Mit dieser Arbeit möchte ich in erster Linie auf die Veränderung der Heimerziehung in Deutschland eingehen, besonders auf den Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auf die Etablierung neuer sozialpädagogischer Ansätze. Zunächst ist jedoch zu klären, was allgemein die Aufgaben von sozialen Organisationen sind und inwieweit dies auf das Konzept der Heimerziehung zutrifft.
Heimerziehung ist eine der ältesten Formen der sozialen Einrichtungen. Auch heute ist sie ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und des Sozialsystems. Kinderheime sollen benachteiligte Kinder in die Gemeinschaft integrieren und sie aktiv mit Hilfe von pädagogischen Methoden bei ihrer Entwicklung unterstützen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Management sozialer Einrichtung Begriffsbestimmung
1.2 Sozialmanagement in der Kinder- und Jugendhilfe
2. Geschichte der Heimerziehung in Deutschland
2.1 Entstehung der ersten Waisenhäuser
2.2 Erziehung in der Weimarer Republik
2.3 Erziehung während des Dritten Reiches
2.4 Heimerziehungen nach 1945
3. Wandel der Sozialpädagogik
3.1 Ausbau des Pflegekinderwesens
4. Aufbau und Struktur der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland heute
4.1 Schutzauftrag des Jugendamtes
4.2 Weitere rechtliche Bestimmungen der Kinder- und Jugendhilfe
5. Heimerziehung heute
5.1 Definition Heimerziehung
5.2 Adressaten - Welche Kinder kommen heute ins Heim?
5.3 Formen der Heimerziehung
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Heimerziehung ist eines der ältesten Formen der sozialen Einrichtungen. Auch heute ist es ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und des Sozialsystems. Kinderheime sollen benachteiligte Kinder in die Gemeinschaft integrieren und sie aktiv mit Hilfe von pädagogischen Methoden bei ihrer Entwicklung unterstützen. Mit dieser Arbeit möchte ich in erster Linie auf die Veränderung der Heimerziehung in Deutschland eingehen, besonders auf den Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auf die Etablierung neuer sozialpädagogischer Ansätze. Zunächst ist jedoch zu klären, was allgemein die Aufgaben von sozialen Organisationen sind und inwieweit dies auf das Konzept der Heimerziehung zutrifft.
1.1 Management sozialer Einrichtung Begriffsbestimmung
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 Abs. 1 GG ein sozialer und demokratischer Sozialstaat und nach Art. 28 Abs. 1 GG ein sozialer und demokratischer Bundesstaat. Staatsziel ist die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit. „ Ziel des Sozialsystems ist es, vorhandene, aber auch laufend neu entstehende soziale Benachteiligung in einem gesellschaftlich und politisch festgelegten Rahmen auszugleichen. “[1]
Aus diesem Grund wurden in Deutschland Einrichtungen der Sozialen Arbeit gegründet, die, je nach Tätigkeitsbereich, bestimmte Dienstleistungen im Sinne des Sozialsystems anbieten.
Fachgerechtes Handeln in der Sozialen Arbeit findet immer in Organisationen statt. Organisationen sind „ von Menschen geschaffene und durch deren Handlung aufrecht erhaltene soziale Gebilde“[2], die aufgrund kontinuierlicher Vorgänge eine Leistung entrichten.
Gegenüber diesen „sozialen Gebilden“ herrscht eine gewisse Erwartungshaltung, die es gilt zu erfüllen. Um eine Organisation produktiv führen zu können, braucht man Fachkräfte, die den Anforderungen gerecht werden. Von ihnen wird ein besonderer Beitrag erwartet, der der Zielerreichung der Organisationen zugutekommt. Deshalb sorgen Einrichtungen für eine effektive Steigerung von Qualifikation und Motivation ihres Personals, indem Regeln festgesetzt werden, die ein angemessenes Arbeiten der Fachkräfte gewährleisten sollen. Organisationen der Sozialen Arbeit müssen sich zudem angemessen weiterentwickeln.
Sie müssen Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die einerseits dem gesellschaftlichen Wandel gerecht werden und andererseits den Rahmenbedingungen eines modernen Managements entsprechen. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, damit die Einrichtung leistungsfähig werden und bleiben kann.
Damit Organisationen der Sozialen Arbeit ihre Ziele optimal und im vollen Umfang erreichen können, benötigen sie Hilfe. Hier kommt der Ausdruck „Sozialmanagement“ zum Einsatz. Es dient in erster Linie der Aufrechterhaltung und Sicherung der Existenzgrundlage einer Einrichtung. Management fördert die Gestaltung von Organisationen und nimmt außerdem einen unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen, Strukturen und Abläufe in Einrichtungen der Sozialen Arbeit. Es zielt also darauf ab „ die spezifischen Ressourcen einer bestimmten Organisation in optimaler Weise so zu steuern, dass die spezifischen Ziele der Organisation möglichst weitgehend erreicht werden. “[3]
Management betrachtet Einrichtung der Sozialen Arbeit als ein „Betrieb“. Ziele sind immer sachlicher und wirtschaftlicher Art, da sie nur realisiert werden können, wenn Organisationen eine betriebliche Existenzgrundlage schaffen. Infolgedessen müssen bestimmte finanzielle, sachliche und personelle Ressourcen zur Zweckerfüllung zielgerichtet und wirtschaftlich eingesetzt werden.
1.2 Sozialmanagement in der Kinder- und Jugendhilfe
Management in einer sozialen Einrichtung schafft entsprechende Rahmenbedingungen, zur Unterstützung, Förderung und Verwirklichung einer professionellen Arbeit. „ Kinder- und Jugendhilfe vollzieht sich in Organisationen, die sich an veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen sowie an dem sich dynamisch entwickelnden Unterstützungsbedarf der Adressaten orientieren müssen.“[4] Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind „offene Systeme“. Ein Grundrezept zur Aufrechterhaltung des Systems ist hier nicht vorhanden. Interne Abläufe geschehen durch soziale und individuelle Vorgänge, die durch die Mitarbeiter und die Adressaten zustande kommen. Damit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eine „ effektive sozialpädagogische Angebotsstruktur zur Entwicklungsförderung junger Menschen anbieten kann“,[5] benötigen sie eine „Managementbasis“, die hierfür die notwendigen Voraussetzungen schafft. Diese Managementbasis erfasst die Mitarbeiter, die für die Aufgabenverteilung, Organisation und Führung zuständig sind.
Dazu kommt die gesetzliche Grundlage, welche die Aufgaben und Zuständigkeiten bestimmt. Weiterhin umfasst es die Beteiligung der öffentlichen Träger wie die Kommunen und letztlich die Finanzierung. Diese vier Grundelemente sind die wesentlichen Bestandteile des Sozialmanagements in der Kinder- und Jugendhilfe.
2. Geschichte der Heimerziehung in Deutschland
Heimerziehung existiert schon seit dem Mittelalter. Damals handelte es sich hauptsächlich um Waisen- und Findelhäuser. Finanziert wurden diese durch Almosen und Stiftungen. Die ersten Waisenhäuser in Deutschland entstanden 1546 in Lübeck, 1567 in Hamburg und 1572 in Augsburg. Sie waren die Vorgänger der heutigen Kinder- und Jugendheimen.
Im folgenden Abschnitt soll ein kurzer Einblick in die historische Entwicklung der Heimerziehung gewährt werden. Der Fokus liegt hier besonders auf dem Wandel der heimerzieherischen Konzepte in Bezug auf Umgang mit den Kindern und gesellschaftlichen Gegebenheiten.
2.1 Entstehung der ersten Waisenhäuser
Heimerziehung entwickelte schlagartig das Bild eines negativen Übels, wo Krankheit, Armut, Elend und Platzmangel aufeinandertreffen. Es ging damals vor allem darum, die Kinder überhaupt am Leben zu erhalten. Pädagogik war damals ein Fremdwort. Die Erziehung bestand vorrangig aus Bestrafung und Unterdrückung, sowie christlicher Unterweisung, schwerer Zwangsarbeit und Demut. Auf die Bildung der Waisenkinder lag man keinen Wert, vielmehr war es wichtiger, die Kinder zu gehorsamen und effektiven Arbeitern aufzuziehen, um sie dann schamlos auszubeuten. Daher ist es auch nicht allzu überraschend, dass man den Kindern keine Aufmerksamkeit oder Zuneigung schenkte. Die Kinder waren unterernährt, ungepflegt und schlecht gekleidet. Die katastrophalen Lebensbedingungen und die mangelnde gesundheitliche Fürsorge sorgten dafür, dass eine Vielzahl an Kindern bereits in den ersten Lebensjahren starb. Aufgrund der Massenunterbringung und der hohen Sterblichkeit in den Waisenhäusern, kam es in der Gesellschaft vermehrt zu großen Aufruhen und Diskussionen. Die Diskussionen wurden durch den hinzukommenden ökonomischen Aspekt weiter verschärft. „Der Aufenthalt in einem Waisenhaus war beispielsweise im Jahre 1862 in Berlin dreimal so teuer wie in der Familienpflege.“[6] Aus diesem Grund versuchte man verwaiste Kinder bei Pflegefamilien unterzubringen, welche die Kinder jedoch auch als billige Arbeitskräfte für Haus und Hof ausnutzten. Mit dem Beginn der Aufklärung versuchte man nun, ein kinderfreundliches Erziehungskonzept in die Gesellschaft zu integrieren. Zunächst forderte man die Schließung der Waisenhäuser. Aufklärer wie Pestalozzi spielten dabei eine große Rolle. Er eröffnete ein Armen-Erziehungshaus. „ Erstmals waren in einer solchen Anstalt nicht mehr Strenge, Zucht und Ordnung die herausgehobenen Attribute, sondern es überwog ein anderes Element, nämlich das der Liebe zu den Kindern. “[7]
Von großer Bedeutung war für ihn, eine Vertrauensbasis zu den Kindern aufzubauen und sie zu aktiven Bestandteilen der Allgemeinheit heranzuziehen. Die Ideen Pestalozzis bildeten auch später die Grundbausteine der sogenannten „Rettungshausbewegung“. Einer der bedeutendsten Mitglieder dieser Bewegung war der Theologe Johann Hinrich Wichern, der 1833 das „Rauhe Haus“ in Hamburg gründete. Wicherns Methode bestand darin, jedem jungen Menschen mit seiner christlichen Lebensperspektive, geleitet von Liebe und Zuneigung, entgegenzutreten und sie so in die Gesellschaft aufzunehmen.
Jedoch scheiterten die Leitideen Pestalozzis und Wicherns und sie schafften es nicht, die gewünschte Einflussnahme in der Heimerziehung zum Wohle des Kindes zu erzielen. Stattdessen verfiel die Heimerziehung in ihr altes Muster des Schreckens zurück.
2.2 Erziehung in der Weimarer Republik
Die Weimarer Republik hatte nach Beendigung des Ersten Weltkrieges sehr viele Probleme bezüglich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage. Eine große Anzahl an Kriegswaisen musste versorgt werden. Die Bevölkerung litt an Armut und Hungernot.
Wegen des Krieges wurden Kinder und Jugendliche von ihren Familien entwurzelt. Diese wurden in eine „ weit entfernte Provinz gebracht, man möchte sagen, von Staatswegen verschleppt, um dort als billige Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden.“[8]
Die Situation der Anstalten und Heime war entsprechend dramatisch. Sie waren überfüllt, die materielle und hygienische Versorgung war sehr mangelhaft. Pädagogische Grundlagen waren zu dieser immer noch nicht vorhanden. Auch in der Weimarer Republik konnten sich die Leitideen Pestalozzis und Wicherns nicht durchsetzen. Schon bald folgten Zwangseinweisungen in Fürsorgeheime. Auf Widerstand der Kinder reagierte man mit Strafen und harten Arbeiten. Wie auch in den Jahren zuvor, versuchten auch hier Kritiker mit ihren menschenfreundlichen Ideen und Ansätzen, eine Reform der Heimerziehung auf pädagogischer Ebene zu verwirklichen. Ausgangspunkt des neuen Heimerziehungskonzept sollte der „Zögling“ sein und nicht die Macht des Staates. Dieses Konzept war auch Bestandteil des 1922 verabschiedetem „Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt“ (RJWG).
Im RJWG schenkte man erstmals der Erziehung des Kindes die notwendige Aufmerksamkeit. In §1 des RJWG heißt es, das jedes Kind „ ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit [9] “ hat. Zeitgleich entstanden auch die Jugendämter. Diese hatten gewisse Pflichtaufgaben zu erfüllen wie die Regelung der Fürsorgeerziehung. Außerdem sollten sie „ Einrichtungen und Veranstaltungen anregen, fördern und gegebenfalls schaffen “(§4 RJWG). Weitere Bestimmungen waren:
a) „die Zusammenfassung von Jugendpflege und Jugendfürsorge für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen unter dem Oberbegriff Jugendhilfe (§2);
b) die Konzentration der örtlichen öffentlichen Jugendhilfe im Jugendamt der Stadt oder des Kreises;
c) die Regelung des Verhältnisses von öffentlicher und freier Jugendhilfe (§9)“[10]
Das RJWG war aber dennoch kein Leistungsgesetz, sondern diente mehr der Organisation. Zwar ermöglicht das RJWG jedem deutschen Kind ein Recht auf Erziehung, jedoch resultieren daraus keine näheren Rechts- und Leistungsansprüche. Mit dem Gesetz verfolgte man das Ziel die öffentliche Erziehung weitgehend zu stärken, was aber wegen der Mitbestimmungs- und Entscheidungskompetenz der öffentlichen Träger nie wirklich umgesetzt wurde.
2.3 Erziehung während des Dritten Reiches
Während der Zeit der nationalsozialistischen Führung geschah Heimerziehung aufgrund ideologischer Grundlagen. Kinder und Jugendliche unterlagen strengen faschistisch bestimmten Erziehungsgewalten. Pädagogische Ideen aus vorangegangener Zeit wurden ignoriert. Die öffentliche Erziehung war keine Ersatzerziehung mehr, sondern wurde zur politischen Staatsaufgabe umstrukturiert. Das Konzept der öffentlichen Erziehung während der nationalsozialistischen Herrschaft war darauf ausgerichtet, denjenigen Kindern zu helfen, die nach ideologischer Vorstellung wertvoll für die „Volksgemeinschaft“ waren.
Daher kam es zu einer Aussortierung der Kinder und Jugendlichen nach folgenden Merkmalen:
- „ erbgesunden, normal begabten, lediglich erziehungsgefährdeten Kindern und Jugendlichen,
- stärker gefährdeten, erbminderwertigen, schwererziehbaren, potenziell aber noch resozialisierbaren Kindern und Jugendlichen und schließlich
- schwererziehbaren, anlage- oder charakterbedingt kaum noch besserungsfähigen Jugendlichen.“[11]
Die erste Gruppe wurde in sogenannten Jugendheimstätten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) untergebracht. Ziel war es die Kinder und Jugendlichen vollständig in das NS-System aufzunehmen und sie zu wertvollen Mitgliedern der Volksgemeinschaft heranzuziehen. Ihre Erziehung wurde als Erziehungsfürsorge definiert. Bei der zweiten Gruppe beschränkte man die Erziehung nur auf das Nötigste. Kinder und Jugendliche wurden in konfessionelle Anstalten eingewiesen. Die dritte Gruppe wurde in „polizeilichen Jugendschutzlagern“ untergebracht, die vergleichbar mit Konzentrationslagern waren. Hier herrschten strenge nationalsozialistisch geprägte Erziehungsmaßnahmen in Form von Zwangsarbeit und militärischer Zucht. Erst mit Erreichung der Volljährigkeit war es möglich, aus den Jugendschutzlagern wegzukommen, jedoch schickte man die Jugendlichen dann in Arbeitshäuser.
2.4 Heimerziehungen nach 1945
Die Nachkriegszeit gestaltete sich anfangs schwieriger als angenommen. Es herrschte eine große Anzahl an heimatlosen und elternlosen Kindern. Ca. 2 Millionen Kinder und Jugendliche haben während des Krieges ihr Zuhause verloren. Weitere 1,6 Millionen haben als Folge des Krieges Vater oder beide Elternteile verloren. Viele Heime wurden wegen des Krieges zerstört und mussten neu gebaut werden. Die noch wenig übrig gebliebenen Einrichtungen wurden von Soldaten geleitet, denen es an pädagogischen Leitlinien und emotionalen Charakterzügen fehlte und daher Disziplin und Ordnung vermittelt wurde.
„Der Bereich der Heimerziehung wurde überwiegend von restaurativen bis reaktionären Kräften beherrscht, deren Erziehungsvorstellungen teilweise erschreckend deutlich von der Nazizeit geprägt worden waren.“[12] Die Heimgruppen bestanden aus 40 oder mehr Kindern. Sie lebten auf engstem Raum zusammen und waren von der Gesellschaft isoliert.
Die Aussichten auf eine adäquate Erziehung waren eher gering. Viele Jugendliche wurden immer noch als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Trotz der anfänglich schrecklichen Lage in Bezug auf fehlende pädagogische Erziehungsmethoden und der wirtschaftlichen Situation der Einrichtungen, konnte man Anfang der 1970er Jahre eine Änderung in der Heimerziehung beobachten. Einen großen Einfluss hatte hierbei die SOS-Kinderdorfbewegung.
Mit Hilfe des Kinderdorfkonzepts war es möglich, neue Modelle der Unterbringung zu entwerfen und das Zusammenleben innerhalb des Heimes angenehmer zu gestalten. Die Idee war, Einrichtungen so familienähnlich wie möglich zu gestalten. Dazu wurden größere Institutionen aufgelöst und stattdessen kleinere Wohneinheiten wie Außenwohngruppen geschaffen. Somit verlor auch die Heimerziehung ihren Anstaltscharakter und die Pädagogik rückte wieder in den Vordergrund. „ Unter der Leitung einer ´Mutter´ oder eines ´Elternpaares´ [sollte] den Kindern die Geborgenheit einer natürlichen Familie“ vermittelt werden.[13]
3. Wandel der Sozialpädagogik
Seit den 1960er Jahren steht die Heimerziehung im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Studentenbewegungen lehnten sich gegen das vorherrschende kapitalistische Gesellschaftssystem auf und setzten sich für benachteiligte Randgruppen ein. Heimkinder und Jugendliche in geschlossenen Fürsorgeheimen waren eines dieser Randgruppen.
Die Öffentlichkeit wurde über die Missstände und Notlagen der Heime aufgeklärt, die Rahmenbedingungen und Erziehungsmethoden wurden angeprangert. In den Medien sprach man über Erfahrungen ehemaliger Heimkinder aus den 1950er und 1960er Jahren. Die Betreuer ehemaliger Heime profitierten aus der Notlage der Heimkinder, indem sie sie als unentgeltliche Arbeitskräfte ausnutzten. Die Heimkinder mussten viel Leid über sich ergehen lassen. Sie litten an den Folgen der harten Strafen in Form von sexuellen Gewaltübergriffen.
Die Lebenslage der Heimkinder war geprägt durch Machtmissbrauch und Kaltherzigkeit der Betreuer. Aufgrund der neuen gesellschaftlichen und politischen Reformen, unterlag die Erziehung nun mehr einer ganz neuen Betrachtungsweise. Die sogenannten Heimzöglinge hatten Hoffnung auf ihre Befreiung. Es entstanden auch erste alternative Unterbringungsformen, zum Beispiel die Wohngemeinschaften. Wegen des zunehmenden Einfluss kritischer Theorien, Studentenbewegungen und Skandalberichten ehemaliger Heimkinder, begann sich die Pädagogik zu wandeln. Neue Reformforderungen waren:
- „ die Abschaffung repressiver, autoritärer Erziehungsmethoden,
- die Verringerung der Gruppengröße,
- tarifgerechte Entlohnung sowie Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten für Erzieher(innen),
- die Abschaffung von Stigmatisierungsmerkmalen, etwas Anstaltskleidung, Heim in abgelegener Lage etc.“[14]
Es war kaum zu übersehen, dass die Heimerziehung die Entwicklung und Emanzipation der Kinder und Jugendliche erheblich beeinträchtigte. Insgesamt forderte man nun immer mehr rechtzeitig fördernde und vorbeugend wirksame Maßnahmen, um solch ein Ausmaß an Leid und Unterdrückung in Zukunft zu vermeiden.
3.1 Ausbau des Pflegekinderwesens
Das Pflegekinderwesen sollte in den 1970er Jahren die Heimerziehung ersetzen. Kleinkinder wurden aus pädagogischen Gründen nur noch in den äußeresten Notfällen in einem Heim aufgenommen. Die Unterbringung in Pflegefamilien hatte Vorrang vor der Heimeinweisung. Man entwickelte zudem neue pädagogisch wertvolle Erziehungspraktiken. Einerseits war das Pflegekinderwesen eine gute alternative Unterbringungsmöglichkeit, andererseits erschwerte es zunehmend die eigentliche Heimerziehung, da in den Heimen der „Rest“ übrig blieb, die man nicht an Pflegefamilien vermitteln konnte. Das Jugendamt stand zu dieser Zeit immer mehr unter der öffentlichen Kritik.
Die Ämter wurden beschuldigt, „ weil sie pädagogisch verantwortungslos viel zu wenige Heimkinder in Pflegefamilien vermittelt hätten.“[15]
Es gab zwar eine große Anzahl an Bewerbern als an Pflegekinder, jedoch machten die meisten Pflegeeltern einen Rückzieher, sodass von anfänglich 100 Bewerbern am Ende nur zwei bis drei Paare ein Pflegekind zugeteilt bekamen. Besonders schwierig erwies sich die Vermittlung von älteren Kindern oder Jugendlichen, da meistens Kleinkinder begehrter und angefragter waren. Obwohl das Pflegekinderwesen einen Abbau der Heimkinderzahlen ermöglichte, war es nur von vorübergehender Dauer, da viele Kinder auch nach gescheiterten Pflegefamilienverhältnissen wieder zurück ins Heim kamen.
[...]
[1] Bauer (2013), S. 12.
[2] Merchel (2015), S.36.
[3] Willke (2007), S.22.
[4] Jordan (2015), S. 445.
[5] ebd. S. 448.
[6] Günder, (2011), S.21.
[7] ebd, S.23.
[8] Sauer (1979), S. 65.
[9] Jordan (2015), S. 59.
[10] ebd. S. 59.
[11] ebd. S. 64.
[12] Bülow (1987), S.11.
[13] Heitkamp (1984), S.40.
[14] Günder (2011), S. 28-29 zit. n. Almstedt/Munkwitz (1982), S. 21-33.
[15] ebd. S. 34.