Während die Fassaden der großen monotheistischen Religionen als friedfertige Glaubensgemeinschaften schon längst zu bröckeln begonnen haben, hält sich das Bild einer bestimmten religiösen Gemeinschaft, des Buddhismus, als der friedliebenden „Religion“ par excellence im zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs äußerst hartnäckig. Das Repertoire der positiven Assoziationen mit der Lehre des Siddhartha Gautama (Selbstfindung, innerer Frieden, Meditation, Ruhe und gutes Karma dürften nur einige dieser sein) ist ein schier unerschöpfliches und scheint gleichzeitig hauptverantwortlich für die Massentauglichkeit des Buddhismus zu sein. Und auch mit Blick auf das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus dem 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho – der fälschlicherweise häufig für den geistigen Führer aller Buddhisten gehalten wird – scheint sich diese Sicht der Dinge zu bestätigen, denn dieser erhielt im Jahr 1989 aufgrund seines Einsatzes für die gewaltlose Befreiung Tibets den Friedensnobelpreis.
Doch auch der „Ozean des Friedens“, wie der Buddhismus unter anderem von seinen Anhängern bezeichnet wird, hat seine Schattenseiten. Die jüngsten Vorkommnisse in Myanmar, die massive Verfolgung der muslimischen Rohingya durch die buddhistische Mehrheitsgesellschaft, sind keinesfalls die absolute Ausnahme, sondern reihen sich ein in eine Geschichte der Gewalt, die auch im Buddhismus präsent ist und die sich von dessen historischen Anfängen bis in die Moderne zieht.
Anliegen dieser Arbeit ist es daher, den Buddhismus im Sinne der Aufklärung zu entzaubern und von einem seiner Hauptattribute, der Gewaltlosigkeit, zu befreien. Da diese Arbeit jedoch nicht alle Strömungen und Schulen des äußerst heterogenen Gebildes Buddhismus abhandeln kann, wird sie sich auf die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Schule bzw. Strömung des Buddhismus beschränken: den tibetischen Vajrayana-Buddhismus.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Exkurs: Zum verwendeten Gewalt- und Religionsbegriff
3. Exkurs: Über die verwendete Literatur
4. Der Lamaismus – Über den tibetischen Buddhismus
4.1 Von Indien nach Tibet – Zur Geschichte des tibetanischen Buddhismus
4.2 Lamas und Kastensystem - Über die Besonderheit des Vajrayana- Buddhismus
5. Die tibetische Gesellschaft unter der Herrschaft der Gelbmützen
6. Zwischen Pazifismus und Gewalt – Buddhismus im Widerspruch
6.1 Zum Verhältnis von Buddhismus und Gewalt
6.2 Gewaltlegitimation im tibetischen Buddhismus – Über Die Auslegung der buddhistischen Lehre im Vajrayana
6.2.1 Gewaltlegitimation im tibetischen Buddhismus – Zur direkten Gewalt
6.2.2 Gewaltlegitimation im tibetischen Buddhismus – Zur strukturellen Gewalt
6.2.3 Gewaltlegitimation im tibetischen Buddhismus – Zur rituellen Gewalt
7. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Während die Fassaden der großen monotheistischen Religionen als friedfertige Glaubensgemeinschaften schon längst zu bröckeln begonnen haben, hält sich das Bild einer bestimmten religiösen Gemeinschaft, des Buddhismus, als der friedliebenden „Religion“par excellence im zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs äußerst hartnäckig. Das Repertoire der positiven Assoziationen mit der Lehre des Siddhartha Gautama (Selbstfindung, innerer Frieden, Meditation, Ruhe und gutes Karma dürften nur einige dieser sein) ist ein schier unerschöpfliches und scheint gleichzeitig hauptverantwortlich für die Massentauglichkeit des Buddhismus zu sein. Dass sich die Geschichte des Buddhismus positiv von der aller anderen Glaubensgemeinschaften absetzt und dadurch gerade in der westlichen Hemisphäre eine unglaubliche Anziehungskraft ausübt, stellte schon der Diplomat und Indologe Hans-Wolfgang Schuhmann 1978 im Spiegel fest :
„Es gibt offensichtlich ein spirituelles Verlangen bei den materiell geprägten Menschen im Westen. Dass diese Suchenden besonders vom Buddhismus angesprochen werden , liegt unter anderem in der Sanftmut und der Toleranz dieser Religion. Es wurden in ihrem Namen keine Kriege geführt, keine Menschen auf Scheiterhaufen geworfen, keine Bücher verbrannt. [1]
Und auch mit Blick auf das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus dem 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho – der fälschlicherweise häufig für den geistigen Führer aller Buddhisten gehalten wird – scheint sich diese Sicht der Dinge zu bestätigen, denn dieser erhielt im Jahr 1989 aufgrund seines Einsatzes für die gewaltlose Befreiung Tibets den Friedensnobelpreis.[2] Doch auch der „Ozean des Friedens“, wie der Buddhismus unter anderem von seinen Anhängern bezeichnet wird, hat seine Schattenseiten. Die jüngsten Vorkommnisse in Myanmar, die massive Verfolgung der muslimischen Rohingya durch die buddhistische Mehrheitsgesellschaft, sind keinesfalls die absolute Ausnahme, sondern reihen sich ein in eine Geschichte der Gewalt, die auch im Buddhismus präsent ist und die sich von dessen historischen Anfängen bis in die Moderne zieht. Anliegen dieser Arbeit ist es daher, den Buddhismus im Sinne der Aufklärung zu entzaubern und von einem seiner Hauptattribute, der Gewaltlosigkeit, zu befreien. Da diese Arbeit jedoch nicht alle Strömungen und Schulen des, äußerst heterogenen Gebildes, Buddhismus abhandeln kann wird sie sich auf die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Schule bzw. Strömung des Buddhismus beschränken: den tibetischen Vajrayana- Buddhismus. Die Betrachtung des tibetischen Buddhismus bietet sich gerade deshalb an, da wohl kein asiatisches Land so sehr vom Buddhismus geprägt ist wie Tibet und kaum ein andere Schule so viel Anklang in der westlichen Welt findet wie dieser. Anhand des tibetischen Buddhismus soll also im Zuge dieser Auseinandersetzung gezeigt werden, dass dem Buddhismus keine Sonderrolle in der Geschichte der Religionen zukommen darf und dass dieser, wie der Großteil aller Religionen, auch eine Geschichte der Gewalt hat. Im Zentrum dieser Arbeit steht daher die Fragestellung wie sich das Gewaltpotential des (tibetischen) Buddhismus äußert und vor allen Dingen wie – also auf welcher theoretischen Grundlage - diese Gewalt legitimiert werden kann.
Um eine Beantwortung der Fragestellung zu gewährleisten wird sich die Arbeit dabei grob in drei Teile gliedern: In einem Ersten sollen die im Zuge dieser Arbeit verwendeten Begriffe von Gewalt und Religion geschärft werden, auf diesen folgt dann ein Zweiter in dem ein historischer Abriss des Buddhismus im Allgemeinen und seiner tibetischen Ausprägung im Besonderen, unternommen, sowie auf die gesellschaftliche Situation in Tibet eingegangen wird und letztlich ein dritter analytischer in dem die theoretische Legitimation der Gewalt im tibetischen Buddhismus untersucht werden und die durchaus widersprüchliche Haltung der buddhistischen Lehre zur Gewalt aufgezeigt werden soll.
2. Exkurs: Zum verwendeten Gewalt- und Religionsbegriff
Die Forschung steht seit jeher vor dem Problem zu erklären, was Gewalt konkret ist bzw. was diese ausmacht und wie diese sich äußert. Das Angebot der Gewaltdefinitionen ist groß und reicht vom Verständnis der Gewalt als Phänomen direkter Verletzungen des Körpers bis hin zu ideologisch aufgeladenen, auch die Machtstrukturen umfassenden Definitionen. Um so wichtiger ist es also im Voraus festzuhalten, was genau der Autor dieser Arbeit unter Gewalt versteht, wenn er über diese schreibt und welchen Bedingungen diese unterliegt. Grundsätzlich wird sich diese Arbeit eines weiten Gewaltbegriffes bedienen, der auf die Ausführungen des Hamburger Philosophen Raphael van Riel zurückgeht welcher sich wiederum auf Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung stützt. Riel gebraucht eine Gewaltdefinition, die von der „prinzipiellen Leidverursachung von Gewalthandlungen ausgeht, Gewalt als ein Machthandeln begreift und auch Institutionen und Strukturen als Gewaltakteure zulässt, wobei diese an die Intentionen von Personen rückgebunden werden.“.[3] Für diesen Gewaltbegriff zentral ist die ihm zu Grunde liegende Konstellation von Herrschaft-Zwang-Gewalt ( „Herrschaftsverhältnisse setzen Zwangsverhältnisse voraus. Damit diese sich etablieren, muss Gewalt ausgeübt werden“).[4] Sowohl die Herrschaftsverhältnisse (Staat, Ideologie, Religion) als auch die Zwangsverhältnisse (Institutionen, Strukturen, Arbeitsverhältnis etc.) müssen von Gewalt Gebrauch machen, um sich selber zu etablieren, bzw. um sich zu erhalten - dies macht sie somit selbst zu einem Teil der Gewalt. Der in dieser Arbeit verwendete weite Gewaltbegriff basiert also auf folgender Prämisse:“ G ewalt und Zwang können über Strukturen, Institutionen, körperliche und psychische Handlungen ausgeübt werden. “[5] und geht daher davon aus, dass Gewalt sowohl als körperliches oder psychisches, als auch strukturelles/institutionelles Phänomen auftreten kann. Ergänzt werden soll dieser Gewaltbegriff mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand um den Aspekt der rituellen Gewalt die, nach der Definition des Sozialpädagogen Thorsten Becker, „physische, sexuelle und psychische Formen von Gewalt, die planmäßig und zielgerichtet im Rahmen von Zeremonien ausgeübt werden. [umfasst]“ und in dessen Zuge „Symbole, Tätigkeiten oder Rituale eingesetzt [werden], die den Anschein von Religiosität, Magie oder übernatürlichen Bedeutungen haben.“[6]
Um der Frage, ob der Buddhismus letztlich (nicht auch) eine Religion der Gewalt ist, überhaupt nachgehen zu können muss der Buddhismus zunächst als Religion bestimmt werden, denn zum gängigen Verständnis des Buddhismus in der westlichen Welt gehört es, diesen als Philosophie, oder noch simpler, als Lehre aufzufassen. Sowohl nach dem substanzialistische Religionsbegriff, der in seinem Kern von einem (gemeinsamen) Wesen der Religion ausgeht, das sich durch die jeweiligen inhaltlichen Merkmale von Religionen erfassen lässt und Religion als ein Phänomen begreift, „ das das Heilige, das Transzendente, das Absolute, das Numinose oder das Allumfassende zum Wesen hat“[7], als auch nach dem funktionalistischen Religionsbegriff, der Religion zunächst über deren soziale Funktion (Marx, Feuerbach, Freud) definiert und Religion als Mittel der Angst- oder Kontingenzbewältigung, als ein weltanschauliches Phänomen zur Deutung von (Lebens)-Erfahrung, Natur, Leid und Tod, sowie als ein gemeinschaftsbildendes Mittel (Feste, Bräuche, Liturgie) versteht, lässt sich der Buddhismus als Religion bestimmen. Für ersteren qualifiziert der Buddhismus sich, indem dieser etwas abstrakt Heiliges zum Gegenstand hat; dies wird im Laufe der Arbeit ersichtlich werden. Für letztere Definition qualifiziert er sich wiederum, da er eine soziale Funktion erfüllt und letztlich dem Individuum, wie jede andere Religion, als Mittel der Kontingenzbewältigung dient.
3. Exkurs: Über die verwendete Literatur
Bevor sich diese Arbeit der Beantwortung der zu Beginn aufgestellten Frage - wie sich Gewalt im (tibetischen) Buddhismus äußert bzw. wie diese Gewalt legitimiert wird - widmen kann, muss zunächst der Beweis erbracht werden, dass eine solche Gewalt tatsächlich in der Geschichte Tibet zu finden ist. Daher soll im nun Folgenden die Situation der tibetische Gesellschaft von der Etablierung des Buddhismus bis zur Besatzung Tibets durch die Volksbefreiungsarmee skizziert werden. Im Zuge dieser Darstellung wird der Autor auch auf das durchaus kontroverse Werk „Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs“ des Wissenschaftsjournalisten und Psychologen Colin Goldner Bezug nehmen, das nach seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1999 für einige (teils berechtigte) Furore sorgte.[8] [9] Mit äußerster Schärfe schrieb etwa der Indo- und Tibetologe Prof. Dr. Jens-Uwe Hartmann über Goldners Buch: „Jüngst hat es mehrere wohl letztlich kommerziell motivierte Versuche gegeben, insbesondere den tibetischen Buddhismus als hochgradig gewaltbereit zu „enttarnen“, [...]– die ärgerlicherweise teils auch noch in ein pseudowissenschaftliches Gewand gekleidet sind.“[10] Goldners Position stellt dabei tatsächlich das andere Extrem der Wahrnehmung des tibetischen Buddhismus im Westen dar, gegen den Goldner in einigen, teils als vulgär zu bezeichnenden, sprachlichen Ausfällen polemisiert. Von dieser Position, die den tibetischen Buddhismus letztlich dämonisiert, will der Autor sich ausdrücklich abgrenzen, denn Intention dieser Arbeit ist es keinesfalls den (tibetischen) Buddhismus als besonders Gewalttätig im Vergleich zu anderen Religionen darzustellen. Jedoch handelt es sich bei Goldners Werk um die mit Abstand umfassenste Darstellung der Gewalt im tibetischen Buddhismus, welche er mithilfe einer Großzahl an Quellennachweisen zu belegen versucht. Daher wird in den folgenden Kapiteln, unter Einbezug und Korrektur durch aktuellere Fachliteratur sowie eines kritischen Blicks, dennoch auf „Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs“ rekurriert werden.
4. Der Lamaismus – Über den tibetischen Buddhismus
4.1 Von Indien nach Tibet – Zur Geschichte des tibetanischen Buddhismus
Der Buddhismus trat im 5. Jahrhundert v.d.Z. als Reformbewegung des Hinduismus, der vorherrschenden Religionsgemeinschaft auf dem indischen Subkontinent, auf und sollte die Religionswelt in Asien nachhaltig verändern. Der frühe Buddhismus definierte sich vor allen Dingen über die Ablehnung des im Hinduismus gängigen Interpretation der Vielgötterei (Polytheismus) sowie der priesterlichen Orthodoxie[11] und ist sowohl als Entwicklung aus dem Hinduismus als auch als Kritik an diesem zu verstehen. Jedoch tritt der frühe Buddhismus nicht als rein „atheistische“ Abrechnung am Hinduismus an, sondern geht wie dieser von der Existenz vieler brahamitischer Götter aus und unterscheidet sich von diesem nur in dem Sinne, als dass die „frühen buddhistischen Schriften die Existenz der brahmanischen Götter nicht bestreiten, dass sie ihnen allerdings die Macht absprechen, direkt in die Geschicke des Menschen einzugreifen“.[12] Der Umstand, dass der Buddhismus sich als Reformbewegung halten konnte und sich später zu einer eigenständigen Religion entwickelte, verdankt dieser in erster Linie der Tatsache, dass die buddhistischen Wandermönche, anders als im Hinduismus üblich, über die Kastengrenzen hinweg predigten und durch diesen Ansatz gerade in den „armen“, zahlenmäßig aber größeren gesellschaftlichen Schichten Anhänger gewinnen konnten.
Als Religionsstifter und zentrale Figur des Buddhismus gilt Siddharta Gautama, der um 563 v.d.Z. als Sohn einer adeligen Familie in Nordindien in der höchsten indischen Kaste geboren wurde und der noch zu Lebzeiten eine beachtliche Zahl an Anhängern für seine „Lehre“ gewinnen sollte. Laut buddhistischer Erzählung soll dieser auf einer seiner Reisen die er als junger Mann unternahm, „nach [der] Begegnungen mit einem verkrüppelten, alten Mann, einem Fieberkranken, einem verwesenden Leichnam und schließlich einem Asketen“[13] zu der Erkenntnis gekommen sein, dass das Leben selbst nichts anderes als Leid ist. Infolge seiner „ersten“ Erkenntnis schloss sich Siddharta auf der Suche nach der Unsterblichkeit verschiedenen Yogi-Bewegungen und Mönchen an[14], die ihm aber alle nicht auf seinem „Weg der Erleuchtung“ helfen konnten. Daraufhin ließ er sich allein unter einem Feigenbaum (Bodhi-Baum) nieder und wurde im Laufe einer Nacht erleuchtet; konkret gelangte er zu der Erkenntnis, dass er schon einmal gelebt hat, dass alles „geboren“ wird und alles „stirbt“ und letztlich, dass er alles was ihn bis dato an die materielle Welt gebunden hat dazu geführt hat, dass er immer wieder wiedergeboren wurde.[15] Durch seine Erleuchtung wurde Siddharta zum Buddha (sanskrit. „Der Erwachte“), zu einem Wesen v ollkommener Erleuchtung und Weisheit und entwickelte basierend auf seinen Erkenntnissen die Lehre, die später als Buddhismus bezeichnet werden sollte. Auch wenn Buddha zu Lebzeiten die Verschriftlichung seiner Lehre ablehnte und man diese vorerst nur mündlich tradierte, wurde sie im 5./6. Jahrhundert im sog. Dreikorb-Kanon (auch: Pali-Kanon) festgehalten. Als Basis der Lehre des Buddhismus fungieren die „Vier Edlen Wahrheiten“ (Leben ist Leid; Leid wird durch Gier, Hass und Verblendung verursacht; Leid kann abgewendet werden wenn die Ursachen vermieden werden, die Ursachen werden durch die Praxis des „Edlen Achtfachen Pfad“ (Meditation etc.) vermieden)[16]. Die Erleuchtung und die Überwindungen des Leids bilden den Kern der buddhistischen Lehre und sind gleichzeitig das höchste Ziel der buddhistischen Praxis, denn nur als erleuchtetes Wesen kann der Mensch den Kreislauf der Wiedergeburt durchbrechen und in den Zustand des Nirwana gelangen.
Ausgehend von der Erleuchtungsgeschichte des Religionsstifters lässt sich die historische Entwicklungsgeschichte des Buddhismus grob in vier Phasen einteilen:[17]
I. Das Leben und Wirken des Siddharta Gautama in Nordindien, sowie die Verbreitung seiner Lehre zu Lebzeiten im 6./5. Jahrhundert v.d.Z.
II. Die Etablierung der ersten und ältesten buddhistischen Schule (Theravada-Buddhismus oder „kleines Gefährt) durch Buddhas Mönchsgemeinde nach seinem Tod.
III. Ab Ende des 1. Jahrhunderts n.d.Z. die Etablierung der Mahayana-Schule („ großes Gefährt“).
IV. Etwa um das 4. Jahrhundert n.d.Z. entwickelt sich in Indien die Tantrayana-Schule („Gefährt des Tantra“), aus der Mahayana-Schule. Die Tantrayana sieht sich selbst als die „höchste“ Entwicklungsstufe des Buddhismus und „vereint“, laut Eigenaussage, alle früheren Schulen des Buddhismus. Dem Gefährt des Tantra rechnet sich auch der Vajrayana oder Lamaismus zu, jene Strömung also, die allgemein hin auch als tibetischer Buddhismus bezeichnet wird. Die Entwicklung des tibetischen Buddhismus selbst begann erst im 7. Jahrhundert n.d.Z in Form einer Verbindung der Mahayana-Schule mit dem indischen Tantrismus und der lokalen Bön-Religion. Seine erste größere Verbreitung fand dieser unter der Herrschaft des König Trisong Detsen (ca. 740–798), der den Buddhismus zur Staatsreligion erhob und die ersten größeren Kloster bauen ließ. Unter König Lang Darma (Regentschaft ca. 836-842.) wurde der Buddhismus dann vorerst verboten. Neben einer religiösen Rückbesinnung auf die Bön-Religion zielte das Verbot auch auf die Eindämmung des Einflusses der Klöster, deren „wachsenden ökonomische Macht [...]“ und „deren Privilegien (Befreiung von Steuern und Militärdienst)“[18] dem Staatshaushalt zu Last fielen. Als Reaktion auf das Verbot wurde König Darma um 842 von einem buddhistischen Mönch ermordet,[19] was zur Folge hatte, dass der Buddhismus sich erneut verbreitete.
4.2 Lamas und Kastensystem - Über die Besonderheit des Vajrayana- Buddhismus
Die Geschichte des Buddhismus in Tibet ist dabei eine sehr spezielle. Auf der einen Seite wurde die tibetische Ausführung des Buddhismus durch die tantrische Praktik geprägt, diese sollte den Weg zur Erleuchtung durch die Rezitierung von Mantras und speziellen, vorwiegend sexuellen, Ritualen „beschleunigen“.[20] Auf der anderen Seite wurde sie durch die Bön-Religion, einer Art Ur-Religion Tibets mit animistisch-mythischen Zügen, beeinflusst. Das für den tibetischen Buddhismus prägendste Element war jedoch die Mahayana-Schule, die ursprünglich aus Süd-Indien stammte. Diese brach mit der „Orthodoxie“ des alten Buddhismus, die sich noch stark vom Hinduismus bzw. Brahamismus abgrenzte und reintegrierte die hinduistische Vorstellung der Kasten insofern wieder in ihre Lehre, als dass sie den Klerus bzw. die Priesterschaft als eine Art buddhistische Avantgarde annahm, die den ungebildeten Massen ein Vorreiter auf dem Weg zur Erleuchtung sein sollte.[21] Des Weiteren etablierte sich innerhalb der Mahayana die Vorstellung, dass es neben dem historischen Buddha Siddharta Gautama auch schon andere Buddhas gegeben hat zu denen sie u.a einige der brahamitisch-hindusitischen Gottheiten zählten. Die aber wohl radikalste Neuerung dieser Strömung war die Einführung des Bodhisattva-Gedanken. Demnach existieren Menschen die schon erleuchtet sind bzw. kurz davor sind erleuchtet zu werden, die aber nicht ins Nirwana erlöschen (d.h den Wiedergeburtskreislauf durchbrechen), sondern in einer Art altruistischen Selbstaufgabe anderen Menschen auf dem Weg zur Erleuchtung „helfen“ wollen und denen daher höchste Anerkennung zu Teil werden muss. Aus der Bodhisattva-Vorstellung entwickelte sich dann das Alleinstellungsmerkmal der, aus beiden Schule entstandenen, tibetischen Vajrayana/Tantrayana-Tradition. In dieser nimmt der Bodhisattva die Rolle des geistlichen Führers bzw. Gottkönigs als höchste Autorität ein. Diese als (Dalai) Lama bezeichnete Führungsperson vereint bis heute sowohl die geistliche, als auch die weltliche Macht im Staat Tibet.
[...]
[1] Schuhmann, Hans-Wolfgang:„Wenn Eisenvögel fliegen“. In: Spiegel 16 (1998) 122 (Her. d. Verf.).
[2] Vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/859518 (22.3.2018)
[3] Van Riel, Raphael: Gedanken zum Gewaltbegriff. Drei Perspektive. Hamburg 2005. S.1. Unter: https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich sowi/professuren/jakobeit/forschung/akuf/archiv/arbeitspapiere/gewalt-riel-2005.pdf (26.2.2018)
[4] Ebd. S.41.
[5] Ebd. (Hervorh. d. Verf)
[6] Becker, Thorsten: Handbuch Trauma und Dissoziation. Lengereich 2008. S.25-26.
[7] Vgl. oA.: http://www.religion-ethik.de/religion/definition-was-ist-religion.html. o.D.(24.2.2018)
[8] Vgl. oA..: Kein Dämon, kein Gott. 2002. Unter: http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234118&rubrik=14&ausg=200202 (22.3.2018)
[9] Vgl. Nowak, Peter: Der Dachschaden der Welt. 2000. Unter: https://jungle.world/artikel/2000/07/der-dach-schaden-der-welt (22.3.2018)
[10] Hartmann, Jens-Uwe: T riffst du den Buddha, wirst du ihn töten. Wie groß ist das Gewaltpotential im Buddhismus? In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Vol. 2004: S. 110
[11] Vgl. Schmidt-Glintzer, Helwig: Der Buddhismus. München 2007. S.15.
[12] Vgl. Goldner, Colin: Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs. Aschaffenburg 1999. S.52.
[13] Der Buddhismus – die sanfte Weltreligion. Die Entstehung des Buddhismus. o.D. Unter: http://www.buddha-infos.de/ (27.2.2018).
[14] Vgl. Bechert H., Gombrich R. (Hrsg.): Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart. München 1995 S.34.
[15] Vgl. ebd. S. 35.
[16] Vgl. Schmidt-Glintzer, Helwig: Der Buddhismus. München 2007. S.16.
[17] Vgl. Goldner, Colin: Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs. Aschaffenburg 1999. S.48.
[18] Von Brück, Michael: Religion und Politik in Tibet. Frankfurt a.M. 2008 .S.59.
[19] Vgl. Goldner, Colin: Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs. Aschaffenburg 1999. S.55.
[20] Vgl. Gruschke, Andreas: Tibetischer Buddhismus. München . 2003. S.32.
[21] Vgl. Goldner, Colin: Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs. Aschaffenburg 1999. S.53.