Was sollen Volksschulkinder in der Schule lernen, um für die digitale Zukunft vorbereitet zu sein? Und wie sollen sie das tun?
Ausgehend von der Annahme, dass die Digitalisierung mittlerweile auch die Schulen erreicht hat, wird in dieser Arbeit auf die Medienkompetenz eingegangen und welche Bedeutung diese für Kinder wie auch für Lehrende in der Schule hat. Welche Rolle spielt die familiäre Erziehung und die Sozialisation nach Bourdieu dabei?
Welche sozialen Unterschiede gehen mit der vorhandenen oder nicht vorhandenen Medienkompetenz für die zukünftigen Arbeitschancen einher?
In dieser Arbeit wird versucht, diese Fragen aus der medienpädagogischen Perspektive zu beleuchten, aber auch kritisch zu hinterfragen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsbestimmung
2.1 Medialer Habitus
2.2 Die Medienkompetenz nach Baacke (1997)
2.3 Sozialisation, kulturelles Kapital und soziale Ungleichheit nach Bourdieu
3 Medialer Habitus in der Volksschule in Bezug zur sozialen Ungleichheit in Anlehnung an die empirische Studie von Ursula Mutsch (2012) mit dem Titel: Der mediale Habitus von Volksschulkindern und ihren Lehrerinnen und Lehrern
4 Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen der Veränderung des medialen Habitus im Zuge der Aneignung von Medienkompetenzen und deren Implikation in die Praxis
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Jahr 2018 stellt in Österreich politisch und wirtschaftlich die Digitalisierung in allen Bereichen des Lebens in den Fokus, mit dem Schwerpunkt auf der Bildung (Österreichisches Regierungsprogramm 2017-2022: 82). Die Menschheit geht einen neuen und unbekannten Weg, welcher Unsicherheit aber auch Faszination ausübt. In der Zukunft sollen Maschinen und eine dem Menschen überlegene künstliche Intelligenz den raschen Fortschritt und mehr Zeit für die Menschen ermöglichen (Zukunft made in Austria 2017). Diese Entwicklung kann zweifach gesehen werden: Im positiven Sinne gewinnt der Mensch mehr arbeitsfreie Zeit, denn Maschinen übernehmen die Arbeit bestimmter Berufsgruppen (Weber 2017: 23-26). Diese gewonnene Zeit kann zur Weiterbildung, künstlerischer Tätigkeit, Sport, die Entwicklung eines Start-Up Unternehmens oder auch zur Unterhaltung durch Medien genutzt werden. Im negativen Sinne ist zu bemerken, dass trotz der Weiterbildungsmaßnahmen oder der Erschaffung von neuen Arbeitsplätzen, ein großer Teil der Menschen keinen Job bekommen wird (Weber 2017). Ihnen bleibt die Möglichkeit sich von der künstlichen Intelligenz unterhalten zu lassen oder einen ganz neuen Weg einzuschlagen. Doch damit der Mensch diese Wahl haben kann, müssen Bedingungen für diese Möglichkeit, im Jetzt und somit für die Zukunft, erst erschaffen werden. Wie der Mensch sein Leben gestaltet oder ob er dies überhaupt tut hängt mit seinem Habitus nach Bourdieu zusammen (Krais/Gebauer: 2014). Von der Geburt weg wird der Mensch von außen im Zuge der Erziehung und der Sozialisation beeinflusst. Diese Prägungen sind unbewusst und deshalb nicht reflexiv. Mit den erworbenen Strukturen des Handelns werden neue Handlungsstrukturen erzeugt. Auf diese Weise bewegt sich der Mensch innerhalb eines festgesetzten Rahmens, den er nur mit viel Mühe und ständiger Reflexion erweitern kann.
In der vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt auf einem Teil des Gesamthabitus, dem medialen Habitus. Dieser beinhaltet erworbene Handlungsstrukturen im Umgang mit Medien, sowie die erworbene Haltung ihnen gegenüber. Der Habitus kann, wenn auch mühsam, verändert werden (Kommer 2013: 9; Krais/Gebauer 2014: 71; Meder 2013: 2). Nun stellt sich die Frage, warum es von Bedeutung ist sich mit der Veränderung des medialen Habitus zu befassen? Nachdem der mediale Habitus in der Familie und später in der Schule erworben wird, hat er einen großen Einfluss oder ist sogar bestimmend für die Berufschancen in der digitalen Zukunft. In diesem Zusammenhang ist die Medienkompetenz nach Baacke (1997) relevant. Sie bietet eine zusätzliche Möglichkeit zur Kommunikation mit der Welt und macht auf diese Weise "digitalkompetent". Der Erwerb der Medienkompetenz kann je nach Art des medialen Habitus, welcher in einer Familie vorherrscht, bereits innerhalb dieser, in der Schule oder erst in der Erwachsenenbildung erfolgen. Umso früher die Medienkompetenz in den Habitus einfließt, desto stabiler ist diese darin verankert. Dieser sogenannte Kern des Habitus kann im späteren Leben nicht mehr verändert werden (Meder 2013: 2). Allerdings ist es möglich, an der "Oberfläche" Veränderungen zu erwirken. Das bedeutet, je früher im Zuge der Erziehung oder der Sozialisation eine bewusste Veränderung eingeleitet wird, desto höher die Chancen auf eine Veränderung.
An diese Überlegungen anknüpfend wird im Zuge der Arbeit versucht die Möglichkeiten und die Grenzen einer Veränderung des medialen Habitus der Volksschulkinder, basierend auf den aktuellen Debatten zum medialen Habitus, auszuarbeiten. Eingehender problematisiert werden Faktoren, welche dabei berücksichtigt werden müssen, die Art und Weise wie die Veränderung hervorgerufen werden könnte, ob die bewusst eingeleitete Veränderung des medialen Habitus ethisch vertretbar wäre und welche Konsequenzen sich dabei für die LehrerInnenbildung und die familiäre Erziehung ergeben. Alle diese Überlegungen fließen in die folgende Forschungsfrage mit ein, welche in dieser Arbeit untersucht wird:
Kann der mediale Habitus von Volksschulkindern mit den Digitalisierungsmaßnahmen und damit der Aneignung von Medienkompetenzen bereits verändert werden? Wenn ja, wie? Wenn nein, weshalb nicht?
Aus bildungswissenschaftlicher Sicht ist das Thema von hoher Relevanz, denn in der Medienpädagogik wird bereits seit geraumer Zeit versucht die Medienkompetenz von LehrerInnen und SchülerInnen zu erhöhen, ganz im Sinne vom selbstbestimmten Handeln in der Zukunft aufgrund erweiterter Kommunikationsmöglichkeiten (Barberi 2013; Swertz 2017: 3). Der Kampf gegen die soziale Ungleichheit im Bildungssystem kann an dieser Stelle weitergeführt werden.
Der Aufbau der Arbeit setzt sich, wie folgt zusammen: Zunächst wird auf die wesentlichen Begriffe eingegangen, um eine Basis für die Diskussion zu schaffen. Die Debatten zum medialen Habitus werden dargestellt, als nächstes wird die Medienkompetenz nach Baacke erörtert, sodann folgt das Bild der Sozialisation. Die Begriffsbestimmung wird vom kulturellen Kapital und der sozialen Ungleichheit nach Bourdieu abgeschlossen. Es folgt die Diskussion der, in den Debatten um den medialen Habitus der Volksschulkinder thematisierten, sozialen Ungleichheit und was diese in der digitalen Zukunft bedeuten könnte. Abschließend werden Möglichkeiten und Grenzen der Veränderung des medialen Habitus von Volksschulkindern erarbeitet.
2. Begriffsbestimmung
Mit der Begriffsbestimmung soll der theoretische Rahmen für diese Arbeit skizziert und eine Basis erschaffen werden, auf welcher die Zusammenführung der Theorie erfolgen kann. Ganz im Sinne der Genese des Gewordenseins von der dieser Arbeit zugrunde liegenden Bedingungen der Möglichkeit für die entstanden Schlussfolgerungen.
2.1 Medialer Habitus
Der Begriff des medialen Habitus wurde im Zuge einer Forschungsstudie unter der Leitung von Sven Kommer im Jahr 2012 entwickelt. Der Habitus nach Bourdieu wurde damit um den medialen Gehalt erweitert. Da der Habitus die Genese einer bestehenden sozialen Verortung und des mit ihr verbunden Geschmacks beinhaltet, wurde er als passend gewählt (Kommer 2013: 2). Der Habitus an sich wird an spontanen und unreflektierten Handlungen erkannt. Der Blick ins Innere ist dabei nicht nötig. Die subjektiven Beweggründe oder Wünsche können aus dem Verhalten der Person rekonstruiert werden (Krais/Gebauer 2014: 26). Der Habitus muss allerdings im Zusammenhang mit seinem Kontext gesehen werden. Zudem ist die soziale Klasse und das soziale Feld, sowie das Geschlecht der Person für die Rekonstruktion von besonderer Bedeutung (Krais/Gebauer 2014: 31). Die Lernprozesse des Habitus funktionieren wie folgt:
"Mit dem Konzept des Schemas kann man sich vorstellen, dass der Habitus wie ein dispositionelles Netz organisiert ist, das Erfahrungen und sinnliche Eindrücke aufnimmt und in spezifischer Weise verarbeitet, damit aber auch selbst immer wieder modifiziert wird. Das heißt auch, dass der Habitus nur Dinge aufnehmen und einbauen kann, für die er bereits eine Art 'Ankopplungsstelle' hat. Damit wird auch die Kohärenz und Stabilität des Habitus, ja das Phänomen der >> Hysteresis<< verständlich: Die bestehende Strukturierung des Habitus schließt aus, dass er alles verarbeitet, was in der Welt ist" (Krais/Gebauer 2014: 64).
Der Habitus ist somit stabil und lässt sich nur schwer verändern. Die sozialen Verhältnisse tragen wesentlich dazu bei, ob er nun verändert wird oder nicht. Auf diese Weise kann die Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der Welt festgemacht werden. In der Gesellschaftstheorie Bourdieus werden die Menschen immer in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt gesehen. Der Mensch verinnerlicht seine Umwelt, gibt sie durch sein Handeln nach außen zurück und gestaltet sie damit (Krais/Gebauer 2014: 81). Die Merkmale des Habitus wurden für den Begriff des medialen Habitus übernommen. Damit auch der Begriff der sozialen Ungleichheit, welcher Bourdieus Theorie prägt. Mit Bourdieu verfügt der Mensch über Kapitalsorten, welche unterschiedlich verteilt sind und den Handlungsraum des Menschen begrenzen. Sie sind Einflussfaktoren, welche die menschlichen psychischen Strukturen und möglicherweise die biologischen Systeme verändern. Sie haben die Form einer Irritation des Systems, welche sich auf diese dann anpasst. Welche Kapitalsorten der Mensch besitzt und welchen Geschmack er entwickelt hat, hängt primär mit seinem familiären Hintergrund zusammen (Kommer 2013: 5ff.). Das Bildungssystem wird als eine Erhaltungsmaschine der bestehenden Geschmackssorten gesehen, denn es folgt dem legitimen Geschmack der oberen Klasse. Die SchülerInnen, welche den verlangten Habitus haben, sind mit den schulischen Anforderungen besonders kompatibel im Vergleich zu den anderen SchülerInnen. Auf diese Weise setzt sich die Klassengesellschaft fort:
"Über den Habitus regiert die Struktur, die ihn erzeugt hat, die Praxis, und zwar nicht in den Gleisen eines mechanischen Determinismus, sondern über die Einschränkungen und Grenzen, die seinen Erfindungen von vornherein gesetzt sind. Als unendliche, aber dennoch strikt begrenzte Fähigkeit zur Erzeugung ist der Habitus nur so lange schwer zu denken, wie man den üblichen Alternativen von Determiniertheit und Freiheit, Konditioniertheit und Kreativität, Bewußtem und Unbewußtem oder Individuum und Gesellschaft verhaftet bleibt, die er ja eben überwinden will. Da der Habitus eine unbegrenzte Fähigkeit ist, in völliger (kontrollierter) Freiheit, Hervorbringungen - Gedanken, Wahrnehmungen, Äußerungen, Handlungen - zu erzeugen, die stets in den historischen und sozialen Grenzen seiner eigenen Erzeugung liegen, steht die konditionierte und bedingte Freiheit, die er bietet, der unvorhergesehenen Neuschöpfung ebenso fern wie der simplen mechanischen Reproduktion ursprünglicher Konditionierungen" (Bourdieu 1993: 102f.).
Kommer (2013: 9) argumentiert mit der Bewusstwerdung der institutionellen Tradierung von Chancenungleichheit im Bildungssystem als der Möglichkeit zur Veränderung dieses Zustandes. Der schulische Umgang mit Medien und dessen Hintergründe, welche die soziale Ungleichheit verstärken, können im theoretischen Rahmen des medialen Habitus erforscht werden.
Der Begriff des medialen Habitus nach Kommer (2013: 11-15) und Biermann (2012) wurde aus ihren empirischen Studien heraus entwickelt:
"Unter medialem Habitus verstehen wir ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Zuschreibungen fungieren und die im Verlauf der Verortung im sozialen Raum und der strukturellen Koppelung an die mediale und soziale Umwelt geprägten Ontogenese erworben werden.
Der mediale Habitus bezeichnet damit auch eine charakteristische Konfiguration inkorporierter, strukturierter und zugleich strukturierender Klassifikationsschemata, die für ihre Träger in der Regel nicht reflexiv werden.
Der mediale Habitus ist Teil des Gesamt-Habitus einer Person und aufs engste mit diesem verbunden" (Kommer/Biermann 2012: 90).
Der mediale Habitus besteht demzufolge aus dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, welche gleichermaßen den Medienumgang und die Mediennutzung prägen und zudem neue Erzeugungsmuster erschaffen. Diese werden im Laufe des Lebens vor dem Hintergrund der sozialen Verortung und der erlebten Medien und der Sozialwelt erworben. Der mediale Habitus ist dem Menschen nicht bewusst und ist ein Teil des Gesamthabitus. Interessant sind die Ergebnisse zur Erforschung des Medienumgangs. Von besonderer Bedeutung ist wofür die Medien benutzt werden und welche Medien dafür verfügbar sind. Die prägendste Sozialitionseinflußnahme ist das Elternhaus mit seiner Medienerziehung und Mediennutzung. Im Schulsystem wird diese Prägung oft weiter verstärkt. Kommer (2006: 382-385) untersuchte in seiner Dissertation vor diesem Hintergrund den medialen Habitus von Lehramtsstudierenden und von den SchülerInnen der Haupt- und Realschule. In seinen Ergebnissen konnte er drei Kategorien von Mediennutzung bei den Lehramtsstudierenden feststellen: Die ambivalenten oder überforderten Bürgerlichen, für welche die Medien hauptsächlich den Unterhaltungscharakter haben und erst im Rahmen ihres Studiums, beispielweise den Computer als Werkzeug entdecken. Dieser mediale Habitus ist gegensätzlich zu dem der SchülerInnen laut den Ergebnissen von Kommer. Die SchülerInnen sehen die Medien als ein Unterhaltungsinstrument an. Im Gegensatz dazu ist die Kategorie der hedonistischen Pragmatiker bei den Lehramtsstudierenden, derjenigen von den SchülerInnen am ähnlichsten. Sie pflegen einen alltäglichen Umgang mit den Medien, hinterfragen diese aber nicht. Die Gruppe der kompetenten Medienaffinen besitzt neben der hohen Mediennutzung auch die kritisch-reflexive Perspektive und nutzt zudem weitere kulturelle Angebote. Der Typus kann sich an den medialen Habitus der SchülerInnen anpassen, sie aber auch überfordern.
Kommer kommt zu dem Schluss, dass es noch besonders viele Studierende gibt, welche den neuen Medien gegenüber kritisch eingestellt sind und dieser Umstand ist habituell verankert. Damit die Chancenungleichheit im Bildungssystem ein Ende nimmt, bedarf es der Selbstreflexion des eigenen medialen Habitus der Lehrkräfte. Damit möchte Kommer auf die Bewusstseinsbildung in der LehrerInnenbildung aufmerksam machen. Diese Vorgangsweise kann den vorhandenen Rahmen erweitern und die damit zusammenhängenden Vorurteile beseitigen (Kommer 2006: 387 f.; Grubesic 2013: 10). Neben der qualitativen Untersuchung von Kommer wurde 2009 eine quantitative Studie von Ralf Biermann durchgeführt, welche Kommers Ergebnisse bestätigte (Kommer /Biermann 2012: 95). Die Ergebnisse der quantitativen Studie zeigten auf, dass die Lehramtsstudierenden großteils keine guten Erfahrungen mit den Medien in ihrer Schullaufbahn gemacht haben und zudem familiär das Lesen forciert wurde. Neue Medien oder ein positiv besetzter Umgang mit Medien werden im medienwissenschaftlichen Diskurs als ein zusätzlicher Kommunikationskanal gesehen (Biermann 2012). Wird dieser Kanal nicht als zur gängigen Kommunikation notwendiges Werkzeug im Bildungssystem gesehen, dann führt dieser Umstand zur sozialen Ungleichheit. Diese Medienkompetenz zählt zum kulturellen Kapital nach Bourdieu und prägt somit den medialen Habitus nachhaltig (Biermann 2012: 4f.).
Bisher konnte gezeigt werden, welche Definition der mediale Habitus in den medienpädagogischen Debatten erhalten hat, sowie welche wissenschaftlichen Ergebnisse in Bezug auf das Bildungssystem in den laufenden Forschungen diskutiert werden. Da es in der vorliegenden Arbeit zentral um den medialen Habitus von Volksschulkindern geht, wird auf die zugehörigen Forschungsergebnisse im Kapitel 3 vertiefend eingegangen. Zuvor wird der Begriff der Medienkompetenz nach Baacke vorgestellt, da diese in den medialen Habitus mit einfließt und ihr Erwerb im Zuge des zuletzt genannten vermutlich zur sozialen Ungleichheit im Bildungssystem zukünftig beitragen wird.
2.2 Die Medienkompetenz nach Baacke (1997)
Baacke folgend ist die Kommunikation mit der Welt von der Geburt an gegeben. Lediglich ihre Form muss gelernt werden. Die Voraussetzung für das Erlernen einer Kompetenz ist dem Menschen gegeben. Indem er mit Kompetenzen ausgestattet wird, kann er in Folge auf einen mit ihnen gefüllten "Werkzeugkoffer" zugreifen (Baacke 1997: 96). Die Medienkompetenz ist eine Kommunikationsart, welche Baacke (Biermann 2013: 2f.) in vier Dimensionen teilt: die Medienkritik, die Medienkunde, die Mediennutzung und die Mediengestaltung.
"1. Medienkompetenz umfaßt die Fähigkeit zu Medienkritik, und dies in dreifacher Weise:
a Analytisch sollten problematische gesellschaftliche Prozesse (z.B. Konzentrationsbewegungen) angemessen erfasst werden können;
b reflexiv sollte jeder Mensch in der Lage sein, das analytische Wissen auf sich selbst und sein Handeln anwenden zu können;
c ethisch ist die Dimension, die analytisches Denken und reflexiven Rückbezug als sozialverantwortet abstimmt und definiert.
2. Neben die Medienkritik tritt die Medienkunde, die das Wissen über heutige Medien und Mediensysteme umfaßt. Sie kann zweifach ausdifferenziert werden:
a Die informative Dimension umfaßt klassische Wissensbestände (wie: Was ist ein "duales Rundfunksystem"? Wie arbeiten Journalisten? Welche Programm-Genres gibt es? Wie kann ich auswählen? Wie kann ich einen Computer für meine Zwecke effektiv nutzen? etc.);
b die instrumentell-qualifikatorische Dimension meint die Fähigkeit, die neuen Geräte auch bedienen zu können, also z.B. das Sich-Einarbeiten in die Handhabung einer Computer-Software, das Sich-Einloggen-Können in ein Netz, usf.
Medienkritik und Medienkunde umfaßt die Dimension der Vermittlung. Die Dimension der Zielorientierung liegt im Handeln der Menschen. Auch diese können wir doppelt ausfalten.
3. Medienhandeln ist Mediennutzung, die in doppelter Weise gelernt werden muss:
a Rezeptiv, anwendend (Programm-Nutzungskompetenz);
b interaktiv, anbietend antworten können kommt vom Tele-Banken bis zum Tele-Shopping oder zum Tele-Diskurs).
4. Der letzte Bereich ist der der Mediengestaltung, ebenfalls doppelt ausfaltbar:
a Mediengestaltung ist zum einen zu verstehen als innovativ (Veränderungen, Weiterentwicklungen des Mediensystems innerhalb der angelegten Logik) und
b als kreativ (Betonung ästhetischer Varianten, das Über-die-Grenzen-der-Kommunikations-Routine-Gehen)" (Baacke 1997: 98f.).
Die Medienkritik analysiert demnach kritisch die mediale Wirklichkeit während in der Medienkunde vorrangig das Wissen über die Medien gegeben wird. Dieses besitzt den Charakter eines Instruments, welches , wenn man die Medienkritik bereits berücksichtigt, kritisch reflexiv, angewandt wird. Im Zuge der Mediennutzung wird interagiert, es geht also um das Einüben der Medienkompetenz in der Praxis. Schlussendlich folgt die Mediengestaltung im Zuge welcher der Nutzer zum Gestalter wird. Unter der kritisch reflexiven Berücksichtigung des medialen Wissens, welches bereits praktisch erprobt wurde, können neuen kreative Ideen umgesetzt werden. Für die Medienpädagogik ist das Erlernen der Medienkompetenz in der Schule von besonderer Bedeutung, denn die heutige Medienwelt hat mit dem neuen Kommunikationskanal eine weitere "Sprache" geschaffen, welche in einem selbstbestimmten Leben nicht fehlen darf. Leider sind Medien öfters negativ besetzt. Warum ist das so?
Baacke stellt fest, dass die Technik und die Medien in der Pädagogik besonders kritisch gesehen und als die Manipulation der Gesellschaft begriffen werden (Baacke 1997: 30). Die "Kritische Theorie" der "Frankfurter Schule" sieht die Medienpädagogik als die Kritik der Gesellschaft. Massenkommunikation ist mit ihrem gesellschaftlichen Rahmen verwoben. Was in den Medien gelesen oder gesehen werden kann, wird an die kommerziellen Bedürfnisse angepasst. Die Werbung beeinflusst gezielt das Unterbewusstsein. Die Medien greifen mit der gleichen Botschaft ineinander und reproduzieren dabei den Alltag und geben keinen Einblick in die Wahrheit (Baacke 1997: 32). Für die Medienkompetenz bedeutet dieser Umstand, dass der Mensch nur dann aktiv handeln und das Empfangene reflektieren kann, wenn er die Intentionen der Medien erkennt. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn der Mensch die Sprache der Medien sprechen kann (Baacke 1997: 55). Ob diese Reflexion erfolgen kann, hängt maßgeblich davon ab, in welcher sozialen Verortung sich der Mensch befindet. Höher gebildete Familien nutzen die Medien anders als die wenig gebildeten. Dieser Umstand mündet in der Wissenskluft-These, welche besagt, dass weniger gebildete Menschen die Medien vorrangig als Unterhaltung und Konsummittel sehen und andere kulturelle Angebote dafür vernachlässigen. Der gewählte Lebensstil wird beibehalten und keine Weiterentwicklung angestrebt. Anders die gut gebildeten Menschen, denn sie nutzen die Medien als eine Bereicherung und Weiterentwicklung ihres bisherigen Lebens. Die Medien werden zur Erweiterung des Wissens und Könnens benutzt (Baacke 1997: 76). An dieser Stelle kann bereits der Zusammenhang von unzureichender Medienkompetenz zur sozialen Ungleichheit gesehen werden. Familien, welche über genug ökonomisches Kapital verfügen, können ihre Kinder in Digitalisierungskurse schicken und auf diese Weise ihre Medienkompetenz erweitern. Den Übriggebliebenen bleibt dieses Wissen und Können verschlossen. Aus diesem Grund wäre die Stärkung der Medienkompetenz in der Schule von höchster Bedeutung.
Bourdieu (2016) folgend kann auf die ästhetische Kompetenz verwiesen werden. In seinen Forschungen untersuchte er, wie sich diese Kluft zwischen den Gesellschaftsklassen bildet. Er unterscheidet drei Geschmäcker, welche die Menschen innerhalb dieser Klassen aufweisen. Der legitime Geschmack hat eine Freiheit zu wählen inne und ist somit nicht auf Notwendigkeit angewiesen. Der mittlere Geschmack zeichnet sich durch das Streben nach Aufstieg aus und der Notwendigkeitsgeschmack beschränkt sich auf Dinge oder Fähigkeiten, welche nützlich und erschwinglich sind (Bourdieu 2016: 298). Auf diese Weise wird der Mensch und sein Lebensstil von seiner ästhetischen Einstellung geprägt:
"Als Produkt einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen eint sie all jene, die aus denselben Bedingungen hervorgegangen sind, unterscheidet sie aber zugleich von allen anderen vermittels dessen, was sie wesentlich besitzen. Der Geschmack ist die Grundlage alles dessen, was man hat - Personen und Sachen -, wie dessen, was man für die anderen ist, dessen, womit man sich selbst einordnet und von den anderen eingeordnet wird" (Bourdieu 2016: 104).
Die obere Klasse will sich stetig von der unteren distanzieren. Der ästhetische Geschmack wird von der Distinktion begleitet, welche Grenzen bildet. Wie kann der ästhetische Sinn für die Distinktion mit der Medienkompetenz in der digitalen Zukunft in Zusammenhang gebracht werden? Es werden bereits teure Kinderkurse zum Erlernen der Medienkompetenz angeboten. Diese können allerdings lediglich von den Kindern der oberen oder der mittleren Klassen besucht werden. Solange in der Schule keine Medienkompetenz vermittelt wird, kann diese Kluft zwischen den Kindern nicht geschlossen werden. Da die Medienkompetenz zum inkorporierten kulturellen Kapital nach Bourdieu gezählt wird, bedeutet dies, dass wenn das Bildungssystem keine Medienkompetenz aufweist und sie damit die Kinder nicht lehrt, die soziale Chancenungleichheit aufrecht erhalten wird (Biermann 2013: 5).
Die Kinder aus höher gebildeten Familien kennen den neuen Kommunikationskanal und könnten zukünftig mit besseren Arbeitsmöglichkeiten rechnen, die weniger gebildeten wahrscheinlich nicht. Die familiären und gesellschaftlichen Einflüsse auf den Menschen werden im Zuge der Sozialisation erfahren und wirken sich auf die soziale Ungleichheit aus. Diese Thematik wird im nächsten Kapitel kurz umrissen.
2.3 Sozialisation, kulturelles Kapital und soziale Ungleichheit nach Bourdieu
Um den Zusammenhang von unzureichender Medienkompetenz und sozialer Ungleichheit zu erkennen, ist es zunächst von Bedeutung zu wissen, wie diese entsteht. Mehrere Faktoren fließen in diesen Zustand hinein. Der Mensch wird im Laufe seines Lebens von äußeren Umständen sozialisiert. Bourdieu folgend (Koller 2012: 139-154) ist sein Sozialisationsbegriff von der Verortung im sozialen Raum, den Habitus und der unterschiedlichen Kapitalsorten geprägt. Für ihn ist der Mensch mit ungleich viel kulturellen, ökonomischen und sozialen Kapital ausgestattet, was zur sozialen Ungleichheit führt (Krecker/Krais 1983: 211). Für die vorliegende Arbeit ist das inkorporierte kulturelle Kapital von besonderer Bedeutung, weshalb lediglich dieses erörtert wird.
Das inkorporierte kulturelle Kapital beinhaltet alle familiär, durch Peers oder im Bildungssystem angelernten oder sozial vererbten Fähigkeiten und Kenntnisse, welche im Menschen verinnerlicht sind (Bourdieu 1997: 55-57). Die Voraussetzungen für selbstständig erworbenes inkorporiertes kulturelles Kapital sind Zeit und ökonomisches Kapital. Das inkorporierte kulturelle Kapital wird innerhalb der Familiengenerationen sozial vererbt:
"Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der >>Person<<, zum Habitus geworden ist; aus >>Haben<< ist >>Sein<< geworden. Inkorporiertes und damit verinnerlichtes Kapital kann deshalb (im Unterschied zu Geld, Besitz- oder sogar Adelstiteln) nicht durch Schenkung, Vererbung, Kauf oder Tausch kurzfristig weitergegeben werden" (Krais/Gebauer 2002: 56).
Zur Sozialisation gehört ebenfalls die eigene Verortung im sozialen Raum. Je nachdem wie viel und von welchem Kapital der Mensch besitzt,
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