Märchen sind für die meisten Kindergeschichten, mit Hexen, Wölfen, unschuldigen Mädchen, bösen Feen und Zwergen. Dabei steckt noch viel mehr dahinter. Es geht auch um Geld und Macht, die Moral bleibt mancherorts auf der Strecke. Gold evoziert und löst Konflikte, die es zuvor erst geschaffen hat und die es ohne Gold nicht geben würde. Für das (finanzielle) Überleben ist es unumgänglich, unmoralisch zu sein. Hat man sich erst einmal finanziell abgesichert, kann man auch der Moral wieder einen Stellenwert einräumen.
Die Alchemie wurde lange Zeit als ein Zweig der Naturwissenschaften angesehen, der Wunsch, aus Nichts etwas Wertvolles herstellen zu können, gegen das man alles tauschen kann, für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben und nie mehr arbeiten zu müssen. Dabei wird der Wert einer Ware nicht an dem Aufwand seiner Herstellung, sondern an seiner Seltenheit und der Nachfrage bemessen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kontrastive Untersuchungen der Bedeutung von Geld und Gold in der französischen Märchenkultur und der deutschen „Gattung Grimm“
2.1„In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat“- Allgemeines zu Gold und Geld im Märchen
2.2 Gold und Geld bei Mademoiselle L’Hérititer und dem französischen Märchen Ricdin-Ricdon- eine abgeschlossene Oikodizee, in der Gold ein Auslöser für Konflikte ist?
2.3 Gold und Geld bei Grimm und dem Märchen Rumpelstilzchen eine abgeschlossene Oikodizee, in der Gold ein Auslöser für Konflikte ist?
3 Schluss
4. Bibliographie
1 Einleitung
Der ewige Kampf um Besitz, Reichtum, Geld und Gold. Die Alchemie wurde lange Zeit als ein Zweig der Naturwissenschaften angesehen, der Wunsch, aus Nichts etwas Wertvolles herstellen zu können, gegen das man alles tauschen kann, für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben und nie mehr arbeiten zu müssen. Dabei wird der Wert einer Ware nicht an dem Aufwand seiner Herstellung, sondern an seiner Seltenheit und der Nachfrage bemessen.
Nicht nur im realen Leben, auch in Märchen hat dieses Thema eine hohe Frequenz. Geld und Gold steht darin für Reinheit, das Gute, eine Art Allheilmittel. Von Schmuck über vergoldeten Besitz, auch vor Flora und Fauna macht das Edelmetall keinen Halt. Woher es kommt, ist weniger bedeutend als die Tatsache, dass man es hat. Wer es hat, der hat es gut, wer es nicht hat, der beschafft es sich. Entweder wird es durch lange und harte Arbeit mühsam verdient, bei erdrückender Armut erlogen oder durch einen magischen Helfer beschafft.[1] Doch was geschieht in diesem Fall der immer möglichen Befreiung von Sorgen- wird dadurch Wohlstand für alle erreicht oder führt ein inflationärer Geld- und Goldzuwachs zum wirtschaftlichen Zusammenbruch? Kann der Wunsch einer einzelnen Person und dessen Erfüllung ein abgeschlossenes wirtschaftliches System aus dem Gleichgewicht bringen, das von allen anderen, die in diesem ökonomischen Raum leben –mit Ausnahme der Person, die dieses Interesse hegt- wiederhergestellt werden muss, sei es durch einen adäquaten Ausgleich oder, im Falle der Nichterfüllung, durch den Tod?
Wie sehr Leben und Tod mit Gold und Geld zusammenhängen, soll in dieser Arbeit gezeigt werden. Welchen Wert erhält ein Leben im Märchen, wogegen kann man Gold eintauschen, was kann alles aus diesem Metall bestehen? Neben einem ersten Teil, der dazu dienen soll, Allgemeines zu Geld und Gold im Märchen zu erläutern, wird im Anschluss daran, anhand der beiden Märchen Ricdin-Ricdon und Rumpelstilzchen der Frage nachgegangen, ob und wie Gold in der französischen und deutschen Märchen für Konflikte verantwortlich sein kann, wenn es doch eigentlich als Lösung finanzieller Probleme gilt. Am Ende wird die These aufgestellt, dass Moral und Ökonomie nicht koexistieren können. Hierbei wird besonders auf das Verhältnis von Moral und Ökonomie eingegangen, und das Verhalten der jeweiligen Könige, weiblichen Hauptfiguren und dem magischen Helfer in diesen beiden Märchen untersucht. Inwiefern verhalten sie sich jeweils moralisch oder ökonomisch und ist der König oder eine sonstige regulierende Instanz noch von Nöten, wenn Ökonomie stärker reguliert als alle menschlichen und moralischen Kräfte?
2 Kontrastive Untersuchungen der Bedeutung von Geld und Gold in der französischen Märchenkultur und der deutschen „Gattung Grimm“
2.1„In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat“ - Allgemeines zu Gold und Geld im Märchen
Gold, ein Edukt für Geld, ein „summum bonum“[2][3][4][5], eine materia prima[6], im Märchen[7] symbolisch stark aufgeladen und Kennzeichen für Helden. Sein Besitz erlaubt Freiheit, sein Mangel erzeugt Elend. Dem Armen und dem Reichen werden allein durch die Tatsache, Gold und Geld zu haben, bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben. Der arme Mensch ist meist der gute, moralisch höherstehende Mensch als der Reiche und auch derjenige, der von den Rezipienten als Sympathieträger angesehen wird. Die finanzielle Notlage der Protagonisten zeigt sich ab Beginn des Märchens, beispielsweise bei Grimms Schneeweißchen und Rosenrot („Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen…“[8] ), Sterntaler („Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, …“[9] )[10] oder auch in Perraults Le Maître Chat:
„Un meunier ne laissa pour tous biens à trois enfants qu’il avait, que son moulin, son âne, et son chat. […] Ils auraient eu bientôt mangé tout le pauvre patrimoine. L’aîné eut le moulin, le second eut l’âne, et le plus jeune n’eut que le chat…“[11]
Klotz bezeichnet das schon zu Erzählbeginn bestehende soziale und ökonomische Ungleichgewicht als Missverhältnis, das bereits vorher existierte, als „Situationen, die schon längst der Korrektur bedürfen […] [und bei denen die] Unordnung […] nur eingeführt [wurde], um sie zu beseitigen.“[12]
Die Funktion dieser Gegenüberstellungen ist eine kulturwissenschaftliche, die dazu dienen soll, eine Disziplinierung und die Wahrung von bürgerlichen Werten vorzunehmen, indem seitens der Rezipienten anhand des jeweiligen Märchens ein Lernen am Modell erfolgen soll. Geld und Gold kann daher im Märchen auf zweierlei Arten vorkommen:
als Symbol mit sakralem Wert, das als Hoffnungsträger und für Reinheit und Transzendenz[13] steht oder auch als weltliches Zahlungsmittel, das bei Figuren, die einem übersteigerten Ökonomiestreben erlegen sind, zu Habgier, Geiz und unverhältnismäßigem Gewinnstreben[14] führen. Neben diesen negativen Wirkungen im Märchen gibt es jedoch auch positive Effekte, wie die Anerkennung und Akzeptanz des Goldbesitzers in seiner Familie[15], das dadurch eine wieder eingliedernde Funktion besitzt und für ertragenes Leid und erbrachte Mühen entlohnt.[16] Als Hoffnungsträger rangiert Gold, da durch den Erwerb einer bestimmten Menge erreicht wird, dass die Grundbedürfnisse, die zuvor nur mangelhaft erfüllt werden konnten, nun mehr als abgedeckt werden. Die Hoffnung des Armen, der nicht aktiv nach Gold/Geld sucht, sondern der per Zufall darauf stößt, und der zuvor für seine Grundversorgung hart arbeiten muss, wird am Ende für seine Anstrengungen, Tugendhaftigkeit und Bescheidenheit belohnt[17].
Diesen Antagonisten „reich versus arm“ widmet sich die materialistische Märchenforschung, die nicht nur ökonomische Kontraste, sondern auch soziale Differenzen vom höchsten Herrscher bis hin zu armen Bettler beleuchtet, Kontraste, die von Lüthi als eine Vorliebe des Märchens beschrieben wird, das die Extreme tradiert und das Mittelmaß außer Acht lässt.[18] Es bestehen überwiegend Handlungs- beziehungsweise Kontrastbeziehungen im Märchen, das dazu tendiert, Lebewesen und Dinge „zu metallisieren und zu mineralisieren“[19]. Alles Goldene, Silberne oder Kupferne kann im nächsten Moment zu Stein werden, Körperteile wie Finger oder Haare werden scheinen in den Farben der Metalle, Kleidung kann aus Marmor bestehen. Besonders das Seltene und Edle wird bevorzugt, die klare und kräftige Farbe allein ist ausreichend, um sich von anderen Gegenständen oder niederen Personen abzugrenzen[20]: das goldene Federkleid der Gans[21], Rapunzels goldene Haare[22], die Kleider Cendrillons[23] oder das Geschirr und Mobiliar des Barbe Bleue[24]. Der Held bekommt zudem für das Lösen seiner Aufgaben Hilfestellungen wie den Goldesel[25] oder die Feder, die dem Dummling alles vom König Geforderte verschafft und ihn schlussendlich selbst zum König macht[26]. Lüthi stellt hierbei die Behauptung auf, dass die „Wunderdinge des Märchens […] nicht dazu da [sind], um spielerisch verwendet zu werden, um den Helden Spaß, Annehmlichkeit, Reichtum zu schenken, sondern sie sollen ganz bestimmte Handlungssituationen bewältigen.“[27] Recht behält er, wenn das Leben der Figur auf dem Spiel steht, wie bei Rumpelstilzchen, bei dem das Nichterscheinen des Zwerges den Tod für das Mädchen bedeuten würde. Anders verhält es sich jedoch bei Grimms Aschenputtel oder Perraults Cendrillon, die ohne die Hilfe der Tauben und des verwunschenen Baumes weiter für ihre Stiefschwestern hätte arbeiten müssen, aber dennoch wie auch der Dummling aus Die drei Federn am Leben geblieben wäre. Vor allem bei Aschenputtel / Cendrillon wird die Annehmlichkeit deutlich, die dem Mädchen erst durch die Erledigung der Arbeit durch die Tauben ermöglicht wird, ohne deren Hilfe sie nicht am Ball hätten teilnehmen können. Dass ihr Wunsch auf den Ball zu gehen, ein Spaß und eine Annehmlichkeit, am Ende zur Heirat und Reichtum führt, soll hier als Gegenargument für Lüthis These dienen. Die Mädchen in beiden Fassungen des Märchens setzten die Tauben und den Baum gezielt ein, zwar um „bestimmte Handlungssituationen“[28] zu bewältigen, jedoch auch vor dem Hintergrund, den Spaß und die Annehmlichkeit eines Ballabends genießen zu können.
Als Zwischenfazit kann daher festgehalten werden: Märchen, in denen die Protagonisten die Kinder armer Leute sind, erfahren eine Umkehr der beiden Pole von einer großen Armut hin zu immensen Reichtum. Der anfängliche Mangelzustand kann als handlungsinitiierende Voraussetzung gesehen werden, die nötig ist, um einen Gewinn an Geld, Gold oder auch Glück und zukünftiger Sorglosigkeit zu erzielen.[29]
Woeller schlägt eine Einteilung vor, nach der ein niedriger ökonomischer Status zugleich die Charaktereigenschaft gut und ein hoher ökonomischer Status für die Eigenschaft böse nach sich zieht. Dass diese verallgemeinernde Charakterzuschreibung nicht per se gelten kann, zeigt das Märchen Van den Fischer un siine Fru [30]. Beide Eheleute sind arm, der Mann, der eines Tages einem zuvor gefangenen, verwunschenen Fisch die Freiheit wieder schenkt, erhält er von seiner Frau den Auftrag, sich -im Gegenzug für das Leben lassen des Fisches- etwas zu wünschen. Auch nach zahlreichen materiellen Zugewinnen, die die Frau von ihrem Mann durch den Fisch erreicht hat, von denen beide Eheleute profitieren, ist dennoch festzustellen, dass mit steigendem Besitz die Ansprüche der Frau proportional zu ihrem vorherigen Zugewinn ansteigen, hingegen sich der Mann nach jedem neuen Zugewinn mit diesem begnügen möchte. Während die Frau mit wachsendem Reichtum auch wachsende Ansprüche hat, erfährt sie den Wandel, der sie von einer armen, aber noch bescheidenen und guten Frau zu einer unersättlichen Frau macht, hingegen der Mann sich mit dem jeweils aktuellen Besitz zufrieden gibt. Da beide den gleichen Gewinn haben, sich die beiden Figuren von armen zu reichen Leuten wandeln, entwickelt sich die Frau gemäß und der Mann entgegengesetzt der Annahme Woellers. Bezieht man den moralischen Gesichtspunkt mit ein, so kann diese Annahme Solms gelten:
„wer arm ist, ist wunschlos glücklich und damit reich […] Armut ist zwar keine Tugend und Reichtum kein Laster, aber Armut scheint eine gute, Reichtum dagegen eine schlechte Bedingung für ein tugendhaftes Leben zu sein.“[31]
Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass Geld und Gold in einer ökonomisch geprägten Gesellschaft für das Überleben darin zwar unabdingbar sind, solange sie die Grundbedürfnisse sichern. Alles, was darüber hinaus geht, verleitet aber die Figuren dazu, nach immer mehr Besitztümern zu streben und so ein tugendhaftes Leben eher zu vernachlässigen, dass von einer egozentrierten, materialistisch geprägten und nahezu endlosen Suche nach mehr ausgerichtet wird. Ein vermeintliches Ende kann erst eintreten, wenn eine Gleichsetzung mit Gott erfolgt ist, was im Falle der Frau des Fischers einen Verlust aller vorherigen Zugewinne bedeutet und einen Beleg dafür liefert, dass die höchste Stufe materiellen Besitzes nur in der Abdeckung essentieller Bedürfnisse besteht, um wie Gott sein zu können. Solms impliziert zugleich, dass Reichtum nicht unbedingt ein Laster sein muss, das heißt auch, dass nicht alle Reichen lasterhaft leben. Reichtum kann jedoch den Korrumpierungseffekt auslösen und die Motivation, ein tugendhaftes Leben zu führen, untergraben, da Bescheidenheit und das rechte Maß als Tugenden einen umso weniger hohen Stellenwert einnehmen, je reicher man ist und das Motto „carpe diem“ verfolgt.[32]
In Märchen wird keine Angabe über die Herkunft der Reichtümer gemacht, warum jemand Müller, Bauer, Fürst oder König ist. Prinzipiell kann jeder den Zustand ökonomischer Unabhängigkeit erreichen, wenn er die ihm gestellten Aufgaben erfolgreich besteht, wobei Erfolg und Misserfolg an der Tugendhaftigkeit und Arbeitsbereitschaft gemessen wird. In Frau Holle [33] wird das fleißige Mädchen mit Gold, das faule Mädchen mit Pech für die Erfüllung der von Frau Holle gestellten Aufgaben überzogen[34], in Les Fées [35] belohnt die Fee das hilfsbereite Mädchen mit Edelsteinen und Perlen und bestraft das unhöfliche Mädchen mit Schlangen und Kröten, die den beiden jeweils beim Sprechen aus dem Mund fallen werden.
Die Voraussetzung für den Erwerb von unbegrenzter Macht und Reichtum besteht laut Klotz im Haben oder Nichthaben von „Charisma des Märchenhelden“[36], das sich weder durch Fleiß oder sozialen Bedingungen auszeichnet. Charisma hat vielmehr derjenige, der nicht von seiner Individualität oder von der Gesellschaft geachteten Eigenschaften wie physische Stärke und Größe, größtmögliche Adaption an gesellschaftliche Regeln und Gepflogenheiten geprägt ist. Er kann auf diese Weise mit seiner „sozialen und charakterlichen Schwerelosigkeit“[37] unbefangen an die an ihn gestellten Aufgaben herangehen. Dies mindert zugleich die Bedeutung übernatürlicher Kräfte für den Erfolg des Helden, zugunsten der zunehmenden Gewichtung des Helden.[38] Klotz‘ Ansicht, dass Fleiß nicht ausschlaggebend für den Erwerb materieller Güter ist, ist jedoch kritisch zu sehen. Zwar stimmt die Aussage, wenn man das Beispiel der Pechmarie bei Grimm oder der faulen Tochter bei Perrault nimmt. Es trifft jedoch nicht zu, da der Fleiß und die Uneigennützigkeit der Goldmarie/ hilfsbereiten Tochter der Grund für die Belohnung mit Gold am Ende der Dienste bei Frau Holle beziehungsweise die Heirat mit dem Prinzen und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg der hilfsbereiten Tochter ist.
[...]
[1] Drewermann 2009: 32.
[2] Neben Perraults Volksmärchen (vgl. Tegethoff 2013 und Fußnote 5), die das Ideal einer gehorsamen und tugendhaften Frau propagieren und mit einer christlich geprägten Moral enden, finden sich in der französischen Märchenkultur auch die Kunstmärchen, wie die der Madame d’Aulnoy, die ihren weiblichen Figuren ein bis dato unübliches Maß an Autonomie zuschreibt. Beide Vertreter lassen der politischen Dimension in ihren Märchen, neben dem Ort der Handlung, wie er von der Gesellschaft vorgegeben wurde, den Raum, um die „menschenzerstörenden Intrigen der höfischen Gesellschaft“ (Grimm 2006: 204) und die Willkür der Herrscher anzuklagen (ebd. 204).
[3] Neuhaus weist auf die Problematik dieses Begriffs hin, der eine „Verengung der Perspektive auf die Produktion der Brüder Grimm als Maßstab des Märchens allerdings ebenso zu Verwerfungen in der Rezeption der Gattung geführt [hat] wie die allgemein diffuse Begriffsverwendung“ (Neuhaus 2005: 2). Im Folgenden soll mit diesem Begriff, soweit nicht anders angegeben, das Volksmärchen gemeint sein. Für eine mögliche Definition von „Märchen“: siehe Fußnote 7.
[4] Rölleke 1985: 23.
[5] Horn 1987: 1357.
[6] Wienker-Piepho 1996: 13.
[7] Eine erste Problematik besteht in der Definition des Terminus „Märchen“ (Karlinger (1985): VII.). In Anlehnung an die von Neuhaus vorgeschlagene Einteilung wird die Dreiteilung in Volks-, Kunst- und Wirklichkeitsmärchen übernommen, wobei die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sowie die Märchen von Charles Perrault und Mademoiselle L’Héritier dem Volksmärchen zugeordnet werden, da sie zwar einen Autor haben, der heute jedoch nicht mehr ermittelbar ist und die von Neuhaus aufgeführten Kennzeichen eines Volksmärchens erfüllen (Neuhaus 2005: 9). Die unterschiedlichsten Bearbeitungen und Parallelen der Autoren gehen auf die ähnlichen Problematiken und Bedürfnisse der Menschen zurück und haben auf diese Weise Eingang in die Märchen gefunden, die Bedeutung der mündlichen Tradierung soll dabei relativiert werden (Neuhaus 2005:2-4). Im Folgenden soll das Volksmärchen -von Bluhm als „Buchmärchen“ betitelt (Bluhm 2000: 12f)- von Perrault, vor allem aber auf den Märchen der Mlle L’Héritier und den Brüder Grimm im Fokus stehen, da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der französischen und deutschen Volksmärchenkultur liegt. Einen kurzen Abriss zur Entstehungsgeschichte nach Freund: er schließt den Einfluss des ersten europäischen Märchensammlers Giovan Francesco Straperola noch aus, da erste Übersetzungen ins Deutsche, die einen Einfluss Straperolas auf die Märchen der Grimms belegen würden, verloren gingen. Zwischen Giambattistas Basiles Pentamerone und den Märchensammlungen der Grimms hingegen finden sich Parallelen, so auch unter anderem bei Dornröschen, Der gestiefelte Kater oder Aschenputtel. Den größten Einfluss hatte Perrault mit seinen „Histoires ou contes du temps passé, avec de moralitéz [sic!]“ von 1697, die dem im selben Jahr erschienen Band „Contes des fées“ von Mme d’Aulnoy folgten. Deutscher Vorreiter der Grimms war im besonderen Maße Johann August Musäus mit seinen Volksmärchen der Deutschen (1782-1787 erschienen), der unter Märchen noch jede Geschichte mit fantastischen Elementen verstand. Bei Märchen wie Frau Holle, Das tapfere Schneiderlein, Der Teufel mit den drei goldenen Haaren oder Die kluge Else lässt sich der französische Ursprung zurückverfolgen, da die Brüder Grimm diese aus den Beiträgen verschiedener Frauen aus hugenottischen Familien mit einfließen lassen haben (Freund1996: 181-188). Den Einfluss von Basile auf Perrault beschreibt Soriano insofern, als dass er Perrault eine Vereinfachung der Erzählungen Basiles zuschreibt, die die Komplexität der Handlung reduziert und sie fast schon grenzwertig zu arm erscheinen lässt (Soriano 1977: 135-140).
[8] Rölleke 1985: 598.
[9] ebd. 590.
[10] Horn 1987: 1357.
[11] http://beq.ebooksgratuits.com/vents/Perrault-contes.pdf.
[12] Klotz 1985: 15.
[13] vgl Die Sterntaler ( Rölleke 1985: 590f.): die Sterne fallen als Goldtaler auf das Kind, nachdem es seinen eigenen Besitz vollständig verschenkt hat, wird es von einer höheren Macht für seine Aufopferungsbereitschaft belohnt. Diese höhere Macht muss nicht zwangsläufig Gott/ eine Gottheit sein. Es kann sich auch um ein Zauberwesen wie Zwerge (Schneeweißchen und Rosenrot in Rölleke 1985: 598-605), Feen (Aschenputtel, ebd. 116-122/ Cendrillon in http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 59-69), Zauberer (Frau Holle in Rölleke 1985: 128-130/ Les Fées in http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 54-58), verwunschene Menschen (Froschkönig in Rölleke 1985: 23-26) oder den Teufel (Der Teufel mit den drei goldenen Haaren in Rölleke 1985: 142-149) handeln.
[14] vgl. die Frau des Fischers in Van den Fischer un siine Fru (Rölleke 1985: 102-107), vgl. der König, dessen Habgier nach immer mehr Gold ihn zu einem Fährmann macht in Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (Rölleke 1985: 142-149).
[15] vgl. die fleißige, jüngere Tochter, die von ihrer Mutter erst als „meine Tochter“ bezeichnet wird, als diese feststellt, dass der Tochter mit jedem Wort Blumen oder Edelsteine aus dem Mund fallen (Les Fées in http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 54-58.
[16] Horn (1987): 1358-1372.
[17] vgl. Aschenputtel / Cendrillon in www.grimmstories.com/language.php?grimm=021&l=fr&r=de.
[18] Solms 1999: 79f.
[19] Lüthi 1974: 27.
[20] ebd. 27-29.
[21] Rölleke 1985: 306-310.
[22] ebd. 76.
[23] http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 64.
[24] http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 35.
[25] Rölleke 1985:173; Wienker-Piepho 1996: 12-13.
[26] ebd. 303-306.
[27] Lüthi 1974: 31.
[28] ebd. 31.
[29] vgl. beispielsweise den materiellen Zugewinn in den Märchen Die Sterntaler (Gewinn von Goldtalern und zukünftiger, finanzieller Sorglosigkeit, Rölleke 1985: 590f.) oder Hänsel und Grethel (Gewinn von Edelsteinen und Perlen, unbeschwertes Leben mit dem Vater nach dem Tod der Mutter, Rölleke 1985: 86-92); Solms 1999: 83-86.
[30] Rölleke 1985: 102-107.
[31] Solms 1999: 90.
[32] Solms 1999: 79-90.
[33] Rölleke 1985: 128-130.
[34] Freund sieht das Gold bei Frau Holle als „ethisches Gütezeichen“, als inneren Reichtum, und als materiellen (=äußerer) Reichtum an, der von der Mutter nicht als solcher erkannt wird. Sie sieht nur das Erscheinungsbild der zuvor noch ungeliebten Tochter und erkennt nicht, dass diese von Grund auf moralisch gut ist. Frau Holle richtet daher mittels der Belohnung beziehungsweise Bestrafung der Töchter indirekt auch über die Mutter (Freund 1996: 79-81). In Perraults Version verstößt die Mutter die faule Tochter und spricht dadurch deren Todesurteil. Zugleich macht sie die hilfsbereite Tochter für das Unglück der faulen verantwortlich, was das fleißige Mädchen in den Wald fliehen lässt, wo sie einem Prinzen begegnet, der sie aufgrund ihrer Gabe zur Frau nimmt. Hier wird sowohl von der Mutter als auch von dem Prinzen der materielle Reichtum fokussiert, ob der Prinz nach der Heirat auch den inneren Reichtum erkennt, bleibt jedoch offen. http://www.ebooksgratuits.com/newsendbook.php?id=515&format=pdf, Seite 54-58.
[35] ebd. Seite 54-58.
[36] Klotz 1985: 13.
[37] ebd. 14.
[38] ebd. 13f.