pötter (2014) konkretisiert die Aufträge der Schulsozialarbeit, die Spies und Pötter beschrieben haben, noch einmal und definiert Aufgaben, wobei der Fokus vorliegender Ausarbeitung auf den Aufgaben zur beruflichen Orientierung und dem Übergangsmanagement liegt. Dies ist dem Umfang der Arbeit und der zugrundeliegenden Fragestellung geschuldet und bedingt die Vernachlässigung anderer schul-sozialarbeiterischer Aspekte.
So umfasst das gesamte Aufgabenspektrum am Übergang Schule-Beruf nach Pötter (2014, S. 21) zunächst:
ÄHinwirkung auf die Erlangung psychosozialer Kompetenzen (Teamfähigkeit, …)
ÄInformation über Berufsfelder und -bilder
ÄStärkung der Reflexion von Selbst- und Fremdwahrnehmung
ÄGewinnung regionaler Betriebe für Kooperationen
ÄZusammenarbeit mit Eltern und ihre Motivation
Vor dem Hintergrund dieser Aufgabenvielfalt wird klar, dass daran die genannten Akteure alle gemeinsam mitwirken (müssen), z. B. Lehrkräfte, Berufsberater, Sozialarbeiter, Ausbildungsbetriebe…), die heute von noch mehr Personen unterstützt, in Teilen sogar ersetzt oder ergänzt werden. Job-Coaches, Jugendberufslotsen u. v. a. m. beteiligen sich am Übergangsmanagement. Doch die Schulsozialarbeit kann und darf – vielleicht als einzige Gruppe – ganzheitlich arbeiten und die Lebenswelt der jungen Menschen in den Blick nehmen (Pötter 2014, S. 21). Deutlich wird Pötter zufolge, dass Schulsozialarbeit den Übergang Schule – Beruf in jedem Fall als zentrale Aufgabe wahrnehmen muss, wenn sie lebensweltlich orientiert agiert, denn für die Schülerinnen und Schüler ist die Bewältigung dieses Übergangs erster Schwelle ein „zentrales Lebensthema“ (Pötter 2014, S. 22).
Berufliche Orientierung. Aufgabe der Schulsozialarbeit im Rahmen beruflicher Orientierung und Entscheidungsfindung ist es, die jungen Erwachsenen dabei zu unterstützen eine berufliche Identität zu entwickeln – ein berufliches Selbstkonzept (Pötter 2014, S. 24). So kann berufliche Orientierung auch als ein Prozess beschrieben werden, bei dem Interessen, Wünsche, Fertigkeiten und Kenntnisse des Einzelnen mit den Bedarfen und Anforderungen der Arbeit- und Berufswelt abgestimmt werden und zuvor eine Annäherung an beide Bereiche unterstützt wird (Pötter 2014, S. 29). Dieser Prozess gehört zu den originären Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz, ist aber gleichzeitig auch Aufgabe einer Gesellschaft. Diese Orientierung ist kein klar begrenzbares „Projekt“, sondern vielmehr eine vor allem durch das soziale Umfeld beeinflusste Entwicklung, anhand von Erfahrungen und Einflüssen der individuellen Lebenswelt (ebd.). Damit die jungen Menschen auf Basis Ihrer Erfahrungen reflektieren und ihren Selbstfindungsprozess erfolgreich durchlaufen können, bedarf es – wie schon einmal beschrieben – personale und psychosoziale Kompetenzen, deren Entwicklung es zu unterstützen gilt (Pötter 2014, S. 29). Weiterhin stellt Pötter heraus, dass Schulsozialarbeit auch eine edukative Aufgabe hat, nämlich die der Information über alternative Zukunftsperspektiven, weitere Bildungswege, Berufsbilder und Anforderungen, sowie formale Voraussetzungen, um die Handlungsspielräume der jungen Menschen zu erweitern. Ergänzt wird der edukative Teil durch die notwendige Unterstützung bei der Reflexion von Handlungsalternativen (Pötter 2014, S. 33). So schließt sich die Aufgabe an, die Jugendlichen beim Umgang mit gescheiterten Wünschen und Vorstellungen zu unterstützen (Pötter 2014, S. 33). Nicht zuletzt kann es auch eine wichtige Aufgaben schul-sozialarbeiterischen Handelns sein, bei der Entwicklung von alternativen zu einem Selbstkonzept zu unterstützen, welches nicht (ausschließlich) auf Lohnarbeit ausgerichtet, also erwerbszentriert sind (Pötter 2014, S. 33).
Übergangsmanagement. Während die Aufgaben der Schulsozialarbeit bei der beruflichen Orientierung bereits früh verankert sind und den Schülerinnen und Schülern dabei helfen sollen, ihre Startposition zu verbessern, greifen die Maßnahmen und Aufgaben des Übergangsmanagements erst etwa ein Jahr vor verlassen der allgemeinbildenden Schule. Die konkrete Anschlussperspektive ist Dreh- und Angelpunkt des Übergangsmanagements, während die berufliche Orientierung im optimalen Fall bereits Vorarbeit geleistet hat (Pötter 2014, S. 34). Praktisch kann Schulsozialarbeit in diesem Zusammenhang selbst intensive Beratung für Schülerinnen und Schüler anbieten, die voraussichtlich Schwierigkeiten mit dem Übergang in die Ausbildung haben werden, oder diese in angemessene Begleitung überführen, wenn es weitere Hilfsangebote gibt, auf die zurückgegriffen werden kann oder soll (Pötter 2014, S. 36).
4 Soziale Gruppenarbeit
Die soziale Gruppenarbeit gilt neben der Einzelfallhilfe und der Gemeinwesenarbeit als eine der drei klassischen Säulen der Sozialen Arbeit. Die Aufwertung des Berufes „Wohlfahrtspfleger/in“ hin zum „Sozialarbeiter/der Sozialarbeiterin“ ab dem Ende der 1950er Jahre, die Verlängerung der Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre, sowie die Verlegung von den Fachschulen an die Höheren Fachschulen brachte eine Erweiterung der Lerninhalte mit sich, wobei die Methodenlehre zum zentralen Fach aufstieg. Mit der Einführung der Fachhochschulen in den 1970er Jahren, die die wissenschaftlich-theoretische Ausbildung aufwerteten, kam es jedoch zu einem massiven Bedeutungsverlust der Sozialen Gruppenarbeit. Erst seit der Einführung der Sozialen Gruppenarbeit im § 29 des SGB VIII lässt sich von einer vorsichtigen Renaissance sprechen, die im Fahrtwind der Erlebnispädagogik nun beschleunigt wird (vgl. Behnisch et al. 2013, S. 69 ff.). Heute findet sich die soziale Gruppenarbeit maßgeblich in zwei Ausprägungen, einer therapeutisch orientierten Sozialen Gruppenarbeit (z. B. in der Arbeit mit Suchterkrankten, in der Bewährungshilfe, …) und einer nicht-defizit-orientierten Sozialen Gruppenarbeit (z. B. in der freien Jugendarbeit, Freizeitpädagogik, Erwachsenenbildung,…), die für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit als zu überprüfende Ausprägung für die beschriebene Zielgruppe und das Handlungsfeld herangezogen wird.
Soziale Gruppe. Schulklassen oder Schülergruppen im Übergang Schule – Beruf lassen sich gemäßder Definition nach Behnisch et al. (vgl. 2013, S. 13 f.) als Soziale Gruppe und damit als Adressaten der Sozialen Gruppenarbeit definieren:
1. Die jungen Menschen erleben sich als zusammengehörig und definieren sich auch so.
2. Sie streben gemeinsame Ziele an und werden an gemeinsamen Aufgaben tätig.
3. Sie teilen Normen und Verhaltensvorschriften eines bestimmten Bereichs (hier Schule).
4. Sie entwickeln Ansätze von Rollendifferenzierung und Aufgabenteilung.
5. Sie interagieren mehr untereinander als nach außen hin.
6. Sie identifizieren sich mit einer gemeinsamen Bezugsperson (Klassenlehrer/in, Sozialarbeiter/in), einer gemeinsamen Aufgabe oder einem Sachverhalt.
7. Sie unterscheiden sich räumlich und/oder zeitlich von anderen Individuen der weiteren Umgebung.
Soziale Gruppen unterliegen in ihrem Verhalten beschreibbaren Phasen, die der Sozial Arbeitende kennen und mit denen er umgehen können muss. In der Literatur findet sich zunächst klassischer Weise das verhältnismäßig starre Gruppenphasenmodell nach Tuckmann, welches die 5 Phasen: Forming, Stormin, Norming, Performing, Adjourning umfasst (vgl. Schmidt-Grunert 2009, S. 171 ff.). Daneben bietet Hartley ein Phasenmodell für Gruppen, welches er als dynamisch beschreibt und in welchem die Phasen nicht in festgelegter Reihenfolge ablaufen, sondern es vielmehr gewöhnlich ist, dass sie ineinander verlaufen, es Überschneidungen und Wiederholungen gibt, oder einzelne Phasen nie ganz abgeschlossen werden. Als Erklärungsmodell erscheint es mir für sehr dynamische Klassenstrukturen daher besser geeignet (vgl. Metzinger 2010, S. 47 f.).
Gruppenphasen nach Hartley (vgl. Metzinger 2010, S. 48):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Welche Rollen in Phase 7 nach Hartleys Gruppenphasenmodell existieren und eingenommen werden, hängt dann maßgeblich davon ab, welche individuellen Eigenarten und Persönlichkeitsmerkmale ein Gruppenmitglied mitbringt und welche Erwartungshaltung die Gruppe insgesamt erkennen lässt (vgl. Metzinger 2010, S. 33). So finden sich zunächst Aufgabenrollen (wie Ermutigung, Koordination, Informationen oder Meinung geben oder Zusammenfassen). Daneben werden Erhaltungs- und Aufbaurollen besetzt (wie Auswerten, Vermitteln, Diagnostizieren, Spannung vermindern usw). ebenso wie dysfunktionale Rollen (Blockieren, Clownerie, Rückzug) (vgl. Metzinger 2010, 34 ff.), deren Ausleben Auswirkungen auf das Gruppengeschehen und Einzelne haben kann.
[...]
[i] Übergangssystem: Der nationale Bildungsbericht definiert das Übergangssystem als alle Maßnahmen und Bildungsgänge, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung anzusiedeln sind. Zum Beispiel die Berufsfachschulen (ohne Berufsabschluss) und alle berufsvorbereitenden Bildungsgänge.
[ii] Losgelöst von der Begriffsdiskussion (Spies und Pötter 2011, S. 13) ist mit „ Schulsozialarbeit “ in vorliegender Hausarbeit immer die Arbeit von Sozialarbeitern/-innen und Sozialpädagogen/-innen am Standort der Schulen (allgemeinbildende wie berufsbildende) gemeint.